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ALTERED STATES Page 12

by Paddy Chayefsky


  Er war jetzt schon einige hundert Meter von der Straße weg, und bis hierher drangen nur noch Spuren von Licht, die von den Fenstern zurückgeworfen wurden. Jessup wusste nicht, was er davon halten sollte. Er ging weiter, versuchte, seinen Weg zu erspüren. Rechts sah er wieder einen rötlichen Schimmer und schlich leise darauf zu. Es war die Nachtbeleuchtung eines anderen Hauses, das die Fenster und Glastüren rot färbte. Er blickte fasziniert auf das niedrige, längliche Gebäude, das in einem rötlichen Dunstschleier vor ihm aus der Nacht wuchs. Vorsichtig überquerte er den Vorplatz und blickte durch die Eingangstür hinein. Er schaute in eine lange, in rotes Licht getauchte Halle mit Käfigen an beiden Seiten. Zu Bällen zusammengerollt schliefen Mäuse, Stachelschweine und Faultiere in den Käfigen, nur hier und da gab es einmal eine Bewegung, wenn eins der Tiere seinen Wassernapf aufsuchte.

  Das war für Jessup alles so unbegreiflich wie Fernsehen für eine Katze, und weil er es nicht verstand, langweilte es ihn auch bald.

  Er schlich weiter in die lautlose Finsternis des Zoos hinein, vorbei an großen, runden, leeren Käfigen mit Eisengittern, über Asphaltwege, die von Geländern eingefasst waren.

  Wieder hörte er das krächzende Schnarren eines Kranichs, jetzt aber schon viel näher.

  Er verharrtee bewegungslos, wartete, lauschte. Links von ihm erhob sich, kaum erkennbar, ein Felsen; direkt vor ihm war eine runde, eingezäunte Fläche. Rechts, hinter einem geschlossenen Holzzaun, spürte er plötzlich eine Bewegung, und dann trat ein Kronenkranich steifbeinig ins Blickfeld; sein grauer Körper war kaum zu sehen, aber die roten und weißen Flecken im Gesicht und den hohen, steifen Federschopf konnte Jessup in dem schwachen rötlichen Schimmer doch erkennen. Der Kranich blieb einen Augenblick stehen, blickte starr mit seinen Knopfaugen um sich, wandte sich dann ab und verschwand in der Dunkelheit. Jessup stand bewegungslos, umklammerte fest sein Stück Ziegelstein und überlegte, ob er den Vogel töten sollte. Der Hunger zerrte an seinen Eingeweiden. Aber hier war alles so fremd und unheimlich. Er verstand die Häuser nicht, den roten Schimmer, die Glasfenster, die Eisenzäune und Palisaden. Leise kletterte er auf den Holzzaun und starrte in die Dunkelheit; der Kranich war weg.

  Er ging weiter.

  Und dann - war er zu Hause.

  Die Dunkelheit war undurchdringlich, aber er wusste, dass er zu Hause war. Er hörte die Laute der ostafrikanischen Steppe, Bewegungen von Tieren, die plötzliche Unruhe in einer Herde, Antilopen, wie er annahm. Vor sich spürte er ein dichtes Dornengestrüpp. Er hob einen Arm vors Gesicht und schob die Zweige auseinander. Es war eine Hecke vor einem Holzzaun, hinter dem die sogenannten African Plains lagen. Er zwängte sich durch die Hecke, krabbelte durch den Zaun und stand wieder auf Gras. Vor ihm lag ein flacher Graben, gut einen Meter tief und etwa drei Meter breit. Hierher drang auch wieder etwas Licht von der Straße; es war ungefähr so hell wie in einer normalen Mondnacht. Von seinem Standort aus konnte er ein Stück Savannenland überblicken, dunkel und still hinter feinen Regenschleiern.

  Links, weiter unten, schimmerte ein Wasserloch.

  Rechts, auf einem leichten Abhang mit dünnem Baumbewuchs, erkannte er eine Gruppe von schlafenden Blessböcken; drei Tiere mochten es sein. Wieder grunzte er vor Freude.

  Er ließ sich in den Graben hinunter, dessen Wände gerade seine Höhe hatten. Unten war es vollkommen schwarz.

