Ich schwöre, dass er einen leisen wütenden Laut von sich gibt, aber als ich die Augen aufschlage, wirkt er vollkommen gelassen. Wie der Innbegriff der Gleichgültigkeit.
»Sie werden nach mir suchen, wenn ich zu lange weg bin.«
Er schnaubt, erwidert aber nichts .
Ich ziehe die Augen zusammen. »Möchtest du etwas sagen?«
»Nein. Du willst wieder da reingehen? Meinetwegen. Aber wenn du denkst, dass ich dir folgen werde, um am Rand zu stehen und mitanzusehen, wie du mit jedem Mann flirtest, der sich im Umkreis von …«
»Denkst du wirklich, dass mir das gefällt?«, falle ich ihm streng ins Wort. Meine Wut wächst, um sich seiner anzupassen. »Denkst du, dass es mir Spaß macht, herumgereicht zu werden wie eine preisgekrönte Zuchtstute, obwohl der einzige Mensch, mit dem ich zusammen sein will …« Ich beiße mir auf die Lippe, um die gefährlichen Worte hinunterzuschlucken – so fest, dass ich überrascht bin, dass sie nicht aufplatzt.
»Was schlägst du vor, Emilia?« Carters Augen sind so dunkel geworden, dass ich ihn kaum wiedererkenne. »Lass mich raten – wir sollten vergessen, dass das hier je passiert ist? Wir sollten wieder dazu übergehen, uns wie Feinde zu verhalten?« Er schnaubt. »Weil das ja so verflucht gut funktioniert hat, als wir es das letzte Mal versucht haben, nicht wahr? Zwei Wochen Abstand, dann eine schnelle Nummer auf einer Werkbank während deiner verdammten Krönungsfeier!«
Ich richte mich kerzengerade auf. »›Eine schnelle Nummer?‹ Mehr war das nicht für dich?«
»Sag du es mir, Emilia.« Er lehnt sich vor und nimmt mich mit seinem Blick gefangen. »Was war das? Ein Anfang oder ein Ende?«
»Ich weiß es nicht , okay? Das hätte gar nicht passieren dürfen. Gott …« Ich schüttle den Kopf und spüre, wie ich die Kontrolle über meine Gefühle verliere. Verwirrung, Verzweiflung und Sehnsucht zerren mit brutalen Klauen an mir. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als diese drei Schritte nach vorn ma chen, mich in seine Arme werfen und mein Gesicht an seiner Brust vergraben zu können. Aber mich in ihm zu verlieren wird dieses Problem nicht lösen. Genau genommen, ist die Tatsache, dass ich mich in ihm verloren habe, überhaupt erst der Grund für dieses Durcheinander.
»Carter«, sage ich mit brüchiger Stimme. »Bitte …«
»Bitte was, Prinzessin?«
»Du weißt, dass ich, wenn die Umstände anders wären …«
»Das sind sie aber nicht«, geht er tonlos dazwischen und setzt diese herzlose Miene auf, die ich nur zu gut kenne.
»Nein. Das sind sie nicht«, wiederhole ich und frage mich, wie sich alles so unglaublich schnell um hundertachtzig Grad drehen konnte.
Vor fünf Minuten lag ich noch in seinen Armen.
Und jetzt können wir einander kaum anschauen.
»Dann mal los, Eure Hoheit.« Er deutet mit dem Kinn in Richtung der Türen. »Geh zurück zu deiner kostbaren Party.«
»Carter …«
»Geh.«
Ich zucke angesichts der Kälte in seiner Stimme zusammen. Bevor ich in Tränen ausbrechen kann, straffe ich die Schultern, streiche mein Ballkleid glatt und gehe durch die Tür in die bitterkalte Nacht hinaus.
Die Party fühlt sich grell und protzig an. Nach der intimen Leidenschaft im dunklen Gewächshaus ist hier alles zu laut und zu hell. Mit eisiger Miene treibe ich durch die Menge und nicke den Leuten im Vorbeigehen zu. Chloe versucht, mich zu sich an einen Tisch in der Ecke zu winken, aber ich weiche ihrem Blick aus. Ich weiß, dass sie mir sofort ansehen wird, dass etwas nicht stimmt. Und dann wird sie mich bedrängen, um Einzelheiten zu erfahren. Ich bin so benommen, dass ich Linus und Octavia erst bemerke, als ich beinahe mit ihnen zusammenstoße.
