by Nikola Hotel
In meinem Bauch hatte sich ein unendlich warmes Gefühl aufgebaut. Mit wie viel Hingabe er es spielte! Das war sein Abschiedsgeschenk an Sergius, schoss es mir durch den Kopf. Ich hatte geglaubt, dass keine Tränen mehr in mir vorhanden wären, dass ich mich in den letzten Tagen einfach leer geweint hatte, aber nun wurde ich eines Besseren belehrt.
Ich räusperte mich. »Das ist … von Sting«, antwortete ich heiser.
EPILOG
ISABEAU
»Ich habe dir so viel zu beichten«, sagte ich, »ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.«
Ich lag auf dem viel zu kurzen Sofa im Salon von Alexejs Großmutter, und Alexej hatte eine Decke über mir ausgebreitet. Eben war mir noch furchtbar schwindelig und übel gewesen, aber unter Alexejs Fürsorge fühlte ich mich von Minute zu Minute wohler.
»Wie wäre es mit einer Liebesbeichte? Dafür wäre ich aktuell sehr empfänglich.« Alexej wischte mir mit einem Waschlappen zärtlich über die Stirn. »Und wir würden auf Nummer sicher gehen, nur für den Fall, dass du mir unter den Händen wegstirbst.«
Er sagte es neckend, aber mir blieb das Lachen in der Kehle stecken.
»Versprichst du mir, dass du nicht sauer auf mich sein wirst?«
Er schüttelte den Kopf, was er aber sagte, war: »Wie könnte ich?«
»Ich habe dich hintergangen«, sagte ich. Und als Alexejs Augen sich weiteten, fuhr ich hastig fort. »Ich habe heimlich dein Blut untersuchen lassen, als du von diesem Habichtweibchen angegriffen worden bist. Die Kompresse, ich habe sie an das Labor geschickt, an das wir immer unsere Proben abgeben. Ich weiß, dass ich das nicht hätte tun dürfen, und es tut mir unendlich leid, dass ich dich vorher nicht um Erlaubnis gefragt habe.«
»Bože!«, stieß Alexej zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Und ich dachte schon, es wäre etwas wirklich Schlimmes. Isabeau, du lässt mich um Jahre altern, wenn du mir so einen Schrecken einjagst.«
»Du findest das nicht schlimm?« Ich konnte es kaum fassen, dass sich meine Sorge, die ich nun schon so lange mit mir herumschleppte, plötzlich einfach in Luft auflösen sollte.
»Ich hatte zumindest mit etwas gerechnet, das mehr in der Größenordnung eines Mordes anzusiedeln wäre.« Er zwinkerte, aber mir entging nicht, dass er nervös war. Etwas, das er mich sonst nie sehen ließ.
»Es waren insgesamt drei Proben«, gestand ich ihm. »Erst von Ferenc und dann von Sergius und dir. Sergius hatte doch diese Kopfverletzung«, erinnerte ich ihn. »Ich hatte ihn verbunden und dann die Tupfer verwahrt.«
Alexej nickte langsam. »Ich wünschte, du würdest mir endlich mitteilen, worauf du hinauswillst. Mich gruselt die Vorstellung, dass etwas an unserem Blut noch anormaler ist, als ich ohnehin schon angenommen hatte. Oder noch schlimmer: dass mein Blut mit dem von Sergius irgendwelche Gemeinsamkeiten aufweist.« Er gab mir einen Kuss auf die klamme Stirn und legte den Waschlappen endgültig beiseite.
»Das ist es ja gerade. Bei allen drei Proben hat das Labor dasselbe entdeckt. Zum einen, dass die Erythrozyten eine atypische Form haben, die in eurem Fall aber offenbar nicht krankhaft ist.«
»Was für ein Glück.«
»Und eben vor dem Konzert habe ich mit Roman vom Labor telefoniert. Er hat seit Tagen versucht, mich zu erreichen, aber weil ich mein Handy nicht gefunden habe, hatte ich davon nichts mitbekommen. Er hat festgestellt, dass an eurem Blut eine Art Virus hängt. Aber offenbar hat er keine Auswirklungen auf eure Gesundheit.«
Wenn ich genau darüber nachdachte, klang das absolut albern. Schließlich sorgte dieses Blut dafür, dass Alexej sich in einen Kolkraben verwandelte. Wenn das keine Auswirkungen auf seine Gesundheit bedeutete, dann wusste ich auch nicht.
