[Ophelia Scale Serie 01] • Die Welt wird brennen

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[Ophelia Scale Serie 01] • Die Welt wird brennen Page 9

by Kiefer, Lena


  »Willkommen im Dome.« Ein Dutzend Männer und Frauen in grünen Lilien-Jacken stand bereit, als wir das Stadion durch den Haupteingang betraten. Jye und ich nannten unsere Namen und wurden einem Zimmer zugewiesen. Dazu bekamen wir den Zeitplan der nächsten zwei Tage und die Regeln für die Prüfungen.

  Wir nahmen unsere Sachen und folgten dem Hauptstrom. Jye sah auf den Zettel in seiner Hand und dirigierte mich mit einem sanften Rempler in den richtigen Korridor. Graue Wände, kaltes Licht und der Geruch nach Putzmitteln säumten unseren Weg. Während wir gingen, studierten wir das Programm.

  Tag 1:

  07:30 Informationsappell

  08:30 Ausdauer I

  10:00 Vertikalkraft

  12:00 Reaktion

  13:00 Mittagspause

  14:00 MedTest

  16:00 Ausdauer II

  17:30 Toleranz

  19:00 Abendessen

  danach: Veröffentlichung der Ergebnisse

  evtl. Abreise

  Tag 2:

  08:30 Intelligenz

  09:30 Gruppenphase

  13:00 Mittagspause

  14:00-19:00 Abschlussprüfung

  danach: Abreise

  »Okay, offenbar wollen sie uns umbringen«, sagte Jye trocken.

  »Vor allem wollen sie uns dumm sterben lassen«, antwortete ich. »Vertikalkraft, Toleranz, Reaktion? Was soll das sein? Und dann eine Abschlussprüfung, die den halben Tag dauert?« Ich erinnerte mich an Julius’ Erwähnung eines CerebralAnalyzers. Wenn man so etwas fünf Stunden lang belügen musste, grillte es einem mit Sicherheit das Gehirn.

  »Du weißt, wie die Sicherheitsvorkehrungen für Maraisville sind. Wen sie dorthin bringen, müssen sie vorher genau checken.« Jye sah besorgt aus. Wahrscheinlich ging ihm das Gleiche durch den Kopf wie mir. Je genauer die Überprüfung, desto schlechter unsere Chancen.

  »Wird schon werden«, sagte ich mit allem Optimismus, den ich aufbringen konnte. Jye nickte halbherzig und wechselte das Thema.

  »Wie war die Verabschiedung von deiner Familie?«

  »Es war okay. Fleur hat geweint, aber dann habe ich ihr mein Zimmer angeboten, solange ich weg bin.«

  »Jetzt hofft sie bestimmt, dass du nie mehr zurückkommst.«

  Ich grinste. »Ja, oder Lion und sie bringen einander um, weil sie sich jetzt ein Bad teilen müssen.«

  »Dann hättest du drei Zimmer, wenn du zurückkommst.«

  »Oh Himmel, drei Zimmer, in denen Ordnung herrscht!« Ich sah ihn schockiert an. »Wenn das passiert, implodiert das Raum-Zeit-Kontinuum.«

  Jye lachte und blieb stehen, um eine Gruppe von Mädchen durchzulassen. Als sie ihn sahen, fingen sie an zu tuscheln. Als sie mich sahen, wich das Tuscheln giftigen Blicken.

  »Soll ich ihnen sagen, dass du nicht mein Freund bist?«, fragte ich laut.

  »Oh ja«, nickte Jye und zog mich weiter. »Ich wollte das hier unbedingt als Singleparty nutzen.«

  »Du bist so sarkastisch, Jye. Langsam mache ich mir Sorgen.«

  »Du färbst eben ab.« Er grinste. »Wie hat dein Dad reagiert?«

  »Er war wie immer, hat mir gesagt, ich soll auf mich aufpassen, und Ende.« Immerhin hatte er darauf verzichtet, mich wieder einmal davon überzeugen zu wollen, dass die Abkehr eine tolle Idee war. »Was ich denke, interessiert ihn doch schon seit Jahren nicht mehr.«

  »Macht dich das nicht wütend?«

  »Doch, jedes Mal. Aber was soll ich machen? Man hat nur eine Familie.«

  »Manche von uns haben auch gar keine.«

  Oh verdammt. Ich stoppte und sah Jye bestürzt an.

  »Scheiße, tut mir leid. Ich habe nicht nachgedacht.«

  Er hob die Schultern.

