by Kiefer, Lena
Wie lange vorher er geplant haben musste, seine Armee wie eine Horde Heuschrecken über das Land ziehen zu lassen, um alle Technologie zu entfernen, wusste ich nicht. Aber da es schon länger keine staatlichen Streitkräfte mehr gegeben hatte, musste es von langer Hand geplant gewesen sein. Die Söldner aus den unzähligen Privatarmeen zu rekrutieren, muss aber höchstens ein logistisches Problem gewesen sein, denn beste Bezahlung konnte er mit Leichtigkeit aufbieten. Geld war nichts, an dem es der Familie de Marais gefehlt hatte, bevor Leopold es abgeschafft hatte.
»Es ist schon fast sechs Jahre her«, sagte der alte Mann nachdenklich. »Ich frage mich, ob es eine leichte Entscheidung war.«
»Für ihn bestimmt. Er hat schließlich alles erreicht, was er wollte.« Ich sah von dem Bild weg. »Nur die Bevölkerung wurde nicht gefragt. Und nun müssen alle sehen, wie sie damit zurechtkommen.«
Der Alte nickte. »Da hast du recht. Aber was sollten wir schon dagegen tun? Wer die Macht hat, der hat das Sagen. Das war immer so.«
Viele dachten wie er, und deswegen war es so schwer, etwas zu bewirken. Die meisten Leute hatten zu viel Angst vor dem König – vor dem, was er tun konnte, wenn man sich nicht an die Regeln hielt. Die wenigsten wollten ihr Leben für ihre Freiheit riskieren. Andere hatten sich mit der Situation abgefunden. Mir kam das Gespräch im Gewächshaus in den Sinn. Mein Vater hatte aufgegeben. Aber ich würde das nie tun. Ich würde nie aufhören, den König dafür zu hassen, was er den Menschen antat.
Ich sah, dass mich der Alte aufmerksam musterte.
»Du kommst mir bekannt vor«, sagte er. »Ich meine, dich schon mal bei den Odells gesehen zu haben.«
»Das kann sein«, nickte ich.
»Meine Frau und ich waren Nachbarn von ihnen. Schlimme Sache, was da passiert ist.«
»Ja … schlimme Sache.« Ich senkte den Blick.
»Meinen Sohn haben sie vor sechs Wochen geholt.«
Ich sah auf.
»Das tut mir schrecklich leid«, sagte ich ehrlich.
»Ja, mir auch.«
Ich fragte nicht, warum sein Sohn zum Clearing geschickt worden war, denn das tat man nicht. »Sind Sie nicht wütend auf den König deswegen?« Ich deutete mit dem Kinn auf das Pad.
»Ja. Und nein.« Der Alte sah traurig aus dem Fenster. »Die Gesetze sind eben so und man hat Rafe erwischt. Was bringt es mir, wütend zu sein? In meinem Alter weiß man, wenn man verloren hat.«
Ich nickte, weil ich ihn verstand, auch wenn es himmelschreiend ungerecht war. Dann schwiegen wir, beide in unseren eigenen Gedanken gefangen. Bald darauf erreichte die TransUnit den Pier.
»Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend«, sagte ich. »Und wer weiß, eines Tages wird vielleicht doch jemand etwas tun.« Wenn es nach mir ginge, würde das nicht mehr lange dauern.
Der Mann wünschte mir ebenfalls einen schönen Abend, dann stieg ich aus und ging auf den Eingang des Piers zu. Die große Uhr am Turm zeigte fünf vor acht.
Ich lief nun nicht mehr länger über den gepflasterten Boden der Promenade, sondern spürte das sanfte Federn von Holzplanken unter meinen Füßen. Sobald das passierte, besserte sich meine Laune automatisch. Immer wenn ich das Meer roch und das knarrende Holz hörte, empfand ich etwas, das durch nichts auf der Welt zu ersetzen war: das Gefühl, nach Hause zu kommen.
6
Früher war der Pier eine Vergnügungsmeile gewesen, mit Imbissständen, Karussells und einem Riesenrad direkt am Meer. Als Victor Vale sich in Brighton niedergelassen hatte, war alles zu technisch aufwendigen Spielwelten umfunktioniert worden, vollgestopft mit visuellen UpLinks. Man hatte darin virtuell durch die Wüste gehen oder auf dem Mond landen können, viel realistischer als je zuvor. Ich war zu jener Zeit noch nicht in Brighton, aber es musste fantastisch gewesen sein. Teuer, aber das Erlebnis allemal wert.
