»You tell me to find someone else to love … Someone who love me too …«
Ich kann Felicity nicht in die Augen schauen, während diese Textzeilen zwischen uns in der Luft hängen. Das ist zu viel für mich.
Ich verlagere meinen Fokus auf Bethany, behalte die Finger auf den Saiten und schlucke den Kloß hinunter, der sich in meiner Kehle gebildet hat.
Ich bin so dermaßen erledigt.
»Du hättest es mir erzählen können, weißt du?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Und die Überraschung verderben? Das hätte doch keinen Spaß gemacht, oder?«
Ich schaue sie an, während sie ihre Großmutter anschaut, die nun am Klavier Hof hält. Ein halbes Dutzend ihrer Freunde haben sich um sie herum versammelt. Wir sitzen auf einer plüschigen Couch in der Ecke. Die Nachmittagssonne scheint durchs Fenster wie Butter und beleuchtet jeden faszinierenden Winkel von Felicitys Gesicht. Ich kann die Augen nicht von ihr lassen.
»Wie weit ist er fortgeschritten?«, frage ich sanft. »Der Gedächtnisverlust?«
Sie starrt mir blitzartig in die Augen.
»Die Pflegerin erwähnte etwas …«
»Es ist eine präsenile Form von Demenz. Und sie ist weit fortgeschritten.« Sie rattert diese Begriffe mit so viel Leidenschaft herunter, wie sie für eine Einkaufsliste aufbringen würde. Doch ich sehe den rohen Schmerz in ihren Augen. »Den Pflegerinnen zufolge … ist das hier der beste Tag, den sie seit Monaten hatte. Sogar seit Jahren.« Ich beobachte, wie sie den Hals reckt und den Kopf zur Decke neigt, damit sie nicht anfängt zu weinen. Ihre Worte sind kaum mehr als ein Flüstern, als könnte sie sie nur schwer aussprechen. »Sie hat mich großgezogen, weißt du? Nur für ein oder zwei Jahre, als ich noch sehr klein war. Aber das war die beste Zeit meines Lebens.«
Ihre Stimme bricht, und bei Gott, das macht mich fertig.
»Sie war mein Sicherheitsnetz. Mein Ersatzfallschirm. Die eine Option, die ich hatte, falls es zu Hause wirklich mal richtig schlimm werden sollte … Was im Grunde genommen ständig der Fall war, aber wenigstens wusste ich immer, dass ich in einen Bus steigen oder ein paar Stunden lang trampen konnte und sie da sein und mit ihrem roten Lippenstift an der Tür auf mich warten würde. Alter Hollywoodglanz und ein Haus voller Musik statt Streitereien und Angst und …« Als sie zu mir schaut, sind ihre Augen voller Tränen. »Doch als ich zehn war … fing sie an abzubauen. Sie wurde vergesslich. Zuerst waren es nur Kleinigkeiten, so klein, dass sie mir nicht mal auffielen, wenn wir miteinander telefonierten.« Eine Träne rinnt über ihre Wange, und ich muss scharf einatmen, um mich davon abzuhalten, eine Hand auszustrecken und sie wegzuwischen. Am liebsten würde ich sie in meine Arme ziehen und sie fest an meine Brust drücken.
Ich muss sie berühren – der Drang bringt mich förmlich um. Aber ich habe Angst, dass sie sich hinter die Mauer zurückziehen wird, die sie so hoch um sich herum errichtet hat, wenn ich es tue. Also beiße ich die Zähne zusammen und presse die Fingerspitzen gegen meine Jeans, während sie den Rest erzählt.
»Ich hätte merken sollen, dass etwas nicht stimmte.« Sie schüttelt den Kopf. »Ich hätte etwas unternehmen sollen …«
»Mit zehn Jahren?«, frage ich sanft. »Felicity …«
»Ich war alt genug!« Nun kommen ihre Tränen schneller. Sie wischt sie mit ihrem Handrücken weg. »Ich war so zufrieden damit, sie als meinen Rettungsanker anzusehen, dass mir nicht klar war, dass sie mich im Gegenzug auch als ihren gebraucht hätte. Erst als …«
»Erst als was?«
»Eines Abends machte sie sich vor dem Zubettgehen eine Tasse Tee und vergaß, die Flammen an ihrem Gasherd auszuschalten. Die Küche fing Feuer. Wenn ein Nachbar nicht die Flammen bemerkt und die Feuerwehr verständigt hätte … Sie wäre gestorben.«
»Herrgott.«
»Danach blieb uns keine Wahl. Ihr Arzt meinte, sie könne nicht mehr allein leben. Ich war zu jung, um mich um sie zu kümmern, und meine Eltern …« Sie schüttelt den Kopf. »Ihre Anwälte kümmerten sich um das, was von ihrem Vermögen übrig war, und steckten sie hierher in dieses Heim. Diese Sachen in ihrem Zimmer – das ist alles, was nach dem Feuer noch übrig war. Das ist alles, was sie auf der Welt noch hat.«
»Nein«, sage ich leise.
