Von meinen Mitbewohnern war noch immer nichts zu sehen oder zu hören. Sehr gut. Ich hatte zwar keine Ahnung, was Emery an diesem Abend vorhatte, aber ich hatte ihr vorhin eine Nachricht geschrieben, damit sie möglichst lange wegblieb, sodass Jenny und ich genügend Zeit allein hatten. Und sobald wir in meinem Zimmer waren – vorzugsweise im Bett –, war es sowieso egal, ob einer meiner Mitbewohner zu Hause war oder nicht.
Gerade als ich zurück in mein Zimmer gehen wollte, um mein Smartphone zu holen und auf die Uhr zu sehen, klopfte es. Und mit einem Mal begann es in meinem Brustkorb zu hämmern wie vor einem großen Auftritt. Dabei musste ich nur die Tür öffnen.
In Gedanken gab ich mir einen Tritt, der mich aus meiner plötzlichen Schockstarre riss, eilte zur Tür und öffnete sie.
Jenny lächelte zaghaft. »Kann ich reinkommen?«
Einen Moment lang betrachtete ich sie nur von oben bis unten, nahm das kurze Kleid und die Jeansjacke ebenso an ihr wahr wie das lange Haar, das ihr über die Schultern fiel, und ihren rosa geschminkten Mund, dann machte ich ihr Platz und drückte die Tür hinter ihr zu.
»Oh.«
Sie hatte die Blumen entdeckt. Ich rührte mich nicht vom Fleck, blieb an die Tür gelehnt stehen, und beobachtete sie mit hämmerndem Herzen dabei, wie sie zu dem Strauß hinüberging und mit den Fingern sachte über die Blüten strich.
»Da ist noch etwas.« Ich deutete auf den weißen Umschlag.
Jenny zögerte einen Atemzug lang, dann streckte sie die Hand danach aus, öffnete ihn und zog die Karte heraus, die ihr ein Wochenende an einem Ort versprach, den sie schon besuchen wollte, seit sie in unserem letzten Highschooljahr eine Doku darüber gesehen hatte.
»Mason …« Sie steckte die Karte zurück und drehte sich zu mir um. Doch die erwartete Freude, die Jubelschreie, der glückliche Ausdruck in ihrem Gesicht blieb aus.
Ich hatte nicht mal gemerkt, wie viel Hoffnung ich mir gemacht hatte, bis sie jetzt Stück für Stück in sich zusammenfiel.
»Ich kenne diesen Gesichtsausdruck …«, stellte ich leise fest und schloss für einen Moment die Augen. So hatte ich mir diesen Abend nicht vorgestellt, von ihrer Reaktion auf das geplante Wochenende in Vermont ganz zu schweigen. Ich könnte es ignorieren, könnte sie dazu bringen, diesen Trip mit mir zu machen, auch wenn sie gerade nicht allzu begeistert wirkte, aber ich war kein Arsch. Also zwang ich mich dazu, die Augen wieder zu öffnen und sie anzusehen. »Was ist es diesmal?«
Sie schaute kurz zur Seite und nestelte an ihrer Handtasche herum, die sie noch gar nicht abgelegt hatte. Seltsam, dass mir das erst jetzt auffiel. »So ist das nicht …«
»Jen …«
Sie zog die Schultern noch etwas höher, starrte auf ihre Sandalen hinab, nagte an ihrer Unterlippe. Selbst wenn ich sie nicht so gut gekannt hätte, merkte ich ihr an, dass ihr etwas auf dem Herzen lag. Und dass mir dieses Etwas nicht gefallen würde. So gut Jenny immer darin gewesen war, ihre Gedanken und Gefühle vor anderen zu verbergen, so leicht war sie für mich zu lesen gewesen. Selbst dann, als aus dem süßen, ambitionierten Mädchen mit den großen Träumen eine starke junge Frau mit viel zu großen Zweifeln geworden war. Zweifel an sich selbst, aber auch an mir. An uns.
»Ich weiß, wir haben schon früher darüber geredet, aber …« Sie knetete ihre Finger, sah kurz nach links zu ihren Lieblingsblumen und dann auf ihre Hände hinab, als würde sie erst jetzt bemerken, was sie da tat. Sofort löste sie sie voneinander. »Ich glaube nicht, dass ich mit dir nach Vermont fahren kann. Ich denke, etwas Abstand würde uns beiden guttun.«
»Du meinst dir«, stieß ich rau hervor. »Dir würde das guttun. Denn soweit ich mich erinnere, habe ich noch nie Abstand gebraucht.«
»Ich weiß.« Sie senkte den Blick. Als sie wieder aufsah, schimmerten Tränen in ihren Augen, und ich verpasste mir in Gedanken einen Tritt für meine schroffen Worte.
