by Kira Mohn
Bisher hat Haven den Blickkontakt kein einziges Mal unterbrochen, jetzt schaut sie zum Fenster, und als sie mich wieder ansieht, wirkt sie ein wenig hilflos. «Ich weiß es gar nicht so genau», sagt sie. «Ich habe einfach das Gefühl, es wäre gut.»
«Ach, Haven.» Ich atme aus. «Es tut mir leid, aber ich glaube wirklich nicht, dass das funktionieren würde.»
Sie nickt. «Okay. Schade.»
Ein paar Sekunden lang sitzen wir schweigend da.
«Wie weit seid ihr denn jetzt eigentlich mit eurer Urlaubsplanung?», frage ich schließlich. «Was steht bei euch nach den Niagarafällen auf dem Programm?»
Während Haven mir den Gefallen tut und zu erzählen beginnt, bemühe ich mich, ihren Worten zu folgen und nicht darüber nachzudenken, wie es wohl wäre, mit jemandem wie Cayden tagelang durch einen Wald zu laufen.
«Was hat Cayden eigentlich dazu gesagt?», unterbreche ich Haven mitten im Satz und fühle mich im selben Moment unhöflich und peinlich berührt zugleich. Nachdem ich mehr als deutlich gemacht habe, dass ich mir eine Wandertour mit Cayden nicht vorstellen könnte, sollte es mich auch nicht interessieren, wie er das sieht.
«Er hat gesagt, er würde mitkommen.»
«Was?» Hätte Haven geantwortet, Cayden lache immer noch über diese Idee, würde ich nicht nachhaken, aber … «Das hat er echt gesagt?»
«Hat er.» Sie wartet einen kurzen Moment, bevor sie fragt: «Ändert das etwas?»
«Nein», erwidere ich. «Nein, natürlich nicht.»
Cayden
Eigentlich habe ich diesem Filmabend nur zugestimmt, weil Rae dabei ist. Rae, die offenbar ziemlich klar zum Ausdruck gebracht hat, dass sie nicht mit mir auf eine blöde Wanderung will, selbst wenn sie ohne mich darauf verzichten muss und ich weit und breit die einzige Alternative darstelle.
Und ich dachte in offenbar grandioser Selbstüberschätzung, es sei allein meine Entscheidung, ob wir gemeinsam losziehen oder nicht.
Auch mal spannend, und ich gebe zu, ich bin neugierig. Neugierig darauf, mir die Frau noch einmal etwas genauer anzusehen, mit der ich mich bei unserem letzten Zusammentreffen immerhin ganz normal unterhalten habe. Zumindest war das mein Eindruck. Ihrer offenbar nicht.
Als es an der Haustür klingelt, steigt Jackson die Wendeltreppe hinunter, um Rae und vor allen Dingen Haven in Empfang zu nehmen, während ich mir eine weitere Handvoll Chips in den Mund schiebe und über die Filmauswahl nachdenke. Diesmal haben die drei sich von vornherein auf zwei Streifen geeinigt, und Rae wird im Anschluss wieder hier übernachten.
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir uns einfach die dritte Staffel von Jessica Jones angesehen. Leider geht es nicht nach mir, weshalb mit A Star Is Born und Der Club der toten Dichter eine einigermaßen aktuelle Schnulze und ein uraltes Drama auf dem Programm stehen, von Letzterem habe ich bisher noch nicht einmal gehört. Ich habe mir die Kurzinfos zu beiden Filmen angesehen und hätte weder den einen noch den anderen auch nur in die engere Wahl genommen. Natürlich hat Rae sie vorgeschlagen – ich wette, mit Serien kann sie nichts anfangen.
«Hi.»
Sie ist die Erste, die über die Wendeltreppe ins Wohnzimmer kommt, und ich erwidere ihr eher knappes Lächeln mit einem breiten Grinsen.
«Hi. Wie geht’s?»
«Gut.»
Sie sieht sich um, als bereue sie, nicht auf Haven und Jackson gewartet zu haben, aber klar, wer will schon Däumchen drehend danebenstehen, wenn zwei Leute sich küssen. Ihre blauen Haare fallen über ihre nackten Schultern. Sie trägt ein enges Spaghetti-Top zu einer abgeschnittenen Jeans, und ich wette, ihre knöchelhohen Boots stehen unten bei der Haustür. Rae ist eindeutig nicht der Typ Frau, der Riemchensandalen tragen würde.
