Wir sind der Sturm

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Wir sind der Sturm Page 17

by Bichon, Sophie


  Das Knistern von Folie, das Kondom, das ich ihm aus der Hand nahm und ihm überstreifte. Wortlos, weil kein Wort der Welt ausdrücken konnte, was ich in diesem Augenblick empfand. Denn da war dieser Blick, der mich noch mehr zum Zittern brachte, meinen Körper und mein ganzes Sein, Verlangen und Herz.

  In einer fließenden Bewegung setzte ich mich auf ihn, legte eine Hand auf seine Brust und drückte ihn nach hinten auf die Matratze. Und als Paul unter mir lag, ließ ich mich, den Blick auf sein schönes Gesicht mit den markanten Zügen gerichtet, langsam auf ihn sinken, mit den Händen auf seine Brust gestützt. Da waren feste Muskeln und das schnelle Pochen seines Herzschlags unter meinen Fingern. Da war die längliche Narbe an seinen Rippen, die mich daran erinnerte, dass es nicht selbstverständlich war, dass er lebte.

  Pauls Blick ruhte auf mir, mit einer Zärtlichkeit, die ich dort niemals vermutet hätte. Nicht mehr. Und als er tief in mich eindrang und mir dabei noch tiefer in die Augen sah, rückte etwas in mir an den richtigen Platz. In diesem Moment füllte er mich aus, füllte seine Leere meine aus. Wir zwei Teile, die ein Ganzes ergaben, zumindest hier in der Dunkelheit, in der dieser Mann und ich alles waren, was zählte.

  Pau l

  Louisa biss sich auf ihre vollen Lippen und schien den Atem anzuhalten, begann sich dann zu bewegen, ihre Hüften quälend langsam vor und zurück zu wiegen. Ich keuchte. Ein animalischer Laut, der mir bei ihrem Anblick unkontrolliert über die Lippen kam, bei dem unfassbaren Gefühl von mir in ihr.

  Unter halb gesenkten Lidern sah sie mit einem unstillbaren Hunger in den blauen Augen auf mich hinunter, weiche Schatten, die ihre langen Wimpern auf ihre Wangen zeichneten, die geschwollenen Lippen leicht geöffnet, und das Stöhnen, das ihnen entwich, hallte tief in mir nach. Es machte mich an, dass Louisa mich auf eine Art und Weise in sich aufnahm, wie auch sie selbst war: bedacht und tief. Und dabei so völlig versunken in das Gefühl von mir, in das beständige Auf und Ab.

  Der Schwung ihrer Brüste zeichnete sich gegen das silbrig schimmernde Licht des Mondes ab, dazwischen glänzten vereinzelte Wassertropfen auf ihrer Haut. Sie rannen zwischen ihren Brüsten herab, über ihre harten Nippel, die weiche Haut ihres Bauchs, bis sie schließlich auf meinen Händen landeten. Fest lagen sie an ihren Hüften, während sie mich in immer noch quälend langsamen Bewegungen in sich gleiten ließ, nur um ihre Hüften im nächsten Moment wieder anzuheben. Doch Louisa wurde drängender, mit jeder einzelnen Bewegung fordernder. Sie stöhnte unkontrolliert auf, die Augen geweitet, als sie mich mit jedem Mal tiefer in sich sein ließ. Gott, sie blickte zu mir hinunter, als wäre sie genauso überrascht wie ich von der Tatsache, dass das hier passierte.

  »Louisa«, stöhnte ich.

  Sie begann, sich schneller und schneller zu bewegen, ein immer treibenderer Rhythmus, während meine Hände über ihre Taille glitten, über ihren Bauch strichen, ihre Brüste umfassten, die sich in meinen Händen im selben Rhythmus wie sie bewegten. Himmel, sie so zu sehen, war das mit Abstand Heißeste, was ich je erlebt hatte, so wild und frei, so völlig in diesem Moment. Sie wiegte sich auf mir und die Laute, die tief aus meiner Brust kamen, wurden immer dunkler. Auf und ab, immer höher, immer weiter. Jede meiner Berührungen war fester als die davor, hemmungsloser und roher. Da war nur noch sie und das Gefühl, in ihr zu sein.

  Es kostete mich all meine Selbstbeherrschung, meine Hände nicht um ihren Hintern zu legen und ihre Bewegungen zu dirigieren, mir mehr und immer mehr zu nehmen von diesem Mädchen, das mich seit der ersten Sekunde um den Verstand gebracht hatte.