Nach der Abkehr hatte man den Pier stillgelegt. Die Fressbuden waren geschlossen, die Fahrgeschäfte stillgelegt, alle Indoor-Attraktionen leer geräumt und mit Brettern vernagelt worden. Ich ging an einem Stand vorbei, der früher asiatisches Essen verkauft hatte. Jetzt waren die Scheiben vom Salzwasser blind und an den Bänken vor der Tür blätterte die Farbe ab. Das Quietschen des Kettenkarussells klang gespenstisch zu mir herüber. Der Pier war verlassen – und vergessen. Kaum jemand verirrte sich noch hierher.
Kaum jemand hieß aber nicht niemand. Denn ein Gebäude war offen, und die Lichter über der Tür brannten: das ehemalige Theater, nun Heimat von ReVerse.
Ich ging zum Bühneneingang und stieß die Tür auf. Dann schlug ich den Weg zum Theatersaal ein. Die rauschende Stille von draußen wurde durch Gelächter und Geklirr ersetzt. Auf der Bühne kämpften zwei Jungs in meinem Alter mit Schwertern.
»Nimm das, Schurke!«
»Nenn mich noch einmal Schurke, du Wicht!«
»Nenn mich noch einmal Wicht, du Hund!«
Ich musste lachen. Sie hörten es und hielten inne.
»Ophelia, holde Maid.« Einer der beiden, ein dunkelhaariger Junge mit langen Haaren, verneigte sich tief vor mir. »Seid gegrüßt. Was verschafft uns die Ehre Eurer strahlenden Schönheit in diesen erhabenen Hallen?«
Ich lachte noch mehr und machte einen Knicks. »Ich komme nur, um dich in Aktion zu erleben, Code.«
»So spricht ein wahrer Fan.« Code, der eigentlich Reginald hieß, nickte und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. »Aber es ist auch zu erwarten, dass du die Bühne zu schätzen weißt. Bei deinem Namen.«
Ich verdrehte die Augen und stieg die Stufen hinauf.
»Hör bloß auf. Meine Mutter wusste einfach früh, wen sie lieber mag.« Wie kam man sonst auf die Idee, Eneas nach dem Stammvater der Römer zu nennen und mich nach einer Figur aus Hamlet, die wahnsinnig wird und Selbstmord begeht?
»Ach, mach dir nichts draus.« Der zweite Duellant legte sein Schwert beiseite. »Es gibt schlimmere Namen als deinen. Nicht wahr, Reginald?« Er sah Code vielsagend an, dann umarmte er mich zur Begrüßung. »Hi, Phee. Ich habe gehört, du warst heute erfolgreich.«
»Gute Nachrichten verbreiten sich schnell.« Ich grinste.
Jye Eadon war Knox’ bester Freund gewesen und dann auch zu meinem geworden. Mit seinen kurzen braunen Haaren, dem breiten Kreuz und der trainierten Gestalt wirkte er neben dem schlaksigen Code wie ein Elitesoldat. Seine Umarmung war jedoch sanft und ich erwiderte sie gerne.
»Ist alles glattgegangen?«, fragte er mich.
»Es war knapp.« Ich verzog das Gesicht. »Die Wachmannschaften sind schneller als früher.«
»Vielleicht rüsten sie auf. Nachdem die Radicals die Supply-Station im Süden abgefackelt haben, ist das kein Wunder.«
»Diese Vollidioten.« Ich schnalzte mit der Zunge. »Was wollen sie damit erreichen? Mengenrabatt beim Clearing?«
»Wenn es so ist, sind sie sehr erfolgreich.«
Ich grinste. Meistens freuten wir uns über die hirnlosen Aktionen der Radicals, denn je mehr sie in den Fokus rückten, desto weniger achtete man auf uns. Aber wenn sie die Wachsamkeit der Turncoats erhöhten, traf uns das auch.