  »Ist schon in Ordnung, Phee. Ich weiß, dass du es nicht so gemeint hast.«

  »Trotzdem. Das war blöd von mir.« Ich strich ihm über den Arm.

  Jye war mit 8 Jahren zur Waise geworden, als seine Eltern bei einem Unfall gestorben waren. Aber deswegen hatte er bis vor 6 Jahren nicht ohne Familie aufwachsen müssen. Waisenkinder waren vor der Abkehr von künstlichen Intelligenzen aufgezogen worden, bei denen es ihnen an nichts gefehlt hatte. Als das verboten wurde, hatte man Jye direkt in die Hölle geschickt – ein heruntergekommenes Heim mit überforderten Erziehern, da in den letzten vierzig Jahren niemand in diesem Beruf gearbeitet hatte. Weil diese Waisen nie zuvor hatten teilen müssen, waren die Konkurrenz groß und die Kämpfe brutal gewesen. Jye hatte nicht deswegen breite Schultern, weil es gut aussah. Es war seine einzige Chance gewesen, zu überleben.

  Bis wir unser Zimmer fanden, sprachen wir nicht mehr. Es war die Sorte Schweigen, bei der man nicht über das letzte Thema reden mag, aber auch kein neues anschneiden will. Ich war froh, als die richtige Nummer an der Wand auftauchte. Die Tür stand offen. Es war niemand da.

  »Nicht gerade das Royal Albion Hotel«, kommentierte Jye und setzte seinen Rucksack ab.

  Der Raum war ebenso zweckmäßig wie schmucklos. Er war nicht größer als mein Zimmer, mit quadratischem Grundriss und einem einzelnen Fenster. Zwei schlichte Etagenbetten standen in gegenüberliegenden Ecken, vier abschließbare Truhen aus Metall daneben. Der Boden aus grauem Kunststoff hatte schon bessere Tage gesehen, der Putz der Wände war mit Rissen durchsetzt, und an der Decke hingen Spinnweben. Der King-George-Park, benannt nach dem letzten Monarchen Englands, hatte durch das schmutzige Fenster einen grauen Schleier.

  »Ich hoffe, die Unterkünfte werden besser, wenn man für den König arbeitet«, meinte ich und warf einen Blick in das kleine Bad. Es wirkte zwar sauber, aber das Waschbecken hatte einen Sprung, und der Spiegel war so stumpf, dass man nichts erkennen konnte. »Falls nicht, wundert es mich kaum, dass er Leute sucht.«

  »Ich denke, in Maraisville ist es etwas luxuriöser.« Jye stellte seinen Rucksack neben das Bett am Fenster. »Willst du oben oder unten schlafen?«

  »Oben«, sagte ich schnell. »Das Bett sieht nicht sehr stabil aus. Wenn es in der Nacht zusammenbricht und du liegst da oben …« Ich schüttelte den Kopf. »In einem Etagenbett im HorizonDome zerquetscht zu werden steht nicht auf der Liste meiner liebsten Todesarten.«

  Jye grinste. »Will ich wissen, was auf dieser Liste steht?«

  »Keine Ahnung, willst du?« Ich reckte das Kinn.

  Wir kabbelten uns noch, als unsere Mitbewohner auftauchten, ein humorbefreites Mädchen namens Alice und ein drahtiger Mittzwanziger namens Reck. Er war im Gegensatz zu ihr mehr als gesprächig. Als die Durchsage für das Abendessen kam, war er bei seiner Lebensgeschichte erst in seiner frühen Jugend angekommen. Den Rest versprach er uns für den Abend.

  »Au ja, unbedingt«, murmelte ich Jye zu, während wir durch die vollen Gänge liefen. »Ich kann es kaum erwarten, mehr von seinen vier Brüdern und ihrem Phobe-Imperium zu hören.«

  »Ach, komm schon, es gibt Schlimmere als ihn«, meinte Jye.

  »Oh, bestimmt. Es gibt aber keinen schlimmeren Gutmenschen als dich.« Ich knuffte ihn in die Seite.

  »Du solltest deine Kräfte lieber sparen«, sagte er mit erhobenem Zeigefinger. »Ich erinnere mich dunkel, dass wir nicht zum Vergnügen hier sind.«

  »Was du nicht sagst.«

  Trotzdem knuffte ich ihn noch einmal.

  

  »Der Informationsappell beginnt in zehn Minuten. Bitte begeben Sie sich zur Stadionfläche. Die grünen Pfeile weisen Ihnen den Weg dorthin.«

  Es war früher Morgen und wir seit einer Stunde auf den Beinen. Meine Nacht war nicht sonderlich erholsam gewesen: Jye schnarchte wie eine Horde Biber, und Reck murmelte sogar im Schlaf noch vor sich hin. Nur Alice hatte keinen Mucks von sich gegeben.