  Doch ich wollte, dass Louisa sich das nahm, was sie in diesem Moment brauchte. Gott, sie sollte nicht denken, dass ich sie nur noch einmal würde ficken wollen, dass das hier ein Spiel für mich war – nicht bei ihr. Niemals bei diesem Mädchen aus Feuer. In diesem gestohlenen Moment gehörte sie wieder mir, gehörte ich ihr. Sie und ich – so verdammt viel mehr, als ich verdient hatte, und alles, was jetzt zählte.

  Louisa beugte sich leicht zu mir nach vorn, stützte sich mit einer Hand neben meinem Kopf ab. Zerzauste, grelle Locken, die ihr ins Gesicht fielen. Sie schrie auf, als sie zuließ, dass ich noch tiefer in sie drang, und dann konnte ich nicht mehr an mich halten. Ein Blick in diese tiefblauen Augen und mir war klar, dass sie es wusste.

  »Ja«, raunte sie, noch bevor ich die Frage hatte formulieren können. »Bitte.«

  Und dann packte ich sie an ihren Oberschenkeln, hielt dieses Mädchen fest in meinen Händen und begann, mich mit ihr zu bewegen, während ihr Ozeanaugenblick unablässig auf meinem Gesicht ruhte.

  »Mehr, Paul …«, wisperte sie, und mehr brauchte ich nicht. Schneller, härter, tiefer. Immer wieder drang ich in sie ein, kostete das Gefühl voll und ganz aus. Louisas Finger bohrten sich fast schmerzhaft in meine Oberarme, während ich nur noch tiefer in sie stieß. Ein treibender Rhythmus, der mich zusammen mit der Hitze in ihren Augen um den Ve rstand zu bringen drohte. Immer höher, immer weiter. So kurz davor zu fallen. Und als Louisas Stöhnen immer lauter wurde, sie den Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken warf, war alles in mir kurz davor, zu explodieren. Weil diese Frau, die sich in diesem Moment auf mir bewegte, Louisa war, mein Feuermädchen, weil sie sich gehen ließ, weil sie mir genug vertraute, um sich mir so zu zeigen.

  Meine Finger bohrten sich in ihre Schenkel, wahrscheinlich drückte ich viel zu fest zu, doch sie beschwerte sich nicht. Ich zog Louisa an mich, auf mich hinunter, immer und immer wieder. Ich war so unglaublich kurz davor, mich endgültig in ihr zu verlieren, in ihr zu ertrinken.

  »Paul«, keuchte sie, fast ein Wimmern. Ein Flehen nach mehr, ein Flehen nach mir . Ihre Beine begannen, zu zittern, und ich hielt sie, hielt sie fest, während ihre Lider flatterten, doch sie sah mich weiterhin an, bis dieser lustverhangene, entrückte Ausdruck in ihrem Gesicht mir endgültig den Rest gab. Ein letztes Mal drang ich in sie ein. Ein harter Stoß und dann explodierte alles um mich herum, zersprang in tausend Teile. Ich löste mich unter diesem Mädchen auf, Welle für Welle für Welle, setzte mich langsam wieder zusammen.

  Louisa hielt meinen Blick fest, fast schon erstaunt, ein Moment für die Ewigkeit, dann erbebte auch sie auf mir, schrie meinen Namen, so laut und schön und echt.

  Zitternd sank sie auf meine Brust herab. Und ich hielt sie fest in meinen Armen, zog sie an mich.

  Wir atmeten schwer, fanden nur langsam zurück in die Wirklichkeit, zwischen dem Geräusch des Regens, der immer noch schwer gegen die Scheiben trommelte, das laute Pochen unserer Herzen. Sie vergrub ihren Kopf in meiner Halsbeuge, küsste die erhitzte Haut unter ihren Lippen.

  »Louisa«, flüsterte ich in ihre Locken. Meine Lippen, die über ihre grellen Haare strichen, ihre Schläfe, ihre warme Haut.

  Louisa . Immer und immer wieder.

  Louis a

  Das sanfte Licht des Mondes war immer noch das Einzige, das das Zimmer erhellte. Ein Schimmern auf zerwühlten Laken und meinen nackten Armen.

  Immer noch Nacht, doch der Regen hatte aufgehört. Erinnerungen an das Gefühl von Paul unter meinen Händen sickerten langsam in mein Bewusstsein durch, als ich von Sekunde zu Sekunde wacher wurde. Wie er tief in mich eingedrungen war, mich ausgefüllt hatte, wie er mich immer noch berührte, als könnte ich niemals zerbrechen. Er war roh gewesen und wild und gleichzeitig auf eine fast unerträgliche Art und Weise sanft, wie wir uns ununterbrochen in die Augen gesehen hatten, bei jedem einzelnen Stoß. Irgendetwas war da in seinem Blick gewesen. Ich seufzte, blinzelte und merkte sofort, was anders war. Pauls Arme um mich fehlten, diese starken Arme, in denen ich eingeschlafen war.

