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by Nate Southard


  »Sind Sie okay?«, erkundigte sie sich.

  »Nur ein fieser Schlag gegen den Schädel oder so. Das wird schon wieder.« Aber da hatte er seine Zweifel. Das Problem mit dem lädierten Knie konnte er vielleicht durch Humpeln lösen, aber dass er immer wieder das Gleichgewicht verlor und die Übelkeit ihn in ihrer glatten, feuchten Faust umklammert hielt, bereitete ihm zunehmend Sorgen. Gehirnerschütterungen konnten eine ernste Sache sein, aber er wusste nicht genau, welche bleibenden Schäden sie nach sich zogen. Er glaubte, irgendwo gelesen zu haben, dass man sich nicht hinlegen durfte und die Person, die den Schlag abbekommen hatte, 48 Stunden lang nicht schlafen durfte. Etwas in der Art.

  48 Stunden. Die Zahl brachte ihn beinahe zum Schmunzeln. Es war wie eine magische Hausnummer für alle Fälle. Ein wunderbarer numerischer Code, der sämtliche Fragen beantwortete und einem jede Tür öffnete. Langsam bemerkte er, dass er hüpfend und springend am Land des Schmunzelns vorbei im Königreich des Kicherns gelandet war. Er presste seinen Handballen gegen die Zähne und stieß eine Reihe von Glucksern aus. Er wusste, dass es falsch war, dies in unmittelbarer Nähe von Curtis’ Leiche zu tun, aber er konnte nicht aufhören.

  »Potter. Hey.«

  Tränen liefen ihm über die Wangen. Er biss sich in die Hand und blieb stehen, bis das Kichern verschwand. Ein glühendes Schamgefühl folgte, doch damit konnte und wollte er sich in diesem Moment nicht auseinandersetzen. Stattdessen massierte er seine Schläfen, bis der Druck auf seinen Schädel ein wenig nachließ. Er blickte in die Runde und versuchte die Art, wie Greg ihn anstarrte, zu ignorieren.

  »Tut mir leid. Das ist alles so … ach, egal.« Sein Blick blieb kurz an Shannon hängen. »Können Sie mir einen Gefallen tun? Machen Sie sich auf die Suche nach einer Decke, damit Curtis nicht so da liegen bleibt. Ich werde inzwischen nach den Piloten schauen und ausprobieren, ob das Funkgerät funktioniert.«

  Sie nickte, wobei ihr Gesicht im Dunkeln bleich und ängstlich wirkte. Dann rannte sie zielstrebig auf den hinteren Teil des Flugzeugs zu. Eine gute Wahl. Irgendwo dort drinnen musste es reichlich Decken geben.

  »Greg, wie fühlst du dich?« Er konnte dem Bassisten immer noch nicht in die Augen sehen, drehte den Kopf aber zumindest grob in dessen Richtung.

  »Ist das dein Ernst? Potter, sperr deine Scheißaugen auf! Mein bester Freund liegt abgekratzt neben mir und meine gottverdammte Hand ist unter einem Haufen Metall eingeklemmt. Sieht das etwa so aus, als ob ich hier ein Picknick veranstalte?«

  »Okay. Schon verstanden.«

  »Okay? Was soll das heißen, Potter? Hol mich verdammt noch mal hier raus!«

  »Wie geht’s dem eingeklemmten Arm?«

  »Tut höllisch weh.«

  »Ist er kalt? Taub?«

  »Nicht mal ansatzweise.«

  »Dann hast du erst mal nichts zu befürchten. Ich muss zum Funkgerät, um einen Notruf abzusetzen. Sonst weiß möglicherweise niemand, dass wir abgestürzt sind. Wir holen dich da raus, sobald ich zurück bin.«

  Endlich schaffte es Potter, Greg mitten ins Gesicht zu schauen. Der Bassist sah ihn ungläubig an, als hätte man ihm gerade eröffnet, dass er den Tag mit der Ermordung von Hundewelpen zubringen müsse. Potter spendierte ihm das dezenteste Achselzucken, zu dem er in der Lage war. »Tut mir leid. Es ist nur … Es sind noch einige wichtige Sachen zu erledigen, okay? Sobald Zeit dafür ist, werd ich dich befreien.«

  »Na, das beruhigt mich ungemein.«

  »Sorry. Mehr kann ich im Moment nicht tun.«

  »Schon gut. Hast du ein Feuerzeug?«

  »Was?«

  »Ich hab meine Kippen in der Tasche. Nur kein Feuerzeug. Du?«

  »Ach so. Klar.« Er wühlte in seinen Taschen, bis er das Bic gefunden hatte, das er dort aufbewahrte. Er hielt es in die Luft. Einen Moment lang erwog er, über Curtis’ Leiche zu klettern, um es Greg zu geben, verwarf den Gedanken aber sofort. Stattdessen schleuderte er das Feuerzeug durch die Luft. Greg fing es lässig auf.