»Ich weiß einfach nicht, ob das hier das Richtige für mich ist«, flüsterte sie.
Sekundenlang war ich wie paralysiert, denn diese Aussage war völlig neu. Ich löste mich von der Tür und machte einen Schritt auf sie zu. Dann noch einen. Sie wich nicht zurück, kam mir aber auch nicht entgegen.
»Meinst du mit das hier dein Studium? Das College? Oder …?«
Als wir zusammen hier angefangen hatten, war ich mir sicher gewesen, dass es auch das war, was sie wollte. Dass sie noch immer BWL studieren wollte. Genau hier. An derselben Universität wie ich. Aber im letzten Jahr hatte sich immer deutlicher herauskristallisiert, dass sie nicht glücklich war. Sie war rastlos, unzufrieden mit ihren Fächern und Dozenten, und wann immer sich die Möglichkeit ergab, ganz egal ob nur für ein langes Wochenende oder in den Ferien, verließ sie sofort die Stadt. Sie wollte nicht hier sein. Das hätte nicht deutlicher sein können, nicht einmal dann, wenn sie mir diese Worte mit aller Kraft entgegengeschrien hätte.
Es hatte lange gedauert, bis ich begriffen hatte, dass Jenny nur meinetwegen nach Huntington zurückgekehrt war. Aber es war nur für ein paar Jahre, bis wir beide unseren Abschluss haben und wegziehen würden. So lautete zumindest der Plan. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass das College nicht das Einzige sein könnte, vom dem sie nicht mehr wusste, ob sie es wollte … sondern auch uns.
»Das würde ich gern herausfinden.« Ihre Lippen bebten. Hastig wischte sie sich mit dem Handrücken über die Wangen, um alle Spuren von Schwäche vor mir zu verbergen. Aber ich hatte ihre Tränen trotzdem gesehen.
»Allein.«
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, obwohl sie nickte. Und mir wurde klar, dass ich mich nicht nur getäuscht hatte, was Vermont anging. Ich hatte mich auch in Jenny geirrt. In dem Glauben darin, dass sie bereit war, genauso für diese Beziehung zu kämpfen wie ich. Darin, dass es überhaupt noch etwas gab, um das es sich zu kämpfen lohnte.
»Weißt du was? Ich glaube, du hast recht«, stieß ich hervor.
Denn zum allerersten Mal war sie nicht die Einzige, die Abstand brauchte. Die sich über Dinge klarwerden musste. Ich hatte nie an uns gezweifelt, hatte immer daran geglaubt, dass Jenny die Eine für mich war und unsere gemeinsamen Pläne genau das waren, was ich mir von meinem Leben erhoffte. Doch jetzt war ich mir da nicht mehr so sicher.
»Wir sollten beide herausfinden, was wir wirklich wollen.«
Und wen.
»Mason …« Sie machte einen zögerlichen Schritt auf mich zu. »Es tut …«
Die Tür ging auf. Ich drehte mich um und entdeckte Emery, beladen mit Einkaufstaschen. Als sie uns im Wohnzimmer sah, blieb sie überrascht stehen. Jenny wandte sich sofort ab und wischte sich über die Wangen.
»Oh … sorry.« Emery blickte zwischen uns hin und her, die Brauen fragend in die Höhe gezogen. »Störe ich?«
»Nein«, antworteten wir gleichzeitig.
Ich schüttelte den Kopf. Das war’s dann wohl.
»Es tut mir leid, Mason.«
Ich hörte die Worte nicht, las sie nur von ihren Lippen ab, und wusste, dass es vorbei war. Jenny umklammerte ihre Handtasche fester und eilte an mir vorbei. Wenige Sekunden später fiel die Tür hinter ihr zu, und Stille breitete sich in der Wohnung aus.
Gerade eben war ich noch ein mehr oder weniger glücklich vergebener Mann gewesen, jetzt war ich wieder Single. Einfach so.
Ein Rascheln hinter mir. Emery steuerte ihr Zimmer an, blieb jedoch auf gleicher Höhe mit mir stehen. Sie schnüffelte kurz und starrte mich dann aus zusammengekniffenen Augen an. »Ist das mein Duschgel?«
Ich schnaubte nur.