«Mit welchem Film fangen wir an?» Ich setze mich in die Ecke des L-förmigen Sofas, auf den Platz, auf dem ich immer sitze. «Liebestragödie oder Internatstragödie?»
«Mir egal. Was wäre dir lieber?»
«Bringen wir als Erstes das Liebesdrama hinter uns.»
Rae, die gerade noch ein wenig unschlüssig vor dem Sofa stand, setzt sich ans äußere Ende der längeren Seite.
Jeez, sie mag mich wirklich.
«Gibt’s heute nirgendwo Partys?», fragt sie.
«Keine Ahnung.» Ich beuge mich vor, um an die Chips zu kommen. «Wieso? Wenn dir mehr nach Party wäre, treibe ich irgendwo bestimmt etwas Passendes für uns auf.»
Sie zieht die Schale mit den Tortillas näher zu sich heran, und während sie gleichzeitig nach einem der danebenstehenden Dips greift, wird ihr Lächeln plötzlich besonders liebenswürdig. «Danke für das Angebot, aber nein. Überfordern dich Tragödien emotional? Wir könnten uns stattdessen auch irgendeinen netten Tierfilm ansehen.»
«Gute Idee. Solange sich dabei niemand verliebt, kann es eigentlich nur besser werden.»
«Entschuldige, hätte ich gewusst, dass du dir bei Kussszenen die Augen zuhältst, hätte ich Paddington Bär vorgeschlagen.»
«Fürs nächste Mal weißt du Bescheid», lasse ich ihr Gestichel ins Leere laufen, was Rae dazu bringt, die Augen zu verdrehen. Vielleicht hätte sie darauf noch etwas erwidert, doch in diesem Moment kommen Jackson und Haven nach oben.
«Hi, Cayden», ruft Haven. «Schön, dass du auch mal dabei bist.»
Na, diese Freude teilen hier garantiert nicht alle.
«Habt ihr schon entschieden, was wir als Erstes gucken?» Haven lässt sich zwischen Rae und mich fallen.
«Cay will zuerst A Star Is Born sehen», erwidert Rae. «Er mag Liebesfilme.»
Die Tatsache, dass Haven mit Ironie noch immer nicht besonders gut klarkommt, obwohl sie mittlerweile seit acht Monaten in Edmonton lebt, führt dazu, dass nur Jackson die Augenbrauen hebt und mir einen irritierten Blick zuwirft.
«Absolut», bestätige ich. «Und sollte ich mittendrin einschlafen, weckt mich, damit ich nicht die besten Szenen verpasse.»
Jacksons Brauen senken sich wieder. «Okay, was wollt ihr trinken? Cola, Wasser, Bier?»
«Oder Drinks, die dazu beitragen, die heutige Filmauswahl noch mehr genießen zu können?», ergänze ich und grinse Rae an, die mir nur einen giftigen Blick zuwirft.
«Wasser», sagt Haven, und Rae schließt sich an.
«Ich mach mir selbst was zurecht», beschließe ich und folge Jackson in die Küche, der sich dort ein Bier aus dem Kühlschrank nimmt. Wasser steht selbstverständlich bereits im Wohnzimmer – wird ja bestimmt ein mitreißender Abend. Kurz überlege ich, ob ich wirklich unbedingt dabei sein will, bevor ich mir einen Wodka Lemon mixe und zu meinem Platz zurückkehre. Doch, ja. Eventuell sieht Rae das nicht so, aber ich finde den Schlagaustausch zwischen ihr und mir eigentlich ganz lustig.
Wie erwartet zieht A Star Is Born alle Register auf der großen Schnulzendrama-Skala. Von Liebe auf den ersten Blick über Verzweiflung, langen Diskussionen und großer Aufopferung ist alles dabei.
«Oh nein», flüstert Haven, als der abgehalfterte Musiker schließlich in der Garage verschwindet, und kramt nach Taschentüchern, während mit einem letzten Lovesong noch einmal auf die Tränendrüsen gedrückt wird.
Rae weint nicht, aber ich nehme nicht an, dass sie diesen Film ausgewählt hat, weil es ihr darum geht aufzuzeigen, welche Stereotype bei solchen Geschichten immer und immer wieder auftauchen. Haven hat den Kopf gegen Raes Schulter gelegt, rotes Haar vermischt sich mit blauem, während Jackson ähnlich unbeeindruckt wie ich dabei ist, die letzten Chips zu eliminieren.