  »Nicht schlecht.«

  »Ja«, erwiderte Greg. »Ich hätte Basketballer werden sollen.«

  »Dann verschaff ich mir mal einen Eindruck, wie die Lage im Cockpit ist. Bis später.« Er drehte sich um und ging, bevor Greg etwas erwidern konnte. Er hatte bereits zu viel Zeit verschwendet. Wie lange mochte der Absturz her sein? Vermutlich schon eine mittlere Ewigkeit.

  Als er die Pilotenkanzel erreichte, die immer noch mit der Sektion der Maschine verbunden war, in der Greg eingeklemmt und Curtis tot lagen, fühlte Potter, wie sein Optimismus zu schwinden begann. Mehrere Äste hatten die Scheiben durchbohrt und ihm fehlte die Fantasie, sich vorzustellen, wie jemand so eine schwere Beschädigung überleben konnte. Trotzdem musste er sich vergewissern. Er bewegte sich um das Cockpit herum, bis er auf eine Frontscheibe stieß, die nicht den Kiefern zum Opfer gefallen war. Er drückte sein Gesicht so dicht wie möglich an die Scheibe.

  Zunächst nahm er nichts als Finsternis wahr. Schatten verschluckten das Innere. Er sah genauer hin, schirmte sein Gesicht mit den Händen ab und wartete, bis seine Augen sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Nach und nach enthüllten sich Details. Potter schauderte und wünschte sich, der Anblick wäre ihm erspart geblieben.

  Beide Piloten waren tot. Einer der Äste hatte den Kopiloten durchbohrt, das Holz ragte direkt über dem Herz aus seiner Brust. Er war blutüberströmt und sein Kopf hing schlaff herab wie bei einer Stoffpuppe. Neben ihm war sein Kollege vornübergesackt, das Gesicht vom Steuerpult verdeckt. Sein Rücken bog sich in einem grotesken Winkel, wahrscheinlich hatte ihm das Steuerhorn das Rückgrat gebrochen. Potter streckte sich, um besser sehen zu können, und bemerkte eine Blutlache und eine baumelnde Schlaufe aus Eingeweiden unter dem Piloten. Das Steuer hatte weitaus mehr bewirkt, als dem Mann nur die Wirbelsäule zu brechen.

  Ein Stich, entweder Trauer oder Mitgefühl, durchfuhr Potter, doch er verschwand ebenso schnell wieder. Diese zwei Männer hatten das Flugzeug überhaupt erst zum Absturz gebracht. Es spielte für ihn keine Rolle, ob menschliches Versagen oder ein technischer Defekt dahintersteckte. Waren sie nicht dafür verantwortlich, dass die verdammte Maschine anständig gewartet wurde? Seiner Meinung nach trugen sie die Schuld an diesem Unfall. Seine Miene verfinsterte sich zu einem zornigen Starren. Ein Teil von ihm war froh, dass die beiden Männer nicht mehr lebten. Es geschah ihnen ganz recht. Immerhin hatten sie Curtis auf dem Gewissen.

  »Fickt euch«, murmelte er. »Ich hoffe, ihr schmort beide in der Hölle!«

  Er atmete tief durch, stieß sich von der Nase des Flugzeugs ab und bahnte sich einen Weg um die zwei Bäume herum. Im Kopf strich er den ersten Punkt seiner Liste durch. Eventuell hatte er die elende Situation noch nicht vollständig, aber doch zumindest in groben Zügen erfasst. Als Nächstes musste er Dani, Jen und Conner finden. Sobald das erledigt war, konnte er den nächsten Punkt abhaken. Nach und nach würde es schon vorangehen.

  »Arschloch!«

  Der wütende Ausruf ließ ihn erstarren. Er brauchte eine Sekunde, doch dann erkannte er, dass es Danis Stimme gewesen war. Im nächsten Moment hörte er Conner einen Haufen Unsinn plappern, der sich anhörte, als ob es eine Entschuldigung sein sollte. Mit einem Grunzen setzte er sich in Bewegung. Weshalb auch immer die beiden sich anschrien, es klang, als ob er der Sache auf den Grund gehen sollte.