»Emilia«, sagt mein Vater und mustert mein gerötetes Gesicht und mein zerzaustes Haar. »Geht es dir gut?«
Ich nicke. »Natürlich. Warum sollte es mir nicht gut gehen?«
»Wir haben zwanzig Minuten lang nach dir gesucht«, blafft Octavia. »Du musst während der Champagneransprache mit auf dem Podest stehen.«
»Tut mir leid«, murmle ich halbherzig. Momentan scheine ich nicht in der Lage zu sein, genug Energie aufzubringen, um mich um irgendetwas zu kümmern. Und schon gar nicht um Octavias belanglose Probleme.
Sie stapft auf das kleine Podium zu. Linus und ich folgen ihr.
»Das Verhalten meiner Frau tut mir leid«, murmelt er so leise, dass sie ihn nicht hören kann. »Sie war nicht immer so streng, was Pünktlichkeit anbelangt.«
»Ich glaube, es hat weniger mit meiner Unpünktlichkeit zu tun, sondern vielmehr mit mir im Allgemeinen.« Ich seufze. »Alles, was ich tue, scheint ihr zu missfallen. Dabei lege ich es noch nicht mal darauf an.«
Wir verfallen in ein kurzes Schweigen. Kurz bevor wir die kleine Bühne betreten, auf der ein Tablett mit drei Champagnerflöten aus Kristallglas auf uns wartet, schaut er mir in die Augen.
»Je eher du dich von der Vorstellung verabschiedest, dass du jeden zufriedenstellen kannst, desto besser wirst du zurechtkommen, Emilia. Bei diesem Leben, das wir führen … da geht es nicht um Zufriedenheit. Fortschritt lässt sich nur selten mit Gemütsruhe vereinbaren. Und wie du schon bald lernen wirst … geht es im wahren Königreich nicht darum, das viel gepriesene glückliche Ende zu erreichen. Es geht um Pflicht und Schuldigkeit gegenüber etwas sehr viel Größerem als man selbst. Nämlich der Krone und dem Land gegenüber.«
Ich schlucke schwer und bin nicht zu einer Erwiderung imstande.
»Nach dir«, murmelt er und deutet auf die Stufen.
Schweigend nehme ich meinen Platz neben Octavia auf dem Podium ein. Linus tritt zwischen uns, um sich an die Menge zu wenden. Ich suche das Meer aus Gesichtern nach Carter ab, kann ihn aber nirgendwo entdecken.
»Ich danke Ihnen allen für Ihr Kommen, um heute Abend diesen Anlass mit uns zu feiern. Caerleon hat eine dunkle Zeit hinter sich. Wir haben entsetzliche Verluste erlitten, und es wird Jahre dauern, bis wir uns davon wieder erholt haben. Aber wir dürfen nicht den Glauben verlieren. Wir dürfen uns nicht in der Dunkelheit verlieren. Wir müssen uns nun mehr denn je zusammenschließen und eine Einheit bilden. Eine vereinte Front. Ein einiges Königreich.« Er streckt die Hände aus und nimmt zwei der Champagnergläser vom Tablett. Eins reicht er mir, das andere Octavia. Er selbst nimmt sich das letzte Glas und hebt es hoch.
»Non sibi sed patriae«, verkündet er mit einer Stimme, in der Hoffnung und Stärke mitschwingen. »Nicht für sich selbst, sondern fürs Vaterland. Mögen wir danach streben, diesen Grundsatz zum Leitmotiv unseres Handelns zu machen, während wir gemeinsam einer strahlenden Zukunft entgegensehen.«
Er trinkt einen großen Schluck Champagner. Wie es der Brauch ist, wartet der Rest der Anwesenden, bis er das Glas vollständig leer getrunken hat. Erst dann werden sich ihm alle anschließen.
»Non sibi sed patriae« , skandieren wir im Chor, als er das Glas sinken lässt. »Lang lebe König Linus! Lang lebe König Linus! Lang lebe König Linus! «
Der Sprechgesang hält noch eine ganze Weile lang an, bis Linus mit einem Zeichen um Ruhe bittet. Erneut hebt er sein Champagnerglas. »Ich danke euch, meine Freunde. Nun lasst uns gemeinsam das Glas erheben, nicht als König und Untertan, sondern als Freunde.«
Noch mehr Jubelrufe ertönen, während die Menge ihrem König nacheifert und ihren Champagner trinkt. Ich hebe mein Glas ebenfalls an meine Lippen, halte aber inne, als ich einen erstickten Laut von Linus vernehme. Mit weit aufgerissenen Augen schaue ich zu ihm und stelle fest, dass sich sein Gesicht tiefrot verfärbt. Schaum sammelt sich in seinem Mundwinkel.
