Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition)

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Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition) Page 18

by Bianca Iosivoni


  »Linker Fuß auf … Gelb!«

  Die ersten Minuten hatten wir Glück mit Tates Vorgaben. Doch dann verlangte sie, dass wir die linke Hand auf Rot legten und kurz danach die rechte Hand auf Gelb, während der Fuß auf Grün lag.

  »Gottverdammt, Tate!«, fluchte Luke und rutschte ab, fing sich jedoch in letzter Sekunde, bevor er umfallen konnte. »Beeil dich!«

  »Ich bin ja schon dabei«, behauptete sie, ließ sich jedoch ziemlich viel Zeit damit, erneut zu drehen. Und dann deutete der Zeiger nicht eindeutig auf ein Feld, also drehte sie noch mal.

  Die Muskeln in meinen Beinen begannen zu zittern. Bitte kein Krampf. Bitte kein …

  »Linker Fuß auf Blau!«

  Ein Ächzen ging durch die Runde. Ich bewegte mich als Erste, so schnell, dass ich beinahe Emery umstieß. In letzter Sekunde fand sie ihr Gleichgewicht wieder und funkelte mich finster an. Ich lächelte entschuldigend und pustete mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie hatte sich aus meinem französischen Zopf gelöst und kitzelte mich schon die ganze Zeit an der Nase.

  »Wartet … wartet …« Luke versuchte sich zu drehen, glitt dann aber an der feuchten Farbe ab und fiel auf die Decke. »Autsch!«

  »Raus!« Tate winkte ihn vom Feld.

  Ächzend stand er auf, jetzt von oben bis unten mit Farbe verschmiert, und ging auf seine Freundin zu.

  »Wag es ja nicht!« Elle hielt einen Zeigefinger in die Höhe. »Wehe, Luke!«

  Aber der grinste nur und wackelte mit den Augenbrauen – dann stürzte er sich auf sie. Elle quietschte und sprang auf die Beine. So schnell hatte ich sie noch nie rennen gesehen. Doch Luke war im Leichtathletikteam. Er würde sie innerhalb von Sekunden einholen, ganz egal, wie viele Haken sie auf der Wiese schlug, um ihm zu entkommen.

  Grinsend sagte Tate die nächste Stellung an. Emery hielt noch zwei Runden durch, dann hatte sie ihren Arm unter ihrem Rücken hindurchschieben müssen, was anfangs gut aussah, jedoch in einem Krampf endete.

  »Uuuund raus!« Tate lächelte diabolisch. »Bleiben nur noch zwei.«

  Trevor betrachtete sie amüsiert von der Seite. »Du genießt das ein bisschen zu sehr.«

  Sie wedelte mit der Hand. »Lass mich. Ich kann sonst nie Leute herumkommandieren und aus dem Spiel kicken.«

  Er lachte leise, beugte sich zu ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ihr Lächeln veränderte sich, wurde weicher, wärmer. Sie murmelte etwas, das nicht zu hören war, dann ließ Trevor sich grinsend auf seinen Platz zurückfallen.

  Nach dem Drama Anfang des Jahres war es schön, die beiden so zu sehen. Es hatte lange gedauert, bis sie ihre Probleme überwunden hatten. Ich wusste zwar nicht genau, was zwischen ihnen vorgefallen war, aber was es auch war, es schien sie stärker gemacht zu haben. Ich wünschte nur, ich würde nicht auch dieses fiese kleine Ziehen in meiner Brust spüren, wann immer ich Tate und Trevor oder Elle und Luke zusammen sah. Ich freute mich für sie und gönnte ihnen alles Glück der Welt, aber ich wünschte mir auch ein kleines bisschen davon für mich selbst. Und für Emery, die nun etwas abseits dasaß und gedankenverloren auf ihrem Handy herumspielte. Merkte Dylan wirklich nicht, wie sehr seine ständige Abwesenheit und die ganzen spontan abgesagten Treffen sie belasteten?

  »Hey … Erde an Grace!« Tate deutete auf mich. »Linke Hand auf Grün! Seit fünf Minuten.«

  »Oh. Sorry.« Ich drehte mich etwas, um die Hand auf einem der Kreise zu platzieren. Was gar nicht so einfach war, da Mason mir im Weg war.

  »Hi«, sagte er grinsend.

  Mein Herz setzte einen Schlag lang aus, dann pochte es plötzlich so viel schneller weiter.