  Conner schlug hart auf den Boden, spürte aber nichts als eine gewisse Verwirrtheit. Vor einer Sekunde war er noch gerannt – oder zumindest war er dem Rennen so nahe gekommen, wie er es in ordentlich zugedröhntem Zustand hinbekam. Es war eine Art trabendes Schreiten gewesen, das ihn immerhin ein wenig schneller als bloßes Gehen ans Ziel brachte. Ein Jogger hätte ihn überholen können, doch was immer mit ihm zusammengestoßen war, hatte sich ungleich schneller als ein Jogger bewegt. Nun waren seine Arme und Beine in etwas verhakt, das sich in die entgegengesetzte Richtung bewegte. Er dachte an die Knochen am Boden der Senke und wusste, dass der Körper, der ihn gerammt hatte, dafür verantwortlich sein musste. Mit einem kratzigen Stöhnen begann er, mit den Armen, die sich z
u schwer und zu träge anfühlten, auf das Hindernis einzuschlagen. Es wehrte sich und schob ihn zur Seite. Er unternahm einen Versuch, wegzukrabbeln, und hieb mit allen Gliedmaßen sinnlos auf den Boden ein, als er eine vertraute Stimme hörte.

  »Arschloch!«

  Dani? Der Drogenschleier dämpfte ihre Stimme etwas, aber er identifizierte sie trotzdem ohne größere Anstrengung. Einen verblüfften Moment lang lag er nur da und fragte sich, warum sie ihn angegriffen hatte. Dann fing sie an, ihm schmerzhafte Schläge gegen den Kopf zu verpassen.

  »Du blöder Hornochse! Kannst du nicht aufpassen, wo du hinrennst? Mir geht’s schon beschissen genug. Da musst du mich nicht auch noch aus heiterem Himmel anspringen!«

  Ihre Hände droschen auf ihn ein. Sie richteten zwar keinen größeren Schaden an, zeigten ihm aber, dass sie irre wütend war. Er wedelte träge mit den Armen hin und her, um sie davon abzuhalten. Das half ihm überhaupt nicht weiter. Danis Hände klatschten unvermindert auf ihn ein. Weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte, rief er: »Tut mir leid! Da war ein Loch und jede Menge Blut. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, aber ich bin rausgekrabbelt. Aber irgendwas stimmt da nicht, also bin ich zurück und du warst …«

  »Was zum Teufel …?« Ihre Hände hielten inne, legten sich um seine Schulter, stellten seine Arme ruhig und streiften ihn sanft an der Brust. »Großer Gott, Conner. Bist du in Ordnung?«

  Er wusste nicht, was er antworten sollte, also blieb er für einen Moment unter ihr liegen und gab unbestimmte Laute statt Wort von sich, während er versuchte, sich zu sammeln. Alles schwamm durch einen Schleier aus Drogen. Er wäre am liebsten davongeschwebt und verschwunden, bis all die schrecklichen Dinge aufhörten und sie sich in Sicherheit befanden. Aber Dani würde das nicht zulassen. Sie hatte schon immer zu den Leuten gehört, die sich in alles einmischten, und das trieb ihn zum Wahnsinn.

  »Was ist hier draußen los? Ist mit euch beiden alles in Ordnung?«

  Die neue Stimme waberte durch den Nebel heran. Potter. Na toll. Noch einer, der sich ständig einmischte. Mit dem Unterschied, dass er außerdem noch ausgesprochen herrschsüchtig war. Aber eventuell hatten die beiden eine Idee, was wegen der Senke zu tun war.

  »Dieser Traumtänzer hier hat mich gerade für einen Mittelstürmer gehalten und umgegrätscht. Du weißt schon, wie man das eben so macht.«

  »Nein«, sagte Conner. Er brachte nur dieses eine Wort heraus, als ob es quer in seiner Kehle steckte und alles Nachfolgende blockierte. »Nein, nein, nein, nein.«

  »Meine Güte«, raunte ihn Potter an. Sogar in seinem Dämmerzustand nahm er wahr, dass der Tourmanager ungeheuer genervt war. »Steht … alle auf. Hat einer von euch Jen gesehen?«

  »Ja«, sagte Dani, als sie wieder auf die Beine kam. »Sie liegt nicht weit von hier entfernt. Aber sie ist verletzt. Ihr Becken ist mindestens gebrochen. Warum fragst du nicht nach Kevin? Hast du ihn schon gefunden?«

  »Er ist im Flieger.«

  »Scheiße. Ich sollte …«

  Potter hielt Dani mit einer Hand an der Schulter davon ab, sofort loszustürmen. »Warte noch. Es gibt ein paar Sachen, die du … Was zum Geier ist mit dir passiert?«

  Conner brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass Potter ihn meinte. Als er hinsah, starrte der große Mann auf sein Hemd und seine Arme. Er erinnerte sich an das Blut aus der Senke und die Angst versetzte ihm einen weiteren Tritt in den Hintern.

