Feen Buch 1: Der Weg nach Imanahm

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Feen Buch 1: Der Weg nach Imanahm Page 7

by Peter Singewald


  Bis es jedoch so weit war, gab es noch viel zu tun. Denn zuerst musste immer noch der Feen gefunden werden. Und wenn er erst einmal gefunden war, dann musste Srachskriss mit allen Mitteln verhindern, dass ihm etwas geschah.

  Meine Kinder.

  Die Aleneshi, meine Kinder, so hieß das Volk, das dem Gott Sgayefarshs seit Jahrtausenden treu diente. Es war ein ra-ulischer Name, der ihnen als Ehrung verliehen worden war. Es war der Name, den sie für sich selbst verwendeten, denn er stand für das, als was sie sich sahen.

  Lange Zeit wurden sie von den drei alten Völkern nur noch in Legenden erinnert, denn sie waren vom Angesicht Sgayefarshs verschwunden und hatten ein Leben der Armut in geheimen Höhlen gelebt, deren Zugänge von ihrem Gott bewacht worden waren. Erst als der große Krieg begann erschienen sie wieder auf der Welt und kämpften mit den Feenvölkern und Menschen zusammen gegen die Ra-ula und ihre Verbündeten, die Drachen.

  Damals wurden sie von den Völkern nur die Glanoi genannt, denn das hieß auf ra-ulisch „die Kleinsten”.

  Doch wurden ihnen nicht nur freundliche Namen gegeben.

  Als der Krieg vorbei war und die Völker nicht mehr durch einen Feind geeint wurden, hießen die Aleneshi plötzlich Landräuber, denn das zahlreiche Volk begann sich einen Lebensraum zu erschließen.

  Als ihre Handwerker begannen, besseres Metall herzustellen, als es die anderen Völker kannten, dafür jedoch einen höheren Preis verlangten, da wurden sie Wucherer und Diebe genannt.

  Als die Menschen begannen, ihre Vergangenheit zu vergessen und sich vor den anderen Völkern in starken Häusern und befestigten Städten zu verstecken, da nannten sie die Aleneshi auf einmal Hutzler, denn sie entsprachen nicht ihrem eigenen Schönheitsideal. Sie wurden zu Zwergen, denn sie waren klein, sie wurden zu Glatzen, denn während den Jahrtausenden unter der Erde waren ihre Haare ausgefallen.

  Die Aleneshi zogen sich aus der Welt zurück und trafen die anderen Völker nur noch, um mit ihnen Handel zu treiben. Sie wussten, dass es eines Tages wieder einen Krieg geben würde, in dem sie gegen die Menschen kämpfen würden, vielleicht sogar noch einmal gegen die Drachen. Sie waren ein Friedfertiges Volk, doch sie waren schon einmal verfolgt worden und hatten fliehen müssen. Die Aleneshi vergaßen nicht so leicht, wie die anderen Rassen. Vor allem die Jahrtausende in der unterirdischen Verbannung würden sie, gleich was geschah, niemals vergessen. Diesmal würden sie sich nicht so einfach geschlagen geben. Sie würden nicht den ersten Streich führen, aber sie würden zurückschlagen. Sie würden sich sogar mit den Zurückgebliebenen verbünden, die damals, als der Gott sie ins Licht geführt hatte, in den Höhlen geblieben waren, weil sie das fremde fürchteten. Sie waren immer noch furchtsam, aber Furcht kann Kraft verleihen.

  Es würde zum Krieg kommen.

  Doch noch nicht jetzt.

  Aus den Höhlen

  Es war ein guter Tag gewesen. Die Sonne versank gerade und ihre letzten Strahlen ließen den Ring gleißen. Die großen Onrenvögel begannen noch ein letztes Mal ihre Schreie über den Hof zu schnattern, um danach für die Nacht in angenehme Stille zu verfallen. Die kleinen Nardus, die auf dem Hof die einzigen Milchtiere waren, stimmten in die Schreie ein, weil sie sich niemals an das spitze Fiepen gewöhnen würden, welches die Onren nach jedem dritten Schnatterer ausstießen.

  Eine Aleneshifrau mittleren Alters stand still vor dem kleinen Haupthaus. Der Wind zauste an dem weichen Flaum, der wie eine Ahnung von Haaren auf ihrem Kopf und in ihrem Gesicht wuchs.