Schießen. Rennen. Nachladen. Mit dem Medipack heilen, während ich Luke zurief, mir Deckung zu geben.
Noch am selben Abend hatten wir uns in der WG vor dem großen Fernseher versammelt und zockten mein Lieblings-Survival-Game. Wahrscheinlich konnten Trevor und Luke es schon gar nicht mehr sehen, machten aber mir zuliebe mit. Diesen Impromptu-Spieleabend hatten sie organisiert, kaum dass ich erwähnt hatte, dass Jenny und ich uns getrennt hatten.
Meine Kumpel hatten mich kaum ausreden lassen. Wenig
e Minuten später saß ich auf dem Sofa in der WG von Luke, Trevor und Dylan, ein Bier vor mir auf dem Tisch, vollgepumpt mit Allergietabletten, damit mich Dylans Katze Mister Cuddles nicht durch ihre bloße Anwesenheit töten konnte, und den Controller in der Hand. Die Blumen und die Karte für den Wochenendtrip hatte ich mitgebracht und meinen Kumpels überlassen. Elle würde sich spätestens morgen über den Strauß freuen. Dylan hatte mich kurz beiseite genommen, als ich ihm den Umschlag in die Hand gedrückt hatte.
»Danke, Mann«, hatte er gesagt und mir auf die Schulter geklopft. »Ich schulde dir was.«
Ich winkte ab. »Nach der Sache vor einem Jahr ist es das Mindeste.«
Damals hatte ich Dylans schwierige Situation mit einem kaputten Wagen, akutem Zeitmangel und Terminstress eiskalt ausgenutzt und ihm angeboten, sich für ein bisschen Extracash und mein Auto um Emery zu kümmern. Genauer gesagt, sie so weit möglich von unserem gemeinsamen Wohnheimzimmer fernzuhalten, damit Jenny niemals erfuhr, dass das zweite Bett darin nicht einem Kerl, sondern einem Mädchen gehörte. Natürlich war der Schuss nach hinten losgegangen – und das in gleich zweifacher Weise. Jenny hatte kurz darauf mit mir Schluss gemacht und Emery hatte wochenlang kein Wort mehr mit mir geredet. Ganz tolle Zeiten.
Hatte ich schon erwähnt, dass ich manchmal ein gedankenloser Arsch sein konnte? Vielleicht war das ja der Grund dafür, dass es mit Jenny und mir einfach nicht klappen wollte. Zumindest nicht auf Dauer. Nur in diesem ständigen Hin und Her, das ich satt hatte. Wenn sie nicht mal bereit war, um uns kämpfen, wie sollten wir dann bitte eine vernünftige Beziehung führen?
»Mach was draus«, riet ich Dylan und deutete auf den Umschlag in seiner Hand. »Das Haus wartet auf euch. Für Lebensmittel ist gesorgt, es gibt einen Grill, einen Jacuzzi und mehrere Schlafzimmer. Falls euch langweilig werden sollte«, fügte ich mit einem kleinen Grinsen hinzu. »Sag Bescheid, wann ihr fahren wollt, dann bekommt ihr meinen Wagen vollgetankt dazu.«
Einen Moment lang starrte Dylan auf den Umschlag, dann steckte er ihn ein. »Ich hätte es fast versaut, weil ich mich so sehr auf alles andere, außer auf sie – auf uns – konzentriert hab. Und ich hab es nicht mal mitgekriegt, bis es fast zu spät war. Das wird mir nicht noch mal passieren.«
Ich hatte ihn noch nie so ernst, so entschlossen erlebt. Keine Ahnung, ob sich die Probleme von Emery und Dylan klären ließen und ob dieses Wochenende fernab von allen Menschen dabei helfen oder nicht eher das Gegenteil bewirken würde. Aber was ich mit absoluter Sicherheit wusste, war, dass es Dylan ernst war. Er würde alles in seiner Macht Stehende tun, um Ems Vertrauen in ihn zurückzugewinnen.
Ich nickte ihm zu und ließ mich aufs Sofa fallen.
Einige Zeit später saß Luke neben mir, auf den Fernseher vor uns konzentriert, aber auch immer wieder zu Mister Cuddles schielend, da die Katze und er sich noch immer nicht ausstehen konnten. Gut zu wissen, dass sich manche Dinge nie ändern würden.
In-Game kämpften wir uns durch verlassene Gebäude, versteckten uns vor herabfallenden Bomben und lockten ein gegnerisches Team in die Falle. Gerade bedienten wir uns an ihren Waffen und der Munition.