«Oh Gott, wie traurig», fasst Haven zusammen. «Ich hatte so auf ein gutes Ende gehofft. Wie fandet ihr ihn?»
Jackson räuspert sich, greift nach der leeren Chipsschüssel und steht auf. «Jo», sagt er und beweist damit geradezu unfassbares diplomatisches Geschick.
«Du mochtest ihn nicht?», ruft Haven ihm hinterher.
«Doch, er war schon okay», entgegnet Jackson und verschwindet in der Küche, wo man ihn herumrascheln hört.
«Und du? Wie gefiel er dir?», wendet Haven sich an mich.
«Na ja. Er war jetzt nicht sonderlich überraschend.»
«Aber darum geht es nicht», mischt Rae sich ein. «Die Lebensg
eschichten von zwei Menschen müssen nicht unbedingt überraschend sein, damit sie einen bewegen.»
«Was bewegt dich denn daran?», will ich wissen und meine diese Frage ehrlich.
«Ich glaube, der Kampf zwischen dem, was man fühlt, und dem, wovon man denkt, dass es richtig ist», sagt Rae überraschenderweise genauso ehrlich. «Und wie sehr es einen zerreißt, wenn man das nicht zusammenkriegt, und … na ja … wie wenig man dagegen tun kann, wenn man sich wirklich verliebt.»
«So wie ich das sehe, ist die Frau in dem Film die ganze Zeit eher ihrem Gefühl gefolgt», sage ich. «Und bei dem Typen war es wohl mehr ein Kampf zwischen dem, was er fühlte, und seiner Sucht. Davon abgesehen halte ich es nicht gerade für den größten Liebesbeweis aller Zeiten, in eine Garage zu gehen und …»
«Ja, klar», unterbricht mich Rae und sieht etwas verkniffen aus. «Sie war mental stärker als er, schon allein weil er körperlich so kaputt war, aber sie haben doch beide ständig mit dem gekämpft, was sie füreinander empfinden, und dem, was sie karrieremäßig wollten.»
«Sie wussten beide ganz genau, was sie füreinander empfinden, und sie wussten auch, wie viel sie dem anderen bedeuten. Das hätten sie locker mit ihrer Musikerlaufbahn in Einklang bringen können. Das eigentliche Problem war doch, dass seine Karriere zu Ende war, er deshalb zu viel getrunken hat und sie durch seine Sucht nicht mit runterziehen wollte.»
Ich mustere kurz den Inhalt des Glases in meiner Hand, bevor ich den Rest darin austrinke. Nett. In einem Film wäre das jetzt eine Schlüsselszene. Allerdings glaube ich nicht, dass es allzu viele Parallelen zwischen der Filmfigur Jack und mir gibt, weder was seine verlorenen Ziele noch was seinen Alkoholkonsum betrifft. Mag sein, dass ich mehr trinke als andere, aber die totale Volldröhnung gebe ich mir fast nie. Andererseits bekommen angehende Alkoholiker es vermutlich höchst selten mit, dass sie sich bereits auf einer Art Vorstufe befinden.
«Du hast recht», räumt Rae ein, und erstaunt sehe ich auf. «Eigentlich war seine Sucht das größte Problem. Sonst hätte es vielleicht ganz gut geklappt zwischen den beiden.»
Bevor mir eine Antwort einfallen kann, kehrt Jackson mit der neu gefüllten Chipsschüssel und einem zweiten Bier zurück. «Ich wäre dann bereit für den nächsten Film.» Er stellt die Chips ab, setzt sich neben Haven und legt eine Hand auf ihren Oberschenkel, die sie mit ihrer umfasst.
«Moment, ich brauche auch noch was zu trinken.» Es fühlt sich latent trotzig an, aber ein zweiter Drink ist ja nun mit Sicherheit nicht gleich der Beginn einer traurigen Abwärtsspirale.
Eine halbe Stunde später unterdrücke ich ein allzu auffälliges Gähnen und werfe einen dezenten Blick auf die Uhr. Das ist ein verdammter Kinderfilm. Unsichere Jugendliche, die durch ihren Lehrer zu mehr Selbstvertrauen ermutigt werden, und das ausgerechnet durch Gedichte – allerdings scheine ich der Einzige zu sein, bei dem die Story nicht verfängt, selbst Jackson hat das Kauen eingestellt.
