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Faded Duet 2 - Faded - Wenn alles stillsteht

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by Julie Johnson


  »Wann?«

  »Wenn alles so läuft, wie ich es geplant habe, könnten wir nächsten Monat bereits loslegen. In sechs Wochen etwa, würde ich schätzen.«

  So bald.

  Ich atme geräuschvoll aus. »Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell gehen würde.«

  »Ich weiß. Aber die hohen Tiere sind erpicht darauf, dass die Tournee nach all der Zeit endlich stattfindet. Außerdem haben wir die gesamte Planung bereits damals erledigt, als das Album herauskam. Nun geht es nur noch darum, die Termine erneut mit den Veranstaltungsorten abzusprechen und die Karten zum Verkauf anzubieten. Das sollte kein Problem darstellen. Das Album verkauft sich nach wie vor unglaublich gut, wenn man bedenkt, dass Sie fast zwei Jahren lang keine neuen Titel herausgebracht haben. Nach ein paar strategisch platzierten Pressemeldungen, vielleicht einem Comeback-Interview in der Eileen Show und einem musikalischen Gastauftritt in einer der Late-Night-Shows … werden Ihre Fans lautstark nach LiveAuftritten verlangen.«

  »Ein musikalischer Gastauftritt? Francesca, ich habe seit Ewigkeiten nicht mehr geprobt und habe definitiv nicht zugestimmt …«

  »Sie wissen doch, dass Öffentlichkeitsarbeit dazugehört. Keine Sorge, Felicity. Wir werden schon dafür sorgen, dass Sie proben können und bereit sind, bevor wir Sie auf irgendwelche Bühnen schicken.«

  Das geht alles viel zu schnell. »Aber Francesca …«

  »Ich habe bereits jemanden damit beauftragt, Ryder ausfindig zu machen …«

  Mit dem Versuch, ihn ausfindig zu machen? Wo zum Teufel steckt er? Auf Pluto? Oder befindet er sich auf einer weiteren Sauftour und liegt völlig benebelt vom Drogenrausch im Bett irgendeines atemberaubenden Models? Schnupft er auf einem Musikfestival in der Wüste Kokslinien von einer üppigen Brust? Liefert er weitere Schlagzeilen, die die Klatschmagazine ausschlachten können?

  Ich beiße mir auf die Zunge, damit ich all diese Fragen nicht laut stelle, schließe die Augen und konzentriere mich darauf, keine weiteren Bilder von seinen zahlreichen Kabinettstückchen in meinen Kopf hineinzulassen.

  »Mein Assistent hat bereits Kontakt zu Aiden und Lincoln aufgenommen«, teilt mir Francesca mit, obwohl ich nur noch mit halbem Ohr zuhöre. Mein Verstand ist immer noch mit Ryder beschäftigt – und mit der Erkenntnis, dass ich ihm in ein paar Tagen von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen werde. »Sie haben in den vergangenen Monaten als Backup-Musiker auf einer anderen Tournee gespielt. Aber ich werde ein paar Strippen ziehen und sie gegen jemand anders austauschen, damit sie Ihnen für Proben zur Verfügung stehen – und natürlich auch für den Zeitraum der Tournee.«

  Ich habe so lange gebraucht, um mich Stück für Stück wieder zusammenzusetzen.

  So lange.

  Wie soll ich ihm gegenübertreten, ohne erneut in meine Einzelteile zu zerfallen?

  »Felicity? Hören Sie mir überhaupt zu?«

  »Ja.« Ich zwinge mich in die Realität zurück. »Ich höre zu.«

  »Toll, denn wir haben in den nächsten paar Wochen eine Menge zu tun, und dafür müssen Sie hundert Prozent funktionieren. Tatsächlich sollten Sie jetzt gar nicht erst schlafen gehen. Packen Sie lieber Ihre Sachen zusammen. Sämtliche Vorbereitungen sind getroffen. Ich komme gleich zu Ihnen, um alle Einzelheiten persönlich mit Ihnen zu besprechen. Wir sehen uns in einer Stunde.«

  »Was? Warum sollte ich packen? Francesca? Francesca!«

  Sie hat bereits aufgelegt.

  5. KAPITEL

  Ryder

  Ich lümmele mich ausgestreckt auf einem der Liegestühle neben dem Infinity Pool und döse mit einer Zigarette im Mundwinkel in der Sonne, als plötzlich wie aus dem Nichts Wasser auf mich spritzt. Sofort bin ich von Kopf bis Fuß pitschnass.

