Was auch immer geschieht 01 - Finding back to us

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Was auch immer geschieht 01 - Finding back to us Page 4

by Iosivoni, Bianca


  Das verwuschelte schwarze Haar. Der herausfordernde Blick. Das Muttermal an seinem Hals und die kleine Narbe an seinem Unterkiefer. Der Mund mit der volleren Unterlippe …

  Zwei, drei Sekunden lang hielt ich seinen Blick fest, dann wandte ich mich ab. Meine Haut brannte, als ich meine zu Fäusten geballten Hände löste, um die Kühlschranktür zu öffnen.

  »Ach, komm schon«, stichelte er weiter. »Du kannst ruhig zugeben, dass es dir lieber gewesen wäre, wenn du mich sofort erkannt hättest.«

  »Wozu?«, murmelte ich und holte eine Flasche Milch heraus, bevor ich die Kühlschranktür mit Nachdruck schloss, um das Zittern meiner Finger zu verbergen. »Damit ich ganz bewusst in den Genuss deiner liebreizenden Gesellschaft kommen kann? Nein, danke, ich verzichte.«

  »Du weißt ja nicht, was dir entgeht.«

  »Haargel, flache Witze und aufgesetzter Charme?«

  Ein verräterischer Laut kam aus Hollys Richtung, aber sie überspielte ihn mit einem Husten und setzte sich an den gedeckten Frühstückstisch.

  Keith warf ihr einen vernichtenden Blick zu. »Das habe ich gehört.«

  Sie strahlte ihn an. »Es ist so schön, euch beide wieder hier zu haben. Ehrlich, mir haben die Streitereien und das Türenknallen total gefehlt. In den letzten Jahren war es viel zu friedlich und idyllisch.«

  Für sie vielleicht. Damals hatte Holly sich noch darüber amüsieren können, wenn Keith und ich uns wegen irgendetwas stritten, denn meistens war sie als Gewinnerin aus diesen Situationen hervorgegangen. Dabei waren es meist nur Kleinigkeiten gewesen. Wer das letzte Stück Kuchen haben durfte. Wer als Nächstes an der Konsole spielen durfte. Laute Musik, mit der Keith und ich uns gegenseitig terrorisierten, bis Stella den Strom ausgeschaltet und damit gedroht hatte, uns unsere Musikanlagen wegzunehmen, wenn wir uns nicht auf eine normale Lautstärke einigen konnten.

  Es gab so viele dieser Momente, die abgesehen von Holly keiner vermisst hatte. Genauso wenig wie Keith selbst.

  Ich schnaubte leise. Wenn es nach mir ginge, würde ich so wenig Zeit wie möglich am selben Ort wie diese Person verbringen. Zum Teufel, könnte ich es mir aussuchen, würden wir nicht einmal dieselbe Luft atmen.

  »Was ist los? Hat es dir die Sprache verschlagen, Calliope?« Wie aufs Stichwort legte Keith es ein weiteres Mal darauf an. Gab es diesem Kerl irgendeinen Kick, mich zu provozieren? War das wie ein Energydrink, der ihn durch den Tag brachte?

  Nun, wenn das der Fall war, würde ich ihm nicht die Genugtuung gönnen, klein beizugeben.

  »Niemand nennt mich so.« Selbst wenn er jahrelang weg gewesen war, sollte er noch wissen, wie sehr ich es hasste, wenn mich jemand bei meinem vollen Namen rief. Dad war der Einzige, der das bei Holly und mir getan hatte. Calliope und Thalia. Doch diese Namen waren zusammen mit ihm gestorben.

  Und es war Keiths Schuld, dass mein Vater jetzt nicht bei uns sitzen, einen seiner üblichen Scherze machen und die Zeitung lesen konnte, bevor er zur Arbeit ins Krankenhaus fuhr. Die Vorstellung zog sich wie eine glühende Nadel durch mein Innerstes. Ich musste mich an meiner Kaffeetasse festklammern, um Keith den Inhalt nicht ins Gesicht zu schütten.

  Als würde sie genau spüren, wie die Stimmung im Raum zu kippen drohte, räusperte sich Holly. »Wir sollten in die Stadt fahren.« Sie deutete mit ihrer Gabel auf mich. »Du brauchst noch ein Kleid. Glaub nicht, dass Mom dich vom Haken lässt, nur weil du so selten da bist. Und du«, wandte sie sich an Keith, »brauchst einen Smoking.«

  Eine Einkaufstortur war schon schlimm genug – aber eine, bei der ausgerechnet Keith dabei war? Nur über meine Leiche. Besser gesagt: Nur über seine Leiche, denn genau darauf würde es hinauslaufen.