»Wollt ihr heute noch trainieren oder nur quatschen?« Liora stand in der Tür, die Hände in die Hüften gestemmt. »Julius lässt bitten.«
Code griff sich ans Herz. »Diese engelsgleiche Gestalt und dazu der herrische Tonfall. Ich bin verliebt.«
»Du bist schon seit zwei Jahren in sie verknallt«, sagte ich trocken. »Jeder weiß das, nur sie nicht.«
»Vielleicht fröne ich lieber der Liebe aus der Ferne«, wehrte sich Code. »Die wird oft unterschätzt.«
»Na, woran das wohl liegt.« Jye hob eine Augenbraue, sammelte die Schwerter ein und ging zum Bühnenaufgang. Unter dem beleidigten Gemurmel von Code, dem ich die Worte »Banausen« und »wahre Gefühle« entnahm, folgte ich ihm.
Im Gegensatz zum Theatersaal mit den Reihen voll plüschiger roter Sitze war der Trainingsraum sehr nüchtern ausgestattet. Der Boden bestand aus grauem Kunststoff, die Wände waren weiß gestrichen, an einer von ihnen hing die königliche Lilie mit den beiden gekreuzten Pfeilen. Jemand hatte sich den Spaß gemacht und das Symbol auf den Kopf gestellt.
Nach einem schnell
en Gruß verschwand ich im Nebenraum und zog mir Trainingssachen an, ein schlichtes blaues Shirt und eine schwarze Sporthose. Als ich in die Halle zurückkam, saß der Rest schon da, zwei Dutzend Leute von dreizehn bis Ende zwanzig. Ich suchte mir einen Platz zwischen Liora und Jye.
»Leute, wir haben heute einiges zu tun, also sollten wir anfangen.« Julius’ tiefe Stimme hallte durch den Raum. Er war ein blonder Hüne mit halblangen Haaren, dessen blaue Augen ernst in die Runde sahen. »Zuerst – Ophelia hat heute die Daten einer defekten TransUnit beschafft. Das bringt uns ein großes Stück weiter.«
Die anderen applaudierten, Jye pfiff durch die Zähne, und Code rief: »Bravo, Phee!« Ich lächelte stolz. Der heutige Auftrag war zu schwierig gewesen, um bescheiden zu sein. Außerdem waren diese Gelegenheiten zur Freude selten und kurz. Bei ReVerse ruhte man sich nicht auf seinen Lorbeeren aus.
»Dann haben wir einige Aufträge für nächste Woche zu vergeben. Ein Kontrolleur kommt, um unsere Gruppe zu checken. Das haben uns die Radicals eingebrockt.«
Einige ließen Buhrufe hören. Julius sprach weiter.
»Wir brauchen ein paar Leute, die sich darum kümmern, dass hier am Donnerstag alles ordentlich und unauffällig ist. Gerade das Kampfsportequipment sollte weg sein. Am besten schafft ihr es in mein Haus, da sehen sie nicht nach.«
Ein paar Freiwillige meldeten sich und Julius notierte ihre Namen. Dann vergab er weitere Jobs, meist Observierungen von Wachmannschaften oder königlichen Abgesandten. Diesmal waren keine brisanten Aufträge dabei. Wenn der Besuch eines Kontrolleurs anstand, mussten wir uns zurückhalten.
Als Julius fertig war, zog er ein königliches Lesepad hervor. Ein Raunen ging durch die Gruppe. Niemand hatte unseren Anführer je mit so einem Gerät gesehen.
»Das letzte Thema, über das ich mit euch sprechen will, ist das hier.« Er hielt das Pad hoch.
»Wissen wir endlich, wie man die Pads von den WrInks abkoppelt?« Jye sah hoffnungsvoll aus.
»Idiot«, sagte Code, aber es klang liebevoll, »wenn wir das könnten, dann würdest du mich nackt Hula tanzen sehen.«
Jye verzog das Gesicht. »Ugh«, machte er und schüttelte sich, »dann hoffe ich, dass es niemals dazu kommt.«
Die meisten lachten, Julius jedoch nicht. Er war eigentlich ein lockerer Typ, aber in diesem Moment wirkte er sehr angespannt.
»Nein, das ist es nicht. Als Leiter einer der offiziellen Kulturgruppen für junge Menschen«, so nannten wir uns laut königlicher Klassifizierung, »wurde mir mitgeteilt, dass es eine Ausschreibung gibt.« Jye und ich sahen uns ratlos an. Ausschreibungen gab es nur, wenn neue Turncoats gesucht wurden. Allerdings kam die Mitteilung dann von der Ortsverwaltung, nicht vom König selbst.