  »Verdammt!« Ich setze mich ruckartig auf, und das Wasser läuft an meinem Körper hinunter. Ich blicke zum Pool, in dem die Quelle der unerwarteten Arschbombe soeben mit einem breiten Grinsen auf dem nassen Gesicht die Wasseroberfläche durchbrochen hat. »War das wirklich nötig, Dunn?«, beschwere ich mich.

  Grayson Dunn – Hollywoods größter Actionfilmstar und Frauenschwarm und in den letzten zwei Jahren mein einziger Freund in Los Angeles. Der Mistkerl muss immer einen großen Auftritt hinlegen, ob nun im angesagtesten Nachtclub in Beverly Hills oder hier in seinem eigenen gottverdammten Swimmingpool.

  »Ich vermute, dass du überrascht bist, mich zu sehen, richtig?«, fragt er und hüpft aus dem Wasser. Er schnappt sich ein Handtuch und rubbelt damit über seine Mähne aus verwuscheltem schwarzem Haar, die ihm schon zu mindestens drei verschiedenen Millionendollarverträgen für Shampoowerbung verholfen hat, wenn ich richtig mitgezählt habe.

  »Du hast meine Zigarette gelöscht«, brumme ich, lasse mich wieder auf den Liegestuhl sinken und zünde mir eine neue an.

  »Grantig wie immer, Woods.« Er lässt sich auf den Stuhl neben meinem fallen und präsentiert der Welt seine beeindruckenden Bauchmuskeln, die ihm seinen Bugatti eingebracht haben. »Gott, ich habe vergessen, wie hoch die Luftfeuchtigkeit auf Hawaii ist. Die Hitzewellen in L. A sind nichts dagegen.«

  »Dunn, was zum Teufel machst du hier?«

  »Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, gehörte mir dieses Baumhaus, in dem du dich so fröhlich eingenistet hast.« Er deutet vage um sich.

  Das stimmt.

  Die moderne Villa, die an eine abgelegene Klippe an Oahus westlicher Küste gebaut wurde, ist nicht gerade riesig. Aber sie ist vollkommen abgeschieden und befindet sich auf einem privaten Grundstück … was sie zu einem perfekten Versteck vor dem Rest der Welt macht. Die unglaubliche Aussicht, der Infinity Pool und der ständig gefüllte Kühlschrank sind auch nicht zu verachten.

  »Darf ich nicht mal mein eigenes Anwesen besuchen?«

  »Ich wusste nur nicht, dass du herkommen wolltest.« Ich zucke mit den Schultern. »Du verbringst niemals Zeit hier.«

  »Aber ich könnte«, sagt er, und seine grünen Augen funkeln. »Das ist das Schöne daran, wenn man sich überall auf der Welt Häuser zulegt.«

  »Nicht alle von uns sind so unanständig reich, Dunn. Wie hoch war die Summe auf deinem letzten Vertrag? Siebenstellig?«

  »Achtstellig.« Er lacht. »Weißt du, wenn du dich mal aufraffen und ein neues Album machen würdest, könntest du dir auch ein eigenes Haus kaufen – oder fünf.«

  »Wenn du willst, dass ich von hier verschwinde, musst du es nur sagen.«

  »Das meinte ich damit nicht, und das weißt du.« Er schaut mich an. »Bleib so lange du willst. Wie du schon sagtest: Ich bin ohnehin nie hier.«

  Wir schweigen für eine Weile und blicken auf den nahe gelegenen Wasserfall, der umgeben von einer Dunstwolke donnernd in die Tiefe rauscht. Die grünen Klippen überall um uns herum quellen beinahe über vor üppiger Vegetation – sie sind voller tropischer Vögel, die sich gegenseitig etwas zurufen und so einen Mischmasch aus unterschiedlichsten Melodien erschaffen. Die Sonne steht hoch am Himmel und sorgt dafür, dass meine ohnehin schon gebräunte Haut einen noch dunkleren Bronzeton annimmt.

  »Warum hast du dieses Haus überhaupt gekauft?«, frage ich und runzle die Stirn. Verglichen mit seinen anderen Häusern – der modernen Villa in Malibu, der exklusiven Skihütte in den Alpen und dem Penthouse in Tokyo – ist dieses hier ziemlich rustikal.

