Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition)

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Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition) Page 1

by Bianca Iosivoni




  Inhalt

  Titel

  Zu diesem Buch

  Widmung

  Playlist

  Kapitel 1

  Kapitel 2

  Kapitel 3

  Kapitel 4

  Kapitel 5

  Kapitel 6

  Kapitel 7

  Kapitel 8

  Kapitel 9

  Kapitel 10

  Kapitel 11

  Kapitel 12

  Kapitel 13

  Kapitel 14

  Kapitel 15

  Kapitel 16

  Kapitel 17

  Kapitel 18

  Kapitel 19

  Kapitel 20

  Kapitel 21

  Kapitel 22

  Kapitel 23

  Kapitel 24

  Kapitel 25

  Kapitel 26

  Kapitel 27

  Kapitel 28

  Kapitel 29

  Epilog

  Danksagung

  Die Autorin

  Bianca Iosivoni bei LYX

  Impressum

  BIANCA IOSIVONI

  Der letzte

  erste Song

  Roman

  Zu diesem Buch

  Als Grace Watkins für ihr Studium nach West Virginia gezogen ist, hat sie sich selbst ein Versprechen gegeben: Ich werde nie wieder singen! Zu sehr schmerzt die Erinnerung an all die Momente, in denen sie den Ansprüchen ihrer Mutter – und ihren eigenen – nicht genügt hat. Doch als Mason für seine Band Waiting for Juliet eine Sängerin sucht, lässt sie sich dazu überreden vorzusingen. Allerding ist sie nicht darauf vorbereitet, dass es ihr tatsächlich Spaß macht, wieder auf einer Bühne zu stehen – und erst recht nicht auf das Prickeln, das sie auf einmal in Masons Nähe spürt. Oder dass sich hinter seinen vorlauten Sprüchen viel mehr verbirgt, als es den Anschein hat. Und auch das Herzklopfen, das sie plötzlich bekommt, wenn sie gemeinsam Songs schreiben und Musik machen, trifft sie völlig unvorbereitet. Denn egal, wie richtig es sich anfühlt, mit Mason zusammen zu sein – Grace weiß, dass sie nie mehr als Freunde sein können. Mason hat eine Freundin und ist deshalb absolut tabu für sie. Aber ihr Verstand lässt sich von dieser Tatsache deutlich leichter überzeugen als ihr Herz …

  Für Melanie.

  Und für alle,

  die Musik genauso sehr lieben und leben

  wie Mason und Grace.

  Playlist

  David Guetta feat. Sia – Titanium

  Madilyn Bailey – Scars

  Aloe Blacc – Wake Me Up (Acoustic)

  Self Deception – Fuckin’ Perfect

  Macy Kate & Kurt Hugo Schneider – Radioactive

  Kurt Hugo Schneider, Sam Tsui & Megan Nicole – Drag Me Down

  Adele – Rolling In The Deep

  Idina Menzel – Let It Go

  Fugees – No Woman, No Cry

  Dion – Runaround Sue

  Solomon Burke – Cry to Me

  Swing Republic – Crazy in Love

  Chester See & Lana McKissack – Stay With Me

  Little Mix – Towers

  Alex Goot, Tiffany Alvord & Luke Conard – We Are Young

  Kurt Hugo Schneider, Sam Tsui, Alyson Stoner – Despacito

  Rihanna – Love On The Brain

  Fame On Fire – Hello

  Roy Orbison – Oh, Pretty Woman

  Halsey – I Walk The Line

  Fame On Fire – Numb

  Fun. – All Right

  Dion & The Belmonts – A Teenager in Love

  Jon D & Tiffany Alvord – This Town

  Kurt Hugo Schneider, Christina Grimmie & Sam Tsui – Just A Dream

  Little Mix feat. Jason Derulo – Secret Love Song

  Vitamin C – Graduation (Friends Forever)

  Dylan betrachtete mich wie beim allerersten Mal. Ruhig. Bewusst. Auskostend. Wie ein letzter erster Blick, denn wir wussten beide, dass er mich nie mehr auf diese Weise ansehen würde.

  Der letzte erste Blick

  »Und was war das?«, fragte ich leise.