Dann allerdings rückt die Geschichte des Jungen Neil Perry stärker in den Vordergrund, und ich brauche keinen Psychologen, der mir erklären würde, warum sich meine Brust zunehmend enger anfühlt. Ein diktatorischer Vater, der seinem Sohn mit der Militärakademie droht – das ist mal eine fucking Parallele. Obwohl ich die ganze Zeit die billigen Mittel aufzählen könnte, mit denen der Film aufwartet, um emotionale Knöpfe zu drücken, bleibt an seinem Ende ein dumpfer Druck in mir zurück. Meiner Meinung nach hat Neil die Waffe gegen den Falschen gerichtet.
«Den fand ich sogar noch besser als den ersten.» In Havens Stimme liegt etwas beinahe Andächtiges.
«Das ist einer meiner Lieblingsfilme», sagt Rae. Herausfordernd sieht sie mich an. «Hat er dir auch nicht gefallen?»
Ich sehe kurz zu Haven, die sich in Jacksons Arme schmiegt, bevor mein Blick zurück zu Rae wandert. «Doch, war okay.»
Meine kaputte Beziehung zu meinem Vater ist mir bewusst, und im Allgemeinen belastet sie mich nicht wirklich. Ich war nur auf einem Internat, nicht ansatzweise vergleichbar mit Militärdrill, und dort bin ich gelandet, bevor irgendwelche Träume dadurch hätten zerstört werden können, aber …
Ich stehe auf, greife nach meinem Glas und gehe ohne ein weiteres Wort in die Küche.
Gerade noch hatte ich vor nachzuschenken, stattdessen stehe ich jetzt neben dem Kühlschrank und starre das blöde Glas an. Nur ein winziger Rest Flüssigkeit ist darin zurückgeblieben. Ich wünschte, es wäre schon voll, dann müsste ich jetzt nicht mit mir selbst kämpfen, ob ich es wieder füllen soll oder nicht.
Es war nur ein Film für Kinder und Jugendliche, erklärt mir mein Hirn. Mit Carpe-diem-Kalenderblattsprüchen, Herrgott.
Mein Vater wird demnächst irgendwann hier auftauchen. Würde ich ihm den Film zeigen, würde er auch Parallelen ziehen?
Fuck, nein. Würde er nicht.
8.
Rae
Ich liebe Haven, und ich mag Jackson, aber sobald die beiden sich küssen, ziehe ich es vor, woanders zu sein, und das ist der Grund, aus dem ich jetzt aufstehe und mit der leeren Wasserflasche hinter Cayden her in die Küche gehe. Sollte er irgendwann mal wieder bei einem Filmabend dabei sein, darf er sich aussuchen, was wir uns ansehen, und ich werde den ganzen Abend mit gelangweiltem Gesicht dasitzen, das steht mal fest. Einer wie er entscheidet sich vermutlich für Night Of The Living Dead, da dürfte mir das nicht weiter schwerfallen.
Als er mich hereinkommen hört, dreht er sich um, und erschrocken halte ich in der Bewegung inne. Er sieht aus, als könne er die Hauptrolle in einem solchen Film übernehmen. Seine ohnehin eher helle Haut wirkt beinahe weiß und seine dunklen Augen so leer, dass ich mich unwillkürlich frage, ob er gerade eine schreckliche Nachricht erhalten hat.
«Alles okay?», rutscht es mir heraus.
Es dauert ein paar Sekunden, bis der sonst so schlagfertige Cayden eine Antwort auf diese simple Frage findet.
«Sicher», sagt er schließlich, eine Antwort, die nicht ansatzweise zu seinem Gesichtsausdruck passt, genauso wenig wie das Lächeln, um das er sich jetzt bemüht.
«Ist was passiert?», hake ich nach. «Du siehst … irgendwie nicht gut aus.»
«Ich hätte nie gedacht, dass du jemand bist, der einen Menschen nach seinem Äußeren beurteilt», erwidert er, und ich bin fast erleichtert. Das klingt schon wieder nach dem Cayden, den ich kenne.
Noch immer allerdings wirkt er so, als habe ich ihn gerade aus einem Albtraum geweckt, und weil ich ihn so weder einfach stehenlassen noch ein drittes Mal nachfragen will, gehe ich an ihm vorbei und öffne den Kühlschrank. Sinnlose Übersprungshandlung, und ich spare mir die Mühe, etwas herauszuholen.