»Im Namen seiner königlichen Hoheit Leopold de Marais«, Julius las von dem Pad ab, »sucht die königliche Garde junge Anwärter für eine dauerhafte Tätigkeit am Hof. Jeder, der zwischen 18 und 25 Jahren alt ist und die körperlichen und geistigen Grundvoraussetzungen erfüllt, kann an den regionalen Vorauswahlen teilnehmen.«
Als er ausgesprochen hatte, blieb es kurz totenstill. Dann brach der Tumult los.
Das oberste Ziel von ReVerse war der Sturz des Königs. Jeder in diesem Raum wusste das. Da seine Schwester Amelie laut unseren Quellen anders dachte als er, würde sie nach Leopolds Tod die Abkehr beenden. Ich hatte immer geglaubt, Samuel Ferro, unser oberster Boss, würde den König eines Tages töten. Aber plötzlich waren wir alle Kandidaten für diesen Job. Ich war eine Kandidatin für diesen Job. Ein aufgeregtes Flattern meldete sich in meinem Magen und mein Puls hämmerte zum Takt meiner Gedanken. Du könntest es tun. Du könntest diejenige sein, die es beendet. Wenn ich es in die Garde schaffte, kam ich dem König nahe genug, um ihm und damit der Abkehr ein Ende zu bereiten – und zu rächen, was er Knox und vielen anderen angetan hatte.
Ich war nicht die Einzige, die so dachte.
»Einer von uns …«, sagte jemand.
»Er würde es nicht kommen sehen …«
»Absolut genial …«
Ein Pfiff von Julius beendete unser Gerede. »Hey, Leute. Ich verstehe eure Aufregung. Es ist eine riesige Chance, kaum jemand kommt dem König so nahe wie die Mitglieder der Garde. Aber niemand sollte sich leichtfertig für diese Auswahl melden. Außerdem gibt es Bedingungen.«
Er las weiter, und schnell wurde klar, was er meinte. Körperliche Fitness und erbliche Gesundheit waren Voraussetzung für die Tests. Nach der genetischen Optimierung unserer Elterngeneration – einem Hype vor etwa vierzig Jahren, der nach vielen Komplikationen wieder aufgegeben worden war – hatte jeder Vierte in meinem Alter mit erblichen Defekten zu kämpfen. Manche vertrugen keine trockene Luft, andere kein direktes Sonnenlicht. Wieder andere durften nicht alles essen oder mit bestimmten Pflanzen in Berührung kommen. All das ließ sich behandeln, aber die Informationen waren im WrInk gespeichert. Man kam damit nicht durch eine königliche Kontrolle.
Bei mir war das anders. Zwar war meine Mutter genetisch optimiert worden, aber die Folgen waren bei mir nicht nachweisbar und deswegen nie registriert worden. Nur mein Vater und Bruder wussten davon – und natürlich meine Mutter, die mir regelmäßig ein selbst entwickeltes Gegenmittel aus Paris schickte. Die Symptome waren jedoch nichts, was mir bei einer solchen Auswahl Probleme bereitet hätte. Eher im Gegenteil.
»Weiterhin wird Königstreue erwartet, eine niedrige Bedenklichkeitsstufe des Bewerbers und seiner Familie …«
»Verdammt«, murmelte ich.
»Was denn?«, fragte Liora.
»Mein Dad ist Stufe sechs.« Das war die höchste und schlechteste Stufe, die es gab. Ich selbst hatte keine Einstufung. Wer bei der Abkehr noch keine vierzehn Jahre alt gewesen war, hatte keine bekommen.
»… oder gute Prognose bei hoher Stufe«, sagte Julius gerade.
Ich atmete auf. Mein Vater hatte technische Geräte in den letzten Jahren nicht ein Mal sehnsüchtig angesehen.