  »Noch ein erster Kuss, der nicht zählt?«

  »Nein, Elle.« Luke lehnte seine Stirn an meine und als er die Luft ausstieß, streifte sein warmer Atem mein Gesicht. »Das war unser letzter erster Kuss.«

  Der letzte erste Kuss

  Ohne ein weiteres Wort stand Trevor auf, nahm mich bei der Hand und zog mich mit sich. Weg von den Tischen und in den hinteren Bereich, wo keiner hinging … außer mit einer ganz bestimmten Absicht. Wenn es nach mir ging, würde dies hier in einer weiteren gemeinsamen Nacht enden – nur dass es diesmal hoffentlich unsere letzte erste Nacht sein würde.

  Die letzte erste Nacht

  Kapitel 1

  Grace

  An einem Dienstagmorgen um vier Uhr zweiunddreißig vor Mason Lewis’ Wohnungstür zu stehen, war eventuell nicht meine beste Idee gewesen. Aber ich hatte einfach nicht schlafen können, sondern mich stundenlang nur in meinem Bett hin und her gewälzt. Als ich es nicht mehr ausgehalten hatte, war ich aufgestanden, hatte geduscht, mich angezogen und geschminkt und war hierhergekommen. Ausgerechnet hierher.

  Ich ließ die Hand wieder sinken, mit der ich gerade hatte anklopfen wollen, und begann unruhig im Flur auf und ab zu laufen.

  Das hier war eine total verrückte, völlig kopflose Aktion und passte so gar nicht zu mir. Ich war schließlich die beherrschte Tochter, das Vorzeigemädchen, das nett lächelte und zu allem brav Ja und Amen sagte.

  Kopfschüttelnd blieb ich stehen. Nein. Das war ich früher einmal gewesen. Aber mit meinem Umzug nach Huntington, mit meinem neuen Leben am College hatte ich all das hinter mir gelassen. Oder etwa nicht?

  Du hast so ein hübsches Gesicht, Grace! Ich wünschte nur, du würdest mehr auf dein Gewicht achten.

  Moms Worte hallten unablässig in meinen Gedanken wider. Ich wünschte, ich könnte behaupten, sie wären Jahre alt, aber das waren sie nicht. Ich hatte sie erst letzte Woche gehört, als ich während der Semesterferien zu Hause in Montana gewesen war.

  Ich verstehe nicht, warum du ständig Gewichtsprobleme hast, du bist doch nicht dumm.

  Als ob das eine irgendetwas mit dem anderen zu tun hätte. Außerdem hatte ich keine Gewichtsprobleme! Ja, ich hatte während der letzten beiden Semester ein paar Kilos zugenommen und damit – großes Drama! – so etwas wie ein Normalgewicht erreicht. Für meine Mutter kam das tatsächlich einer Katastrophe gleich, was sie mich in den letzten Wochen immer wieder hatte wissen lassen. Und obwohl ich mich gegen ihre ständigen Sticheleien gewehrt und alles getan hatte, um sie nicht an mich heranzulassen, war dennoch etwas davon hängen geblieben. Etwas, das an mir nagte. Und dann hatte es nur noch diesen Spruch von Daniel am Sonntagabend gebraucht …

  Ich schluckte hart und wandte mich wieder der Tür zu. Ich konnte es nicht mehr hören, weder laut ausgesprochen noch in meinen Gedanken. Diese Aktion mit Mason wäre kurz, schmerzhaft und schnell wieder vorbei. Keine ewig langen Trainingseinheiten im Fitnesscenter, wo mich jeder sehen und über mich urteilen könnte. Keine von Moms ständig neuen Ernährungsplänen. Nur ein hartes Workout, mit dem ich in Rekordzeit wieder die Figur erreichen würde, die ich zu Beginn des Studiums gehabt hatte. Und dann wäre endlich Ruhe.

  Was Mason anging … Wir mussten keine besten Freunde werden. Um ehrlich zu sein, wollte ich jemanden wie ihn gar nicht näher kennenlernen. Was auch der Grund war, warum ich um vier Uhr fünfundvierzig noch immer vor dieser Tür stand.