Cayden ist mir mit seinem Blick gefolgt. Langsam kehrt wieder etwas Farbe in sein Gesicht zurück.
«Suchst du was?»
«Nein, ich …»
Ich weiß genau, dass dich irgendwas gerade total aus der Fassung gebracht hat, und ich wüsste gern, was das war.
Keine Antwort, die man einem Typen wie ihm geben möchte. Zu viele Steilvorlagen. Und außerdem klingt es einfach nur neugierig.
«Habt ihr irgendwo Saft?», frage ich.
Mit zwei Schritten tritt Cayden zu mir und wirft einen Blick in den Kühlschrank. Statt ebenfalls hineinzuschauen, starre ich auf seine Brust, und als mir das bewusst wird, sehe ich auf. Cayden erwidert meinen Blick.
Es ist ein seltsam intimer Moment. Das helle Haar, das ihm in die Stirn fällt, wirkt zart und fedrig, und mich überkommt die absurde Sehnsucht, es ihm aus dem Gesicht zu streichen, nur um zu erfahren, ob es sich so weich anfühlen würde, wie es aussieht.
In seinen Augen jedoch schimmern noch immer Spuren der Qual, die vor wenigen Minuten in Wellen von ihm ausging, und mir fällt plötzlich das Atmen schwerer, weil ich dieses Gefühl so gut kenne. Die meisten Menschen nähern sich in ihrem ganzen Leben einem solchen Gefühl nur sehr selten an, und das ist gut so. Die Welt wäre ein sehr hoffnungsloser, grauer Ort, würden alle ihr Leben so dicht neben einem Abgrund leben. Cayden jedoch tut es. Und ich bin fast sicher, spätestens in diesem Moment erkennt er, dass wir das gemeinsam haben.
«Hier wäre Orangensaft», sagt er.
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bsp; «Bitte?»
«Wir haben Orangensaft. Danach hast du gerade gefragt.»
Das habe ich wohl. «Nehme ich.»
Als er eine Flasche aus dem Kühlschrank nimmt und sich abwendet, um ein Glas zu holen, atme ich einmal tief durch.
So ein Quatsch. Ich muss aufhören, solchen Blödsinn zu denken. Cayden und ein Leben am Abgrund, haha. Ich bin nicht so arrogant anzunehmen, dass jemand aus einem schwerreichen Elternhaus, der noch dazu so aussieht wie Cayden, tatsächlich keine ernsthaften Probleme haben könnte, aber … Moment.
Ich bin es offenbar doch.
Alles Geld der Welt könnte nicht wiedergutmachen, was in mir zerbrochen ist, seit Leah nicht mehr da ist. Und was mein Aussehen damit zu tun haben sollte – lächerlich, Rae.
Innerlich leiste ich Abbitte bei dem Kerl, der mir gerade mit forschendem Blick einen Orangensaft vor die Nase hält.
«Doch keinen Saft?», fragt er im selben Moment, in dem ich nach dem Glas greife.
«Bist du eigentlich ein Einzelkind?», will ich wissen.
Kurz ziehen sich seine Brauen irritiert zusammen, bevor sein Gesicht sich wieder entspannt und er so glatt und perfekt aussieht wie immer. «Ja.»
Die nächste Frage, die mir auf der Zunge liegt, verkneife ich mir. Schon immer gewesen? Es wäre eine bescheuerte Frage.
Jackson kommt in die Küche, an seiner Hand folgt ihm Haven, und ich trete automatisch ein Stück von Cayden zurück.
«Wir verziehen uns mal. Rae, brauchst du noch irgendwas? Wo die Handtücher sind, weißt du ja.»
Ich schüttele den Kopf. «Alles okay.»
«Dann gute Nacht.» Jackson wendet sich bereits wieder der Tür zu, aber Haven bleibt stehen.
«Und ihr? Guckt ihr noch einen Film?», fragt sie.
«Nein, ich denke, ich gehe auch ins Bett», erwidere ich, während Cayden nur mit den Schultern zuckt.
«Mal schauen», sagt er unverbindlich. «Sind ja noch Chips übrig.»
«Wir frühstücken morgen zusammen, oder?», will Haven noch wissen. «Wann musst du los, Rae?»