  »Nicht nötig«, widersprach Keith sofort. »Ich borge mir einen aus. Macht ihr euren Mädelstag.«

  Hollys Miene wechselte von einem Stirnrunzeln zu ehrlicher Begeisterung. »Gute Idee! Das haben wir schon ewig nicht mehr gemacht, Callie. Erst das Kleid, dann gehen wir zur Maniküre und am besten auch gleich zum Friseur. Oh, und die richtigen Schuhe müssen wir auch noch für dich finden.«

  Der Hauch von Erleichterung, den ich gerade empfunden hatte, verflüchtigte sich wieder. In solchen Momenten zweifelte ich daran, dass Holly und ich tatsächlich Schwestern waren – es kam mir wesentlich wahrscheinlicher vor, dass eine von uns im Krankenhaus vertauscht worden war. Denn was sie als Spaß bezeichnete, war für mich eine Qual. Trotzdem würde ich lieber zehn Shoppingtouren durchstehen und zum Abschluss mit einem Glas Tequila in einen Vulkan springen, als noch länger im selben Raum zu bleiben wie Keith.

  »Klar.« Ich warf ihr ein bemühtes Lächeln zu. »Gib mir zehn Minuten.« Eine, um den Kaffee hinunterzustürzen, und neun, um mich anzuziehen und fertig zu machen, damit wir das Haus so schnell wie möglich verlassen konnten. Und Keith Blackwood meilenweit hinter uns ließen.

  3

  Kein Lebenszeichen von dir zu bekommen, heißt, dir hat die Playlist gefallen. Oder?

  Ich starrte auf die Textnachricht auf meinem Handy und überlegte ernsthaft, Parker noch länger schmoren zu lassen. Immerhin hatte er meinen iPod mit Girlie- und Herzschmerzmusik überladen und mich den ganzen Flug über damit terrorisiert.

  Wenn du mich damit quälen wolltest, hast du dein Ziel erreicht.

  Ich schickte meine Nachricht ohne jedes Emoji ab. Diese Dinger waren der Teufel. Wie um das zu bestätigen, antwortete Parker mit einer ganzen Reihe davon. Grinsende und lachende Smileys, Herzchen, Musiknoten, einer strahlenden Sonne und anderen Motiven, von denen ich nicht einmal erkannte, was genau sie darstellen sollten.

  »Wem textest du?« Mitten in der Boutique stellte sich Holly auf die Zehenspitzen und spähte über meine Schulter.

  »Parker.« Die beiden hatten sich letztes Jahr kennengelernt, als Holly mich für ein Wochenende am College besucht hatte. Nur mit Mühe hatte ich sie davon abhalten können, sich auf eine Studentenparty zu schleichen, weil sie unbedingt mal auf einer Bar tanzen wollte.

  »Oh. Ist er immer noch mit dieser Tussi zusammen? Wie war ihr Name doch gleich?«

  Amüsiert schob ich mein Smartphone zurück in meine Handtasche. »Welche meinst du?« Während ich in den vergangenen zwei Jahren eine einzige Beziehung geführt hatte, brauchte man alle zehn Finger, um die von Parker abzuzählen. Es war nicht so, dass er beziehungsunfähig war, sondern … doch, um ehrlich zu sein, genauso war es. Die Frau, die er einmal heiraten würde, tat mir jetzt schon leid.

  »Also nicht. Weißt du, was ihm helfen würde, darüber hinwegzukommen?« Holly hielt ein rotes Kleid in die Höhe, das ich nicht einmal bei einem Junggesellinnenabschied in einem Stripclub tragen würde. »Eine Beziehung mit jemandem, der ihn durch und durch kennt und zu schätzen weiß. Jemand wie seine beste Freundin.«

  Das war jetzt nicht ihr Ernst, oder?

  »Hast du eine Ahnung, wie viele Bücher und Filme es gibt, in denen aus besten Freunden ein Paar wird?«, fuhr Holly unbeirrt fort, und ich meinte, in ihren Augen kleine Herzchen erkennen zu können.