  Der künstliche Rasen der Stadionfläche war übersät mit Menschen. Es mussten an die 500 Anwärter sein, die man bei den lokalen Vorausscheidungen herausgefiltert hatte. Alle standen um ein Podium herum, das in der Mitte aufgebaut war. Viele trugen wie ich bereits ihre Trainingsmontur und froren ohne Jacke in der kalten Morgenluft.

  Sämtliche Bewerber hatten am Vorabend eine Nummer bekommen, die jederzeit sichtbar an der Kleidung getragen werden musste. Die Grünjacken machten Stichproben und kontrollierten mit ihr
en ID-Trackern die Übereinstimmung von Nummer und Identität. Als jemand auf das Podium stieg, hörten sie damit auf.

  »Herzlich willkommen zur zweiten Runde der Auswahlprüfungen.« Der Typ auf dem Podium trug keine grüne Jacke, sondern einen eleganten Blazer zu auffällig eng geschnittenen Hosen. Wahrscheinlich war er eine Art offizieller Sprecher.

  »Wie Sie Ihren Informationsunterlagen entnehmen können, starten wir heute Vormittag mit den körperlichen Belastungstests. Sie werden für den ersten Tag in Gruppen von je zehn Personen eingeteilt. Bitte merken Sie sich, in welcher Gruppe Sie sind, damit es keine Verwechslungen gibt. Bitte tragen Sie während der gesamten Zeit Ihre Kennziffern und weisen Sie andere Teilnehmer darauf hin. Und –«

  Ich schaltete ab, als ich bemerkte, dass der Typ nur herunterbetete, was auch auf unseren Zetteln stand. Ich wusste die Regeln auswendig.

  Stattdessen ließ ich den Blick schweifen. Nicht, um meine Konkurrenz zu beobachten – bei der Menge war es sinnlos, sich die eigenen Chancen ausrechnen zu wollen.

  »Was tust du da?« Jye folgte meinem Blick.

  »Ich will wissen, wo die wichtigen Leute sind. Wenn sie hier auswählen, wer an den Hof kommt, überlassen sie das sicher nicht ein paar Grünjacken und einem Typen in zu engen Hosen.«

  »Wahrscheinlich wird das alles komplett zum König übertragen.« Jye deutete auf eine der Kameras, die im Stadion verteilt waren.

  »Ja, vielleicht. Aber er hat bestimmt trotzdem jemanden hier, dem er vertraut.« Es passte zu meinem Bild von Leopold de Marais, die Fäden in der Hand zu behalten.

  Der Verantwortliche war immer noch dabei, uns mit den Regeln vertraut zu machen. »Sie erfahren die Ergebnisse am Abend des heutigen Tages. Im vierten Stock auf Höhe der VIP-Logen befinden sich Screens, die Ihre Kennziffern und Ihre Resultate zeigen …«

  Hinter ihm auf dem Podium standen mehrere Personen in schlichten Anzügen, die SmartPads in der Hand hielten. Ich musterte ihre Gesichter, aber sie wirkten nicht wichtig. Die Reihe von Grünjacken vor dem Podium sah noch weniger wichtig aus. Keiner davon … Moment. Mein Blick glitt zurück.

  Der Mann war um die dreißig, trug wie die anderen ein Cap, hatte es aber tiefer in die Stirn gezogen als seine Kollegen. Darunter sah ich wache Augen und ein außergewöhnlich gut aussehendes Gesicht. Das war es allerdings nicht, was mir aufgefallen war. Es war vielmehr die völlige Reglosigkeit seiner Züge – er hatte seine Mimik extrem gut unter Kontrolle. Dazu kamen die Ruhe seines Körpers und seine messerscharfe Aufmerksamkeit: Ich konnte ihn keine zwei Sekunden mustern, da hatte er meinen Blick bereits bemerkt. Eilig sah ich zu Boden. Treffer. Ob ich das zu meinem Vorteil nutzen könnte?

  

  »Ich spüre Muskeln, die ich noch gar nicht kannte.«

  »Pffft, Anfänger. Ich spüre überhaupt nichts mehr.«

  Das Abendessen fand vor der Veröffentlichung der Ergebnisse statt. Anspannung lag in der Luft. Trotzdem schaufelten wir in uns hinein, was die Theken hergaben. Der Tag hatte so viel Energie verschlungen, dass wir das kaum ersetzen konnten.