  Mason und i
ch hatten nicht viel gemeinsam. Zwar studierten wir beide Theater- und Musikwissenschaften an einem relativ kleinen College und hatten dank Emery einen Bekanntenkreis, der sich stellenweise überschnitt und wodurch wir uns unweigerlich über den Weg liefen, aber im Grunde gab es nichts, was uns verband. Wenn ich ehrlich war, konnte ich ihn nicht mal besonders gut leiden. Und genau deshalb war ich hier. Mason war so ziemlich der einzige Mensch, bei dem es mir egal war, was er von mir dachte. Ich mochte ihn sowieso nicht – und das beruhte auf Gegenseitigkeit, da war ich absolut sicher. Also war er auch der ideale und durch seine Vorgeschichte der einzige Kandidat für das, was ich vorhatte. Als Pluspunkt war ich mir ziemlich sicher, dass er keine Fragen stellen würde – und falls doch, würde er sich mit meinem eisigen Schweigen begnügen, da Mason sich genauso wenig für mich und das, was ich tat, interessierte wie ich mich für ihn. Der einzige Moment, in dem ich irgendwie wichtig für ihn gewesen war, war der Auftritt letztes Jahr gewesen, als ich für die ausgefallene Sängerin seiner Band eingesprungen war. Dafür schuldete er mir bis heute etwas. Höchste Zeit, diesen Gefallen einzufordern.

  Ich straffte die Schultern, atmete tief durch und hob die Hand zum Klopfen.

  Mason

  »Du schuldest mir noch einen Gefallen.«

  Finster starrte ich die Person vor meiner Wohnungstür an und rieb mir den Schlaf aus den Augen. »Und das fällt dir ausgerechnet um vier Uhr morgens ein?«

  Jeder meiner Freunde und Bekannten hätte sich einfach an mir vorbeigeschoben und wäre hereingekommen, egal ob ich im Weg stand oder nicht. Aber nicht Grace Watkins. Oh nein. Ganz die Lady wartete sie höflich und zog lediglich die schmalen Brauen in die Höhe, bis sie unter ihrem Pony verschwanden. Seufzend machte ich einen Schritt zur Seite und ließ sie rein. Jetzt war ich ja eh schon wach. Danke auch.

  »Es ist kurz vor fünf«, informierte sie mich im Vorbeigehen.

  Als ob das einen Unterschied machen würde.

  Sie betrat die Wohnung, die ich mir mit ihrer besten Freundin Emery und einem neuen Austauschschüler aus Japan teilte, von dem wir im neuen Semester noch kaum etwas gesehen oder gehört hatten, und ließ ihre Handtasche auf den Sofatisch fallen. Dann erst drehte sie sich wieder zu mir um. Dabei schwang ihr langer rosafarbener Rock mit und ließ etwas nackte Haut über ihren Knien aufblitzen, bevor der Stoff wieder zurückfiel. Ich riss den Blick davon los und ließ ihn an ihr hinaufgleiten. Grace war schmal, fast schon zierlich, was durch die Kleider und Röcke, die sie ständig trug, nur noch betont wurde. Und sie war klein. Das war mir in dem einen Jahr, das ich sie mittlerweile kannte, nie aufgefallen, aber vor einigen Wochen hatte sie bei einem Spieleabend in der WG von Elle und Tate ihre Schuhe ausgezogen. Als wir dann zufällig nebeneinander in der Kochecke standen, reichte sie mir plötzlich statt bis zum Kinn nur noch bis zur Brust. Auch jetzt trug sie High Heels mit Absätzen, die so hoch und dünn waren, dass ich absolut nicht begreifen konnte, wie sie in den Dingern überhaupt laufen konnte. Dazu ein weißes, mit funkelnden kleinen Steinchen besetztes Oberteil und darüber eine dünne Strickjacke. Keine richtige Jacke, die einen irgendwie warmhalten würde. Aber die brauchte sie mitten im August auch nicht. Da war es selbst um vier Uhr morgens nicht besonders kalt. Ach nein, falsch: Um kurz vor fünf.

  »Andere Leute sind um diese Zeit schon beim Sport oder auf der Arbeit«, sagte sie herablassend. In ihrem Gesicht war keine Spur von Müdigkeit zu erkennen – keine Augenringe, keine Kissenabdrücke auf der Wange, kein verschlafener Blick. Ihre Augen waren geschminkt, die Wimpern ewig lang, ihre Lippen glänzten rosig, und das schwarze Haar fiel ihr in leichten Wellen bis auf die Schultern. Wie konnte jemand schon um diese Uhrzeit so … perfekt aussehen?