»Es gibt zwei Auswahlrunden. Die erste findet in drei Tagen in Brighton statt, die zweite in einem Monat in London. Danach werden die erfolgreichen Bewerber an den Hof geladen und ausgebildet.«
»Was passiert, wenn man dort ist?«, fragte Liora. »Sperren die uns ein und lassen uns nie wieder raus?«
Julius sah sie an. »Die Sicherheitsvorkehrungen am Hof sind extrem hoch. Ich denke nicht, dass man oft Urlaub hat oder seine Familie einladen darf.« Ein Schatten huschte über sein Gesicht. Er hatte seine Schwester wegen der Abkehr verloren – wie genau, wusste niemand. »Ihr müsst euch gut überlegen, ob ihr mitmachen wollt. Die Ausbildung allein ist sicher hart genug, aber wenn ihr nicht nur für sie, sondern gleichzeitig auch für uns arbeitet, wird es euch alles abverlangen.«
»Na, wenn man es nicht schafft, kann man doch wieder nach Hause fahren, oder?« Code lümmelte auf einer Weichbodenmatte herum. Ich war mir sicher, dass er sich nicht melden würde.
»Das glaube ich kaum. Ich denke, wir wissen alle genug über die Methoden des Königs, um vom Schlimmsten auszugehen. Und wenn ihr erwischt werdet …« Der Rest des Satzes blieb in der Luft hängen. Julius stand auf. »Ich muss am Ende der heutigen Einheit wissen, ob ihr euch für die erste Vorauswahl melden wollt. Die Liste muss so bald wie möglich zurück.« Er klatschte in die Hände. »Wir fangen mit dem Aufwärmen an. Zehn Runden sollten genügen.«
»Du willst jetzt nicht im Ernst trainieren? Wir sind noch gar nicht fertig!« Delta, eine impulsive Rothaarige, blieb sitzen.
»Doch, das sind wir.« Julius hielt ihr die Hand hin und zog sie hoch. »Wenn wir nicht trainieren, wird es keiner von euch an den Hof schaffen. Also, hopp, hopp, auf geht’s.«
Wir erhoben uns murrend und setzten uns in Bewegung. Natürlich gab es dabei nur ein Thema.
»Ich bin auf jeden Fall dabei«, sagte Jye, »das ist eine großartige Gelegenheit, dem König in die Suppe zu spucken.«
»Ja, oder eine großartige Gelegenheit zum Sterben«, merkte Code an.
»Ich glaube kaum, dass sie die ausgeschiedenen Anwärter umbringen.« Liora ließ im Laufen die Arme kreisen.
»Selbst wenn nicht – als Mitglied der Garde gibt es genug Möglichkeiten, draufzuge
hen. Da reicht es, wenn ein paar Radicals vorbeikommen. Dann musst du dich in die Schusslinie werfen und zack, tot.« Code hielt sich zwei Finger an den Kopf.
»Wer sagt, dass man sich in die Schusslinie werfen muss?«, fragte ich zurück und hob eine Augenbraue.
»Du bist manchmal echt knallhart, Phee«, sagte Liora.
»Nein, nur pragmatisch.« Ich hob ungerührt die Schultern und fing einen Blick von Code auf.
»Du meinst, du könntest ihn sterben lassen? Oder gar selber töten? Einfach so?«
»Natürlich«, gab ich zurück, »das ist nur eine Frage der Motivation.«
Die Wahrheit war: Ich hatte vorher nie darüber nachgedacht, den König zu töten. Aber das war auch nicht notwendig. Ich musste nur an Knox denken, dann meldete sich der Zorn. Ohnmächtiger, rasender Zorn auf den Mann, der uns das angetan hatte.
Nein, ich könnte den König nicht nur töten.
Ich würde keine Sekunde zögern, es zu tun.
7
Nach dem Aufwärmen verteilten wir uns. Code und Liora steuerten den Geschicklichkeitsparcours an, Jye und ich gingen zur Kampfsportstation. Dort hingen mehrere Boxsäcke von der Decke und es gab Matten für das Nahkampftraining.
Jye gab mir ein Paar Handschuhe und stellte sich hinter einen Boxsack, damit ich mich daran auslassen konnte. Normalerweise machte mir das Spaß, aber heute war ich zu kaputt. Meine Schläge waren schwach und meine Tritte kaum erwähnenswert. Schon nach fünf Minuten hatte ich das Gefühl, eine Pause zu brauchen.
»Ich übernehme das hier.« Julius tauchte neben uns auf. »Jye, kannst du dich um Delta kümmern? Wenn du es schaffst, ihr den Hook Kick beizubringen, mache ich dich eines Tages zu meinem Nachfolger.« Er wackelte mit den Augenbrauen.
Jye lachte. »Du stellst mir eine unlösbare Aufgabe und köderst mich dann mit leeren Versprechungen. Das ist echt nicht cool, Mann.«