  Angefangen hatte der Spaß mit einem Zehn-Kilometer-Lauf. Danach hatte man uns mit Gewichten an den Füßen eine Wand hochklettern lassen und unser Reaktionsvermögen mit einer Maschine getestet, die verdammt harte Kunststoffbälle mit hoher Geschwindigkeit auf uns abfeuerte. Mein Körper sah aus wie ein impressionistisches Gemälde. Monet hätte für mich seine Seerosen sofort links liegen lassen.

  Anschließend hatte man mir beim medizinischen Check ungefähr zwei Liter Blut abgenommen und mich auf einem Simulator strampeln lassen. Zu guter Letzt war ich dann in einem speziell präparierten Container gelandet, um zu zeigen, wie mein Körper auf Wärme, Kälte, Trockenheit und wechselnde Luftfeuchtigkeit reagierte. Die halbe Stunde, die ich dort verbracht hatte, war mir vorgekommen wie Jahre.

  »Wie ist deine Gruppe?«, fragte mich Jye und sah von seinem synthetischen Steak auf. Es war bereits der Nachschlag. Die erste Portion hatten wir während der Diskussion um die größte Folter des Tages verputzt. Ich war für die Klimakammer, Jye für die Ballmaschine.

  »Die Leute sind in Ordnung.« Ich hatte sowohl nette als auch ehrgeizige Mitstreiter. Aber wir hatten uns irgendwann alle eine Welt gewünscht, in der Sport statt Technologie verboten wäre. Das verband. »Und bei dir?«

  »Auch. Ein paar Angeber, aber die sind harmlos.« Jye schielte auf meinen Teller. Ich warf ihm einen warnenden Blick zu.

  »Vergiss es.« Bei Essen verstand ich keinen Spaß.

  Er grinste. »Du bist futterneidischer als ein Phobe vor einem Sack Quinoa.«

  Ich lachte. »Sehr richtig. Wenn du mit drei gefräßigen Geschwistern zusammenlebst, lernst du das.« Ich schnitt trotzdem ein Stück von meinem Fleisch ab und legte es auf seinen Teller. »Da, bevor du mir verhungerst.«

  Jye strahlte wie ein kleines Kind und schob sich den großen Bissen auf einmal in den Mund.

  Ich beugte mich vor. »Hast du andere von uns gesehen?«

  Er schüttelte den Kopf.

  »Nein. Aber damit geht man ja nicht hausieren. Und wenn –« Er wurde unterbrochen. Die Lautsprecher gingen mit einem lauten Piepton in Betrieb.

  »Die Ergebnisse werden nun veröffentlicht. Bitte begeben Sie sich in den vierten Stock.«

  Tabletts klapperten, Stühle scharrten, und ungefähr tausend Sohlen quietschten auf dem Boden. Die Eifrigsten hetzten zur Tür, wir folgten etwas gemächlicher. Jye sah den Leuten nach.

  »Du machst dir Sorgen«, stellte ich fest.

  »Natürlich mache ich mir Sorgen. Jeder hier sollte das. Wir ganz besonders.« Seine Augen suchten nach der nächsten Kamera.

  »Es ist zu laut hier«, beruhigte ich ihn. »Die können uns nicht hören.«

  Jye schüttelte trotzdem den Kopf und ging weiter. Ich legte meine Hand auf seinen Rücken und strich sanft darüber. Wann würden wir noch mal Gelegenheit haben, offen zu reden? Wenn es nur einer von uns schaffte, würden wir uns sehr lange nicht wiedersehen.

  Wir kamen mit dem letzten Schwung im vierten Stock an und konnten die riesigen Screens vor der VIP-Loge erkennen. Sie waren schwarz.

  »Was lernen wir daraus?«, ertönte eine fremde Stimme neben mir. »Hektik lohnt sich nicht.«

  Ich drehte mich um, als Jye antwortete.

  »Das sah heute Morgen beim Lauf aber ganz anders aus«, meinte er. »Phee, das ist Troy, er ist in meiner Gruppe. Troy, das ist Ophelia, wir kommen beide aus Brighton.«

  Als ich Troy die Hand schüttelte, sah ich in rehbraune Augen, die perfekt zu seinen karamellfarbenen Haaren passten. Wenn er lächelte, bildeten sich zwei vollkommen symmetrische Grübchen. Er war groß, trainiert und gut aussehend – und wusste das auch.

  »Hocherfreut.« Er sah zwischen Jye und mir hin und her.

  »Wir sind kein Paar«, sagte ich. »Du kannst dein Glück bei Jye gern versuchen.«

  Troy sah einen Moment verdutzt aus, dann lachte er.

