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ALTERED STATES Page 16

by Paddy Chayefsky


  »Und wozu soll das alles gut sein?«

  »Ich versuche, die Wirkung der Droge einzugrenzen! Ich stimme Eddie zu! Ich glaube, die wichtigste Kraft ist hier das Bewusstsein! Aber offensichtlich gibt es auch eine Art Interaktion zwischen der Droge und dem Bewusstseinsakt! Wenn es uns gelingt, die Grenzen der Droge abzustecken, dann können wir anfangen, das Bewusstsein zu lokalisieren! Wie zum Teufel willst du sonst an das Bewusstsein herankommen?«

  »Arthur, ich bin für heute bedient, ich kann nicht mehr! Lass mich doch in Ruhe!«

  »Wir müssen das noch mal machen! Wir müssen es mit anderen Leuten wiederholen! Wir brauchen eine Stichprobe! Wir suchen uns mit einem Aushang in der Uni oder irgendwie ein paar Freiwillige, wählen fünf oder sechs aus, setzen sie in die Kiste, erhöhen die Dosis stufenweise und vergleichen die Ergebnisse mit Eddies Werten! Vielleicht erhalten wir sogar einen Zuschuss! Wir binden denen irgendeinen Quatsch auf, dass wir das Zeug auf Tauglichkeit für die Nierenwäsche untersuchen wollen oder so was!«

  »Herrgott im Himmel!«, schrie Parrish jetzt zurück. »Da haben wir Arthur Rosenberg, wie? Das Gewissen der wissenschaftlichen Welt! Der gute Mann mit all den Petitionen gegen genetische Manipulationen und den Protesten gegen die Kernkraft! Der große, moralische Wissenschaft-fürs-Volk-Mann! Und da steht er nun, bereit, eine unerforschte Droge an Menschen auszuprobieren! Mensch, du bist bereit, deinen besten Freund in die Luft zu jagen, um deinen beschissenen kleinen Wissensdurst zu stillen!«

  »Du musst gerade das Maul aufreißen! Ich habe jedenfalls keine wissenschaftlichen Hypothesen von mir gewiesen, nur weil sie völlig aus dem Rahmen des Herkömmlichen herausfielen! Ich habe nicht Eddies Bademantel mit dem Ziegenblut verbrannt! Wenn ich Eddie das jemals erzähle, dann bringt er dich um!«

  »Hört auf zu brüllen!«, schrie Emily dazwischen.

  Sie ging schnell zum Schlafzimmer hinüber und schloss die Tür hinter sich. Sie ging leise um das Bett herum zum Fenster, zog die Jalousie hoch und schaute nach draußen in die dunklen, schlafenden Gärten. Dann wandte sie sich nach ihrem Mann um. Er hatte den Kopf auf die andere Seite gedreht, seine Augen waren offen und blickten sie an. Einen Augenblick blieb sie vor Erstaunen wie angewurzelt stehen, und sie schauten sich nur an. Dann kniete sie sich neben das Bett und betrachtete sein schmales, fahles Gesicht.

  »Wie geht's dir?«, fragte sie leise.

  »Erledigt«, brachte er flüsternd hervor.

  »Möchtest du weiterschlafen?«

  Er musste erst wieder Kraft für die Antwort sammeln. »Ja«, sagte er schließlich.

  »Hättest du was dagegen, dass Mason mal kurz nach dir sieht?«

  »Gute Idee«, flüsterte er.

  Seine Augen schlossen sich; er schien wieder friedlich einzuschlafen. Sie erhob sich mühsam und ging zur Tür, um Parrish zu holen, glaubte dann aber hinter sich ein Geräusch zu hören. Sie drehte sich um und sah, dass er tatsächlich etwas sagte, aber es war kaum mehr als ein Formen der Worte mit dem Mund. Sie konnte nichts verstehen. Sie kam wieder ans Bett und kniete sich hin.

  »Was sagst du, Eddie?«, fragte sie leise. »Ich hab's nicht verstanden.«

  »Ich liebe dich, Emily«, sagte er fast unhörbar.

  Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, deshalb sagte sie: »Ich liebe dich, Eddie.«

  Kurz nach sechs wachte er wieder auf.