  Ohnfeder von den Grünhains, seit über 30 Jahren bestellte sie diesen Hof. Doch noch immer freute sie sich still an diesem allabendlichen Radau. Es war etwas Festes und sicheres in ihrem Leben. Sie mochte feste und sichere Dinge. Je häufiger sich etwas wiederholte, desto lieber war es ihr. Überraschungen brachten eigentlich immer nur unangenehmes. Und wenn sie es nicht gleich brachten und man meinte sich freuen zu dürfen, dann kam das Unangenehme immer etwas später.

  Seit dreißig Jahren lebte sie nun schon von dem Hof, und nie hatte sie ihre Entscheidung bereut, mit ihrem Mann in dieses Tal gekommen zu sein. Auch wenn sie selbst damals diesen Ort nicht ausgewählt hätten. Es waren die Propheten gewesen, die vorhergesagt hatten, dass das junge Paar an dieser Stelle einen guten und wichtigen Platz einnehmen würde. Sie hatten recht damit behalten. Schließlich waren sie ja nicht umsonst die Propheten, diejenigen, die die Stimme Emaofhias hörten. Ihr Hof an dieser Stelle war wahrlich wichtig geworden. Denn hier sammelten sich die Handelsgemeinschaften, um ihre gefährlichen Fahrten zu den Menschen und Feenvölkern zu unternehmen. Der Handel musste trotz all der Repressalien weitergehen, denn die Händler brachten nicht nur begehrte Wahren mit zurück, sondern auch unerlässliches Wissen von den Geschehnissen außerhalb der Enklaven der Aleneshi.

  Das Tal hatte aber auch noch eine andere, für viele sogar wichtigere Bedeutung. Denn durch dieses Tal kamen auch die Pilger, die den langen Weg ins Alte Dunkel gehen wollten, um zu ihren Ahnen zu finden und um einmal eines der größten Heiligtümer, einen Reshan, zu berühren.

  Nicht weit vom Haus Ohnfeders lag ein kleiner, versteckter und sehr steiler Pfad. Er führte zu einer Höhle, die niemand finden konnte, der sie nicht finden sollte. Ohnfeder ging diesen Weg jede Woche einmal. Denn sie hatte dort oben gute Freunde gefunden. Jene Höhle war nämlich einer jener Ausgänge, durch die Ihr Volk vor undenkbar langer Zeit ihre Gefangenschaft unter der Erde verlassen hatte. Als sie gingen ließen sie jedoch nicht nur die Enge und die Angst zurück, sondern auch viele gute Freunde, deren Angst vor dem Licht größer gewesen war, als ihre Angst vor der Dunkelheit.

  Die Propheten hatten Ohnfeder auf diesen Eingang hingewiesen, war es doch dieser Eingang, der das Tal für sie so wichtig machte. Sie hatte allerdings fast 22 Jahre gebraucht, bis sie zum ersten Mal den Weg gewagt hatte. Und wäre ihr Gemahl damals nicht gestorben, sie wäre wohl nie gegangen. Neun Jahre war das nun schon her. Neun lange Jahre seit dem Tag, als Freizweig Ellenleger zu ihr kam, um ihr zu berichten, dass ihr Gemahl von der Handelsreise nicht zurückkommen würde. Ohnfeder hatte ihm sehr leise, aber aufrecht, für die Nachricht gedankt. Anschließend hatte sie ihm noch etwas zu essen und zu trinken angeboten. Unter Freizweigs besorgten Blicken hatte sie den Tisch gedeckt und ihn anschließend auch wieder abgedeckt. Erst als der junge Aleneshi sich weiter auf seinen Heimweg begeben hatte, war Ohnfeder in eine tiefe Ohnmacht gefallen, aus der sie erst wieder erwachte, als der Ring schon sein nächtliches Leuchten begonnen hatte.

  Sie hatte fast einen ganzen Ringdurchstoß alleine in der Hütte gesessen. Sie hatte nur von dem gelebt, was sie noch in den Regalen hatte finden könne. Ihre Nachbarn, die sich um sie gesorgt hatten, hatten täglich den langen Weg zu ihr gemacht, um nach ihr zu schauen. Nicht nur das. Ohnfeders Hof wäre sicher vollkommen verwahrlost, wenn sich die Nachbarn nicht darum gekümmert hätten. Sie hatten ihr immer wieder essen vor die Tür gestellt, welches Ohnfeder jedoch nicht angenommen hatte. Einmal hatte ihre gute Freundin Gernsäh sogar stundenlang vor ihrer Tür gesessen und geweint. Erst als sie sich eines Tages einen Onrenvogel zum Schlachten mitgebracht hatten, war Ohnfeder herausgekommen. Dass laute Schnattern und Schreien des Vogels, als er vor dem Messer floh, hatte sie dermaßen aufgewühlt, dass sie weinend herausgerannt war, um den Nachbarn ihre Messer zu entreißen. Sie hatte sie angebrüllt und gleichzeitig geweint. Einen Moment lang waren alle sehr betroffen still geblieben. Dann hatten sich ihre Gesichter gelöst und das Grinsen, was bei einem begonnen hatte, wanderte von einem Gesicht zum nächsten. Danach wurde aus dem Grinsen ein Lachen und aus dem Lachen ein schallendes Gelächter. Ohnfeder konnte es zuerst gar nicht fassen. Als das Lachen jedoch über sie hinwegwehte, hatte sie für einen Moment lang keine Zeit mehr wütend oder traurig zu sein. Ihr Gemüt konnte dem Lachen nicht widerstehen.