  »Diese Leute stehen so früh auf, weil sie verrückt sind oder keine andere Wahl haben«, brummte ich. »Ich schon. Mein erster Kurs beginnt um zehn!«

  Was bedeutete, dass ich noch locker vier Stunden hätte schlafen können. Vier. Stunden.

  »Dann kannst du heute ja eine Menge vorher schaffen. Gern geschehen«, fügte sie mit einem scheinheiligen Lächeln hinzu.

  Ich wünschte, ich könnte sie in Gedanken verfluchen, aber dazu war ich noch nicht mal ansatzweise wach genug. Ohne irgendeine Form von Koffein intus zu haben, ging bei mir nichts. Also rieb ich mir ein weiteres Mal über das Gesicht und schlurfte zu der kleinen Kochecke. Sie war spartanisch eingerichtet mit Wasserkocher, Mikrowelle und einem kleinen Kühlschrank, da keiner von uns ein großer Koch war. Das Höchste der Gefühle waren irgendwelche Fertiggerichte. »Was willst du hier, Grace? Emery ist nicht da.«

  Ich musste nicht nachschauen, um das zu wissen. Ihre offene Zimmertür zu dieser Zeit sagte mir mehr als genug. Und wenn Emery nicht hier war, hieß das, dass sie die Nacht bei meinem besten Kumpel Dylan verbrachte.

  »Meinen Gefallen einlösen.« Grace folgte mir und schob mich mit sanfter Bestimmtheit zur Seite, als ich unkoordiniert mit Kaffeepulver und einer Tasse herumhantierte. »Letztes Jahr habe ich dir bei diesem Konzert geholfen, als ich für eure kranke Sängerin eingesprungen bin. Du erinnerst dich?«

  »Ich erinnere mich«, bestätigte ich trocken und ließ mich auf einen der Hocker an der Kücheninsel fallen, um ihr das Feld zu überlassen. Wahrscheinlich hatte sie hier schon öfter Kaffee gekocht als ich selbst. Meistens nahm ich mir etwas auf dem Campus mit oder schaute kurz bei meinen Kumpels vorbei und bediente mich an ihrer großartigen Kaffeemaschine. Wie so ziemlich jeder aus unserem Freundeskreis, allen voran Elle. Aber die wohnte ja auch praktisch bei Luke und machte ständig Filmabende mit ihm. Was aber zum Glück nicht bedeutete, dass ich keine Games mehr mit meinen Jungs zocken konnte, auch wenn mich diese verdammte Katze dort eines Tages umbringen würde … Irritiert schüttelte ich den Kopf. Wie um alles in der Welt kam ich jetzt darauf? Gott, ich brauchte dringend einen Kaffee. Oder noch ein paar Stunden Schlaf. Vorzugsweise Letzteres.

  Doch so leicht gab Grace nicht auf. Wortlos goss sie heißes Wasser über das Pulver, rührte um und stellte mir die dampfende Tasse hin. Ich beobachtete jede ihrer Bewegungen skeptisch. Es war ungewohnt, dass sie so nett zu mir war – oder meine bloße Existenz mit etwas anderem als einem Augenrollen und leise gemurmelten Beleidigungen kommentierte. Dabei hatte ich ihr überhaupt nichts getan. Gut, im ersten Semester hatte ich bei einer Aufführung, für die wir beide vorgesprochen hatten, dafür gesorgt, dass sie keinen Part darin erhielt, nachdem ich die männliche Hauptrolle bekommen hatte – aber das hatte ich mit gutem Grund getan. Die Besetzung hatte zu einer anderen Kommilitonin viel besser gepasst als zu Grace. Deswegen konnte man nach fast einem Jahr aber nicht immer noch sauer sein. Oder?

  Sie schwieg, während ich den ersten Schluck meines Kaffees trank und gleich darauf das Gesicht verzog. Irrgs!