  Die Jalousie war immer noch oben und das erste, graue, nüchterne Licht sickerte in den Raum, erfüllte ihn mit einer milden Klarheit, hob die Einzelheiten deutlich hervor, machte ihn verständlich. In der Wohnung war kein Laut zu hören; es war so still, dass er den Schlaf im Wohnzimmer spürte. Einen Augenblick später setzte er sich hin, hob die Beine aus dem Bett und stand auf. Er war barfüßig, nur mit T-Shirt und Jeans bekleidet. Er ging um das Bett herum auf die Wohnzimmertür zu. Parrish und Rosenberg waren offenbar gegangen. Seine Frau lag schlafend auf der Couch, eines ihrer langen, weißen Beine schaute unter der Decke hervor, die zur Hälfte auf den Boden herunterhing; daneben lagen auf einem kleinen Haufen ihre Kleider, Bluse, Jeans und Schuhe. Die Rollos waren herabgelassen, und in der stillen Dunkelheit erschien ihm ihr Körper sehr weiß. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt, ganz gewiss hatte sie keinen angenehmen und erfrischenden Schlaf.

  Eine Welle von Mitgefühl und Besorgnis stieg in ihm hoch.

  So stand er eine ganze Weile in der Tür und konnte seine Augen nicht von ihr lösen. Als er sich einmal abwesend mit dem Handrücken über die Wange wischte, stellte er erstaunt fest, dass sie feucht von Tränen war. Er setzte sich in den Sessel gleich rechts an der Wand gegenüber der Couch und ließ sich in die schlafende Stille des Raums hinein sinken.

  Sie drehte sich im Schlaf um, und das letzte Stück der Decke, das sie noch wärmte, rutschte auf den Boden. Sie rollte sich ganz zusammen, spürte selbst im Schlaf die plötzliche Kälte ihrer Nacktheit. Er stand auf und ging hinüber, um die Decke wieder über sie zu breiten, aber dann merkte er, dass er etwas anderes tat; er hob ihren Kopf, schob sich unter sie auf die Couch, nahm sie in die. Arme und wärmte sie an seinem Körper. Ihr Körper erschauerte, und immer noch verzweifelt schlafend begann sie zu wimmern und zu weinen, umklammerte ihn plötzlich, vom Grauen ihres Alptraums geschüttelt, mit den Armen, fiebernd in gequälter Sinnlichkeit. Aus ihrem Mund drangen kleine, halb erstickte Laute; tränenüberströmt, mit fest zusammen gepressten Lidern krümmte sie sich wie von Panik gehetzt in seine Umarmung hinein, bis sie seine Lippen fand und sich mit verzweifelter Heftigkeit an ihnen festsaugte. Er hielt sie fest und küsste sie. Gleich darauf sank ihr Kopf an seine Brust, und im nächsten Augenblick war sie friedlich eingeschlummert.

  Irgendwann glitt ihr entspannter Körper an ihm herunter, bis ihr Kopf auf seinem Schenkel ruhte, und so schlief sie zwei Stunden lang. Er hatte seine Hände im Schoß gefaltet, schaute dann und wann zu ihr hinunter, dachte nach.

  Das Telefon weckte sie schließlich.

  »Oh Gott«, seufzte sie und richtete sich langsam auf, »hoffentlich sind das nicht die Kinder.«

  Sie stand auf, nackt bis auf einen kaum wahrnehmbaren Slip, ging mit geschmeidigen Schritten zum Telefon hinüber und nahm beim dritten Läuten ab. »Alles in Ordnung«, sagte sie, nachdem sie einen Augenblick zugehört hatte, »es geht ihm gut. Arthur ist dran«, informierte sie Jessup, »ob es dir gut geht, will er wissen.«

  Er nickte und betrachtete bewundernd ihre zierliche, schamlose Nacktheit, während sie auf der Armlehne des Sessels saß und mit der freien Hand etwas Ordnung in ihr Haar zu bringen versuchte. »Nein«, sagte sie in kameradschaftlichem Ton, »ich hab' geschlafen.«

  Jessup ging in die Küche, nahm einen Becher aus dem Schrank und schenkte Kaffee ein. Sich selbst hatte er vorher schon mit Kaffee und Broten versorgt; alles stand noch auf dem Tisch. Er brachte Emily, die es sich jetzt im Sessel bequem gemacht hatte, den Kaffee herein.

  Sie lächelte ihn dankbar an und sagte ins Telefon: »Nein, ich weiß nicht, ob er was gegessen hat...« Sie blickte wieder zu Jessup auf. »Arthur, die unverwüstliche Ziehmutter, möchte wissen, ob du was gegessen hast.«

  »Ja.«

  »Hör zu, Arthur«, sagte sie dann wieder in die Muschel, »ich ruf dich später an, wenn ich ganz wach bin. Hier ist alles bestens.« Sie blickte zu Jessup hin, der jetzt wieder drüben auf der Couch saß. »Alles in Ordnung?«

  Er nickte.