  Ein paar Schritte weiter fand er einen überhängenden Ast, an dem er sich auf den gegenüberliegenden Rand des Grabens hinaufzog. Sein plötzliches Erscheinen erschreckte eine Herde Thomson-Gazellen, die sich am Zaun ihrer Koppel für die Nacht niedergelassen hatten. Im Nu war die ganze Herde dieser scheuen, kleinen Tiere auf den Beinen und verschwand in wilder Flucht im offenen Grasland. Jessup hielt seinen Stein, bereit zu töten. Er stand stocksteif und wartete geduldig, dass er ein Teil dieser Welt wurde, wartete darauf, dass seine Gegenwart, sein Geruch, seine Bewegungen sich einfügten, natürlich wurden, verwurzelten.

  Wieder wurde die Nacht still.

  Dreißig Meter weiter links sah er das Wasserloch und ein Tier, anscheinend eine Kuhantilope, das sich über das Wasser beugte und leise trank. Er schlich durch das nasse Gras auf das andere Ende des Wasserlochs zu. Er wollte das Tier nicht erschrecken. Nur trinken. Dann wollte er jagen und fressen, nicht die Kuhantilope natürlich, die war zu groß für einen allein, sondern eine von den kleinen Gazellen. Er stand am Rand des Wasserlochs und prüfte, ob vielleicht noch andere Raubtiere in der Nähe waren; er nahm nichts Verdächtiges wahr. Die Antilope hatte den Kopf gehoben und beobachtete ihn fluchtbereit.

  Jessup ließ sich langsam auf die Knie herunter, beugte sich vor und trank.

  Kurz darauf trank auch die Antilope weiter.

  Für einen Augenblick teilten sich die beiden Tiere das Wasserloch, tranken still und wachsam.

  Selbst beim Trinken plante er seinen Raubzug. Er wusste, wie man Antilopen jagte, das hatte er schon getan. Aber niemals allein, nur im Rudel. Seine Art jagte immer im Rudel; diese listigen kleinen Raubtiere schwärmten im hohen Gras aus und konnten sogar Elefanten oder fünfmal größere Antilopen reißen. Gierige, grunzende kleine Bestien waren sie, schlechte Läufer und Kletterer, und doch waren sie mit ihren Knüppeln und scharfen Steinen unübertreffliche Jäger. Da er nun aber allein war, musste er sich mit einer jener winzigen Gazellen begnügen, die jetzt drüben, etwa fünfzig Meter weit weg, auf dem spärlich bewachsenen Hang schliefen. Es waren scheue und nervöse Tiere, und ein paar von ihnen strichen immer um die schlafende Herde, sprangen hierhin und dahin wie Schmetterlinge. Im offenen Gelände würde er keine fangen können, dazu waren sie zu flink. Er musste eine wegtreiben und entweder in den Pferch jagen oder in den Graben. Dort konnte sie ihm dann nicht mehr ausweichen.

  Als sein Durst gestillt war, stand er vorsichtig wieder auf und huschte leise auf den Abhang zu, wo die Thomson-Gazellen dicht aneinander gekauert und selbst im Schlaf noch zitternd lagen. Es gab kein hohes Gras, in dessen Schutz er sich anschleichen konnte. Um überhaupt näher an die Tiere heranzukommen, musste er abwarten, bis sie sich an seinen Anblick gewöhnt hatten. Als er noch dreißig Meter entfernt war, kauerte er sich nieder und blieb bewegungslos in dieser Stellung. Er beobachtete die Umgebung. Nichts rührte sich, der Zoo schlief.

  Die Luft war schwer und feucht, aber es hatte aufgehört zu regnen.

  Er wartete ab.

  Kurz kam Bewegung in die Herde. Ein Kitz sprang auf, lief hierhin und dorthin und dann wieder zur Herde zurück. Plötzlich sprangen drei Gazellen auf, rannten, wirbelten umher, kaum mehr als drei undeutlich erkennbare Schatten. Ganz langsam stand er auf, um die Tiere nicht zu erschrecken, drehte ihnen den Rücken zu und ging langsam weg. Er brauchte jetzt einen Stein, einen Erdklumpen, ein schweres Stück Holz, irgendetwas, das er werfen konnte. Er ging auf eine kleine Baumgruppe zu; in der Nähe von Bäumen findet man immer etwas Brauchbares. Er sammelte zwei hartgewordene Kotstücke auf und ging damit ganz harmlos wieder bis auf zwanzig Meter an die Herde heran. In der einen Hand hielt er seine Waffen, und mit der anderen warf er die Kotstücke in die Bäume, unter denen die Gazellen mit untergeschlagenen Beinen. in leichtem Schlaf lagen.

  Beim ersten Blätterrascheln stoben die Tiere durcheinander wie Blätter in einer Windhose. Ein halbes Dutzend von ihnen jagte in weiten Sprüngen an Jessup vorbei.