  Okay. Jetzt war alles zu spät. Ich brach in schallendes Gelächter aus. Mehrere Kundinnen drehten sich zu uns um, aber ich konnte einfach nicht aufhören zu lachen. Parker und ich? Echt jetzt? Die Erinnerung an unser erstes und einziges Date, bevor wir zu besten Freunden wurden, reichte aus, damit ich mich beinahe auf dem Boden kringelte. Zwischen einem Medizinstudenten und seiner ersten Leiche herrschte mehr Funkenflug als zwischen Parker und mir. Kein Wunder, dass wir uns deshalb spontan einigen Kommilitonen zum LaserTag-Spielen angeschlossen hatten. Der Abend endete damit, dass Parker eine hübsche Rothaarige mit nach Hause nahm und ich Connor kennenlernte.

  »Was ist daran so lustig?«, fragte Holly stirnrunzelnd.

  »Parker und ich? Das wird niemals passieren. Wir sind ein einziges Desaster.« Mit den Fingerspitzen wischte ich mir die Lachtränen aus den Augenwinkeln. »Warum glaubt eigentlich niemand mehr an eine platonische Freundschaft zwischen Männern und Frauen?«

  »Weil uns Filme mit Justin und Mila das Gegenteil beweisen.«

  Ich verdrehte
die Augen und zog ein tiefblaues Kleid von der Stange. »Du weißt aber schon, dass das reale Leben kein Film ist, oder?«

  »Details.« Holly nahm mir das Kleid aus der Hand und hängte es zurück. »Blau steht dir nicht, außer bei Jeans.«

  »Wow, danke.«

  »Tu nicht so, als wärst du eingeschnappt, dafür bist du nicht eitel genug.«

  Leider wahr. Ich schlenderte weiter, ohne den Kleidern große Beachtung zu schenken, denn in Gedanken war ich ganz woanders. Mir wollte Hollys Reaktion auf Keiths Auftauchen einfach nicht aus dem Kopf gehen. Nicht nur, dass sie von seiner Rückkehr gewusst hatte, sie hatte sich auch noch darüber gefreut. Nicht aufgesetzt, sondern ehrlich.

  »Wie kann es für dich in Ordnung sein, dass er wieder hier ist?«

  Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass ich die Frage laut ausgesprochen hatte, bis Holly nachhakte. »Wer?«

  »Du weißt genau, wen ich meine.«

  Holly schien sich plötzlich auffällig für ein Kleid zu interessieren, das mit Perlen bestickt war. Dabei hasste sie Perlen. »Er gehört zu unserer Familie. Er ist …«

  »Sag es nicht.«

  »Warum nicht?« Unverständnis schimmerte in ihren blauen Augen, vermischt mit etwas, das ich nie dort hatte sehen wollen. Nicht, wenn ich die Ursache dafür war. Schmerz. »Er ist unser Stiefbruder, ob es dir passt oder nicht.«

  »Es passt mir nicht und das sollte es dir auch nicht. Hast du etwa vergessen, was passiert ist? Was er getan hat?«

  Meine Stimme klang schärfer, als ich es beabsichtigt hatte, und Holly zuckte zusammen, als hätte ich sie geohrfeigt.

  »Nein, das habe ich nicht vergessen.« Behutsam hängte sie das perlenbesetzte Kleid zurück an die Stange. »Aber ich kann ihm verzeihen.«

  War es wirklich so einfach? Vergeben und vergessen, als wäre nichts gewesen? Als wäre Keith nicht schuld daran, dass unser Vater gestorben war? Wie schaffte sie das? Wie vergab man etwas, das sich so tief in dein Bewusstsein gebrannt hatte, obwohl du dich nicht einmal mehr daran erinnern konntest? Ich wusste es nicht. Vielleicht würde ich es nie herausfinden. Manche Dinge waren unverzeihlich. Und egal was Keith tat oder wie lange er weg gewesen war, nichts davon würde es je wieder in Ordnung bringen. Weil der Mensch, der gegangen war, nie mehr zurückkehren würde.

  Ich beobachtete Holly dabei, wie sie ein neues Kleid hervorzog und damit zu mir herumwirbelte. Ich rechnete fest mit einem kleinen Schwarzen oder noch so einem schrecklichen roten Stripperinnenoutfit. Stattdessen hielt sie sich ein gerüschtes Monstrum von Kleid vor die Brust, mit weitem Spitzensaum und einer riesigen roten Schleife am Dekolleté. Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. Und mit einem Mal war wieder alles wie zuvor. Die nachdenkliche Stimmung verflog ebenso schnell, wie sie aufgetaucht war.