  »Du weißt doch, dass ich hier draußen letztes Jahr diesen Film über einen Flugzeugabsturz gedreht habe. Mit Kat.« In Graysons Augen blitzen Erinnerungen auf, als er den Namen seiner ehemaligen Filmpartnerin erwähnt. »Ich weiß nicht, ich dachte … wenn ich hier draußen ein Haus kaufen würde, könnte ich vielleicht an diesen Gefühlen festhalten, die wir hatten, als wir …« Er verstummt. Seine Wangen wirken untypisch rot. Ich schiebe es auf die lange Zeit in der Sonne – Grayson Dunn ist nie verlegen. Das ist in seiner DNA nicht angelegt.

  Er räuspert sich. »Weißt du was? Vergiss es. Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich dieses Haus gekauft habe. Nenn es einen Spontankauf.«

  Ich bedränge ihn nicht. Ich habe keinerlei Recht, ihm vorzuwerfen, dass er seine G
efühle für eine Frau leugnet und sich an etwas klammert, das er vor langer Zeit hätte loslassen sollen.

  »Kann ich mir eine davon schnorren?«, fragt er und schaut auf meine Zigaretten.

  Ich werfe ihm die Schachtel zu und beobachte, wie er sich eine Zigarette anzündet und einen tiefen Zug nimmt. »Zum Glück hast du nicht all deine Laster aufgegeben, Woods.«

  Ich verziehe den Mund zu einem schwachen Lächeln. »Ich habe viel zu viele, um je ein echter Chorknabe zu sein.«

  »Amen, du Mistkerl.«

  »Also, hast du vor, mir zu verraten, warum du wirklich hier bist, Grayson?«

  »Irgendwann.« Er bläst einen Schwall Rauch aus. »Kann ich dich zuerst etwas fragen?«

  Ich zucke mit den Schultern.

  »Dieses Leben hier.« Er deutet um sich herum. »Diese Nummer von dem einsamen Mann auf dem Berg, die du seit sechs Monaten abziehst …«

  »Ich warte immer noch auf die Frage.«

  »Bist du glücklich?«, fragt er geradeheraus.

  »Was für eine bescheuerte Frage ist das denn?«

  »Ich schätze, damit habe ich meine Antwort.« Er schmunzelt und hebt kapitulierend die Hände. »Ich werde meine Frage noch mal anders formulieren. Wenn du dein Leben in L. A. wiederhaben könntest – nicht die Partys, nicht die Saufgelage … sondern dein Leben, so wie es war, bevor alles den Bach runterging. Die Tournee. Das Album. So, wie es hätte laufen sollen, bevor sie …«

  Mein Blick ist tödlich.

  Klugerweise schluckt er den Rest dessen, was er über meine Exfreundin sagen wollte, hinunter und redet weiter. »Wenn du dieses Leben wiederhaben könntest … Würdest du es noch wollen?«

  Ich stehe auf und gehe zum Geländer, ohne seine Frage zu beantworten. Stattdessen ziehe ich ein weiteres Mal ausgiebig an meiner Zigarette.

  »Woods?«

  »Wie kommst du auf dieses Thema? Gefühlsduselige Gespräche sind nicht dein Stil, Grayson.«

  »Beantworte einfach die verdammte Frage.«

  »Dieses Leben, von dem du redest – das wird es nie geben«, sage ich gepresst. Ich lege meine freie Hand so fest um das Geländer, dass es mich überrascht, dass ich keine Delle im Holz hinterlasse. »Es hat keinen Sinn, darüber nachzudenken oder auch nur ein Wort darüber zu verlieren.«

  »Was wäre, wenn …«

  »›Was wäre, wenn‹ ist eine verdammt gute Methode, sich selbst zu quälen, mehr nicht.«

  Ich höre, wie er tief seufzt, und eine Sekunde später dringt seine sarkastische Stimme an meine Ohren. »Also interessiert es dich nicht, dass die Tournee nun doch stattfindet.«

  Meine Stimme ist ein Knurren. »Hör zu, wenn dich Francesca hergeschickt hat, damit du versuchst, mich davon zu überzeugen, dass ich die Tournee allein durchziehe, kannst du in deinen verdammten Jet steigen, zurück nach L. A. fliegen und sie einmal mehr enttäuschen. Denn wie ich ihr in den vergangenen zwei Jahren schon ein Dutzend Mal gesagt habe: Ich werde niemals auf eine Wildwood-Tournee gehen – nicht ohne …« Mir bricht die Stimme. »Ohne sie.«

  Grayson schnaubt verächtlich. »Ich sollte dir das nicht mal erzählen, du sturer Mistkerl. Du verdienst die Wahrheit eigentlich gar nicht.«

  Ich drehe mich steif herum, um ihn anzusehen. »Spuck einfach aus, weswegen du hergekommen bist, Dunn. Ich bezahle dich nicht nach Worten.«

  »Du bezahlst mich gar nicht.«

  Ich starre ihn schweigend und mit steinerner Miene an.