  »Sekunde …« Ich räusperte mich und tastete nach dem grünen Punkt direkt unter ihm. »Fertig!«, keuchte ich und pustete mir dieselbe Haarsträhne ein weiteres Mal aus dem Gesicht. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, mir gleichzeitig mit meinem Umzug nach West Virginia das Haar abzuschneiden. Inzwischen war es zwar schon wieder länger geworden, aber durch den stufigen Schnitt stellenweise noch immer kurz genug, um sich aus Flecht- und Hochsteckfrisuren zu lösen. Insbesondere dann, wenn ich nebenbei Akrobatik auf einer Twistermatte machte.

  »Linke Hand auf – hey!«, rief Tate auf einmal und stieß einen Pfiff aus. Ich folgte ihrem Blick zu Luke, der Elle inzwischen eingeholt und von oben bis unten mit Farbe beschmiert hatte. »Wenn ihr reingeht, bringt mir was zu trinken mit, ja?«

  »Klar.« Luke legte den Arm um Elles Schultern. »Was willst du haben?«

  »Ähm, Tate?«, kam es von Mason. »Ich will ja echt nicht nerven, aber …«

  »Oh. Ups. Blau. Linke Hand auf Blau.«

  »Gott sei Dank!« Ich verlagerte mein Gewicht und konnte wieder aufatmen.

  Mason hingegen runzelte die Stirn. »Okay … Gib mir einen Moment.«

  »Klar«, schnaufte ich. »Lass dir alle Zeit der Welt.«

  Es war ja nicht so, als würde ich auf allen vieren in Brückenposition auf den bunten Punkten des Spielfelds stehen, in den Himmel starren und versuchen, dabei möglichst wenig zu atmen. Hätte ich geahnt, welche Farbe als Nächstes drankam, hätte ich meine Position vielleicht noch mal überdacht.

  Und Mason? Er hatte exakt zwei Optionen zur Auswahl: Wenn er den Arm unter meinem Rücken hindurchschob und auf Blau legte, hätte er es bequemer, aber sein Gesicht wäre praktisch zwischen meinen Brüsten. Und wenn er stattdessen über mich griff und die Hand auf das entsprechende Feld legte, wären wir auf Augenhöhe. Allerdings würde er halb über mir kauern und ich müsste mich noch etwas kleiner machen, damit das funktionierte. Dabei zitterten meine Muskeln jetzt schon. Egal, wie gut und schweißtreibend unser Army-Workout war – es war eindeutig nichts gegen eine Runde Twister.

  Wer war überhaupt auf die Idee gekommen, ausgerechnet dieses Spiel zu spielen? Draußen. In aller Öffentlichkeit. Mit echter Farbe, die Tate vermutlich aus dem Kunstsaal geklaut hatte und die mir inzwischen an allen möglichen Körperstellen klebte. Meine Hände und Füße waren glitschig, mein rechtes Knie blau verschmiert, ein Handabdruck von Emery prangte auf meinem Schienbein und ich war mir ziemlich sicher, auch Farbe im Gesicht zu haben, weil ich mir vorhin über die Wange gewischt hatte, um diese Haarsträhne zurückzuschieben. Ich zog die Nase kraus, versuchte sie ein weiteres Mal wegzupusten, aber sie landete bloß wieder in meinem Gesicht.

  »Wehe, du niest jetzt …« Vorsichtig beugte Mason sich über mich.

  Ich gab einen erstickten Laut von mir. »Bring mich nicht zum Lachen!«

  Langsam ließ ich mich etwas mehr Richtung Boden sinken, ohne von den Farbpunkten abzurutschen. Was gar nicht so einfach war, denn das Zeug war immer noch extrem glitschig.

  Wir waren jetzt auf Augenhöhe, ich über dem Boden schwebend, Mason direkt über mir halb in Liegestütz-Position. Ich konnte die Wärme spüren, die von seinem Körper ausging, als würde ich an einem Sommernachmittag mitten in der Sonne stehen. Zu allem Überfluss drang mir auch noch sein Geruch in die Nase: eine Mischung aus Duschgel und Aftershave, die ich nicht ganz zuordnen konnte. Sie war frisch und kühl, hatte aber auch eine warme, hitzige Note. Vielleicht war es aber auch ganz Mason. Er hielt meinen Blick fest, aber statt seine Hand auf das Feld zu platzieren, strich er mir die Strähne hinters Ohr. Erst dann legte er die Hand auf den blauen Punkt.

  »Danke«, wisperte ich etwas kurzatmig und ignorierte den kleinen Hüpfer, den mein Magen eben gemacht hatte, genauso wie das plötzliche Hämmern in meiner Brust.