  Mit wildem Geschrei setzte er ihnen nach, trieb die aufgeregten, kopflosen Schatten vor sich her, an dem Wasserloch vorbei, auf den Graben zu. Alle außer einer schlugen vor dem Graben einen Haken und verschwanden in der Dunkelheit. Die letzte versuchte, den Graben zu überspringen, aber er war viel zu breit für das kleine Tier. Es stürzte ab und verletzte sich.

  Jessup grunzte vor Freude über seinen Erfolg, sprang hinterher und zerschmetterte den kleinen Schädel mit einem Knüppelschlag.

  Er begann, das Fell mit Hilfe seines Steins abzureißen. Er hatte schon einen Großteil der einen Keule freigelegt, als er Gefahr witterte. Er stand auf, wartete. Dann hörte er es, ein leises Knurren. Er fasste seine Beute am Bein und ging in dem dunklen Graben leise, aber schnell ein Stück weiter. Die Seitenwände waren gerade so hoch, dass
er nichts sehen konnte. Er musste aus diesem Graben heraus. Einen überhängenden Ast brauchte er, irgendetwas, woran er sich hochziehen konnte. Schließlich fand er einen, legte seine Beute oben auf den Rand und schwang sich selbst hoch. Er stand eine Weile still und schaute sich auf dem nassen, dunklen Gelände um. Er befand sich wieder auf dem Abhang; über sich konnte er einige Baumkronen ausmachen und weiter unten das Wasserloch. Sonst war nichts zu sehen und nichts zu hören. Er kauerte sich hin, nahm Knüppel und Stein in eine Hand, packte mit der anderen seine Beute und schlug seine Zähne in das heiße, blutige Fleisch und kaute.

  Dann sah er die drei Hunde vom Wasserloch her den Hang heraufkommen, kleine, bewegliche schwarze Flecken im schwarzen Gras. Gleich darauf waren sie so nahe heran, dass Jessup die weiße Zeichnung im Gesicht der Dogge erkennen konnte. Immer noch kauernd, begann Jessup zu knurren, schwang seinen Knüppel. Die Hunde wichen zurück. Er hatte keine Angst vor ihnen; sie wollten seine Beute, nicht ihn. Er versenkte sein Gesicht wieder in die Lende der Gazelle und riss sich einen weiteren Brocken los. Die Hunde rückten wieder vor. Er drohte mit dem Knüppel. Sie duckten sich wieder weg. Das war das letzte, woran er sich erinnern konnte: Wie er so in dem nassen Gras kauerte und im Dunkeln mit großer Befriedigung seine Beute verzehrte, die Hunde knurrend und knüppelschwingend auf Abstand hielt- ein Urwelttier, ganz in seinem Element, ganz mit seiner Umwelt verschmolzen.

  Auf seiner Kontrollfahrt kam es dem diensthabenden Wächter gegen zwei Uhr so vor, als hätte er auf den African Plains eine Bewegung gesehen. Er stoppte seinen Wagen, stieg aus und blickte über die Hecke in die Dunkelheit. Da musste irgendetwas los sein - er hörte ein leises Knurren und Grollen. Er ging ein Stück an der Hecke entlang bis zu der Stelle, wo sie in einen Drahtzaun überging, der zwar für die Tiere zu hoch, für einen Menschen aber leicht zu übersteigen war. Der Mond war herausgekommen, und er konnte recht gut erkennen, was los war. Drei Hunde zerrten gierig an etwas herum, das da im Gras lag. Er zog seine Pistole, aber die Hunde bemerkten ihn und waren augenblicklich verschwunden. Er ging auf die Stelle zu, um zu sehen, was dort lag.

  Es waren die Überreste einer Thomson-Gazelle.

  Er drehte sich schnell herum, denn ihm wurde übel, und er wäre sicherlich sofort zu seinem Wagen zurückgegangen, hätte sein Blick nicht einen undeutlichen weißen Fleck unter einem etwa zwanzig Meter entfernten Baum gestreift. Er spannte seinen Revolver und schlich langsam darauf zu.

  Es war der Körper eines nackten Mannes.

  Erst glaubte der Wächter, es sei ein Toter, aber dann sah er das regelmäßige Heben und Senken des Brustkorbs. Staunend betrachtete er das selige Lächeln im Gesicht des Schlafenden.