  Seit jenem Tag hatte sie immer Onrenvögel auf dem Hof gehalten, obwohl sie lausige Eierleger waren, einen Höllenlärm machten und Ohnfeder es auch nie über ihr Herz bringen konnte, einen von ihnen zu schlachten.

  Und mit den Onren kam der erste Besuch von den Zurückgebliebenen. Ohnfeder konnte sich nicht vorstellen, warum eines Nachts e
iner von ihnen vor ihrer Tür gestanden hatte (und sie war immer noch froh darüber, dass sie nicht gleich nach den Nachbarn geläutet hatte), aber seitdem war sie fast so etwas wie eine Mutter für die Familie der Pilzschaber geworden. Sie waren nicht besonders schön, intelligent oder auch nur wohlhabend, aber sie waren gütig und großherzig. So großherzig wie Ohnfeder. Und sie halfen ihr dabei, ihre Trauer zu überwinden. Denn selbst nach dem befreienden Gelächter war sie oft noch trübsinnig und mürrisch gewesen.

  Auch für heute Abend hatten sich die Pilzschabers angekündigt. Diesmal war es sogar etwas Besonderes. Denn sie brachten zum ersten Mal ihre Enkeltochter, Kieselherz, mit. Es war das erste Mal, dass sie die Höhle verließ. Ohnfeder kannte sie schon von ihren vielen Besuchen in den Höhlen, was es für Kieselherz leichter machte, denn die beiden mochten sich sehr gerne. Aber für die Zurückgebliebenen war es immer ein großer Schritte, zum ersten Mal ihre sichere Heimat zu verlassen. Ohnfeder, die ihren Hof und das Tal liebte, hatte sich nie vorstellen können, wie die alten Aleneshi (oder auch die Zurückgebliebenen) immer unter der Erde hatten bleiben können. Sie konnte jedoch die Gefühle verstehen, warum viele Alte die Höhlen nicht hatten verlassen wollen.

  Nachdem sich endlich auch die Onren in ihren Stall zurückgezogen hatten und, was noch viel wichtiger war, still geworden waren, ging Ohnfeder ins Haus und begann alles für den Besuch zuzubereiten. Sie stellte den Käse auf den Tisch, den sie während des Tages aus der frischen Nadumilch gewonnen hatte. Dazu etwas Zwieback, aber auch neues Brot. Sie füllte einen großen Krug mit Wasser und umringte ihn mit allen Bechern, die sie so finden konnte. In ein Schälchen legte sie verschiedene Waldbeeren, in ein anderes Obst aus ihrem Garten. Damit die kleine Kieselherz auch vertraute Speisen fand, war Ohnfeder gestern sogar noch Pilze sammeln gewesen.

  Sie war zufrieden mit dem, was sie ihren Gästen anbieten konnte, obwohl sie fürchtete, dass die kleine Kieselherz aus lauter Furcht nichts von alle dem Essen wollen würde.

  Anschließend schaute sie einmal aus den Fenstern, in der Hoffnung, dass sie schon kommen würden. Dann fiel ihr allerdings noch ein, dass sie hatte ein Feuer machen wollen, weswegen sie noch einmal schnell nach draußen lief, um Holz zu hohlen. Gerade als sie zurückkam konnte sie auch schon die Stimmen der Zurückgebliebenen hören. Schnell rannte sie ins Haus und warf, etwas unordentlich, die Hölzer neben die Feuerstelle. Sie wischte sich noch die Hände an ihrer Schürze ab, als ihre Gäste vom Pilgerpfad auf den Hof kamen und sie schon von weitem grüßten. Die beiden älteren Kinder liefen auf sie zu. Kieselherz jedoch hatte noch keine Augen für sie, denn sie musste dringend ihren Kopf im Kleid ihrer Mutter verbergen.