  »Meinetwegen.« Er schaut mich vom Liegestuhl aus an. Seine normalerweise so fröhlichen Gesichtszüge sind zu einer ernsten Maske erstarrt. »Die Tournee … Du würdest sie nicht allein bestreiten. Sie ist zurück.«

  Für einen Augenblick herrscht vollkommene Stille. Sogar die Vögel scheinen den Atem anzuhalten.

  »Was hast du gesagt?«

  »Sie ist zurück. Felicity ist zurück. Sie hat eingewilligt, auf Tournee zu gehen und … Hey! Ryder! Wo zum Teufel willst du hin?«

  Ich antworte nicht. Ich bleibe nicht stehen.

  Ich renne bereits.

  Zwei Jahre lang habe ich wie unter Wasser gelebt – in einer gedämpften Welt aus trüben Farben und dumpfen Geräuschen, in die Dinge wie Licht und Hoffnung und Musik nicht eindringen können –, und drei kleine Worte genügen, damit mein Kopf endlich die Wasseroberfläche durchbricht. Sie hallen mit erschreckender Klarheit in meinen Ohren wider, während ich die Schlüssel des Wranglers von der Küchentheke nehme, Dunns Rufe ignoriere und zur Tür eile.

  Sie ist zurück.

  6. KAPITEL

  Felicity

  Drei Wochen später fühlt sich jedes Nervenende in meinem Körper ausgefranst und roh an, während ich in der Glaskabine auf und ab gehe. Es ist mein erster Tag im Studio – und der erste Tag, den ich wieder in Los Angeles verbringe, nachdem ich eingewilligt habe, auf die Tournee zu gehen. Obwohl Francesca dagegen war und Jerry darauf bestand, dass er sich auch ohne mich um die Angelegenheiten meiner Großmutter kümmern könne, flog ich nach Hause, um mein Häuschen an der Küste aufzuräumen und mein Leben in Ordnung zu bringen, bevor ich mich schließlich vor ein paar Stunden unter die Befehlsgewalt von Route 66 begeben habe.

  Zum Glück war ich zu beschäftigt, um über die bevorstehende Tournee nachzudenken … Oder über den Mann, dem ich morgen früh während unserer ersten offiziellen Bandprobe gegenüberstehen werde.

  Atmen. Einfach nur atmen.

  Ich schaue durch die Glaswand in den Tonmischraum, in dem bereits eine Reihe dunkler Ausrüstungsgegenstände steht. Die Uhr an der Wand zeigt an, dass es fast Mitternacht ist. Doch ich verspüre nicht den Drang, nach oben in die Penthousewohnung zu gehen, die Francesca mir für die Zeit der Proben besorgt hat. Die Tatsache, dass mich nur eine kurze Aufzugfahrt von meinem Bett trennt, würde mich glücklicher machen, wenn ich wüsste, dass ich tatsächlich schlafen könnte, sobald ich unter die Bettdecke krieche.

  Der Hauptsitz von Route 66 befindet sich in der Innenstadt, aber ihre hochmodernen Aufnahmestudios sind in einem schicken Glasgebäude untergebracht, das mitten auf dem Hollywood Boulevard liegt und nur einen Katzensprung vom Walk of Fame, dem Dolby Theater und diversen konkurrierenden Plattenfirmen entfernt ist. Draußen auf den Straßen ist immer noch jede Menge los, selbst um diese Uhrzeit. Aber die Mitarbeiter des Studios haben alle längst Feierabend gemacht und sind nach Hause gegangen – von den Tontechnikern in der Aufnahmekabine bis hin zum Reinigungspersonal.

  Wahrscheinlich hatten sie die Nase voll davon, mich umhertigern zu sehen.

