Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition)

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Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition) Page 13

by Johnson, Julie


  »Freut mich, dich kennenzulernen«, mischt sich Chloe mit aufgesetzter Fröhlichkeit ein, während sie ihren scharfen Blick zwischen ihrem Bruder und meinem besten Freund hin und her wandern lässt. »Wenn Emilias Freunde alle so heiß sind, könnte diese Sache mit der ungewollten kleinen Schwester gar nicht so schlecht sein.«

  Ich bringe ein schwaches Lachen hervor.

  Owen schaut sie kühl an. »Emilia ist nicht deine Schwester.«

  »Owen« , murmle ich. »Sie hat doch nur einen Scherz gemacht. Sei nicht so gemein.«

  Er ist jedoch eindeutig nicht zum Scherzen aufgelegt, wie mir sofort klar wird, als er den Blick wieder auf mich richtet. »Mir ist vollkommen egal, ob sie einen Scherz gemacht hat oder nicht. Weißt du überhaupt irgendetwas über diese neuen Geschwister , mit denen du zusammenwohnen willst? Vermutlich nicht, da du ja Tratsch über die Königsfamilie meidest wie die Pest.«

  »Aus gutem Grund«, beharre ich.

  »Nicht wenn du von mir erwartest, dass ich dich hier mit ihnen allein lasse!«

  »Emilia ist ein großes Mädchen«, sagt Chloe amüsiert. »Sie kann sich ihre eigene Meinung über uns bilden.«

  »Ich glaube, genau davor hat er Angst«, fügt Carter leise hinzu .

  Owen versteift sich. »Redet nicht mit mir über Emilia. Niemals .«

  »Warum nicht?« Carter schmunzelt. »Hast du Angst, dass du etwas zu hören bekommst, das dir nicht gefällt?«

  »Ganz ruhig, Jungs«, murmelt Chloe. »Seid nett zueinander sonst werden wir euch aus dem Sandkasten werfen.«

  Owen ignoriert sie und wendet sich wieder an mich. Seine Augen sind von so großer Verzweiflung erfüllt, dass mir angst und bange wird. »Verstehst du denn nicht? Diese Leute stehen für alles , was mit dieser Monarchie nicht stimmt. Sie genießen sämtliche Vorteile, den ihr Adelsstatus mit sich bringt, ohne die dazugehörige Verantwortung zu übernehmen. Sie sind einfach nur … Egel , die den Steuerzahlern das Blut aussaugen.«

  Chloe schnaubt.

  Er schaut zu ihr. »Was, siehst du das etwa anders? Du bist schon so oft in der Entzugsklinik gewesen, dass ich mir sicher bin, dass deine nächste Überdosis gratis ist.« Er richtet den Blick auf Carter. »Und dein Bruder hat mit der Hälfte der weiblichen Bevölkerung dieses verdammten Landes Bekanntschaft gemacht!«

  Das warnende Knurren, das in Carters Kehle grollt, ist beängstigend genug, um mir einen Schauer über den Rücken zu jagen.

  »Das reicht , Owen!«, zische ich entsetzt. »Ich erkenne dich gar nicht wieder!«

  »Das geht mir mit dir ähnlich«, schnauzt er. »Gott, Ems, ich weiß, dass du nach einer Familie suchst, aber ich denke, dass du etwas Besseres verdient hast als eine Kokserin und eine wandelnde sexuell übertragbare Krankheit.«

  Carter macht einen drohenden Schritt auf ihn zu und ballt die Hände an den Seiten zu Fäusten. »Möchtest du das noch mal wiederholen, du Schönling? «

  Owen dreht sich zu ihm hin, und die finstere Miene in seinem Gesicht habe ich so noch nie bei ihm gesehen. »Du machst mir keine Angst, kleiner Lord.«

  »Dann bist du entweder bemerkenswert mutig oder bemerkenswert dumm.« Seine himmelblauen Augen funkeln. »Ich schätze, ich weiß, was von beidem es ist.«

  »Wenn man bedenkt, dass ich nicht der Ehemann einer verzweifelten Hausfrau bin, die ganz wild auf eine Affäre mit einem pseudo-königlichen Idioten ist … denke ich, dass ich von dir nichts zu befürchten habe.« Owen lehnt sich vor und senkt die Stimme. »Ist das nicht dein üblicher Modus Operandi? Du treibst es mit der Ehefrau, demütigst den Ehemann und zerstörst die Ehe? Wie du siehst, lese ich im Gegensatz zu Emilia die Zeitung.«

  Chloe atmet scharf ein.