»Ich habe Sergius geküsst«, sagte ich, und mir schoss die Hitze in den Kopf. »Es tut mir leid. Ich wusste nicht, wie ich ihm das hätte abschlagen sollen.« Meine Augen brannten, und ich vermied es, Alexej anzusehen. »Ich war mir erst nicht sicher, aber im Nachhinein glaube ich, dass er es mit Absicht getan hat. Alexej«, meine Stimme zitterte, »er hat mich gebissen. Es hat nicht wirklich wehgetan. Nur … meine Unterlippe hat ein wenig geblutet. Und jetzt dieses Fieber, ich glaube, dass dieser Virus aus eurem Blut mich krank macht.«
»Isabeau.« Alexej holte tief Luft. »Das ist doch lächerlich. Denkst du nicht, du hättest dich dann in den vergangenen Monaten schon längst bei mir angesteckt, wenn dieser angebliche Virus wirklich existieren würde?«
»Nicht, wenn er sich nur über das Blut überträgt. Sergius hat geblutet, und ich ebenfalls. Es ist möglich, dass sich unser Blut miteinander vermischt hat. Es ist sogar sehr wahrscheinlich.«
»Nun gut«, sagte er. »Aber gehen wir einmal davon aus, dass dieser Virus nicht viel anders ist als jeder andere Virus. Dann wirst du ein paar Grippesymptome bekommen, und spätestens in ein oder zwei Wochen bist du wieder gesund.«
»Und wenn nicht?« Ich wagte kaum, weiterzusprechen. Was Roman mir eben am Telefon gesagt hatte, konnte nichts bedeuten oder eben auch alles. Ich wusste nur, dass ich entsetzliche Angst davor hatte, was es bedeuten könnte.
»Roman hat einige Tests durchgeführt. Diese Blutkörperchen sind außergewöhnlich stabil. Und wenn man sie mit fremdem Blut zusammenbringt, dann –«
»Ich weiß nicht, ob ich dir folgen kann. Bedeutet das, du –«
»Das Virus verändert die fremden Blutzellen, Alexej.« Meine Stimme überschlug sich fast vor Panik. »Alle Erythrozyten, die mit dem Rabenblut zusammentreffen, verändern ihre Form. Sie nehmen dieselbe Form an wie das Blutkörperchen, das den Virus getragen hat. Hörst du? Es verändert normales, gesundes Blut und verformt es wie eures.«
In Alexejs Gesicht zeichnete sich Entsetzen ab. Ich konnte förmlich sehen, wie seine Gedanken rasten. Dann blies er heißen Atem aus. »Ich muss zugeben, dass mein Biologieunterricht wesentlich länger zurückliegt als deiner, aber verbessere mich, wenn ich falschliege: Rote Blutzellen leben nur ein paar Wochen und werden dann in der Milz abgebaut, ist das richtig?«
Ich nickte.
»Dann hast du nichts zu befürchten, Isabeau. Oh mein Gott.« Er presste seine Stirn an meine und hielt mich fest. »Dir kann nichts passieren. Mach dir keine Sorgen. Auch wenn du jetzt vielleicht für ein paar Tage Fieber hast, die befallenen Blutzellen werden schon bald absterben. Und sobald die Zellen abgebaut wurden, die diesen Virus tragen, können sie auch deine roten Blutkörperchen nicht mehr verändern.«
»Das stimmt.« Eine Welle der Erleichterung schwappte über mich hinweg. Das hatte ich gar nicht bedacht. »Und ich hatte schon solche Angst«, sagte ich.
»Ich könnte Sergius umbringen, wenn er nicht schon tot wäre«, raunte Alexej. Er küsste mich. »Ich wüsste nicht, was ich tun würde, wenn du dich … wenn du das erleben müsstest, was ich erlebt habe. Ich wüsste nicht, was ich tun würde«, wiederholte er.