  Als sie ins Haus kamen, war es plötzlich drinnen so laut, wie es vor Sonnenuntergang noch auf dem Hof gewesen war. Nur war das Schreien der Kinder natürlich etwas anderes als das Schreien der Onren. Die Erwachsenen setzten sich gleich um den Tisch und betrachteten amüsiert das aufgetragene Mahl. Als sie das erste Mal bei Ohnfeder zum Essen gewesen waren, hatte sie ihnen noch viel von dem erklären müssen, was auf dem Tisch stand. Nur nachdem Ohnfeder ihnen gezeigt hatte, dass man all die Sachen essen konnte, hatten sie zu probieren gewagt. Das meiste hatte ihnen nicht geschmeckt. Ohnfeder war ähnlich mit dem umgegangen, was sie ihr angeboten hatten. Aber mit der Zeit hatten sich beide Seiten an das Essen der anderen gewöhnt, und der jeweilige Gastgeber achtete darauf, dass auch tatsächlich etwas aufgetischt wurde, was der andere mochte.

  Inzwischen hatten die Kinder das Holz neben der Feuerstelle gefunden und hatten begonnen, damit zu spielen. Sie hatten nur selten Holz zur Verfügung, denn in ihren Höhlen mussten sie meist auf Pilze, Moose, kleine Tiere und Stein zurückgreifen, wenn sie irgendetwas benötigten. Nur Kieselherz blieb weiter auf dem Schoß ihrer Mutter. Inzwischen traute sie sich jedoch, ab und zu ein wenig hervorzukucken. Dann lächelte Ohnfeder ihr immer aufmunternd zu, bevor Kieselherz den Kopf schnell wieder wegdrehen konnte.

  Die Gespräche mit den Pilzschabers waren immer recht schwierig, aber irgendwie schafften sie es immer, sich in einer Mischung aus ihren Sprachen zu verständigen. Hände und Füße mussten jedoch manchmal aushelfen. Ohnfeder hatte sich immer gewundert, dass ihre Sprachen so verschieden waren, wo sie doch alle von den gleichen Vorfahren abstammten. Aber es war halt so. Weder Priester noch Propheten hatten es ihr jemals wirklich erklären können – wozu auch. Hauptsache, sie konnten sich überhaupt irgendwie verstehen. Und es war doch mit den Jahren auch schon viel besser geworden. Sie hatten etwas von ihr und Ohnfeder etwas von ihnen gelernt. Manchmal wurde einer von ihnen sogar als Übersetzer dazu geholt, wenn es zu irgendwelchen Schwierigkeiten zwischen den Zurückgebliebenen und Priestern oder Händlern kam.

  Die kleine Kieselherz wurde erst richtig munter, als alle mit dem Essen begannen. Ihre Mutter ließ sie ein wenig von einer der Waldbeeren probieren. Zuerst verzog sie von dem sauren Beigeschmack das Gesicht und es schüttelte sie sichtlich. Dann aber blickte sie ihre Mutter an und wollte gleich noch eine essen. Und danach war kein Halten mehr. Hätten die anderen Kinder nicht auch schnell zugegriffen, sie hätte wohl die Beeren alleine gegessen. Auch das Obst mundete ihr vorzüglich. Dann begann sie mit den anderen zu spielen und das kleine Haus zu erkunden. Alles musste ihr erklärt werden, mal von ihren Geschwistern, mal von ihren Eltern oder Großeltern, mal von Ohnfeder. Schließlich saß sie bei Ohnfeder auf dem Schoß und ließ sich von ihr schmusen und verwöhnen.

  Es war wirklich ein schöner Abend und alle waren noch in bester Stimmung, als die Pilzschabers sich wieder auf den Heimweg machten. Ohnfeder hatte ihnen zwar zum wiederholten Male angeboten, dass sie doch bei ihr übernachten könnten, sie hatten jedoch zu viel Angst, dass sie am nächsten Morgen von der Sonne überrascht werden könnten. Und die hatten sie nun noch nie gesehen, und lehnten es auch vehement ab, dies jemals nachzuholen. Deswegen machten sie sich auf den beschwerlichen Heimweg, der umso beschwerlicher wurde, da die Kinder schon schliefen und getragen werden mussten.

  Der Abschied wurde denn auch, wie immer, sehr lang, denn eigentlich wollten sie sich nicht voneinander trennen. Aber keiner konnte und wollte tatsächlich auf Dauer in der Welt des anderen leben, und so musste es wohl so sein.

