Wir sind der Sturm

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Wir sind der Sturm Page 34

by Bichon, Sophie


  Der Bass wummerte in meinen Ohren, vibrierte tief in meiner Brust und brachte die stickige Luft um mich herum zum Tanzen. Überall drängten sich Leute eng aneinander, Körper an Körper, und der Rhythmus der Musik pochte durch die Menge hindurch, nur um von den Wänden widerzuhallen .

  Obwohl ich mich unter so vielen Menschen lange Zeit nicht wohl gefühlt hatte und seit meiner ersten Collegeparty nie wieder etwas getrunken hatte, genoss ich diesen magischen Abend. Es war Zeit mit meinen Freunden, Zeit mit den Menschen, die mir inzwischen wichtig geworden waren. Eine Familie, gebunden durch Herzen statt Blut. Diese Abende, die zu Nächten wurden, waren losgelöst, frei und gewissermaßen abgekoppelt von Zeit und Raum. Alles war Beben und Geräusche, Farben und Licht. Alles verzögert. Und der benebelnde Geruch von Gras lag schwer in der Luft.

  Neben mir auf dem kleinen, gemusterten Sofa in Bowies Zimmer saß Luke, auf seinem Schoß ein Mädchen mit einem süßen Schmetterlingstattoo direkt hinter dem Ohr. Seine Mitbewohnerin. Tief inhalierte er einen Joint, beugte sich ein Stück vor und blies ihr den Rauch in den Mund. Dann reichte er ihn mir, stand auf und verschwand mit seiner Mitbewohnerin an der Hand in der Menge. Kurz vorher drehte er sich noch einmal um und grinste mich an. Hatte sich der Partykönig unserer Clique etwa verliebt?

  Nur wenige Augenblicke später ließ Trish sich auf den frei gewordenen Platz sinken und nahm mir den Joint aus der Hand. »Du musst mir helfen, Lou!«, sagte sie seufzend. »Bowie steht in meinem Zimmer und will Karaoke singen. Bitte tu irgendetwas!« Trish sah mich mit übertrieben weit aufgerissenen Augen an, mit purer Verzweiflung in dem Grau. Sie sah einfach zu süß aus, als dass ich das in diesem Moment hätte ernst nehmen können. Lachend legte ich den Arm um sie. »Und was soll ich machen?«

  »Es ihr ausreden?!«, schlug Trish hoffnungsvoll vor. »Du bist die Vernünftige von uns.«

  »Das ist dein Plan?«, erwiderte ich belustigt. »Dass ich es Bowie, die übrigens einer der stursten Menschen ist, die ich kenne, ausreden soll?«

  Trish schob schmollend ihre Unterlippe vor. »Wenn du es so sagst, klingt das wirklich ziemlich aussichtslos. «

  Sie sagte noch etwas, doch ich hörte sie schon nicht mehr. Mein Blick huschte zu Paul, den ich auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers entdeckt hatte.

  Er lehnte an der Wand und fuhr sich gerade in einer lässigen Bewegung durch die Haare, während er sich mit Isaac unterhielt und mehrmals nickte. Er sah gut aus, fast schon zu gut. All das Düstere, das Paul ständig zu umgeben schien, wirkte weniger präsent und er heller, strahlender, weniger getrieben. Ich sah nicht nur diesen gut aussehenden Mann, sondern auch einen, der dabei war, sich mit seiner Vergangenheit auszusöhnen, der sein Leben anpackte und an seinen Träumen festhielt. Von Paul schien eine ganz neue, tief gehende Ruhe auszugehen. Eine Version von ihm, die mich noch mehr reizte als alles andere.

  Paul schien meine Blicke zu spüren, erwischte mich dabei, wie ich ihn anstarrte. Ein Blick aus dunklen Augen, und seine Lippen verzogen sich zu diesem unverschämten Grinsen, dann zwinkerte er mir zu. Und mein Herz, es machte einen aufgeregten Satz, wie jedes einzelne Mal.

  Wir hatten den anderen immer noch nichts gesagt, aber Trish hatte Paul und mich am Lake Superior gesehen, Aiden ihm den Schlüssel zu unserer Wohnung gegeben, damit er für mich kochen konnte. Wirklich Mühe gaben wir uns nicht. Und es war ja auch kein wirkliches Geheimnis, es war nur … es war nur etwas, das noch eine kurze Zeit uns gehören sollte. Ich wollte diese Momente mit Paul erleben, jede Sekunde auskosten und dabei nicht denken. Ich hatte Monate lang alles zerdacht, jetzt wollte ich einfach nur mit ihm zusammen sein. Ein Hier-und-Jetzt-Augenblick nach dem nächsten.