»Wir müssen weiter«, kam es von Trevor. Er saß auf dem Sessel links von mir und war bis an den Rand vorgerutscht. Trev spielte nicht so oft mit wie Luke, aber wenn er es tat, war er hoch konzentriert und der Analytiker in unserer Truppe. »Wenn wir ein Auto finden, schaffen wir es zur Markierung, bevor die Zone kleiner wird.«
Ein dumpfes Geräusch an der Tür, dann waren Schritte zu hören. Ich drehte mich nicht um, war zu sehr aufs Spiel fokussiert. Außerdem verriet mir der Geruch bereits, was uns erwartete. Dylan stellte Pizzaschachteln auf den Tisch und warf die Autoschlüssel daneben, dann setzte er sich wieder dazu.
Mittlerweile konnte ich gar nicht mehr zählen, wie oft mich die Jungs schon abgelenkt hatten, wenn es ein neues Drama mit meiner Freu… mit meiner Exfreundin gegeben hatte. Wir waren zusammen ausgegangen, hatten uns gemeinsam betrunken, ganze Nächte durchgezockt oder spontane Ausflüge irgendwohin unternommen. Letzteres war meistens Lukes Idee gewesen. Wir waren einfach in seinen Wagen gestiegen und losgefahren.
Heute würde es der Gaming-Abend sein. Und vielleicht ein paar Horrorfilme im Anschluss.
Seltsamerweise war ich nicht so sehr ins Spiel vertieft wie sonst und meine Bierflasche gerade mal angebrochen, obwohl wir schon seit über einer Stunde zusammensaßen. Es hatte Zeiten gegeben, in denen ich mich in solchen Momenten so abgeschossen hatte wie Luke jedes Jahr im November.
»Da ist ein Auto!« Mein Charakter rannte los. Die anderen folgten.
Doch bevor wir den Wagen erreichen konnten, waren plötzlich Schüsse zu hören. Eine Sekunde später wurde ich getroffen.
»Fuck!« Hinter einem Baum ging ich in Deckung und versuchte mir einen Überblick über die Situation zu verschaffen.
»Die Schüsse kommen von links«, murmelte Trevor angespannt.
Luke stieß einen Fluch aus. »Sniper auf dem Berg! Sniper auf dem Ber… ah! Verdammt!«
Er war tot.
Trevor erwischte es als Nächsten. Ich hatte mich wieder hochgeheilt und robbte durch das Gras auf das Auto zu. Inzwischen kamen die Schüsse auch von rechts. Es waren zu viele Gegner, und der Wagen war die einzige Fluchtmöglichkeit. Nur noch ein paar Meter. Nur noch … Roter Nebel legte sich über den Bildschirm. Ich war angeschossen worden, und meine Gesundheit sank immer weiter.
»Komm schon!«, knurrte ich und schüttelte den Controller.
Als ich das Auto endlich erreichte, sprang ich auf, wollte gerade einsteigen – und wurde erschossen.
»Was für ein Flachwichser!« Ich warf den Controller auf den Tisch, haarscharf an meiner Bierflasche vorbei.
»Die hatten Glück, nichts weiter.« Luke stand auf und holte sich Nachschub. Mister Cuddles folgte ihm lautlos in die Kochecke, und für einen kurzen Moment überlegte ich, ob die Katze tatsächlich davon ausging, dass sie ausgerechnet von Luke etwas zu essen bekommen würde. Dann fiel mir ein, dass sie sich sehr viel wahrscheinlicher hinter ihn setzen und ihn zu Tode erschrecken oder wenigstens zum Stolpern bringen wollte.
Seufzend lehnte ich mich zurück und fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. Als ich sie wieder sinken ließ, bemerkte ich den Blick, den Dylan und Trevor wechselten. »Ich bin okay.«
»Klar.« Dylan prostete mir zu.
»Das behaupte ich auch immer.« Luke warf sich wieder neben mich aufs Sofa.
Keiner stürzte sich auf die Pizzaschachteln, obwohl sie bestimmt schon seit mehreren Minuten auf dem Tisch vor uns standen und der Duft daraus das ganze Zimmer erfüllte. Ich sah von einem zum anderen und runzelte die Stirn. Echt jetzt? Warteten sie auf mich? Wie bemitleidenswert war ich früher gewesen, wenn die Jungs heute so einen Aufstand machten?