  »Das klingt nach einer guten Idee. Aber ich bin sicher, du und ich wären eine bessere.« Er sah mir tief in die Augen.

  »Eine beeindruckende Prognose, wo wir uns doch erst zwei Sekunden kennen.« Mein Tonfall war locker, aber ich wusste jetzt schon, dass ich Troy nicht mochte. Obwohl er so perfekt zu sein schien, war etwas an ihm falsch.

  »Vielleicht habe ich ja ein Gespür für diese Dinge.«

  »Ja, ganz sicher«, sagte ich mit leiser Ironie.

  Jemand rief Troys Namen und er winkte. Dann verneigte er sich in meine Richtung. »Mein Typ wird verlangt. Hat mich sehr gefreut, Ophelia. Ich bin sicher, wir sehen uns wieder.«

  Auch das noch. »Morgen beim Essen? Könnte voll werden. Kein Ahnung, ob ich dich da finde.«

  Seine Augen funkelten.

  »Nein, in Maraisville. Ich weiß, dass ich es dorthin schaffe. Aber dass du dort sicher auch dabei sein wirst, motiviert mich.«

  Jetzt musste ich lachen. »Wir werden sehen.« Was für ein Idiot.

  »Werden wir.« Troy grüßte Jye, dann verschwand er in der Menge. Ich spürte den Blick meines Freundes auf mir.

  »Was?«

  »Nichts. Ich glaube nur nicht, dass er verstande
n hat, wie wenig er dein Typ ist.«

  Ich dachte an Knox und spürte die Sehnsucht an meinem Herzen ziehen. »Keine Sorge. Sollte es nötig sein, werde ich ihm das schon klarmachen.«

  »Davon bin ich überzeugt.« Jye grinste.

  In dem Moment tauchten die Ergebnisse auf.

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  234 – Die Umrisse von Crocket Island

  235 – Lexies Rankentattoo am Knöchel

  236 – Das Muster an Fleurs Wand

  Seit einer Stunde betrachtete ich die Risse in der Zimmerdecke über mir. Im Licht der Laternen des King-George-Parks sahen sie aus wie Tinte, von einer unsichtbaren Hand auf den Putz gemalt. Ich suchte nach Mustern und gab ihnen Nummern, um sie zuzuordnen. Es war eine Ablenkung. Bloß nicht an morgen denken.

  Viele unserer Mitstreiter, darunter auch Alice und Reck, waren nach der Veröffentlichung der Ergebnisse nach Hause geschickt worden. Ich lag im oberen Drittel des Bewerberfeldes, Jye war deutlich vor mir. Er prahlte nicht damit. Wir wussten, dass seine Stärke der physische Part war, während ich am zweiten Tag punkten konnte. Am Ende reichte es vielleicht für uns beide.

  Im Kopf ging ich den Terminplan durch. Der Intelligenztest und die Gruppenphase waren kein Problem – ich hatte gehört, dass es darum ging, in Rollen zu schlüpfen und als Team zu funktionieren. Aber über die Abschlussprüfung war bisher nichts durchgesickert. Das gefiel mir nicht.

  Ich drehte mich auf die eine Seite, dann auf die andere, schließlich wieder auf den Rücken. Irgendwann entschied ich, dass ich nicht müder wurde, wenn ich die Decke anstarrte. Vorsichtig schwang ich meine Beine über die Kante des Bettes und sprang hinunter. Jye grunzte im Schlaf. Ich zog mich leise an, band meine Haare zusammen, löste die Nummer vom Ärmel und schob mir die Kapuze über den Kopf. Nachts blieb ich lieber inkognito.

  Es war still auf den Gängen, dunkel und kalt. Ich schlug keinen besonderen Weg ein, sondern lief einfach in irgendeine Richtung. Außer mir war niemand unterwegs, und es brannten nur wenige Lampen, die den Flur spärlich ausleuchteten. Ich mochte die Atmosphäre. Sie gab mir das Gefühl, vollkommen allein im Stadion zu sein.

  Bald sagte mir der Geruch nach kaltem Fett und Gebratenem, dass ich in der Nähe des Speisesaals gelandet war. Die leeren Tische und Stühle bildeten im Halbdunkel ein groteskes Muster, die Flächen der Ausgabestellen glänzten matt. Von hier war es nicht mehr weit bis zur VIP-Loge. Wenn man deren Screens nicht abgeschaltet hatte, könnte ich mir ein paar Namen und Ergebnisse einprägen. Vielleicht wäre das morgen nützlich.

 

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