  Als sie dann doch gegangen waren, betrachtete Ohnfeder noch für einen Moment die Unordnung in ihrem Haus, entschied sich dann aber doch dafür, erst am nächsten Tag aufzuräumen. Warum einen perfekten Abend mit Arbeit verderben? Morgen würde genügend Zeit sein, frisches Wasser zu holen und sich über den leidigen Abwasch zu ärgern. Auf dem Weg zum Schlafraum deckte sie noch schnell das Feuer ab und tat die verderblichen Lebensmittel in einen der großen Krüge. Ihr war einfach nicht nach Ordnung zu Mute. Einen letzten Gedanken verschwendete sie noch an die Drursas, die früher immer ihre Küche heimgesucht hatten. Aber Emaofhia würde schon dafür sorgen, dass die kleinen Nager auch diese Nacht draußen bleiben würden. In ihrem Schlafraum brauchte sie nur noch ihre Schuhe und das Überkleid abzustreifen, und war schon unter den drei Decken verschwunden.

  Ohnfeder hatte erst kurz in ihrem Kastenbett gelegen, als es plötzlich an der Tür klopfte. Nun war es nichts ungewöhnliches, das ein Nachbar nachts noch vorbeikam, weil irgendetwas Unvorhergesehenes geschehen war. Auch konnten die Pilzschabers noch einmal zurückgekehrt sein, weil sie etwas vergessen hatte. Aber Ohnfeder meinte in dem Klopfen niemanden erkennen zu können, der nachts etwas auf ihrem Hof zu suchen gehabt hätte. Natürlich war es ihr nicht möglich, eine Person an ihrem Klopfen zu erkennen. Aber sie kannte doch ihre Freunde und Bekannten, die ab und an vor ihrer Tür standen. Dieses Klopfen war zu hart. Zu schnell. Zu heftig.

  Seitdem die Aleneshi wieder unter Sonne und Ring lebten, hatten sie auf sehr schmerzhafte Weise gelernt, dass nicht jeder, der das Licht mit ihnen teilte, dieses Licht auch teilen wollte. Sie hatten auch gelernt, dass man sich verteidigen konnte, wenn man nur den Mut aufbrachte.

  Ohnfeder stand sehr leise auf. Direkt neben ihrem Bett hatte sie auf Anraten ihrer Nachbarn, gleich nach dem Tod ihres Mannes, ein Brett aus der Wand gelöst, hinter dem immer eine Peitsche und ein Spieß lagen. Ohne zu überlegen griff sie nach dem Spieß. Er
war nicht besonders lang, vielleicht einen Fuß länger als sie selbst, aber sie konnte einfach besser mit ihm umgehen und er bot beiden Händen Halt. Langsam schlich sie in den Wohnraum. Es klopfte wieder. Da wollte wirklich dringend jemand zu ihr. Und er schien sich ziemlich sicher zu sein, dass sie zu Hause war.

  Das konnte nichts Gutes verheißen.

  Doch dann kam die Erlösung für Ohnfeders angespannte Nerven.

  „Macht auf, Frouwe Ohnfeder, ich weiß, dass ihr halbnackt hinter der Tür steht.”

  Das waren vielleicht nicht die Worte, die andere Aleneshi beruhigt hätten, aber für Ohnfeder von den Grünhainen bedeuteten sie, dass dort draußen der Aleneshi stand, vor dem sie sich wohl am wenigsten auf der Welt zu fürchten brauchte. Wobei sie sicher war, dass der Aleneshi kein echter Aleneshi war. Es war jedoch angenehmer ihn als ihresgleichen zu betrachten, als sich darüber Gedanken zu machen, was er denn wirklich sein mochte. Sogar bei dem Geschlecht war sie sich nicht einmal sicher. Denn sie hatte ihn wiederholt von Kindern und Schwangerschaften reden hören, so wie es nur Frauen taten. Nichtsdestotrotz war er ein guter Freund.

  Ohnfeder öffnete die Tür und sah sich einem jungen Aleneshi gegenüber, der sie unverwandt angrinste.

  „Irgendwann musst du mir erklären, wie du das anstellst, ich meine, zu wissen, dass ich barfuß bin und all das.”

  „Gehör, nur das Gehör, verehrte Frouwe Ohnfeder. Eure leichten Schritte auf dem Fußboden hinterlassen zwar immer nur ein wohlklingendes, sanftes Geräusch, doch ohne Schuhe ist es so zart wie die Schritte eurer Onren, die man leider vor lauter schnattern nie vernehmen wird.”

 

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