  Carters Gesicht verfinstert sich vollends. Owen hat eindeutig einen Nerv getroffen. Als er auf uns zutritt, spüre ich, wie mein Puls ins Stocken gerät.

  »Du scheinst dich ja ziemlich intensiv mit meinen sexuellen Eroberungen zu beschäftigen.« Carter lächelt absolut humorlos. »Keine Sorge. Hier sind keine Frauen in meinem Schlafzimmer – das sich zufälligerweise genau gegenüber von Emilias befindet.« Er macht eine vielsagende Pause. »Ich werde sie für dich ganz genau im Auge behalten, Kumpel.«

  Owen zuckt tatsächlich zusammen. »Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst …«

  »Oh, das werde ich keineswegs«, stichelt Carter. »Es sei denn natürlich, sie bittet mich darum.«

  »Bitte hört auf«, flehe ich, und meine Stimme bricht vor innerer Anspannung. »Alle beide! Das ist absurd.«

  Ich ergreife Owens Arm und versuche, ihm ein wenig Vernunft einzutrichtern, indem ich ihn schüttle, doch er ist längst außerhalb meiner Reichweite – verloren in einer dunklen, alles verzehrenden Wut. Ich starre ihm ins Gesicht, in die tiefbraunen Augen unter dem lockigen blonden Haar, das ich immer so sehr geliebt habe … und ich habe zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, einen Fremden anzusehen.

  Als Carter einen weiteren Schritt näher kommt, streckt Chloe einen Arm aus, um ihn aufzuhalten. Ich mache das Gleiche bei Owen und halte ihn mit der ganzen Kraft, die ich aufbringen kann, zurück. Selbst durch den dicken Ärmel seiner Jacke kann ich spüren, wie sich seine Brust schnell hebt und senkt. Beide Männer sehen aus, als wären sie nur Sekunden davon entfernt, auf diesem idyllischen Gartenpfad wie wild aufeinander einzuprügeln. Hier liegt so viel Testosteron in der Luft, dass ich überrascht bin, dass ich keinen Bartschatten bekomme vom bloßen Einatmen.

  Chloes panischer Blick trifft auf meinen. »Vielleicht solltet ihr beide gehen.«

  Ich könnte ihr nicht mehr zustimmen.

  Mit einer Grimasse baue ich mich vor Owen auf und mache mich daran, ihn nach hinten zu schieben. Auf diese Weise versuche ich, ihn aus der Schusslinie zu befördern. Er wehrt sich und stemmt die Füße fest in den Boden.

  »Lass uns gehen, Harding«, schnauze ich ihn an und drücke gegen seine Brust. »Bring mich nicht dazu, deine Mutter anzurufen. Du weißt, dass ich das tun werde. Und wir beide wissen, dass Belinda stinksauer sein wird.«

  Er schaut mich kurz an, und unter dem ganzen großspurigen nicht wiedererkennbaren Alphamännchengehabe entdecke ich eine Spur des Jungen, den ich mal kannte.

  »Bitte«, flüstere ich.

  Mit einem Seufzen spannt er den Kiefer an, dreht sich herum und stapft über den Pfad davon, den Kopf gebeugt, die Hände zu Fäusten geballt, die Schultern angespannt. Ich schaue noch einmal kurz zu Chloe und Carter, bevor ich ihm folge. Es hat mir vollkommen die Sprache verschlagen. Owens Verhalten hat mich regelrecht gelähmt. Alles, was er über sie gesagt hat, hat mich über die Maßen beschämt.

  »Oh, komm ja nicht auf die Idee, dich zu entschuldigen«, kommt mir Chloe zuvor, bevor ich das Wort ergreifen kann. Sie verzieht die Lippen zu einem kleinen Lächeln. »Dank dir wird es hier endlich mal interessant.«

  Mit einem dankbaren Nicken in ihre Richtung drehe ich mich um und eile hinter Owen her. Carter würdige ich keines Blickes. Aber den ganzen Weg über spüre ich das Gewicht dieser zu blauen Augen, deren Blick sich in meinen Rücken brennt wie ein Feuer, das ich nicht löschen kann, egal wie sehr ich es versuche.

  11. KAPITEL

  Nach dem Zwischenfall mit Owen dachte ich, dass das Leben auf dem Lockwood-Anwesen auf keinen Fall noch schlimmer werden könnte.