  »Ich gebe dir zwanzig Dollar, wenn du das zu Stellas Ball anziehst.«

  Holly wiegte den Kopf hin und her, als würde sie ernsthaft darüber nachdenken. »Mach zweihundert daraus und wir können darüber reden.«

  »Träum weiter.«

  Grinsend hängte sie das Kleid zurück an die Stange. »Sieht so aus, als wären wir in der Faschingsabteilung gelandet. Aber ich finde … oooh.« Sie zog den Laut in die Länge. »Du wirst gleich sehr glücklich sein. Ich glaube, ich habe das perfekte Kleid für dich gefunden. Dagegen wird Helena von Troja aussehen wie irgendeine Magd.«

  Und genau das machte uns nicht nur zu Schwestern, sondern auch zu den Töchtern unseres Vaters. Nicht die gleiche Haarfarbe und unser vorlautes Mundwerk, sondern die Liebe zur Mythologie. Während andere Kinder mit Märchen aufgewachsen waren und Disneyfilme angeschaut hatten, hatte Dad uns zum Einschlafen antike Sagen erzählt. Kein Wunder, dass ein paar Überreste davon bis heute in uns steckten – und das nicht nur in unseren Namen.

  Ohne auf meine Reaktion zu warten, packte Holly mein Handgelenk und zog mich eine Reihe weiter. Dort wollte eine Frau gerade ein pfirsichfarbenes Kleid zurückhängen, doch Holly war schneller. Sie nahm es ihr mit einem zuckersüßen »Danke« aus der Hand und drückte es mir gegen die Brust. »Probier es an.«

  »Wenn es mir passt, können wir es dann kaufen und von hier verschwinden?«

  »Nur, wenn es dir auch steht«, erwiderte sie ungerührt. »Und das zu beurteilen liegt ganz allein bei mir.«

  Natürlich. Wie hatte ich auch etwas anderes erwarten können? Mit einem gespielten Augenrollen schnappte ich mir das Kleid, ging zu den Umkleiden und zog mich dort um. Als ich wieder herauskam und vor den Ganzkörperspiegel trat, musste ich mir eingestehen, dass meine Schwester recht gehabt hatte. Schmale Neckholder-Träger hielten das Kleid hinter meinem Hals zusammen und der seidige Stoff, der knapp über meinen Knien endete, fiel locker hinab und sorgte für ein hübsches, aber nicht zu offenherziges Dekolleté. Dafür war mein gesamter Rücken frei, was zusammen mit den glitzernden Fäden, die im Brustbereich in den Stoff eingearbeitet waren, aus dem hübschen, aber eher schlichten Outfit ein kleines Schmuckstück machte.

  »Du siehst großartig aus«, kam es von Holly, die sich hinter mich gestellt hatte. »Ich bin fast ein bisschen neidisch. Das richtige Kleid für mich zu finden, hat Stunden gedauert, und du hast es schon beim ersten Anprobieren.«

  Lächelnd drehte ich mich zu ihr um. »Ich hatte eine gute Beraterin.«

  Stolz und Freude breiteten sich auf Hollys Gesicht aus und brachten sie zum Strahlen. »Und du wirst mich lieben, wenn ich erst mit dir fertig bin. Los, los! Als Nächstes brauchen wir passende Schuhe.«

  Hilfesuchend sah ich mich um, doch keine der anderen Kundinnen oder Verkäuferinnen eilte zu meiner Rettung herbei, als Holly mich erneut am Arm packte und in den nächsten Laden zog.

  Ein Gewirr aus Stimmen, Gelächter und Musik strömte mir entgegen, als ich das Billy’s am nächsten Abend betrat. Abgesehen vom Diner und der Kegelbahn war die Kneipe so ziemlich der einzige Ort, wo man in der Stadt abends ausgehen konnte. Das war schon früher so gewesen und daran schien sich bis heute nichts geändert zu haben.

  »Hi Billy«, begrüßte ich den Besitzer lächelnd, als er mir von der Bar aus zuwinkte. Wie alt er genau war, wusste niemand so recht, zumal er heute noch genauso aussah wie zu meiner Highschoolzeit, als wir regelmäßig versucht hatten, uns heimlich hier reinzuschleichen. Die breite Brust, Arme, so dick wie Baumstämme, und die Halbglatze, in der sich das Licht spiegelte, waren schon damals seine Markenzeichen gewesen. Ebenso wie die sonnengegerbte Haut und seine dröhnende Stimme.