  »Alles in Ordnung, Arthur. Also, ich ruf dich dann wieder an, okay?«

  Sie legte auf und bemerkte jetzt, dass die Sonne durch die Ritzen der Rollos drang. »Großer Gott, wie spät ist es? Ich muss die Kinder anrufen. Eddie, kannst du mir die Decke rüberwerfen? Mir ist eiskalt.«

  »Ich liebe dich, Emily«, sagte er.

  »Das hast du heute Nacht auch gesagt, weißt du das?«

  »Ja, das weiß ich.«

  »Ich glaube, das war die erste freiwillige Liebeserklärung, die du mir jemals gemacht hast.«

  »Ich liebe dich. Auch die Kinder. Ich kann nicht beschreiben, wieviel ihr mir bedeutet und wie sehr ich euch brauche. Ich möchte nur, dass du das weißt.«

  »Warum kommst du nicht einfach zu uns zurück?«r />
  »Weil es zu spät ist.«

  Er beugte sich herunter, hob die Decke auf, ging zu ihr hinüber und deckte sie behutsam zu. Sie sagte nichts, versuchte, etwas in seinem Gesicht zu lesen, während er sich über sie beugte. Ihre Blicke trafen sich kurz. Sie sah den Schmerz in seinem Blick, die Traurigkeit, und noch etwas glaubte sie zu erkennen, eine erschütternde Zärtlichkeit.

  Er sagte: »Ich glaube, es ist zu spät. Ich glaube nicht, dass ich da wieder rauskomme.«

  Sie ahnte, was er sagen wollte, und es machte ihr Angst. Es war ein unerträglich zarter und zerbrechlicher Augenblick, und sie wandte sich ab, aus Furcht, ihn zerstören zu können.

  »Ich habe mich dieser Sache verschrieben«, sagte er, »Und jetzt gibt es wohl kein Zurück mehr. Ich dachte, ich könnte vielleicht meine ganzen Akten und Forschungsunterlagen verbrennen oder so was.« Ein schwaches, flüchtiges Lächeln erschien auf seinem Gesicht, er wusste selbst, dass seine Worte, zumindest an der Oberfläche, töricht klangen. Er zog die Decke um sie herum noch einmal fest und ging in seine dunkle Ecke auf der Couch zurück, schlug die Beine übereinander und starrte auf den Boden.

  »Irgendwie ist das mittelalterlich, nicht?«, sagte sie schließlich.

  »Na ja, ich bin ja irgendwie mittelalterlich.«

  »Das stimmt allerdings.« Sie suchte krampfhaft nach irgendetwas, das sie sagen konnte; sie hatte Angst, dass auch diese unheilschwere Verbindung zwischen ihnen noch abreißen würde. »Soll es so eine Art Exorzismus sein?«

  »Ja. Eine Dämonenaustreibung. Ich mache absichtlich einen religiösen Akt daraus.«

  Sie sahen sich über das Zimmer hinweg an, zwischen ihnen die breiter werdende Säule von Sonnenlicht. Er bemerkte, dass der plötzlich religiöse Beigeschmack seiner Worte sie beunruhigte. Sie blickte in ihren Kaffee, vermied sorgsam jedes Geräusch, wog ihre Worte, wusste nicht, ob sie überhaupt etwas sagen oder lieber schweigen sollte.

  »Schau, ich hätte das jetzt lassen sollen, es war dumm«, sagte er. »Es sollte gar nicht so mittelalterlich und religiös klingen. Ich weiß, dass du meinen religiösen Tick nicht gut ertragen kannst. Ich glaube, ich wollte dir nur klarmachen, dass die Ereignisse der letzten Nacht mehr eine religiöse als eine wissenschaftliche Erfahrung waren.«

  »Ja, das weiß ich.«

  »Du hast mich gerettet. Du hast mich dem Höllenschlund entrissen.«

  »Kannst du nicht mit diesen biblischen Ausdrücken aufhören?«

  »Wie du willst. Meine Materie war dabei, wieder zu reiner Energie zu werden, in den Zustand des reinen Nichts zurückzukehren. Aber da hört es nicht auf, verstehst du. Es geht weiter. Hinter dem Nichts ist etwas noch Grauenhafteres. Hinter dem