  Ich lag total falsch.

  »Denken Sie dran: Kinn nach oben, Schultern nach hinten, ein graziler Griff.« Lady Morrell blickt mich über ihre lange Hakennase hinweg missbilligend an. »Es ist ein Löffel, keine Handgranate. Ihr Zeigefinger sollte so leicht auf dem Silber schweben wie ein Kolibri, der Nektar aus einer Blüte saugt.«

  Sie hat eine Menge dieser blumigen, übertriebenen Analogien auf Lager. Allein heute habe ich schon Anweisungen erhalten, dass ich über die Tanzfläche gleiten soll »wie ein Falke, der über einen rosigen Morgenhimmel zieht«, und Knickse machen muss, die so tief sind »wie eine untergehende Sonne, die langsam hinter dem unverrückbaren Horizont versinkt«.

  Wann immer ich anfange, mich zu fragen, warum ich mich dieser Tortur unterziehe, konzentriere ich mich auf das Licht in Form von einhunderttausend Dollar am Ende des Tunnels. Normalerweise ge
nügt das, um mich davon abzuhalten, mich aus dem Staub zu machen.

  »Wie Sie wünschen, Lady Morrell.« Ich passe meinen Griff zum zehnten Mal an. »Wie ist das? «

  »Falsch. Vollkommen falsch! Erlauben Sie mir, es Ihnen noch einmal zu demonstrieren …«

  Ich schlucke einen Schrei hinunter. Ich bin mir nicht sicher, wie viel hiervon ich noch ertragen kann, bevor ich aufgebe und in mein Zimmer flüchte …

  Wie ein Gepard, der durch die Savanne prescht!

  Ich schnaube undamenhaft, was mir einen strengen Blick von meiner Lehrerin einbringt.

  Wie vorherzusehen war, hat sich der Prinzessinnenunterricht als absolut unerträglich herausgestellt. Sechs Stunden pro Tag – drei am Morgen, drei weitere am Nachmittag – bringt mir Lady Morrell den Wert von schicklichem Benehmen, Tischmanieren, königlichen Anspracheregeln und caerleonischen Bräuchen bei. Ich habe einen Sättigungspunkt erreicht.

  Benutzen Sie »Eure Majestät«, um einen König oder eine Königin anzusprechen. »Eure Hoheit« für einen Prinzen oder eine Prinzessin. »Euer Gnaden« für einen Herzog oder eine Herzogin. »Mylord« für Barone, Grafen und Ritter.

  Machen Sie niemals einen Knicks vor jemandem, der einen niedrigeren Rang bekleidet.

  Verschränken Sie nie die Beine, sondern immer nur die Knöchel.

  Bei allen offiziellen Staatsfeierlichkeiten müssen ellbogenlange Handschuhe getragen werden.

  Nagellack ist ausschließlich in Nude- oder Pastelltönen erlaubt.

  Keine Autogramme oder Unterschriften irgendwelcher Art.

  Keine unerlaubten Fotos.

  Keine öffentliche Zurschaustellung von Zuneigung.

  Keine Nutzung von Social-Media-Plattformen.

  Nein.

  Nein.

  Nein .

  Ich habe so viele Verbote gehört, dass ich mich langsam frage, ob es überhaupt irgendetwas gibt, was eine Prinzessin tatsächlich tun darf – abgesehen von Lächeln und Winken während geplanter Auftritte bei langweiligen gesellschaftlichen Veranstaltungen.

  Lady Morrell beharrt darauf, dass sie lediglich versuche, mich auf das vorzubereiten, was sie als meine »erste königliche Prüfung« bezeichnet – die sich, wie sie mir immer wieder ins Gedächtnis ruft, mit Lichtgeschwindigkeit nähert. Ich kann nicht behaupten, dass ich von der Vorstellung, am Sonntag mit den Lancasters an der Beerdigung teilzunehmen, begeistert bin, selbst wenn ich nur inkognito als Beraterin in ihrem Gefolge auftreten werde. Der bloße Gedanke daran sorgt dafür, dass in meiner Magengrube ein ganzer Schwarm Schmetterlinge umherflattert.

  So vieles könnte schiefgehen.