  Mit dem Rücken zu mir saß er an der Bettkante. Leicht nach vorn gebeugt, den Kopf in die Hände gestützt. Mondlicht fiel auf die Bilder auf seinem linken Arm. Paul schien wie versteinert, allein das Beben seiner Schultern zeichnete sich in dem schwachen Licht ab. Erst flüsterte ich seinen Namen, setzte mich dann auf. Das leise Rascheln der Bettdecke, als ich zu ihm nach vorn rutschte. Verunsichert streckte ich eine Hand nach ihm aus, strich ihm über den Rücken. Doch Paul reagierte nicht, alles, was ich spürte, war ein unablässiges Zittern unter meinen Fingerspitzen. Ohne die Berührung zu
unterbrechen setzte ich mich neben ihn, verunsichert und gleichzeitig besorgt. Vielleicht hätte ich einfach verschwinden sollen, statt mich der Müdigkeit und der Wärme in meinem Bauch hinzugeben.

  Denn mit diesem Mann zu schlafen war kein Abschied gewesen, kein letztes Mal, keine einmalige Sache – wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann hatte mir jede einzelne Sekunde etwas bedeutet. Noch immer glaubte ich, ihn auf meiner nackten Haut zu spüren, noch immer schwang in mir diese Mischung aus angenehmer Leere und Vollkommenheit nach.

  »Paul«, wisperte ich noch einmal und hatte mit einem Schlag wahnsinnig Angst, dass er mir gleich sagen würde, dass diese Nacht ein Fehler gewesen sei. Dass er mich gleich rausschmeißen würde, weil ich doch nur eine von vielen war und ich mir den sanften Ausdruck in seinen Augen eingebildet hatte. Doch da war dieses Gefühl in mir. Das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte.

  Vorsichtig legte ich also eine Hand an sein Gesicht, das vertraute Kratzen seines Bartes unter meinen Fingerspitzen. Und ich hob sein Gesicht an, bis er mir entgegenblickte. Der Mond schien durch das Fenster, betonte nicht nur jede Linie seiner markanten Gesichtszüge, sondern auch das Glänzen in seinen dunklen Augen. Schwimmendes Bernsteinbraun. Verwirrt hielt ich seinen Blick fest – und tatsächlich: Diesem wunderschönen, großen, starken Mann standen Tränen in den Augen. Und dann begann es, aus ihnen zu regnen. Einem Impuls folgend legte ich auch die andere Hand an sein Gesicht, links und rechts, um Tränen aufzufangen, von denen ich nicht wusste, woher sie kamen.

  Schockiert sah Paul mich an, als würde er erst jetzt realisieren, dass ich hier neben ihm saß und meine Hände sein Gesicht umfingen. Er wich meinem Blick aus, als aus lautlosen Tränen ein Zittern und Beben wurde, das seinen ganzen Körper zu durchdringen schien. »Scheiße, es tut mir so leid, Louisa!«, sagte er so leise, dass ich ihn beinahe nicht verstanden hätte. Und jedes einzelne, heiser ausgesprochene Wort war voller Schmerz. »Oh Gott, es tut mir so unfassbar leid!«, wiederholte er immer und immer wieder. Und mit jedem Mal klangen die Worte gequälter. Der Blick seiner Augen war dunkel und ernst, als hätten sie Dinge gesehen, die sie niemals hätten sehen sollen. Ein Blick, der die Stille zwischen seinen Entschuldigungen laut machte.

  Ja, er hatte sich mir gegenüber wie ein Arschloch benommen, er hatte mir nicht nur wehgetan, sondern mir das Herz herausgerissen, aber so gequält wie seine Entschuldigung klang, schlich sich immer lauter die Vermutung in meine Gedanken, dass es hier um mehr ging. Oder auch um etwas völlig anderes. Jetzt gerade war der Mann neben mir vollkommen nackt, nicht nur auf die offensichtlichste Art. Es war die ehrlichste, die verletzlichste und vielleicht kaputteste Version seiner selbst. Es war vier Uhr in der Früh, noch nicht morgen, aber auch nicht mehr ganz gestern. Und obwohl zwischen uns nichts geklärt zu sein schien, fühlte ich mich Paul genau in diesem Augenblick nah. So unfassbar nah.

