Er hob langsam seinen rechten Arm und streckte ihn aus, damit sie ihn sehen konnte. Das helle Sonnenlicht bleichte ihn, gab ihm eine Grabesweiße. Ein Klumpen proto-plasmischer Substanz bewegte sich langsam unter der Haut den Arm hinauf wie ein Maulwurf. Sie starrte wie versteinert auf diese Bewegung. Zuerst spürte sie das Brummen nur, dann hörte sie es, ein entsetzliches, dröhnendes Brummen, das pochende Geräusch pulsierender Urenergie, das sie in der Nacht schon im Tankraum gehört hatte.
»Halt es an, Eddie!«, schrie sie. »Du hast es zum Leben erweckt! Du kannst es wieder auslöschen! Wenn du mich liebst, Eddie, dann halt es an!«
Er weinte hilflos, auf seinen Wangen schimmerten die Tränen.
Überall begann sein Körper sich zu verzerren, zu verbiegen und aufzubrechen, als ob die Kräfte in ihm nach außen durchzubrechen versuchten. Seine Gestalt begann, sich in schnellem Wechsel zu wandeln, manche Formen waren erkennbar, manche waren einfach nur monströs. Er schien nicht mehr Substanz zu haben als ein Foto, eine projizierte Illusion, ein aberwitziges Kaleidoskop augenblicklicher, vorüberhuschender, durchsichtiger Bilder, die in tollem Wirbel in dem breiten Kegel aus Sonnenlicht aufflackerten. Das fürchterliche Brummen war unerträglich durchdringend geworden. Emily hielt sich die Ohren zu, um dieses Geräusch loszuwerden, und schloss die Augen, weil sie den Anblick nicht länger ertrug. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie ganz kurz das Bild ihres Mannes, der seine Arme hilfesuchend nach ihr ausstreckte, aber sie war wie versteinert, völlig bewegungsunfähig. Schließlich preßte sie den durchdringendsten Laut hervor, den sie sich vorstellen konnte, ein zischendes Flüstern, und dann sagte sie: »Wenn du mich liebst, Eddie!«
Sie fühlte, wie etwas in ihr explodierte, einen stillen, schmerzlosen Schmerz des Entsetzens; sie preßte die Hände auf den Bauch, die Decke glitt von ihrer Schulter und fiel neben ihren Füßen auf den Boden. Sie wusste schon, was es war, bevor sie noch ihre Arme angesehen hatte, die jetzt anfingen zu schwellen und sich zu verfärben. Ein Riss erschien auf ihrem Handgelenk und schoss hoch bis zur Schulter, als platzte der ganze Arm auf. Mit letzter Kraft hob sie den Arm, damit Jessup ihn sehen konnte. Es war nur noch ein Stumpf, und selbst dieser Stumpf verlor seine Gestalt, als seine Grenzlinien sich zu wellen begannen, als sollte Emily sich in der schrillenden Luft auflösen.
Sie brannte bei lebendigem Leib.
Sie fühlte einen heftigen Schlag im Schädel, direkt oberhalb der Augen, und ein grauenhafter, rotglühender Feuerball explodierte in ihr.
Sie sah nichts mehr.
Sie hatte keine Augen mehr und auch keinen Mund, mit dem sie hätte schreien können.
Sie wusste, wohin sie ging, in die ausgestorbene, eisige, letzte Verwüstung.
Sie glaubte einen Schrei zu hören, das Echo eines Schreis, Lichtjahre entfernt in endgültiger Finsternis, aber es war eigentlich kein Schrei. eher ein wuterfülltes Brüllen wie von einem rasenden Tier.
Die menschliche Gestalt ihres Mannes zuckte immer wieder durch den Wirrwarr all seiner anderen Formen, begann sich wieder zu festigen. Er stand da und starrte sie an, eine vollständige, nackte menschliche Gestalt, bewegungslos und steinern wie ein Standbild, schneeweiß, und dann bewegte er sich unter unendlichem Kraftaufwand auf sie zu, zwang das Menschsein in sein Selbst zurück. Ein Schritt, noch einer, er streckte die Arme aus, um die formlose Antimaterie zu umschlingen, die seine Frau war.
Sie fühlte, wie eine ungeheure Woge von Gefühlen sie durchspülte, unsagbare Freude.
Es war vorüber - augenblicklich, übergangslos vorbei. Das Brummen, der Wahnsinn der Bilderflucht, der ganze wüste Alptraum war verschwunden. Sie standen in der Mitte des Zimmers, ein schlanker, blinder Mann von siebenunddreißig, dessen Haar schon ein wenig licht wurde, der aber in Jeans und T-Shirt und barfüßig, wie er war, eher jungenhaft wirkte, lächelnd - zumindest schien es so, als lächelte er; und eine reizvolle, nackte junge Frau, die ihr Gesicht an seinen wirklichen Körper preßte, ihre Arme verzweifelt um seine wirkliche Hüfte schlang - ein lebendiges, junges Menschenpaar, das eng umschlungen im weißen Sonnenlicht seines Wohnzimmers stand.