  Ich bin nicht mal ansatzweise darauf vorbereitet, vor irgendjemandem als ein Mitglied der Königsfamilie aufzutreten. Das hat mir Morrells stets verzweifelte Miene, die sie immer dann aufsetzt, wenn sie in meine Richtung schaut, mehr als deutlich gemacht, ob ich nun durch die Tanzstunden stolpere, die Adelstitel mehr schlecht als recht stottere oder während der Unterrichtsstunden für das richtige Verhalten beim Abendessen das falsche Besteck benutze.

  Ich versuche, einen Blick zu der riesigen Standuhr zu vermeiden, die auf der anderen Seite des Esszimmers aufragt, weil ich weiß, dass ich dann nur enttäuscht sein werde, aber ich kann mich einfach nicht davon abhalten. Sechzehn Uhr. Immer noch eine ganze Stunde, bis ich frei bin. Ich passe den Griff an meinem Löffel an und versuche, etwas von meiner Suppe zu essen, ohne, und ich zitiere, »zu schlürfen wie ein Teenager, der im Kino eine Cola trinkt« .

  Ich schätze, dass der einzige Vorteil von Morrells nervtötenden Unterrichtsstunden darin besteht, dass sie mich so sehr beschäftigen, dass ich kaum Zeit habe, über Owen nachzudenken … oder Chloe und Carter in den Fluren unserer gemeinsam bewohnten Strafanstalt über den Weg zu laufen. Nachdem wir nun bereits fünf Tage lang an diesem Ort eingesperrt sind, bin ich mir sicher, dass sie ebenso dringend entkommen wollen wie ich. Aber die Königsgarde hat die Sicherheitssperre immer noch nicht aufgehoben. Wahrscheinlich wird das vor der Beerdigung auch nicht mehr der Fall sein, denn die Ermittler haben den Ausbruch des Feuers mittlerweile offiziell als Brandstiftung und damit als ein Verbrechen deklariert.

  Ich habe die letzte Nacht eingeschlossen in meinem Schlafzimmer verbracht und auf meinem ramponierten alten Laptop – den ich endlich zusammen mit meinen Unibüchern, meinem Handy und einer Reisetasche voller Klamotten aus meinem Schrank in meinem Zuhause zurückbekommen habe – die aktuellsten Neuigkeiten gelesen. Ich versuche, nicht zu sehr darüber nachzudenken, wie einer der ernsten anzugtragenden Wachmänner in meiner Unterwäscheschublade herumgewühlt und alle meine Sachen angefasst hat.

  Denn …

  Das ist eklig.

  Ich ging einen Artikel nach dem anderen durch und las die Überschriften und Theorien von Journalisten auf der ganzen Welt über potenzielle Motive, mögliche Verdächtige und politische Verwicklungen. Die Welle der Trauer war unermesslich und hat das öffentliche Leben lahmgelegt. Die Neuigkeit, dass es kein tragischer Unfall, sondern Mord war, fühlte sich an wie ein Tritt in die Magengrube, während wir alle bereits auf dem Boden lagen.

  Jemand ist dafür verantwortlich. Jemand hat König Leopold und Königin Abigail sowie fünf Mitglieder ihres Personals auf dem Gewissen und den Kronprinzen in ein Koma versetzt, aus dem er vielleicht nie wieder erwachen wird. Und dieser Jemand ist immer noch auf freiem Fuß.

  Man kann nur schwer begreifen, wie so etwas passieren konnte. Noch schwerer ist es allerdings, sich vorzustellen, dass es weder Zeugen noch Hinweise gibt …

  Nichts.

  Die Ermittlungen haben noch nichts Konkretes ergeben – zumindest nicht Simms zufolge, dem ich gestern begegnete, als ich nach meinem Unterricht auf dem Weg zurück in mein Zimmer war. Was alle anderen angeht, scheint jeder damit zufrieden zu sein, allen anderen aus dem Weg zu gehen. Ich habe Octavia seit meiner Ankunft nicht mehr gesehen, und auch Linus bin ich seit unserem Treffen vor ein paar Tagen nicht mehr begegnet.

  Hin und wieder höre ich Carter oder Chloe durch die Flure des Flügels gehen, in dem sich all unsere Zimmer befinden. Aber ich habe keine Ahnung, wie sie den Großteil ihrer Tage verbringen. Nach dem Zwischenfall im Garten hat keiner von ihnen versucht, das Wort an mich zu richten. Ehrlich gesagt kann ich ihnen deswegen keinen Vorwurf machen.

  Ich würde auch nicht mit mir reden wollen.