  Mason lächelte nur, und ich merkte, wie ich es unwillkürlich erwiderte.

  »Okay, Endrunde«, verkündete Tate. »Zeit, dass endlich einer von euch rausfliegt. Rechter Fuß auf Rot!«

  Sie ließ uns noch dreimal wechseln, bis es unmöglich wurde, das richtige Feld zu treffen, ohne sich komplett zu verbiegen. Aber dazu kam es gar nicht, denn das Zittern in meinen Beinen nahm überhand. Zwei, drei Sekunden konnte ich mich noch halten, dann … rutschte Mason auf der Farbe aus. Ich fiel so plötzlich zu Boden, dass ich vor Schreck nicht mal nach Luft schnappen konnte. Erst recht nicht, da Mason direk
t auf mir gelandet war.

  »Shit!« Sofort hievte er sich auf die Unterarme und nahm etwas von seinem Gewicht von mir. »Alles klar? Hab ich dir wehgetan?«

  Ich schüttelte den Kopf, weil ich aus irgendeinem Grund kein Wort hervorbrachte. Vielleicht, weil ich auf einmal nur noch ihn wahrnehmen konnte. Die Hitze, die von seinem Körper ausging. Seine Beine, die mit meinen verknotet waren. Sein warmer Atem in meinem Gesicht. Seine Augen, die im Licht der untergehenden Sonne mehr grün als grau aussahen. Den kleinen Silberring seitlich an seiner Unterlippe, an dem mein Blick jetzt hängen blieb. Sofort war die Erinnerung daran, wie er sich angefühlt hatte, wieder da und …

  »Bäm!« Luke klatschte in die Hände. »Ihr seid beide raus.«

  »Nicht ganz«, korrigierte Tate ihn und fing die Wasserflasche auf, die er ihr zuwarf. »Maze ist zuerst ausgerutscht und hat Grace mitgerissen. Wenn man es also ganz genau nimmt, hat sie gewonnen.«

  Ich blinzelte mehrmals und versuchte zu begreifen, worüber die beiden da überhaupt redeten. Es dauerte mehrere Sekunden, und erst als Mason sich von mir herunterrollte, erinnerte ich mich wieder daran, wo wir waren, warum wir hier waren und was wir bis eben noch gespielt hatten. Gespielt. Twister. Genau. Es war nur ein Spiel gewesen. Kein Grund für meinen Körper, so zu reagieren. Schon gar nicht bei Mason, der … der …

  Ich fing Emerys Blick auf, als ich mich aufsetzte und meine farbverschmierten Hände an meinen Beinen trocken rieb, bevor ich mein verrutschtes Kleid zurechtzupfte. Sie sagte kein Wort, aber da war etwas in ihrer Miene, was mir nur zu deutlich machte, dass sie genau wusste, was gerade passiert war. Ich schüttelte leicht den Kopf, nicht nur für sie, sondern auch für mich selbst. Da war nichts. Mason und ich waren nur … Freunde. Freunde und Bandkollegen. Mehr nicht. Und nur weil mich mein Ex betrogen hatte und ich wieder Single war, würde ich mich sicher nicht dem nächstbesten Kerl an den Hals werfen. Schon gar nicht Mason Lewis. Denn abgesehen davon, dass er überhaupt nicht mein Typ war, war er mit Jenny zusammen. Seinem Highschool-Sweetheart. Der Liebe seines Lebens.

  Kapitel 12

  Mason

  Ich hatte keine Ahnung, was für eine Art von Farbe Tate beim Twisterspielen verwendet hatte, aber sie ging kaum ab. Nicht mal nach dem zweiten Duschen am selben Abend. Selbst dann waren noch die roten, blauen, gelben und grünen Spuren auf meinen Armen, Händen, Beinen und Füßen zu sehen. Und in meinem Gesicht. Ganz großartig. Wenigstens sah die Farbexplosion auf meinem Tattoo gar nicht mal so übel aus, was die alte Überlegung zurückbrachte, es zu erweitern. Diesmal nicht in Schwarz, sondern etwas bunter. Entweder mit neuen Motiven oder indem ich das vorhandene als Watercolor-Tattoo einfärben ließ. Bisher war ich unschlüssig gewesen, zumal weder meine Mutter noch meine Freundin allzu viel von bunten Tätowierungen hielten, aber wenn ich mir die Farben jetzt so anschaute … Aus irgendeinem Grund konnte ich mir vorstellen, dass Grace diese Idee gefallen würde. Im selben Moment verpasste ich mir in Gedanken einen Tritt. Warum musste sie ausgerechnet jetzt in meinem Kopf auftauchen?