»Linus? Oh Gott, Linus! «
Die Champagnerflöte rutscht aus seiner Hand und zerschellt auf dem Boden. Er greift sich an die Kehle und scheint plötzlich verzweifelt nach Sauerstoff zu ringen, so als würde seine Luftröhre zuschwellen. Es ist, als würde er nicht genug Luft bekommen. Ich kann nur dastehen und zusehen, während sein Körper auf dem Podest in sich zusammensackt.
»HILFE!«, schreie ich und falle neben ihm auf die Knie. Mein eigenes Glas habe ich längst vergessen. Ich starre entsetzt auf ihn hinunter und wünschte, ich wüsste, was zu tun ist. »BITTE HELFEN SIE UNS
!«
Octavia schreit etwas auf der anderen Seite, aber ich beachte sie gar nicht. Ich schaue ins Gesicht meines Vaters und umklammere seine Hand.
»Halte durch«, flüstere ich. »Halte einfach durch. Hörst du mich? Hilfe ist unterwegs.«
Doch noch während ich ihm einrede, dass er stark bleiben soll, schwindet das Licht bereits aus seinen Augen. Der weiße Schaum an seinem Mund ist nun dichter und von rosafarbenen Blutschlieren durchzogen. Er läuft ihm über das Kinn und tropft auf das Podest unter uns, wo er eine kleine Pfütze bildet.
Nein.
Nein, nein, nein.
Eine Träne fällt aus meinen Augen auf sein Gesicht.
»Du darfst nicht sterben«, verbiete ich ihm mit brüchiger Stimme. »Das Königreich braucht dich.« Ich atme tief ein. »Ich brauche dich. Ich bin nicht bereit, das ohne dich durchzustehen. Hörst du mich, Linus? Hörst du mich, Dad?«
Seine Brust rasselt.
Er schließt die Augen.
Sein Kiefer wird schlaff.
Und innerhalb eines Atemzugs …
Innerhalb eines Herzschlags …
Innerhalb eines tiefgrünen Augenaufschlags …
Wechselt eine Krone erneut ihren Besitzer.
ENDE
… vorläufig.
PLAYLIST
Castle – Halsey
Royals – Lorde
Young and Beautiful – Lana Del Rey
King and Lionheart – Of Monsters and Men
Kingdom Fall – Claire Wyndham
Light Me Up – Ingrid Michaelson
Listen – Claire Guerreso
Everybody Wants to Rule the World – Lorde
Arsonist’s Lullaby – Hozier
Leave the Door Wide Open – Black English
Don’t You Cry For Me – Cobi
Half Light – BANNERS
Beggin For Thread – BANKS
Halo – Ane Brun (feat. Linnea Olsson)
Call It What You Want – Taylor Swift
DIE AUTORIN
© pr ivat
JULIE JOHNSON lebt in Boston und schreibt am liebsten junge, gefühlvolle Liebesgeschichten. Wenn sie mal nicht an ihrem Schreibtisch sitzt, sammelt sie mit ihrem Reise pass neue Stempel, trinkt mehr Kaffee, als ihr guttut und versucht, ihrer wachsenden Netflix-Must-Watch-Liste Herr zu werden, oder postet Bilder ihres Hundes auf Instagram. Weitere Informationen unter: juliejohnsonbooks.com
DIE ROMANE VON JULIE JOHNSON BEI LYX
Die Forbidden-Royals-Trilogie:
1. Silver Crown
2. Golden Throne (erscheint November 2020)
3. Diamond Empire (erscheint Februar 2021)
Das Faded-Duett:
1. Faded – Dieser eine Moment
2. Faded – Wenn alles stillsteht
Weitere Romane der Autorin sind bei LYX in Vorbereitung.
LYX.digital in der Bastei Lübbe AG
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Dirty Halo«.
Copyright © 2019 by Julie Johnson.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Birgit Sarrafian
Umschlaggestaltung: © Sandra Taufer unter Verwendung von Motiven von © ChaiwatUD; Vandathai; Serg-DAV; R-studio; Jade ThaiCatwalk / Shutterstock
Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-7363-1260-9
Sie finden uns im Internet unter lyx-verlag.de
Bitte beachten Sie auch: luebbe.de und lesejury.de
Silver Crown - Forbidden Royals (German Edition) Page 25