  »Callie Robertson!«, rief er und breitete die Arme aus, als wollte er mich umarmen, obwohl sich ein Bartresen und mehrere Leute zwischen uns befanden. »Wie lange ist es her?« Er ließ mir gar keine Zeit zum Antworten. »Ich erinnere mich noch genau daran, wie du und deine kleinen Freundinnen jeden Freitagabend versucht habt, euch an mir vorbeizuschleichen. Einmal wolltet ihr sogar durch das Fenster in der Damentoilette reinklettern.«

  Meine Wangen wurden warm. Dass die Leute in dieser Stadt aber auch nie etwas vergaßen. Natürlich drehten sich gleich einige Köpfe zu mir um, doch Billy schien das nicht einmal zu bemerken. Wie ein herzlicher Großvater deutete er mit dem Zeigefinger auf mich. »Kein Alkohol für dich, junge Dame. Du bist doch noch keine einundzwanzig, oder?«

  Ich hätte ihn anlügen können. Mein Geburtstag war in wenigen Wochen und Billy kannte mich zu lange, um darauf zu bestehen, meinen Ausweis zu sehen. Aber er war ein guter Kerl und ich wollte ihn nicht in Schwierigkeiten bringen.

  »Noch nicht«, bestätigte ich darum etwas leiser, dennoch hörte er mich über das Summen der Gespräche hinweg und nickte mir zu.

  »Deine Freundinnen sind dort hinten in der Nische. Der erste Drink geht aufs Haus.«

  »Danke, Billy!«

  Ich lief an der Bar vorbei, schlängelte mich an den im Raum verteilten Tischen und Stühlen vorbei, die allesamt voll besetzt waren, bis ich die Nische erblickte, von der er gesprochen hatte. Dort saß Faye zusammen mit Casey und Samantha, die mit uns zur Schule gegangen waren, und zwei weiteren Frauen in unserem Alter, die ich bisher nur vom Sehen kannte.


  »Callie!« Faye sprang auf, schmiss dabei fast Casey von der gepolsterten Sitzbank und fiel mir überschwänglich um den Hals.

  »Happy Birthday!« Ich erwiderte ihre Umarmung, während ich gleichzeitig ihr Geschenk aus meiner Jackentasche zog. »Einmal umdrehen, bitte.«

  Bevor Faye Einspruch erheben oder überhaupt nachfragen konnte, was ich vorhatte, drehte ich sie um, sodass sie mit dem Rücken zu mir stand. Dann legte ich ihr die zarte Silberkette um den Hals und kämpfte einen Moment lang mit dem Verschluss.

  »Das hast du nicht getan …« Sie tastete nach dem kleeblattförmigen Anhänger und wirbelte zu mir herum, sobald ich ihr die Kette angelegt hatte. Als sie das Schmuckstück erkannte, begannen ihre Augen zu strahlen. »Du spinnst doch!«

  »Du bist stundenlang darum herumgeschlichen, als du mich in Woodshill besucht hast«, erinnerte ich sie. »Und weil du sie dir nicht selbst gekauft hast, musste ich es tun.«

  Tränen begannen in ihren Augen zu schimmern, und ich hob warnend den Zeigefinger.

  »Schon gut, schon gut.« Mit einem Lachen, das ein halbes Schluchzen war, wischte sie sich über die Augen und griff nach meinen Händen. »Danke, Callie. Das bedeutet mir sehr viel.«

  Ich konnte nicht anders, ich musste sie noch mal in den Arm nehmen. Einer der vielen Gründe, aus denen Faye nicht auf ein College gegangen war, war das fehlende Geld. Bei drei Töchtern und einem Nachzügler in Gestalt eines mittlerweile vierjährigen Sohnes konnte ihre Familie es sich nicht leisten, jedes ihrer Kinder aufs College zu schicken. Faye hatte sich nie darüber beschwert oder sich überhaupt jemals anmerken lassen, dass Geld ein Problem darstellte. Aber ich wusste es. Ich kannte sie gut genug, um die Traurigkeit in ihren Augen zu erkennen, als sie sich das Schmuckstück nicht hatte kaufen können.

 

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