Diese Lösung, die Alexej mir bot, klang völlig logisch, und ich spürte, wie ich mich entspannte. Nur ein paar Tage Fieber.
Danach würde alles so sein wie zuvor.
DANKSAGUNG
Liebe Leserinnen und Leser,
ich danke Ihnen sehr für Ihre Lesezeit und dafür, dass so viele von Ihnen mich immer wieder mit Nachrichten und E-Mails motiviert und nach einer Fortsetzung gefragt haben. (Es hat gewirkt!)
Ich danke meiner Familie für ihre Toleranz und ihre Nachsicht mit einer gedanklich ständig abwesenden Rabenmutter.
Tausend Dank an Vera und Lars, Maggi und Jochen dafür, dass sie so oft spontan eingesprungen sind, um meinen jüngsten Sohn zu hüten, damit ich meinen Abgabetermin wenigstens einigermaßen einhalten konnte.
Jochen, dir danke ich besonders für deine kompetenten Antworten auf meine laienhaften Fragen. Danke, dass du dich auf diese verrückte Idee eingelassen hast, alles medizinisch korrekt erklären zu wollen, auch wenn es erstunken und erlogen ist. Du bist der netteste Kardiologe der Welt. (Und ich kenne mindestens … also … zwei!) Alle medizinischen Ungereimtheiten, die sich eventuell in den Roman eingeschlichen haben könnten, gehen jedoch vollständig auf meine Kappe.
Danke an Sandra und Rainer, die dafür gesorgt haben, dass ich spontan eine Rechercher
eise nach Südböhmen unternehmen konnte. (Mein Liebster hat gesagt, es tue auch längst nicht mehr weh.)
Danke an meine lieben Kolleginnen Marah, Katrin, Kira, Dana und Hannah für die schönen Hotelnächte in Frankfurt und für eure tollen Ideen, die ihr zum Roman beigesteuert habt. (Auch wenn ich mich fast gar nicht daran gehalten habe, weil Sergius und Alexej ihren eigenen Willen hatten, verzeiht mir das.)
Danke an das wunderbar engagierte Team von Amazon Publishing, das genau weiß, wie man eine Autorin glücklich macht!
Und wie immer danke ich den vielen grandiosen Komponisten und Musikern, ohne die ich nicht eine Zeile zu Papier hätte bringen können. Diesmal waren es vor allem: Sergej Rachmaninov, Maurice Ravel, Abel Korzeniowski, Max Richter, Dustin O’Halloran, Chilly Gonzales und natürlich Sting.
Um Verzeihung bitten muss ich dafür, dass ich die Wasserburg Orlík ganz nach meiner Fasson angepasst habe. So ist zum Beispiel die Kapelle so winzig, dass man unmöglich einen Flügel darin unterbringen könnte. Die Waffen Kaiser Franz Josefs und des russischen Zaren hängen jedoch tatsächlich dort an der Wand.
Mal wieder habe ich mir sowohl die Namen als auch die Wappen bedeutender Adelsfamilien Böhmens, Ungarns und Polens unter den Nagel gerissen. Der Rabe ist dort tatsächlich abgebildet, die genannten Personen habe ich jedoch den Familien angedichtet, man möge mir das nachsehen.
Zu guter Letzt: Füttern Sie Vögel! Es sind die faszinierendsten Tiere unserer Erde. Auch Rabenvögel sind Singvögel und dürfen artgerecht gefüttert werden. (Das Rabenpaar, das seit vielen Jahren unseren Garten besucht, liebt zum Beispiel hart gekochte Eier, Mais, Wal- und Erdnüsse.) Sie werden dafür – das kann ich Ihnen versprechen – mit einem herrlichen Spektakel im Garten belohnt.
Sehr dankbar bin ich dem Biologen und Verhaltensforscher Bernd Heinrich für seine inspirierenden Bücher Die Weisheit der Raben und Die Seele der Raben. Durch seine Neugierde und Experimentierfreude hat er mir die Wolfsvögel besonders nahegebracht.