  »Oh Gott, endlich!« Trish war meinem Blick gefolgt und stieß ein zufriedenes Seufzen aus. Ertappt wandte ich mich ab und sah sie an.

  »Ihr zwei seid so furchtbar verknallt ineinander, das kann man gar nicht übersehen. Scheinbar habt ihr das also hinbekommen. Bei eurem heißen Kuss am See war ich mir ja noch nicht so sicher.« Sie grinste .

  »Ja, ich denke, das haben wir«, sagte ich leise und ließ meinen Blick noch einmal zu ihm wandern.

  »Okay, erzähl mir alles. Was ist passiert, dass ihr … Okay, Moment.« Trish legte den Kopf schräg und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen, »Oh. Mein. Gott. Du hast ihn gerade mit dem Küchentischblick angesehen.«

  Ich fuhr mir durch die Locken und lachte. »Der Küchentischblick?«

  »Du weißt schon, letztes Jahr, als Aiden und ich in die WG gekommen sind und eure Klamotten überall in der Küche lagen, weil ihr auf dem Tisch sonst etwas getan habt. Und diese durchsichtigen Dinger, die du scheinbar trägst. Und als ich dich gefragt habe, was Paul mit dir …«

  »Schon gut«, unterbrach ich Trishs Ausführungen, die von Sekunde zu Sekunde an Lautstärke zugenommen hatten. »Ich weiß jetzt, was du meinst.«

  »Was mich daran erinnert, dass Aiden uns bis heute nicht erzählt hat, wen er auf eurem Küchentisch eigentlich gevögelt hat«, murmelte Trish nachdenklich und stand abrupt auf. »Aiden!«, rief sie laut durch die Wohnung und blickte sich suchend um. »Aideeeen!« Sie schob sich durch die Leute, stürmte davon. Ich folgte ihr lachend, weil ich mir die gleich folgende Diskussion auf gar keinen Fall entgehen lassen wollte.

  Wir fanden Aiden in ihrem Zimmer. Mitten in einem Kreis aus Menschen, der sich gebildet hatte, schmetterte er eine Liebeskummer-Ballade in das Mikro, während er in der rechten Hand einen roten Becher mit Bier hielt. Er schwankte leicht und sang Zeile für Zeile voller Inbrunst, mit leidendem Gesichtsausdruck.

  »Wann konnte er denn so viel trinken?«, fragte ich Bowie, als sie sich zu uns umdrehte, doch sie zuckte nur ratlos die Schultern. Dann huschte ein entschlossener Ausdruck über ihr Gesicht. Und im nächsten Moment hatte sie sich das zweite Mikro geschnappt und sich durch die Menge zu Aiden durchgeschoben, um mit ihm zusammen Karaoke zu singen. Die Buchstaben von The Future is equal auf ihrem Shirt glitzerten im Licht, als Aiden den Arm mit dem Becher in der Hand um Bowie legte und mit ihr zusammen ein herzzerreißendes Duett performte – abgesehen davon, dass Bowie wirklich absolut nicht singen konnte. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder Aiden davor bewahren sollte, dass morgen Videos von diesem Auftritt in Umlauf waren. »Ich befürchte, du musst deine Mission auf einen anderen Zeitpunkt verschieben«, sagte ich zu Trish. »Aiden sieht nicht so aus, als würde er dir heute noch Fragen über unseren Küchentisch beantworten. Und das mit Bowie hat sich hiermit auch erledigt.«

  Paul

  Nachdem ich mich von Isaac zu einer Runde Bier-Pong hatte überreden lassen, schob ich mich auf der Suche nach Louisa durch die Wohnung. Ein Slalom durch erhitzte Körper und stickige Luft.

  Aiden und Trish wussten das mit uns sowieso, ahnten es zumindest, so, wie wahrscheinlich alle es taten. Vielleicht lag es auch daran, dass ich schon etwas getrunken hatte, aber ich wollte Louisa nicht erst wieder küssen können, wenn wir allein waren. Ja, wir brauchten diese Zeit für uns, aber wir würden den Sommer getrennt voneinander verbringen, und ich wollte in den verbleibenden vier Wochen so viel von ihr haben, wie es nur möglich war, und jede Sekunde auskosten. Und dazu gehörte auch dieser plötzlich in mir brennende Wunsch, sie zu suchen und an mich zu ziehen.