ENDE
Nachwort
Während ich dieses Buch schrieb, suchte ich Dutzende von Wissenschaftlern auf und sprach mit ihnen, und alle haben mir überaus großzügig ihre Zeit und ihr Wissen zur Verfügung gestellt. Ich war auch verblüfft über das Interesse dieser Wissenschaftler an Gegenständen, die außerhalb ihrer Disziplin lagen, etwa an den
Geisteswissenschaften. Ich muss gestehen, dass ich nur wenige Künstler und Schriftsteller kenne, die sich auf ähnliche Weise für die Naturwissenschaften interessieren.
Und dennoch zweifle ich nach den zwei Jahren, in denen ich mich mit der modernen Naturwissenschaft vertraut gemacht habe, nicht mehr daran, dass Kunst, Naturwissenschaft, Religion und Philosophie auf einen Punkt des gegenseitigen Verständnisses zusteuern. Dieses Buch zu schreiben, ist für mich eine prägende Erfahrung geworden, und dafür schulde ich einer Menge von Leuten großen Dank.
Ich danke Dr. Grover Farrish aus Hyannisport, Massachusetts, und Dr. Mary Stefanyszyn von der Harvard Medical School; sie halfen mir, als ich anfing, an der Idee zu diesem Buch herum zu basteln, und führten mich in die Gesellschaft von Wissenschaftlern im Bostoner Raum ein - Anthropologen, Endokrinologen, das Labor für Gewebebestimmung an der Harvard Medical School und Mitglieder des psychophysiologischen Instituts dieser Schule, vor allem Dr. phil. Richard Surwit, jetzt außerordentlicher Professor für medizinische Psychologie an der Duke University School of Medicine.
Ich möchte auch Charles Honorton, dem Forschungsdirektor der Abteilung für Parapsychologie und Psychophysik am Maimonides Medical Center Department of
Psychiatry, danken, und Shelby Broughton vom Stockton State College, der mir meinen ersten Isolationstank zeigte.
Zutiefst verpflichtet fühlte ich mich auch Dr. Harry L. Shapiro vom American Museum of Natural History; Professor Eric Delson, der ebenfalls an diesem Museum arbeitet und am Lehman College, Columbia University; Dr. phil. David Post vom Institut für Anthropologie an der Columbia University; und Professor Sol Miller von der Hofstra University. Sie vermittelten mir die Grundlagen der Anthropophysiologie und der Paläontologie.
Ich danke Dr. phil. Francesco Ramirez vom Institut für Humangenetik an der Columbia University für seine Einführung in die Molekularbiologie. Dr. phil. Daryl L. Bohning von der medizinischen Fakultät der Syracuse University in Stony Brook und Dr. phil. Garrett Smith, theoretischer Physiker an der philosophischen Fakultät der Fordham University, haben mir ebenso großzügig wie geduldig etwas von der atemberaubenden Schönheit und der Philosophie der Quantenmechanik gezeigt.
Dres. Ramirez, Bohningen und Smith danke ich außerdem dafür, dass sie mein Manuskript lasen und mir dazu Vorschläge machten.
Aber vor allem schulde ich Dr. Jeffrey Lieberman meinen Dank, der die Masse von Informationen, die aus allen Wissenschaftszweigen über mich hereinstürzten, in die rechten Bahnen leitete und klärte. Wo er sich auf einem Gebiet nicht selbst auskannte. da fand er andere. die Bescheid wussten. Und dann saß er geduldig bei mir und erklärte alles. Nicht zuletzt möchte ich den Beistand erwähnen, den er mir in jenen verzweiflungsvollen Augenblicken gewährte, wo ich vor der bloßen Masse des erforderlichen Hintergrundwissens fast verzagte.
Ich bin allen zu tiefem Dank verpflichtet.
Paddy Chayefsky
Verlag:
BookRix GmbH & Co. KG
Sonnenstraße 23
80331 München
Deutschland
Texte: Paddy Chayefsky/Apex-Verlag.
Bildmaterialien: Christian Dörge/Apex Graphixx.
Lektorat/Korrektorat: Zasu Menul.
Übersetzung: Christian Dörge.
Alle Rechte vorbehalten.
Tag der Veröffentlichung: 14.08.2017
https://www.bookrix.de/-ko2a6c8e0e72865
ISBN: 978-3-7396-7559-6
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