  »Ach ja! Da hinten ist eine riesige Öffnung im Boden. Überall Blut und … Körperteile. Ich glaube, irgendwas läuft hier gewaltig aus dem Ruder. Wir müssen abhauen, bevor uns etwas Schlimmes zustößt!« Er sah von einem Gesicht zum anderen und stellte fest, dass sie nicht einmal ansatzweise ängstlich genug wirkten. Danis Miene wurde hart und kühl. Sie warf ihm den vernichtendsten Blick zu, den er sich seit Langem eingefangen hatte.

  »Bevor etwas Schlimmes passiert? Willst du mich verarschen, Conner? Ich bin nicht sicher, ob du es mitbekommen hast, aber der riesige Schrotthaufen da drüben war mal ein Flugzeug. Es ist mit uns an Bord abgestürzt. Scheiße! Meine Schwester liegt da hinten an einen Baum gelehnt und kann sich nicht bewegen, ohne vor lauter Schmerzen zu brüllen, und du laberst über was Schlimmes, das passieren könnte? Ich sollte dich verprügeln, bis du nicht mehr aufstehen kannst!«

  »Ich labere nicht ... Warte mal, was willst du damit andeuten? Ich weiß von dem verfickten Absturz, okay? Ich bin kein Idiot.« Er griff nach seinem Hemd und schüttelte es vor ihr hin und her. »Schau mal hier! Glaubst du etwa, dass das Blut von mir stammt? Scheiße, nein! Ich bin da reingefallen, Dani! Da ist ... verflucht, ich weiß nicht, was da ist! Jedenfalls liegen ganz in der Nähe jede Menge Leichen in einer Grube!«

  Er wollte sie weiter anschreien. Es fühlte sich gut an und er fand, dass sie es verdiente. Aber seine Benommenheit ließ nach und das führte dazu, dass die Angst mehr Raum bekam, sich in seinem Gehirn auszubreiten. Mit jeder Sekunde, die verging, musste er intensiver an die schrecklichen Sachen, die er gesehen hatte, denken. Die Senke schien förmlich nach ihm zu rufen und lockte ihn zu sich. Das ergab zwar keinen Sinn, aber sobald der Stoff seine Finger im Spiel hatte, war das kaum verwunderlich.

  »Bist du sicher, dass du nicht verletzt bist?«, hakte Potter nach.

  »Ja. Ich meine, okay … Ein paar wunde Stellen oder so. Vielleicht hab ich … ich weiß nicht … fühlt sich an wie eine gebrochene Rippe oder zwei vielleicht.«

  »Aber du hast dich nirgends geschnitten.«

  »Nein. Gott, Potter. Nein, ich hab mich nirgends geschnitten. Ich hab doch gesagt, dass ich in dieses Loch reingeplumpst bin. Glaubst du etwa, ich hätte …«

  Ein Brüllen rauschte durch die Bäume heran und würgte den Satz ab, bevor Conner ihn vollenden konnte. Die drei sprangen auf und ein kurzes Stöhnen löste sich von den Lippen des Junkies, ehe er die Sprache wiederfand.

  »Das ist es. Heilige Scheiße, Potter. Das muss das Viech sein. Ja, kein Zweifel, und es kommt näher, okay? Wir müssen weg von hier.«

  »Pssst.«

  »Aber es kommt. Ich bin auf sein kleines Vorratslager gestoßen und nun will es uns holen und dorthin schleppen. Sehen wir zu, dass wir wegkommen!«

  »Hast du dir denn auch überlegt, wohin wir fliehen sollen?«, wollte Dani wissen.

  »Keine Ahnung!«

  Das Brüllen ertönte noch einmal. Ein heiseres Krächzen schwang darin mit, als ob die Kehle der Kreatur, die den Laut ausstieß, wund war. Der Ton schwankte zwischen hoch und tief. Solch einen Schrei hatte er nie zuvor gehört und ihm fiel auf Anhieb kein Tier ein, das ihn ausstoßen konnte. Doch die Botschaft war unverkennbar. Er erkannte Wut, wenn er sie hörte.