  Langsam verschränkte ich meine Hände mit seinen. Und er ließ zu, dass ich ihn zurück auf das Bett zog. Er auf dem Rücken und ich, die sich eng an ihn schmiegte, ein Bein zwischen seinen, mein Kopf in seiner Armbeuge. Warme Haut an warmer Haut, meine Hand auf den festen Muskeln seiner Brust mit seinem beständigen Herzschlag unter meinen Fingern. Ich wusste mit absoluter Sicherheit, dass dieser Mensch mir nach wie vor die Welt bedeutete, sein Herz, das wahrscheinlich sogar noch zerbrochener war als mein eigenes. Egal, was inzwischen passiert sein mochte: Paul hatte mich so oft zusammengehalten, mich vor dem Auseinanderfallen bewahrt, und in diesem Moment wollte ich das Gleiche für ihn tun.

  »Ich habe es nicht gewusst, Louisa. Hätte ich es von Anfang an gewusst, dann hätte ich doch niemals … Ich hätte dich niemals …« Verzweifelt rieb er sich über das Gesicht, fuhr sich dann durch den Bart. Ich hob den Kopf, sah ihn an, und der Ausdruck in seinen Bernsteinaugen brach mir zusammen mit dem Anblick der immer noch darin schimmernden Tränen fast das Herz.

  »Louisa, ich wusste es wirklich nicht. Scheiße, du bist mein verdammtes Licht, du bist mein …« Seine Worte verloren sich in der Dunkelheit. Wovon sprach er? Was hatte er nicht gewusst? Hatte er wieder einen dieser Albträume gehabt, die ihn in manchen Nächten wachhielten, über die er aber nie sprach ?

  »Paul«, murmelte ich seinen Namen, weil ich nicht wusste, was ich hätte sagen sollen, fuhr ihm zärtlich und bedacht durch die vom Schlaf zerzausten Haare. In dieses eine Wort versuchte ich, all das hineinzulegen, was ich gerade dachte: Dass es okay war, zu weinen, dass es okay war, kaputt zu sein. Und dass es auch okay war, wenn seine Albträume nur langsam verschwanden.

  Doch von Sekunde zu Sekunde verstärkte sich das Gefühl, dass Paul gar nicht von der Tatsache, wie das mit uns zu Ende gegangen war, sprach. Dass es irgendetwas anderes sein musste, das ihn so quälte. Vielleicht war es diese eine Sache, wegen der er diese schlechten Träume hatte. Diese Sache, von der er mir an dem Thanksgiving-Wochenende hatte erzählen wollen. Diese Sache, über die wir letztendlich nie gesprochen hatten, weil ich gesagt hatte, dass es für mich keine Rolle spielen würde. Doch was sollte seine Vergangenheit mit mir zu tun haben?

  Ich griff nach der Decke und breitete sie über uns beiden aus, bevor ich mich erneut eng an Paul kuschelte. Wir zwei unter dem weißen Laken, zwei warme, nackte Körper, mit meinem Herz an seinem. Seines an meinem. Ein schützender Kokon, der die Welt aus- und uns beide einschloss.

  »Ich bin hier, okay?«, wisperte ich und zeichnete mit einer Hand Endloskreise auf seinen Oberkörper. Ich malte Geschichten, Gedanken und Gefühle, die ich nicht aussprechen konnte.

  »Ich bin hier, Paul.«

  Und vielleicht würde ich sogar bleiben, wenn du mich darum bittest.

  Tatsächlich beruhigten seine Atemzüge sich unter meinen Berührungen langsam, das Beben ließ nach, schien nicht mehr seinen ganzen Körper einzunehmen. Seine Arme zogen mich fester an sich, mein Gesicht an seiner Brust, seine Finger, die durch meine Locken glitten. Immer und immer wieder. Wir beide ineinander und in die Decke verschlungen, bis ich nicht mehr sagen konnte, wer sich an wem festhielt.

  Kurz bevor ich wieder einschlief, glaubte ich, ihn etwas murmeln zu hören, glaubte zu spüren, wie er seine Lippen für einen Moment an diese Stelle hinter meinem Ohr presste, fest und sanft zugleich, und ein Kribbeln auf meiner Haut.

  Ich liebe dich, Feuermädchen .

  Und auch wenn ich mir das sicher nur einbildete, seufzte ich mit einem warmen Hoffnungsschimmer im Bauch auf, irgendwo an dieser Schwelle zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen gestern und morgen.