  Aus Trishs Zimmer hörte ich jemanden laut und schief singen. Bowie. Und ich lachte schon auf dem Weg dorthin, weil sie wirklich betrunken sein musste, wenn sie das vor all den Leuten machte. Ich hatte vorhin mitbekommen, dass Louisa aufgesprungen und Trish hinterhergerannt war, wahrscheinlich waren die beiden dort.

  Doch gerade, als ich die offen stehende Tür ansteuerte, schob sich mir jemand in den Weg. Ein Mädchen. Nein, nicht irgendeins, sondern eins von denen, die ich Anfang des Jahres flachgelegt hatte, um Louisa zu vergessen. Erinnerungen irgendwo zwischen dem Nebel von Gras und Alkohol.

  Ein Augenaufschlag, dann ihre Hand an meinem Oberarm, doch beides ließ mich absolut kalt. Als sie sich auf Zehenspitzen stellte und mir etwas entgegenraunte, trat ich einen Schritt zurück und ging nicht auf das eindeutige Angebot ein, das sie mir machte. Himmel, wieso schienen sie alle nicht zu kapieren, dass das nichts war, was sich wie
derholen würde? All diese Frauen waren nicht das, was ich wollte, waren es verdammt nochmal nie gewesen. Und ich hatte keiner von ihnen etwas versprochen. Ich versuchte, ihr das klarzumachen, möglichst nett, und schob mich dann zielstrebig an ihr vorbei, weil ich mein Feuermädchen entdeckt hatte. Sie schien gerade aus Trishs Zimmer gekommen zu sein, lief mir fast in die Arme.

  Ozeanaugen unter langen Wimpern. Endlich.

  Louisa

  Paul blieb vor mir stehen, mit einem durchdringenden Blick, als hätte er mich gesucht.

  Ich schluckte. So, wie dieses Mädchen ihn gerade angesehen hatte, diese Blicke – es erinnerte mich an den Beginn des Jahres, als Paul mit einer Frau nach der nächsten geschlafen hatte, nur um zu vergessen. Ich erinnerte mich daran, wie weh es getan hatte, ihn mit all den Mädchen zu sehen. Und obwohl ich nicht so fühlen wollte, war da ein leichter Stich in meinem Bauch und das leise Gefühl von Eifersucht, das plötzlich aus dem Nichts kam, obwohl er doch nichts Falsches getan hatte – es waren bloß meine Erinnerungen und ein Teil unserer gemeinsamen Vergangenheit, den ich nicht würde ändern können .

  Ganz langsam wich Pauls Grinsen einem ernsten Gesichtsausdruck, und er zog mich entschlossen ein Stück zur Seite. »Was ist los, Louisa?«, wollte er wissen. Die Wand in meinem Rücken und er gefährlich nah vor mir. Und in seinen Augen war nur Wärme und nichts, das mich zweifeln lassen sollte, nicht an ihm oder seinen Gefühlen zu mir.

  »Ist das mit uns …«, fing ich an, brach dann aber doch ab und strich mir meine Locken nervös zurück. Unsicher, ob ich etwas sagen sollte oder nicht.

  In diesem Moment schien Paul eins und eins zusammenzuzählen und zu begreifen, das ich ihn und dieses Mädchen miteinander gesehen hatte.

  Er schluckte. »Ich kann es nicht rückgängig machen, dass ich mich wie ein Arsch aufgeführt und dir wehgetan habe«, sagte er mit gesenkter Stimme und griff nach meinen Fingern, strich mit seinem Daumen über meinen Handrücken. »Und glaub mir, ich fühle mich immer noch furchtbar deswegen. Ich kann dir nur sagen, dass es mir leidtut und das nichts davon auch nur ansatzweise etwas bedeutet hat.«

  Paul legte einen Finger unter mein Kinn und hob es an, sah mir tief in die Augen, und für diesen Moment verschwand die Wohnung um uns herum, verschwand all das, was nicht wir war – eine Blase mit der dröhnenden Musik, die in den Hintergrund trat. Und ich sah die Aufrichtigkeit in seinem Blick. Hier-und-Jetzt-Momente sammeln, erinnerte ich mich, die Vergangenheit hinter uns lassen.

  Pauls Blick veränderte sich; seine Gesichtszüge wurden weicher, irgendwo zwischen zärtlich und entschlossen. »Du bist meine Freundin, Louisa. Du bist die einzige Frau, die ich will.«

  Langsam nickte ich und legte meine Wange in seine Hand. Mein Herz wusste das längst, doch vielleicht hatte ich es nach allem, was geschehen war, einfach hören müssen. Und dann konnte ich das Lächeln, das sich auf meinen Lippen ausbreitete, nicht länger zurückhalten.