  »Wo ist Jen?«, erkundigte sich Potter.

  »Nicht weit von hier. Sie ist aber nicht transportfähig. Wie ich schon sagte, hat sie …«

  »Conner, kannst du …«

  Noch ein Brüllen, diesmal deutlich näher. Dani bedeutete ihnen mit einem schnellen Kopfnicken, ihr zu folgen. Sie zitterte ein bisschen. Conner überlegte kurz, zum Flugzeug zu rennen, doch dann erkannte er den grimmigen Ausdruck in Potters Miene und wusste, dass eine Flucht ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen würde. Grummelnd trabte er hinter Dani her. Wenn er Glück hatte, überlebten sie lange genug, damit er sich später auf seine Notration stürzen konnte.

  Vier

  Als das erste Brüllen durch die Nacht hallte, ging Shannon in die Hocke und richtete die Augen auf die Öffnung in der Flugzeugwand. Sie wusste nicht, was das Geräusch hervorrief, aber es klang so nah und bedrohlich, dass ihr erster Impuls darin bestand, sich in Sicherheit zu bringen. Wenigstens wurde sie dadurch abgelenkt und hörte auf, sich über den Mangel an Decken in der Kabine den Kopf zu zerbrechen. Es schien im Moment wichtigere Probleme zu geben.

  »Was war das?«, fragte eine Stimme.

  Shannon stieß ein kurzes Krächzen aus, bevor sie es verhindern konnte. Ein Schamgefühl regte sich in ihr, was sie für eine gute Sache hielt. Immerhin war sie nicht derart verängstigt, dass sie sich nicht länger schämen konnte.

 
»Ich weiß es nicht«, antwortete sie. Sie näherte sich der Stimme – gehörte sie zu Kevin, Danis Ehemann? – und hielt weiter nach Decken Ausschau. Wer hatte dieses verdammte Flugzeug beladen? »Möglicherweise leben in der Gegend wilde Bären.«

  »Klingt nach einem ziemlich durchgeknallten Exemplar.«

  »Vielleicht kommt er gerade von einer wilden Party zurück.« Sie sah ihn in der Dunkelheit liegen und die Art und Weise, wie seine Beine verdreht waren, wirkte alles andere als gesund. Sie griff nach unten, um sie zu richten. Gelähmt aufzuwachen, war schlimm genug. Sie wollte nicht riskieren, dass ihm aufgrund schlechter Durchblutung oder etwas Ähnlichem eine Amputation drohte. »Shannon Gardner. Rolling Stone.«

  »Ich weiß. Kevin Shaw, Göttergatte und Gitarrensklave.«

  Ein weiteres Brüllen. Ihr erster Eindruck war, dass es aus geringerer Entfernung kam, aber sie konnte es nicht beschwören. »Am besten sind wir ganz leise.«

  »Meinen Sie, das Biest kommt hier rein?«

  Noch einmal musterte sie das Loch in der Kabinenseite und überlegte. »Wenn es wirklich ein Bär ist, halte ich es für eher unwahrscheinlich.«

  »Und wenn nicht?«

  »Dann hoffe ich, dass die Antwort auf Ihre Frage trotzdem Nein lautet. Wir werden sehen. Ruhig jetzt.«

  Er nickte und sie sah, wie er sich abmühte, ebenfalls durch die Öffnung zu spähen. Einen Augenblick lang dachte sie darüber nach, ihm zu helfen, doch dann hörte sie ein Geräusch hinter sich, das ihre Aufmerksamkeit wie eine eiskalte Hand umklammerte.

  Etwas strich an der Außenseite des Rumpfes entlang. Zuerst glaubte sie, sie hätte es sich nur eingebildet. Sie stellte sich Strohbesen auf Betonböden vor, ein einziges langes Fegen über die gesamte Länge eines riesigen Saals. Der Klang wies eine Ähnlichkeit damit auf – ein leises Zischen, gerade laut genug, um es neben den Atemgeräuschen wahrzunehmen. Sie verfolgte das Geräusch mit den Augen, während es sich von der verwüsteten Vorderseite der Kabine bis zum Heck entlangarbeitete. Als es sich dem hinteren Teil näherte, mischte sich ein tiefes, drohendes Knurren darunter. Ihre Augen schienen den Riss in der Seitenwand der Kabine regelrecht zu hypnotisieren.

 

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