Kopfschüttelnd setzte ich mich auf und griff nach dem obersten Karton. Peperoni Salami. Nope. Ich warf ihn Trevor zu, der ihn gerade noch auffing, bevor ihm die Pizza ins Gesicht klatschte. Auch die nächste war nicht meine, sondern eindeutig die von Dylan. Nummer drei stellte sich schließlich als meine Pizza heraus: mit Bacon und extra viel Käse, auch im Rand.
Wir aßen schweigend. Irgendwann schaltete Dylan von der Playstation auf irgendeinen Horrorfilm um. Schon nach wenigen Minuten wurde eine Gruppe Studenten einer nach dem anderen abgeschlachtet. Und das so laut und mit so viel Gekreische, dass die Leute eine Etage unter uns sicher auch Spaß daran hatten.
»Also …«, begann Dylan, als wir die Hälfte unserer Pizzen verputzt hatten. »Willst du darüber reden?«
Ich klappte mein Pizzastück zusammen, bevor ich hineinbiss. »Da gibsch nisch zu reden«, nuschelte ich mit vollem Mund, schluckte den Bissen hinunter und spülte mit ein paar Schlucken Bier nach. »Das war’s. Es ist vorbei.«
Ich zuckte mit den Schultern, als ob es nichts zu bedeuten hätte. Wir hatten schon mehrere Pausen mit Funkstille hinter uns. Aber das hier war etwas anderes. Diesmal war es endgültig. Zumindest für mich – auch wenn ich nie gedacht hätte, dass es eines Tages so kommen würde. Denn während uns
erer Highschoolzeit war Jenny ganz anders gewesen. In den ersten Monaten unserer Beziehung hatten wir kaum die Finger voneinander lassen können und waren eins dieser Pärchen gewesen, das man nie mehr allein, sondern nur noch zu zweit antraf. Das sich öffentlich küsste, ständig miteinander flirtete, sich Nachrichten im Unterricht schrieb und andauernd Händchen hielt. Erst als unser Abschluss immer näher gerückt war, hatte sich das langsam gewandelt. Wir hockten nicht mehr die ganze Zeit aufeinander, und als Jenny mir erstmals von ihren Plänen erzählt hatte, die Welt zu sehen, war ich ziemlich vor den Kopf gestoßen gewesen. Denn in keinem dieser Pläne war ich dabei – und konnte mich auch nicht darin sehen. Jenny wollte fliehen, wollte raus aus dieser Stadt, weg von ihren familiären Schwierigkeiten und zum ersten Mal in ihrem Leben frei sein. Was für ein Arsch wäre ich gewesen, sie davon abzuhalten?
Sie hatte mir versprochen, zurückzukommen und dass wir dann gemeinsam mit dem Studium anfangen und all unsere Zukunftspläne umsetzen würden. Und sie hatte Wort gehalten. Nach knapp zwei Jahren Fernbeziehung war sie zurückgekehrt, aber die Dinge waren nie mehr wie früher gewesen. Wir hatten beide Neues erlebt und Erfahrungen gemacht, von denen der andere keine Ahnung hatte. Sie auf ihrer Weltreise, ich während meiner Zeit beim Militär. Ich hatte nie zur Army gehen wollen, doch so hatte ich gleich zwei Probleme auf einmal lösen können: die Zeit ohne Jenny sinnvoll überbrücken und meinen Vater und Großvater, die beide bei der Armee gewesen waren, stolz machen.
Was mich durch den brutalen Drill gebracht hatte, war der Gedanke an meine Zukunft gewesen. An unsere Zukunft und all unsere Pläne. Ich war immer davon ausgegangen, dass sich im College alles wieder zwischen uns einpendeln würde, aber dann war ich mit Emery in einem Zimmer gelandet und hatte gewusst, dass Jenny nicht damit klarkommen würde. Und ich konnte sie in der Hinsicht sogar verstehen. Würde sich meine Freundin mit irgendeinem fremden Kerl nicht nur dieselbe Wohnung, sondern auch noch dasselbe Zimmer teilen, wäre ich vermutlich auch ausgetickt. Zumal Jennys Eifersucht gegen Ende der Highschool immer schlimmer geworden war und für die eine oder andere Diskussion zwischen uns gesorgt hatte. Also hatte ich Dylan gebeten, Emery bei Laune und vom Wohnheim fernzuhalten, wann immer Jenny zu Besuch kam. Und das nur, um meine Beziehung zu retten.
Der letzte erste Song (Firsts-Reihe 4) (German Edition) Page 27