  »Ich finde deinen super ernsten Blick echt heiß«, raunte ich und biss mir auf die Unterlippe. Paul schüttelte lachend den Kopf. »Und du behauptest immer, dass ich mit meinen Sprüchen jeden romantischen Moment zerstören würde …«

  Ich sah zu ihm hinauf. »Mir ist es auch verdammt ernst, Paul«, sagte ich fast gegen seine Lippen, denn im nächsten Moment küsste er mich. Zärtlich und fast schon zu sanft. Meine Unterlippe zwischen seinen Zähnen, und ich seufzte gegen seinen Mund. Stellte mich auf meine Zehenspitzen und legte ihm meine Arme um den Hals, als mich plötzlich etwas an der Schulter traf.

  »Hey!«

  Erschrocken zuckte ich zurück und sah von dem leeren Becher am Boden zu Bowie, die mit verschränkten Armen an Trishs Zimmertür stand und uns musterte. Scheinbar hatte sie ihn nach mir geworfen. Oder uns.

  »Dachtet ihr echt, wir würden nicht checken, was bei euch abgeht?«, lachte Bowie und schüttelte den Kopf. »Wolltet ihr das jetzt geheim halten oder nicht? Falls ja, ihr seid wirklich richtig schlecht darin.«

  »Hey«, schrie Bowie gegen die Musik an, als Trish auch aus dem Zimmer kam. »Lou und Paul haben gerade hier im Flur rumgeknutscht.«

  »Die haben schon letztens am See miteinander rumgeknutscht«, erwiderte Trish unbeeindruckt.

  »Oh mein Gott, Trish«, sagte Bowie empört. »Ich fasse es nicht! Das ist drei Wochen her. Wie konntest du mir das nicht erzählen?«

  Trish warf mir über Bowies Schulter einen stolzen Blick zu, der sagte: Siehst du! Deine Kuss-Geheimnisse sind bei mir sicher! Sogar vor Bowie!

  Ich schüttelte lachend den Kopf und lehnte mich mit dem Rücken gegen Paul. Er schlang von hinten die Arme um mich. Einfach so. Das war etwas, das sich noch viel intimer anfühlte als dieser Kuss gerade. Fest zog er mich an sich, küsste mich hinter meinem Ohr. »Wieso werden wir eigentlich immer von einer der beiden unterbrochen?!«, murmelte er.

  »Okay, ich hab erst vor zwei Wochen gecheckt, dass da wieder etwas läuft«, meinte Bowie zu Trish,. »Das bedeutet, ich hatte einfach eine Woche lang absolut keine Ahnung.«

  »Wissen die beiden, dass wir sie immer noch hören können?«, sagte ich amüsiert zu Paul.

  »Ich glaube nicht.«

  »Sollen wir es ihnen sagen?«

  »Ich hab eine bessere Idee.«

  »Hmm?«

  »Wir gehen jetzt, Baby.«

  Ich lachte. »Und wohin?«

  »Die Sonne geht in zwei Stunden auf«, sagte er statt einer Antwort und dann lag meine Hand schon in seiner.

  Paul

  »Querencia«, sagte Louisa leise, als sie auf dem Dach des Wohnheims zwischen meinen Beinen saß, meine Arme um ihren Bauch. Der Campus ein Leuchten in Orange und Rot. Sie erklärte mir, dass das spanische Wort einen Ort beschrieb, an dem man sich nicht nur sicher fühlte, sondern auch vollkommen man selbst sein konnte. Ein Zuhause.

  Und ich wusste, Louisa war meine wunderbare Querencia .

  23. KAPITE L

  Paul

  »Oh Gott, ich kann gar nicht hinsehen«, sagte Louisa leise und hielt sich beide Hände vors Gesicht. Ganz langsam spreizte sie die Finger und sah zwischen ihnen hindurch Richtung Fernseher, über den die Verfilmung von Die unendliche Geschichte flimmerte.

  Auch wenn ich gestern nicht so viel wie Aiden getrunken hatte, dröhnte mein Kopf immer noch, und ich war wirklich wahnsinnig froh, dass Louisa und ich den Samstag einfach nur bei mir in der WG verbracht hatten.