  Meine heutige Soloprobe, die dazu dienen sollte, mich ohne Druck – also eigentlich ohne Ryder – wieder an alles zu gewöhnen, war ein kompletter Reinfall. Es waren sechs Stunden stillen Frusts, und ich bin mir fast sicher, dass Francesca danach zur Flasche gegriffen hat.

  Nicht, dass ich nicht versucht hätte zu singen. Ich stand am Mikro, während sie mir über meine Kopfhörer die Instrumentaleinspielung zu einem unserer Stücke einspielten. Ich zählte die mir bekannten Takte bis zu meinem Einsatz herunter, öffnete den Mund und …

  Nichts.

  Nicht ein einziger Ton kam heraus.

  Ich reiße mir die Kopfhörer von den Ohren, sodass sie an meinem Hals baumeln und fahre mit den Händen durch mein zerzaustes blondes Haar. Es wird allmählich wieder lang. Als ich es vor zwei Jahren zum ersten Mal färbte, schnitt ich es gleichzeitig auf Kinnlänge – eine strenge Bobfrisur, die ich verabscheute, sobald ich die Schere weglegte. Aber jetzt ist es mir beinahe unbemerkt wieder bis über die Schultern gewachsen. Lang genug, um es zu einem Zopf zu flechten.

  Ich weiß, dass ich es vor der Tournee dunkel färben muss, um mein Wildwood-Image wiederherzustellen, bevor ich irgendwelche Bühnen betrete oder zwangsläufig von den Paparazzi fotografiert werde. Francesca hat mir mindestens dreimal angeboten, für mich einen Termin bei ihrer persönlichen Stylistin zu machen, wobei ihr Tonfall mit jedem Mal schärfer wurde, sodass es am Ende eher ein Befehl als ein Vorschlag war.

  Ich bin mir nicht sicher, warum ich mich we
igere – vielleicht ist es der fehlgeleitete Versuch, Kontrolle über ein Schicksal auszuüben, auf das ich eigentlich längst keinen Einfluss mehr habe. Ein letzter Fetzen Widerstand, bevor man mich zurück in dieses Leben zwingt, von dem ich dachte, dass ich es für immer hinter mir gelassen hätte. Aber wenn eine unschmeichelhafte Haarfarbe mit herausgewachsenem Ansatz meine einzige Verteidigung ist …

  Ich bin mit ziemlicher Sicherheit erledigt.

  In ein paar Minuten wird der morgige Tag anbrechen. Und morgen kann ich nicht die Kontrolle verlieren. Ich kann nicht zusammenbrechen. Ich kann nicht stumm am Mikro stehen, während mir der Text im Hals feststeckt.

  Morgen werde ich wieder Musik machen müssen, selbst wenn es mich umbringt.

  Sing weiter, Felicity. Du bist ein Licht in der Dunkelheit.

  Die Worte meiner Großmutter geben mir Kraft. Ich beuge mich vor, um die hellblaue Gitarre aufzuheben, die sie mir hinterlassen hat. Es ist eine alte Gibson, auf deren Vorderseite sich in eleganter schwarzer Schrift ein Autogramm von ihr befindet. Sie ist das schönste Instrument, das ich je in der Hand gehalten habe – und sie ist mehr wert als die meisten Autos auf dem Markt. Der Typ in der Tonmischkabine hätte fast einen Herzinfarkt bekommen, als ich sie vorhin aus dem Koffer holte und fragte, ob es in diesem Gebäude jemanden gebe, der sie für mich mit neuen Saiten bespannen könne.

  Sie einfach nur zu halten verschafft mir ein wenig Beruhigung. Es ist, als würde meine Oma neben mir stehen und anerkennend nicken. Ich ziehe den Gurt ein wenig straffer um meine Schulter, trete ans Mikro und lege die Finger auf die Saiten. Der erste Akkord, den ich anschlage, hallt klagend und ergreifend in dem schalldichten Raum wider.

  Ich kann mich nicht dazu durchringen, auch nur eine einzige Note zu spielen, die ich einst mit Ryder gespielt habe. Stattdessen probiere ich etwas Neues aus – Teile eines Lieds, das ich vor so vielen Monaten geschrieben habe, dass ich mir nicht mal sicher bin, ob ich mich noch richtig an den Text erinnern kann. Ich beuge mich zum Mikro vor, schließe die Augen, blende meine Gedanken aus und lasse den Text fließen.

 

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