  Er weckte Jessup und brachte ihn ins Wachzimmer des Zoos; dort erhielt Jessup einen Regenmantel, um seine Blöße zu bedecken, und wurde anschließend auf die nächste Polizeiwache gebracht, wo man seine Personalien aufnahm. Für die Polizisten war klar, dass Jessup ein Fall für die Psychiatrie war, und Jessup war klug genug, gar nicht erst den Versuch zu machen, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Immerhin riefen sie auf seine Bitte hin Emily an; sie sagte, sie würde sofort vorbeikommen.

  Emily zog sich schnell an, Jeans, Pullover, Jacke, weckte ihre Vermieterin und bat sie, auf die Kinder zu achten. Sie war zu verwirrt, um allein zu sein, und rief Mason Parrish an; er holte sie zwanzig Minuten später ab, und sie fuhren zusammen zur Wache. Jessup wurde in seinem geborgten Regenmantel aus der Zelle geholt.

  »Ich hab' dir eine Hose und einen Pullover mitgebracht«, sagte Parrish.

  »Danke«, murmelte Jessup. »Seht zu, ob ihr mich hier rausholen könnt.«

  Die Polizisten waren nur allzu gern bereit, Jessup seiner Frau zu übergeben.

  Es dauerte kaum eine Viertelstunde, bis sie zusammen wieder auf der Straße standen. Während sie einstiegen, sagte Jessup: »Ich möchte erst noch zur Medical School. Ich hab' meine ganzen Sachen im Tankraum.«

  »Lass uns erst mal einfach nach Hause fahren«, sagte Emily und setzte sich neben ihn, »es ist halb vier.«

  »Ich hab' meine Uhr und meine Brieftasche da. Meine Schlüssel. Ohne sie komme ich nicht in meine Wohnung.«

  »Ich hab' meine ja noch«, sagte Emily.

  Parrish setzte sich hinter das Steuer und zog die Tür zu. »Ich geh nachher für dich hin und hol deine Sachen.«

  Er ließ den Motor an und steuerte den Wagen auf die leere, dunkle Straße hinaus.

  Jessup schien in einem Schockzustand zu sein, ganz von fernen Gedanken gefangen, seltsam ruhig und zugleich verstört. Er saß zwischen Emily und Parrish, schien sie kaum wahrzunehmen, starrte nur unentwegt durch die Windschutzscheibe.

  »Was hast du im Tankraum gemacht?«, fragte sie. Er schien ihre Frage nicht zu hören. »Hast du irgendeine Erinnerung an diese Nacht?«

  Er blickte sie ausdruckslos an und murmelte: »Ich kann mich an große Teile erinnern, aber nicht an alles. Ihr müsst Geduld mit mir haben.« Dann versank er wieder in sein Brüten.

  »Ich habe Mason und Arthur die ganze Nacht in Boston herumgejagt«, sagte sie. Sie ließ den Kopf an seine Brust sinken und weinte. Ganz leise hörte sie seine Stimme: »Ist ja alles gut. Wirklich, mir geht's gut.« Sie konnte kaum glauben, dass sie erst vor etwas mehr als zwölf Stunden aus Afrika zurückgekehrt war.

  Parrish setzte sie vor dem Ziegelsteinhaus in der Powell Street ab, das sie sieben Jahre lang gemeinsam bewohnt hatten. Emily stieg die Stufen zur efeuumrankten Haustür hoch, schloss sie auf, und Jessup ging hinter ihr her den Flur entlang zu seiner Wohnung. Sie machte im Wohnzimmer Licht, und sie gingen hinein.

  »Hier ist es jetzt ja sehr viel ordentlicher als zu meiner Zeit«, sagte sie. »Ich will nur eben zu Hause anrufen und hören, ob alles in Ordnung ist.«

  »Ich geh unter die Dusche«, sagte er. Es war, als ob man vom Theater nach Hause kommt.

  Als er fünfzehn Minuten später in einen Bademantel gehüllt in die Küche kam, saß sie dort bereits bei Kaffee und Gebäck am Tisch. Er machte sich eine Tasse Pulverkaffee. Er schien bester Laune zu sein und lächelte.