  Ich schließe entsetzt die Augen, als ich an den Vorfall zurückdenke … und an den gewaltigen Streit mit Owen, den ich danach hatte.

  Ein Streit. Mit Owen.

  Ich streite mit Owen.

  Egal wie oft ich es in Gedanken wiederhole, es ist und bleibt schwierig, diese Tatsache zu begreifen. Noch nie zuvor hat es einen Punkt in meinem Leben gegeben, an dem wir nicht mehr miteinander gesprochen haben. Sicher, wir hatten im Laufe der Jahre immer mal wieder kleine Meinungsverschiedenheiten … aber nichts von diesem Ausmaß. Ich glaube nicht, dass ich je den Ausdruck auf seinem Gesicht vergessen werde, als ich ihn zu den Eingangstoren begleitete und ihn bat zu gehen.

  Ich brauche einfach nur ein wenig Zeit , erklärte ich ihm und wich seinem Blick aus. Ich werde dich anrufen, wenn ich bereit bin zu reden.

  Die Wahrheit ist jedoch, dass ich sehr viel mehr als nur Zeit brauchen werde. Ich muss herausfinden, ob ich je wieder in der Lage sein werde, ihm in die Augen zu schauen, ohne mich an seine verletzenden Worte zu erinnern. Nicht nur die scheußlichen Worte, die er an Chloe und Carter richtete … sondern auch an die, die er zu mir sagte.

  Armselig.

  Naiv.

  Gebrochen.

  Ich habe immer gedacht, dass es zwischen uns keine Grenzen mehr gäbe, keine Barrieren, die es zu überwinden gilt. Nun erkenne ich, wie naiv das war. Die Menschen, die uns am meisten lieben, sind am besten in der Lage, uns zu zerstören. Schließlich haben wir Jahre damit verbracht, ihnen Stück für Stück Munition zu liefern und ihnen alles zu geben, was sie je brauchen werden, um den größtmöglichen Schaden anzurichten.

  Das Abstruse daran ist, dass ich zwar stinkwütend bin, ihn aber trotzdem ständig anrufen will, nur um seine beruhigende heisere Stimme zu hören. Heute habe ich mich schon zweimal dab
ei erwischt, wie ich nach meinem Handy gegriffen habe – von dem übrigens jemand auf geheimnisvolle Weise alle Social-Media-Apps entfernt hatte, bevor man es mir aushändigte. Ich konnte mich immer noch gerade so davon abhalten, bevor die Verbindung aufgebaut wurde, aber ich weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ich dem Drang nachgebe .

  Owen ist schon immer die Person gewesen, an die ich mich wende, wenn ich mich verletzt fühle. Ich bin mir nicht sicher, wie ich zurechtkommen soll, nun, da er derjenige ist, der mich verletzt hat.

  Lady Morrell räuspert sich und holt mich zurück in die Gegenwart.

  »Ich denke, Sie haben den Suppengang endlich gemeistert«, lässt sie mich wissen und nickt anerkennend. »Vielleicht sind Sie nun bereit, sich einem komplexeren Thema zu widmen.«

  »Außenpolitik?«, frage ich hoffnungsvoll.

  »Nicht ganz.« Ihre Lippen zucken, während sie meine Suppenschale gegen einen kleinen Teller austauscht. »Salate.«

  »Freude über Freude«, murmle ich und widerstehe dem Drang, meinen Kopf auf die Tischplatte zu knallen, bis ich bewusstlos werde.

  Noch eine weitere Stunde.

  Einhunderttausend Dollar.

  Ich greife nach der verdammten Salatgabel.

  Später and diesem Abend liege ich im Bett und versuche, mich durch eins dieser blöden Bücher zu kämpfen, die Linus mir hat bringen lassen – ein schwerer ledergebundener Schinken mit dem Titel Caerleon: Ehre im Lauf der Geschichte –, als jemand an meine Tür klopft.

  »Herein«, rufe ich träge und rechne damit, dass es eine der Haushälterinnen ist, die gekommen ist, um das Feuer zu schüren oder meine Kissen aufzuschütteln oder mir warme Kekse mit Schokostückchen zu bringen, wie sie es seit meinem fehlgeschlagenen Backversuch jeden Abend getan haben. Zuerst hielt ich es für eine nette Geste, aber mittlerweile bin ich mir sicher, dass Patricia dahintersteckt, die mit aller Macht dafür sorgen will, dass ich mich von ihrer Küche fernhalte .

 

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