  Schockherz

  11. KAPITE L

  Paul

  So hell und sanft die Sonne durch das Dach der Tannen fiel, so schwer und schnell trafen meine Füße auf den weichen Waldboden. Uitwaaien , hatte Louisa es einmal genannt, ein niederländisches Wort. Es hieß so viel wie allein im Wind laufen , um den Kopf freizukriegen. Mein Herz hämmerte unablässig gegen meine Rippen, schlug immer schneller – wegen der Steigung des gewundenen Weges, der tiefer zwischen die Bäume führte, vor allem aber wegen der Erinnerungen an die letzte Nacht, an all die Grenzen, die ich innerhalb kürzester Zeit nach und nach überschritten hatte. Der Moment, in dem Louisas Lippen sich warm auf meine gelegt hatten und sie mich sehnsüchtig geküsst hatte, hatte meinen Widerstand für gestohlene Stunden niedergerissen.

  Dass sie gegangen war, hatte ich gewusst, noch bevor ich heute Morgen die Augen geöffnet hatte. Rausgeschlichen wie ein verdammter One-Night-Stand, doch der Geruch nach ihr hatte in der Luft gehangen, an den Kissen, den Laken – und an meiner Haut.

  Ich hasste mich dafür, dass ich so unglaublich schwach gewesen war, meine Gefühle und diese Reue zerfraßen mich von innen, trieben mich immer tiefer in den Wald hinein. Es auf den scheiß Alkohol zu schieben, dass ich so gedankenlos mit Louisa geschlafen hatte, war einfach nur eine richtig schlechte Ausrede. Ich hatte einfach nicht nachgedacht, hatte mich in und mit ihr verloren. Das Schlimmste aber war, dass ich jede einzelne Sekunde, in der ich so tief in ihr gewesen war, genossen hatte. Dass es sich richtig angefühlt hatte. Sie auf diese Art zu spüren war wahnsinnig berauschend, sie auf mir kommen zu sehen überwältigend, und dieses Mädchen endlich wieder in meinen
Armen zu halten, absolut perfekt gewesen. Die Erinnerung an ihr Lächeln ließ mich meine Schritte beschleunigen. Gott, wie konnte sich eine Sache gleichzeitig so verflucht vollkommen und so erschreckend falsch anfühlen?

  Louisa hatte gestern Nacht sogar das Ausmaß meiner Verzweiflung gesehen. Beschissene Tränen, die sonst niemand zu Gesicht bekam. Sie hatte noch deutlicher vor Augen gehabt, wie kaputt und düster es tatsächlich in mir aussah. Mit Sicherheit hatte sie kein Wort von dem verstanden, was ich ihr da hatte sagen wollen, und doch hatte sie mir in ihrer sanften Art einfach das Gefühl gegeben, völlig in Ordnung zu sein. Ich hatte mir selbst versprochen, Louisa eine Erklärung zu liefern, stattdessen hatte ich alles nur noch schlimmer gemacht. Was für eine Widerspruch in sich und Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet sie die einzige Person war, die mich vergessen ließ, wer sie eigentlich war.

  Immer weiter trieb ich mich durch das Grün der Tannen, auch wenn meine Muskeln inzwischen brannten. Vielleicht tat ich es auch genau deswegen, weil das eine Art Schmerz war, auf den ich mich so viel leichter konzentrieren konnte. Das dumpfe Geräusch meiner Schuhsohlen auf dem Waldboden.

  Schritt.

  Tief Luft holen.

  Schritt.

  Ausatmen.

  Schritt.

  Kurz nicht denken und dann doch wieder.

  Wie hatte ich das tun können, wie hatte ich mich so mitreißen lassen können? Ich durfte sie nicht lieben und noch weniger durfte ich Louisa das Gefühl geben, dass sie von mir mehr erwarten konnte als diese eine Nacht. Je später es geworden war, desto mehr hatte sie sich mit all ihren Gedanken und Gefühlen vor mir ausgebreitet, auch wenn sie das meiste davon nicht ausgesprochen hatte. Sie hatte mich sie ansehen, richtig ansehen lassen – ihr Blick, in dem alles lag, was ich wissen musste. Ich sah wieder den zärtlichen Ausdruck in ihren großen, blauen Augen vor mir. Und ich erinnerte mich an die Hoffnung, die in ihnen geschimmert hatte. Hoffnung, die ganz allein ich dort gesät hatte und die ich ihr wieder nehmen musste – ganz egal wie sehr es diesen kranken Teil in mir berührte, dass dieses eine Mädchen immer noch das Gute in mir zu sehen schien. Louisa, deren Meinung die einzige war, die zählte.

 

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