  Stofflichen, jenseits von Materie, Energie und Wissenschaft. Es geht weiter. Es hört nie auf.« Er merkte, dass er immer lauter sprach, und machte eine Pause, um sich wieder zu fangen; er wollte sie nicht erschrecken. »Materie, Energie, unser ganzes Universum, das sind keine absoluten Größen. Sie sind Fiktionen des menschlichen Bewusstseins. Es gibt andere Arten von Bewusstsein und andere Universen. Unser Raum ist nur ein Raum unter unendlich vielen. Wenn du wissen willst, was mit einem sterbenden Stern passiert, ich kann es dir sagen - er wird in ein anderes Universum hineingesaugt, in ein anderes Bewusstsein. Und genau das wäre mit mir passiert, wenn du mich nicht gehalten hättest. Das ist reine Entropie, reiner Wahnsinn! Es ist das totale Grauen! Verstehst du, was ich sage?«

  »Bist du sicher, dass du jetzt darüber reden willst?«

  »Oh, darüber zu reden, ist nichts!«, rief er. »Lieber Gott, die Menschheit spricht schon immer darüber, seit der erste Mensch bemerkt hat, dass das Leben nicht ewig dauert. Wir haben in Höhlen gesessen und über Schatten nachgedacht, auf Bergen gestanden und fassungslos die unendliche Präzision des Universums angestarrt. Wir hatten Visionen, haben Götter fabriziert, haben geforscht, gebetet, gerechnet, gemessen, gestaunt und geträumt. Und für was? Für etwas Dauerhafteres als das menschliche Leben. Für eine Wahrheit, die unwandelbar hinter der törichten und durchscheinenden Oberfläche von menschlichem Schmerz, menschlicher Eitelkeit, menschlicher Gier und menschlicher Barbarei steht. So, und ich habe sie gefunden! Die letzte Wahrheit, der wir alle immer nachgejagt sind! Ich habe sie gefunden, berührt, von ihrem Fleisch gegessen und von ihrem Blut getrunken! Ich habe sie von Angesicht zu Angesicht gesehen, und sie ist grauenhaft! Sie ist nicht zu ertragen! Die Qual ist unbeschreiblich! Ich war in ihr, Emily! Ich war in diesem Augenblick von letztem Entsetzen, der Anfang von allem Leben ist! Ich kann dir sagen, was es ist! Es ist nichts, einfaches, grauenhaftes Nichts! Die letzte Wahrheit aller Dinge ist, dass es keine letzte Wahrheit gibt! Das Vergängliche ist die Wahrheit! Das menschliche Leben ist wirklich! Die Wahrheit ist das Hirngespinst! Es gibt nur eine Substanz, das Leben! Ich bin die Wahrheit; Gott ist die Fiktion! Das hier ist wirklich! Du und ich, hier in diesem Zimmer! Das ist wirklich! Das ist Substanz! Das ist die einzige Wahrheit, die es gibt!«

  Er trat aus der Umhüllung des Schattens in seiner Couchdecke hervor in den streifigen, von schwebenden Staubteilchen erfüllten Kegel aus Sonnenlicht.

  »Ich will dich nicht erschrecken, Emily, ich versuche nur, dir zu erklären, dass dieser Moment des Entsetzens für mich nicht nur eine philosophische Vorstellung ist. Es ist wirkliches, lebendiges Grauen, das jetzt in mir lebt und wächst, das von meinem Fleisch isst und von meinem Blut trinkt. Es ist wirklich, weil ich es wirklich gemacht habe. Das sind nicht nur Worte. Es lebt. Es ist in mir. Es ist ich. Und es gibt nur eins, was es daran hindert, mich zu verschlingen - dich.«

  »Mir scheint, du willst mir sagen, dass du mich liebst.«

  »Ich versuche, dir zu sagen, warum ich dich liebe, dass ich ohne dich in etwas unsäglich Grauenhaftem versunken wäre.«

  »Das ist wohl der Grund, weshalb überhaupt irgendwer irgendwen liebt.«

  »Mein Gott, Emily, sei doch nicht so banal!«

  »Ich bin nicht banal! Lieber Himmel, glaubst du vielleicht, du bist der einzige, der Verzweiflung erlebt hat? Der einzige, der die totale Nichtigkeit des Lebens gespürt hat? Wir sind alle Geschöpfe der Verzweiflung, Eddie! Das Leben ist für uns alle eine Flucht vor dem unsäglichen Grauen! Für uns alle ist das Leben ein Akt des Vertrauens! Deshalb lieben wir einander doch! Das ist für die meisten von uns der einzige Akt des Vertrauens, dessen wir fähig sind! Jedenfalls ist es der einzige Akt des Vertrauens, dessen ich fähig bin.«

  »Was ich zu sagen versuche, Emily, ist, dass die Verzweiflung für mich nicht nur eine Sache des Geistes ist, sondern ein spürbarer Dämon in mir, den ich herausreißen muss.«

  »Und deshalb willst du deine Unterlagen verbrennen.«

  »Ja.«

  Sie stand auf und hüllte sich fest in die Decke; sie fror, obgleich das Sonnenlicht sich immer mehr im Zimmer ausbreitete.