  Seufzend ließ ich mich aufs Bett zurücksinken und starrte an die Zimmerdecke. Ich wollte nicht darüber nachdenken, kannte die Antwort darauf aber leider sehr genau: Wegen dem, was letztes Wochenende beinahe zwischen uns auf der Tanzfläche passiert war. Wegen der Art, wie sie mich beim Twister spielen angesehen hatte. Wie sie gelächelt hatte …

  Mit beiden Händen rieb ich mir übers Gesicht und zwang mich dazu, diese Gedanken dorthin zurückzuschicken, wo sie hergekommen waren. Da in meinem Zimmer ausnahmsweise keine Musik lief, hörte ich die Wohnungstür aufgehen, gefolgt von Schritten und gedämpften Stimmen, dann die Tür zu Emerys Zimmer. Gott, ich hoffte nur, dass es Dylan war, den sie mitgebracht hatte, und nicht Grace.

  Es war nicht so, dass ich ihr aus dem Weg gehen wollte – das konnte ich gar nicht, schließlich belegten wir denselben Studiengang, spielten in einer Band, trainierten bis auf wenige Ausnahmen jeden zweiten Tag morgens miteinander und hatten zu großen Teilen den gleichen Freundeskreis. Aber vielleicht sollte ich weniger ihre Nähe suchen und besser auf Distanz gehen.

  Aber ich mochte Grace. Und genau da lag das Problem. Jenny und ich, wir hatten uns beide in den letzten Jahren schon zu anderen Leuten hingezogen gefühlt, und ich wusste, dass ein Grund für Jennys Wunsch nach Pausen auch der war, dass sie dieser Anziehung nachgehen wollte. Aber letztendlich war es nie etwas Ernstes gewesen. Nicht während wir zusammen waren und auch nicht in den Zeiten, in denen wir kein Paar waren. Dieser Fast-Kuss mit Grace sollte nichts bedeuten. Aber das tat er. Weil mir dieser Moment genauso wenig aus dem Kopf gehen wollte wie dieses Mädchen. Und ich konnte es nicht mal damit entschuldigen, dass Jenny und ich eine Pause eingelegt hatten wie damals im Winter, als ich Grace bei Wahrheit oder Pflicht tatsächlich geküsst hatte.

  Innerlich verfluchte ich Tate für diese verdammte Pflichtaufgabe, die mich seither verfolgte. Dabei wollte ich überhaupt nicht so fühlen. Verdammt, ich liebte Jenny. Ich liebte unsere Pläne und die Zukunft, die wir uns zusammen ausgemalt hatten. Eine Zukunft, an der ich noch immer festhielt, genau wie an Jenny. Sie war das erste Mädchen, in das ich mich verliebt hatte. Zusammen hatten wir all die ersten Male erlebt: das erste richtige Händchenhalten. Den allerersten Kuss. Den ersten offiziellen Partner. Den ersten Sex. Die erste große Liebe. Ich weigerte mich, das alles aufzugeben für … für … ich wusste nicht mal, wofür.

  Ein entferntes Klopfen riss mich aus den Gedanken. Ächzend stand ich auf und sah an mir herunter. Ich überlegte kurz, mir ein Shirt überzuziehen, aber mit kaputter Klimaanlage war es viel zu warm hier drinnen, um in irgendetwas anderem als Shorts herumzulaufen.

  Das Gemeinschaftswohnzimmer war leer. Von unserem neuen Mitbewohner war noch immer nichts zu sehen, dafür hörte ich aus dem anderen Zimmer Stimmen und Musik. Eindeutig Emery und Dylan. Ich atmete gleich in zweifacher Hinsicht auf. Wow, dass der Kerl überhaupt noch lebte. Hoffentlich hatte er die Nachricht gelesen, die ich ihm von Emerys Handy aus geschickt hatte, und hatte seinen Hintern in Rekordzeit herbewegt. In den letzten Wochen war er praktisch völlig in der Versenkung verschwunden. Wahrscheinlich hatten Luke und Trevor mehr von ihm gesehen, da sie sich eine WG mit ihm teilten, als ich, sein bester Freund.