  »Du weißt doch, was passiert«, murmelte ich lächelnd. Mit dem Kopf in meinem Schoß, in kurzen Star-Wars-Shorts und einem meiner Shirts, lag Louisa neben mir auf dem Sofa. Und ich ließ meine Finger immer wieder durch ihre Locken gleiten, spielte gedankenverloren mit einzelnen Strähnen ihrer grell orangefarbenen Haare. Obwohl ich ihr vor Bowie und Trishs Party noch einmal das ganze Buch vorgelesen hatte und sie jede Szene kannte, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck bei jedem Detail der Geschichte, tausend Gefühle, die sich in ihren tiefblauen Augen widerspiegelten, während sie ganz still dalag. Die DVD hatte ich Louisa eigentlich zu Weihnachten schenken wollen, aber so weit war es ja nicht mehr gekommen. Doch dass wir sie uns jetzt ansahen und sie sich dabei an mich kuschelte, war etwas, das mich auf eine fast schmerzhafte Art und Weise glücklich machte.

  Sie vertraute mir und fühlte sich wohl in meiner Nähe, das sagten der ruhige Blick und das freche Funkeln in ihren Augen, ihre fordernde Seite und die Unbeschwertheit, mit der sie mit mir zusammen war. Doch Louisa hatte sich auch verändert, ganz unabhängig von mir und dem, was zwischen uns war. Sie schien jeden Tag mehr herauszufinden, was sie vom Leben wollte, schien mehr auf sich und das, was sie konnte, zu vertrauen. Sie würde Literatur studieren und festes Mitglied der Storylines -Redaktion sein. Gestern Nacht hatte sie mir zum ersten Mal etwas aus ihrem Notizbuch vorgelesen. Einen dieser Texte, von denen sie sagte, dass niemand sie zu Gesicht bekam, weil sie zu persönlich waren und zu nah an ihrem Innersten. Sie hatte gelesen, und ich hatte an ihren Lippen gehangen. Und die Worte, mit denen sie ihr Zimmer im Schein ihrer Lichterketten gefüllt hatte, waren unglaublich schön gewesen. Louisas Selbstsicherheit wirkte heller und strahlender. Und das war etwas, das sie in meinen Augen noch anziehender machte.

>   »Ich kann trotzdem nicht hinsehen«, wisperte Louisa und sah in derselben Sekunde trotzdem hin. Dabei kräuselte sie ihre Nase auf diese süße Art, und ich lachte. Ich war verrückt nach ihr, absolut verrückt nach diesem Mädchen. Sie war völlig versunken in das, was vor ihr geschah. Und ich versunken in ihren Anblick. Gott, ich fand es faszinierend, dass sie immer wieder aufs Neue in diese Geschichte eintauchen konnte, als wäre es das erste Mal, mit derselben Aufregung und Begeisterung, mit demselben angehaltenen Atem.

  Seufzend rutschte Louisa noch ein Stück näher an mich heran, hing aber weiterhin wie gebannt an den bunten Bildern, an der Geschichte von Bastian und der Existenz Phantásiens, die auf dem Spiel stand. Wir hatten uns die ersten fünf Minuten auf Deutsch angesehen, weil sie es unbedingt hatte hören wollen. Den Rest dann in der englischen Fassung.

  Als der Film zu Ende war, drehte Louisa sich auf den Rücken und erzählte mir in ihrer ruhigen und bedachten Art, was sie daran alles geliebt hatte und was im Buch besser gewesen war. Und nur wenige Minuten, nachdem das letzte Wort über ihre Lippen gekommen war, war sie eingeschlafen. Ich wollte sie nicht wecken, indem ich mich bewegte oder aufstand, also schaltete ich um und sah mir noch zwei Folgen Dark an, den Ton so leise gedreht, dass ich es gerade so verstehen konnte. Und währenddessen waren da ihre regelmäßigen Atemzüge unter meinen Händen, sie, die im Schlaf ihre Hand in meine legte.

  Als irgendwann Isaac und Taylor nach Hause kamen, trug ich Louisa die wenigen Meter rüber in mein Zimmer und legte sie vorsichtig in mein Bett. Ich zog sie in meine Arme, möglichst ohne sie zu wecken, und breitete die Decke über uns aus.

  Die Jungs hatten gefragt, ob ich noch einmal rauskommen und einen Joint mit ihnen rauchen würde. Und vor gar nicht allzu langer Zeit hätte ich sofort Ja gesagt. Wegen der Albträume, wegen Louisa, von der ich dachte, dass ich sie verloren hätte. Oder auch einfach nur, weil es Spaß machte. Aber jetzt, wo ich sie in meinen Armen hielt, konnte ich nicht gehen. Nirgendwohin. Ich fuhr mit meinen Händen über die warme Haut unter ihrem Shirt. Strich sanft über ihre Wange, ihren Hals.

 

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