  »Nachts um drei einen Anruf von der Polizei zu kriegen und zu hören, dass der Ehemann nackt und schlafend im Van Buren Park Zoo aufgefunden worden ist, das ist wohl ein ganz schöner Schock, wie?«

  »Ja, das kann man wohl sagen.«

  »Und Mason hat dir die ganze Zeit geschrieben ich stehe vor einem Nervenzusammenbruch; da hast du dir wohl gedacht, dass ich jetzt endlich ganz ausgeflippt bin.« Er stellte seine Tasse auf den Tisch, setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber und wollte etwas sagen, musste dann aber plötzlich lachen. Es war ein freies, offenes Lachen. »Es tut mir leid, Emily, verzeih mir«, sagte er, als er wieder reden konnte. »Ich weiß genau, was für einen scheußlichen Tag du wegen mir gehabt hast. Du hast bestimmt die ganze Zeit hier gesessen und nachgedacht, wie du mich dazu bringen kannst, zum Psychiater zu gehen.«

  »Das hab' ich allerdings.«

  »Ich möchte bloß wissen, wie du es all die Jahre mit mir ausgehalten hast.«

  »Ich habe dich geliebt.«

  Sie war nicht empört über seine gute Laune. Sie freute sich sogar über seinen plötzlichen und so ganz untypischen Überschwang. Überschwang war das einzig passende Wort für sein augenblickliches Verhalten. Seine Wangen glühten noch von der Dusche, und in den Augen glänzte wirkliche Freude. Er strahlte sie über die Kaffeetasse hinweg an. Sie musste einfach zurücklächeln. Dann packte ihn unvermittelt eine tiefe innere Bewegung, und er musste die Tasse absetzen, um den Kaffee nicht zu verschütten. Er stand auf und rief schwärmerisch: »Oh mein Gott, Emily! Ich weiß nicht, wie ich dir das erzählen soll! Wirklich, ich weiß es nicht!« Er starrte sie an, tief erschüttert von dieser ganzen kosmischen Komödie. »Oh Gott, Emily, hilf mir, das zu tragen! Die Folgerungen sind unaussprechlich!«

  Er ging ins Wohnzimmer, rannte ziellos hierhin und dorthin, von irgendeiner unbezähmbaren Kraft getrieben. Sie ging ihm nach, blieb in der Tür stehen und beobachtete ihn. Er sagte: »Ich kann mich nicht an alles erinnern. Offenbar bin ich in ein sehr primitives Bewusstsein eingetreten, und ich kann mich nur an das erinnern, was diesem primitiv
en Bewusstsein zugänglich war. Ich weiß nicht mehr, jedenfalls nicht mehr deutlich, wie ich aus dem Tank gekommen bin. Das erste, an das ich mich ganz klar erinnere, sind die Hunde. Ja, an die Hunde erinnere ich mich sehr deutlich.« Er setzte sich auf die Lehne eines Sessels. Sie blieb in der Tür stehen.

  »Auf rein physiologischem Niveau«, fuhr er fort, »vermute ich, dass unsere Droge in genügend vielen Zellkernen eine so hohe Bewegungsgröße erreicht hat, dass sie die bestehende Form verändern konnte. Wahrscheinlich beeinflusst sie die chemische Bindung. Wir brauchen Gewebeproben, mit denen ein Biophysiker ein paar Elektronenspin-Resonanztests machen kann. Dabei werden Zellen durch Kraftfelder verschiedener Stärke gejagt, und wenn man das richtige Energieband trifft, kippen die Elektronenspins um. Meine Vermutung ist, dass die Karbonyle, die normalerweise inaktiv sind, freie Radikale geworden sind oder wenigstens freie Radikale hervorgebracht haben, die einen geordneten Umbau der Zelle und eine Veränderung der Proteinaktivität erlaubten. Angenommen, wir könnten einen plausiblen biophysiologischen Rahmen für diese Möglichkeit finden; was dann? Angenommen, wir nehmen ein paar Zellen, knacken sie auf und bestimmen ihren Inhalt. Na gut, dann kriegen wir alle möglichen aus dem Leim gegangenen Polyribosomen-Profile. Ich bin vollgestopft mit Monster-Ribosomen. Unglaubliche enzymatische Aktivität. Meine Eiweißproduktion ist ungeheuer. Wir wollen uns doch nichts vormachen: Biologisch ist das Ganze unmöglich! Wir sprechen ja nicht nur über eine Zelle oder eine Zellkolonie, die verrücktspielt. Das hier ist eine krebsartige Neubildung. Wir sprechen davon, dass sich die Trillionen Zellen meines Körpers, und zwar alle gleichzeitig, verändert haben, eine Mutation meines ganzen biologischen Systems! Eine Entwicklung, die Millionen von Jahren gedauert hat, kehrt sich innerhalb von Stunden um, vielleicht sogar in kürzerer Zeit! Womöglich hätte ich auch explodieren und halb Boston mit mir in die Luft jagen können! Nein, biologisch gesehen ist das einfach nicht drin!«

 

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