  Barfuß lief ich durch den Raum, vorbei am Sofa und dem ausgeschalteten Fernseher sowie an der Kochnische, und riss die Wohnungstür auf. Es war schon spät, also konnte es eigentlich …

  »Oh. Hey!«

  Lächelnd beugte ich mich zu ihr, um sie zu küssen, aber Jenny rauschte ohne jede Begrüßung an mir vorbei. Von einem Kuss ganz zu schweigen. Einen Moment lang schloss ich die Augen und sammelte mich, dann drückte ich die Tür leise hinter ihr zu.

  Neben der Couch blieb sie stehen und drehte sich zu mir um. In den Hotpants und der gepunkteten Bluse wirkte sie irgendwie niedlich. Überhaupt nicht niedlich war der Blick, mit dem sie mich von oben bis unten musterte und die verblassten, aber nicht ganz verschwundenen Farbflecken auf meiner Haut wahrnahm, bis sie wieder bei meinem Gesicht landete.

  »Du hattest einen spannenden Abend«, stellte sie fest.

  Ich zog die Brauen hoch. Darum ging es hier? Deswegen war sie plötzlich sauer?

  »Den hättest du auch gehabt, wenn du dabei gewesen wärst. Ich hab dich gefragt.« Mit dem Rücken lehnte ich mich gegen die Tür und verschränkte die Arme vor der Brust. Es war keine abwehrende Haltung, sondern sollte verhindern, dass Jenny abhaute, bevor wir diese Unterhaltung zu Ende führen konnten. Denn leider neigte sie dazu, mitten in einem Streit die Flucht zu ergreifen.

  »Ich weiß«, erwiderte sie ruhig. »Und ich konnte nicht. Karen hatte Liebeskummer, und wir mussten sie ablenken.«

  Ich nickte langsam, denn das hatte sie mir bereits am Telefon gesagt, als ich ihr erzählt hatte, wie meine Abendplanung aussah, und sie gefragt hatte, ob sie nicht Lust hätte, sich uns anzuschließen. Aber wie so oft, nein, wie eigentlich fast immer hatte sie abgelehnt.

  »Geht’s ihr besser?«, hakte ich nach, obwohl das nur zweitrangig für mich war. Ich kannte Karen kaum und, um ehrlich
zu sein, hatte ich den leisen Verdacht, dass sie mich nicht besonders mochte. Wann immer Jenny mit Karen unterwegs gewesen war, verhielt sie sich hinterher mir gegenüber anders. Distanzierter. Kritischer.

  »Ja. Aber darum geht es nicht.«

  »Sondern?«

  »Wir haben spontan beschlossen, uns Pizza zu holen. Und rate mal, wen ich draußen gesehen habe.«

  »Oookay …?« Ich wusste immer noch nicht, worauf sie hinauswollte. Wohl kaum auf meine farbverschmierte Erscheinung, oder?

  Sie starrte mich an, als wäre es offensichtlich, was sie damit sagen wollte. Als ich immer noch nicht reagierte, seufzte sie tief und platzte damit heraus: »Du hast sie praktisch geküsst!«

  Whoa. Moment mal. Wie bitte?!

  Ich stieß mich von der Tür ab und ging langsam auf sie zu. Um Ruhe bemüht, denn ich war mir sicher, dass das nur ein großes Missverständnis war. Ich würde mich doch wohl daran erinnern können, wenn ich irgendwen fast geküsst hätte, oder? Und das mit Grace auf dem Dach konnte sie gar nicht wissen, das war … gar nichts gewesen.

  »Wen habe ich prakti…«

  »Grace!«, fiel sie mir ins Wort. »Tu nicht so, als würde ich mir das nur einbilden. Ich habe euch gesehen. Wir haben euch alle gesehen. Was meinst du, wie das für mich war, als meine ganzen Freundinnen dir dabei zuschauen konnten, wie du in aller Öffentlichkeit fast eine andere abknutschst?«

  Lieber Himmel …

  »Jenny.« Ich fuhr mir mit den Fingern durchs Haar und bat Gott innerlich um Geduld. »Wenn du heute Abend dabei gewesen wärst, hätte ich dich geküsst. Und zwar richtig. Wir haben bloß Twister gespielt. Elle, Luke, Emery und alle anderen waren auch dabei.«

  »Aber du hast über keinem von ihnen gekniet und ihr fast die Zunge in den Hals gesteckt.«

  »Ist das dein verdammter Ernst?« Ich starrte sie an, wartete darauf, dass sie loslachte und verkündete, mich nur auf den Arm genommen zu haben, aber nichts dergleichen passierte. »Ich hatte auch Lukes Schwanz auf Augenhöhe. Heißt das in deiner Welt, dass ich ihm einen geblasen habe?«

 

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