  Ohne etwas sagen zu müssen, reichte sie mir den Zucker. Erst als ich ein paar Löffel reingeschüttet hatte, war das Gebräu genießbar. Und mit jedem Schluck wurde ich ein Stückchen wacher, auch wenn es draußen noch immer erschreckend dunkel war. Unser Wohnbereich hatte nur ein einziges Fenster, und dahinter war alles pechschwarz. Nicht das geringste Anzeichen von Sonne. Wenn man sich ans Fenster stellen würde, könnte man wahrscheinlich ein paar Straßenlaternen und vereinzelte Lichter in einigen Fenstern erkennen, hinter denen Leute ebenfalls viel zu früh auf den Beinen waren. Ich schauderte. Der Anblick und die Uhrzeit erinnerten mich viel zu sehr an meine Zeit bei der Army. Und es hatte einen Grund, dass ich nicht mehr dort war, sondern an einem College mit einem Stundenplan, der es mir erlaubte, an einem Dienstag bis kurz vor zehn zu schlafen. Zumindest, wenn man nicht vorher von ungebetenen Gästen aus dem Bett geworfen wurde.

  Ich sah zurück zu Grace, die mich noch immer so aufmerksam studierte, als erwartete sie irgendeine Reaktion von mir. Dabei war ich kaum wach genug, um mehrere Sätze aneinanderzureihen. Stattdessen erwiderte ich ihren Blick und musterte sie genauso unverhohlen wie sie mich.

  Grace hatte eine ebenmäßige, blasse Haut und einen kleinen Schönheitsfleck an der rechten Wange. Ihre Augen waren eine Mischung aus Grün und Blau, mit dichten Wimpern, die genauso dunkel waren
wie ihr Haar. Der Kontrast zwischen ihrer hellen Augenfarbe und dem schwarzen Haar ließ ihre Augen riesig wirken. Es war das Erste, was einem an ihr auffiel, dicht gefolgt von den hohen Wangenknochen, der etwas zu groß geratenen Stupsnase und einem wunderschönen Mund mit warmen, weichen Lippen. Das wusste ich so genau, weil ich diese Lippen erst vor ein paar Monaten bei einer Runde Wahrheit oder Pflicht geküsst hatte.

  »Bist du jetzt wach?«, unterbrach Grace unser Stare-Off und meine Gedanken.

  »Sag du es mir.« Ich ließ mir Zeit damit, meinen Blick ein weiteres Mal über sie gleiten zu lassen, bis ich wieder bei ihrem Gesicht angekommen war.

  Einen Moment lang hielt sie meinen Blick fest, dann blinzelte sie leicht und schaute kurz zur Seite, als müsse sie sich aus ihren Gedanken reißen. »Mein Gefallen«, erinnerte sie mich. Ihre Stimme war eine Spur leiser geworden, aber nicht weniger bestimmt. »Ich will, dass du mit mir trainierst. Fünf, sechs Wochen sollten ausreichen.«

  Ich runzelte die Stirn. »Was trainieren? Deine Stimme? Den Text für eine Aufführung? Den …«

  »Ich rede von Sport.« Ungeduldig schob sie sich das Haar zurück. »Du warst bei der Army, also hast du auch an einem Bootcamp teilgenommen. Ich will lernen, wie ihr dort trainiert habt.«

  Okay, jetzt hatte ich endgültig den Faden verloren. Vielleicht lag es an dieser unmenschlichen Uhrzeit, oder der Tatsache, dass ein Teil von mir damit beschäftigt war zu ergründen, warum ausgerechnet Grace Watkins mitten in der Nacht in meiner Küche stand, aber ich konnte ihr nicht folgen.

  »Du willst, dass ich dich trainiere?«, wiederholte ich ungläubig. »Dir ist aber schon klar, dass Luke der Sportler in unserer Gruppe ist?«

  Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Luke war nicht bei der Army. Du schon.«

  »Du willst den Militärdrill? Echt jetzt?«

  Welcher vernünftige Mensch gab sich das freiwillig, wenn er nicht vorhatte, zur Armee zu gehen und dort Karriere zu machen? »Darf ich fragen, warum du dir das antun willst?«

  Zum ersten Mal wirkte Grace nicht mehr ganz so entschlossen, sondern zögerte einen Herzschlag lang. Dann verschränkte sie die Arme vor der Brust. »Das ist meine Sache.«

 

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