  »Als Sühne? Als Zeichen von Reue? Dein privates Autodafé? Du willst deine Forschungen aufgeben, soll es das symbolisieren? Du willst nicht länger in verbotenen Geheimnissen herumstöbern. Der reuige Alchimist. Lieber Gott, Eddie, glaubst du wirklich, dass du nach allem, was letzte Nacht passiert ist, alles hinwirfst, dein Lebenswerk widerrufst und den Rest deines Lebens damit verbringst, mit Milton Mitgang herumzuwursteln und die Hormonproduktion von Schizophrenen zu untersuchen? Glaubst du wirklich, du kannst deinem Gehirn verbieten zu fragen, warum es passiert ist, wie es passiert ist und ob überhaupt? Wenn das, was letzte Nacht passiert ist, wirklich war, dann hast du gerade erst angefangen! Du hast vielleicht unser ganzes Denken über Raum und Zeit, über die Natur der Wirklichkeit selbst umgestoßen! Du bist ein glänzender Wissenschaftler. Du bist vielleicht einer der größten Seher! Newton! Darwin! Einstein! So hast du das doch ausgedrückt! Du hast hinter eins der großen Rätsel des Lebens geblickt, und nichts in dieser oder irgendeiner Welt wird dich davon abhalten, jedes Wunder, das dort verborgen ist, zu erkunden! Du kannst nicht über deinen Schatten springen, Eddie! So bist du nun mal!«

  »Ich kann damit nicht leben, Emily. Ich kann es nicht ertragen.«

  »Wir alle leben damit. Es ist doch dieses unsägliche Grauen, was uns zu so einzigartigen Wesen mach
t. Wir verstecken uns davor, wir fliehen davor, wir zerbrechen daran, aber meistens leugnen wir es einfach ab! Wir fabrizieren uns für unser Leben wacklige kleine Strukturen, um es uns vom Leib zu halten. Wir lieben, wir gründen Familien, wir arbeiten, wir schließen Freundschaften. Wir schreiben Gedichte, wir malen Bilder, wir bauen schöne Dinge. Wir basteln unser eigenes Universum, unsere eigene Wahrheit, wir glauben an unsere eigene Wirklichkeit. Aber hin und wieder kommt einer wie du daher und geht hin, um ihm Auge in Auge gegenüberzutreten. Leidenschaftliche Männer. Dichter, Philosophen, Heilige und Wissenschaftler. Du bist ein Mann von ungewöhnlicher Leidenschaft, Eddie. Was glaubst du denn, weshalb ich dich so sehr liebe?«

  »Hör mir zu, Emily. Was letzte Nacht passiert ist, kann jederzeit wieder passieren - sogar jetzt, in diesem Augenblick, während ich mit dir rede. Diese Droge muss einen Latenzfaktor haben. Ich weiß nicht, wieviel sich davon in meinen limbischen Zellkernen angesammelt hat. Vielleicht so viel, dass es jetzt von selbst weitergeht. Das chemische Potential ist jedenfalls vorhanden. Die kritische Masse ist erreicht. Jeder Bewusstseinsakt kann die Kettenreaktion auslösen. Denn der Bewusstseinsakt, der sie letzte Nacht ausgelöst hat, ist in mir genauso verankert wie die Droge. Es kann also jederzeit passieren.«

  Er weinte, wie sie erschrocken wahrnahm. »Oh Gott!«, rief er. »Es tut mir Leid, dass wir jetzt davon reden, wirklich. Das ist nicht das, was ich dir eigentlich sagen wollte. Ich wollte dir heute Morgen nichts weiter sagen, als dass ich dich liebe. Ich wollte dich heute Morgen einfach nur glücklich machen. Du bist herrlich, Emily. Das sind meine Gefühle für dich, und ich wollte nur, dass du das weißt. Aber es ist zu spät, sieh selbst.«

 

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