In ihren Augen schimmern Tränen, als sie in meine schaut. »Was?«
»Das ist nicht alles, was sie noch hat.« Ich bewege mich langsam genug, dass sie mich kommen sieht, strecke eine Hand aus und lege sie auf ihre. »Sie hat dich.«
Ich warte darauf, dass sie ihre Hand wegzieht, dass sie zurückzuckt … Doch stattdessen dreht sie ihre Hand unter meiner um und verschränkt unsere Finger miteinander. Dann drückt sie so fest zu, dass die Knochen in meinen Fingern schmerzen. Es ist, als würde sie ertrinken und ich wäre ihre Rettungsleine, die in die Wellen geworfen wurde, um sie an Land zu ziehen. Ich suche nach den richtigen Worten, aber mein Kopf ist leer. Ich sitze da, halte ihre Hand und fühle mich in etwa so selbstsicher wie ein Fünfzehnjähriger bei seiner ersten Verabredung. Aber ich kann einfach nicht anders. Diese Frau …
Sie macht mich fertig.
»Ich bin seit zwei Jahren nicht mehr hier gewesen«, flüstert sie, und in ihrer Stimme liegt so viel Schuldgefühl, dass ich zusammenzucke. »Ich wäre früher gekommen, aber meine Familie … meine Eltern … es ist kompliziert.«
»Hey.« Ich drücke beruhigend ihre Hand. »Du musst mir nichts erklären.«
»Das weiß ich.« Sie blinzelt auf unsere Finger hinunter, die fester miteinander verschlungen sind als Schlingpflanzen, und ein Lachen entringt sich ihrer Kehle. »So habe ich mir meinen Tag wirklich nicht vorgestellt.«
»Was meinst du damit?« Sie schüttelt den Kopf, wodurch seidige Haarsträhnen wie Wellen über ihre Schultern fallen. »Das kommt so unerwartet. Ich weiß, dass ich es dir nicht leicht gemacht habe, weil ich nicht wollte, dass du mit reinkommst. Aber ich bin wirklich froh, dass du mitgekommen bist. So ungern ich es auch zugebe, allein hierherzukommen wäre schwer gewesen. Und …« Sie scheint nach den richtigen Worten zu suchen.
Ich warte und wage es kaum, mich zu bewegen, während sie mich anschaut. Der Ausdruck in ihren Augen trifft mich wie ein Schlag.
»Es ist schön, zur Abwechslung mal jemanden zu haben, auf den man sich stützen kann«, murmelt sie. »Danke, Ryder.«
Mein Herz verkrampft sich. Das war’s.
Zum Teufel mit der Tatsache, dass ich bald von hier verschwinde.
Zum Teufel mit der Tatsache, dass es falsch ist.
Zum Teufel mit der Tatsache, dass sich die ganze Welt gegen uns verschworen hat.
Wenn ich diese Frau jetzt nicht küsse, werde ich es für den Rest meines Lebens bereuen.
Ich lehne mich vor. »Felicity …«
»Weißt du was?«, fragt sie und fällt mir damit ins Wort. »Diese Freundschaftssache ist ziemlich cool.«
Ich erstarre und spüre, wie sich meine Absichten in meinem Magen in Blei verwandeln. Die Realität trifft mich mit voller Wucht.
Freunde.
Wir sind Freunde.
Das muss ich jetzt für sie sein. Ich darf das nicht verbocken, indem ich mich wie ein selbstsüchtiger Idiot aufführe. Nicht wenn sie mich so anschaut und ihr Grinsen so breit und so voller Hoffnung ist.
Ich tue mein Bestes, um dieses Grinsen zu erwidern, und hoffe, dass sie nicht bemerkt, wie meine Selbstbeherrschung an den Nähten langsam ausfranst.
10. KAPITEL
Felicity
Wir verbringen den kompletten Nachmittag bei meiner Großmutter in Elmwood. Sie mag sich nicht an mich erinnern, aber die Erinnerungen an ihre ruhmreichen Tage sind immer noch intakt, und sie hat jede Menge Geschichten zu erzählen. Eine kleine Gruppe versammelt sich um sie herum, während sie von der Zeit erzählt, als sie und ein paar andere frischgebackene Stars in den frühen 1950ern zwischen zwei Auftritten eine Autopanne auf der Fernstraße hatten und den ganzen Weg von Tulsa nach Tallahassee per Anhalter zurücklegen mussten. Sie tauschten Lieder gegen Mahlzeiten und Unterkünfte ein. Auße
rdem erzählt sie, wie Johnny June hinter der Bühne anschaute, und zwar lange bevor sie ein Paar wurden. Und dann ist da noch die Erinnerung an die schwere Zeit, die sie alle durchleben mussten, nachdem sie Patsy durch einen Flugzeugabsturz verloren hatten.
Immer mal wieder schaue ich zu Ryder, um sicherzugehen, dass er sich nicht langweilt. Doch er scheint genauso gebannt zu sein wie alle anderen im Raum, während sie eine Geschichte nach der anderen erzählt. Es gibt viel Gelächter und mehr als ein paar Tränen. Beweise eines guten Lebens.
Bevor alles den Bach runterging.
In gewisser Weise bin ich froh über ihre Demenz. Sie hat ihr zusammen mit ihren Erinnerungen auch den Schmerz genommen. Natürlich bin ich traurig, dass sie mich vergessen hat … Aber es tröstet mich, dass auch ein paar Jahre des Leidens durch meine Mutter und meinen Vater gelöscht wurden. All die Rechtsstreite und die einstweiligen Verfügungen … all die Kämpfe und Anwälte und Gerichtssäle …
Wenn Bethany Hayes ein Kapitel ihres ereignisreichen Lebens vergessen muss, dann bin ich froh, dass es das letzte ist. Das traurigste. Das Kapitel, das ihr das Herz brach.
Und mir meins.
Die Stunden vergehen wie im Flug, und ich merke kaum, wie spät es geworden ist, bis die Pflegerinnen mit den Abendessentabletts hereinkommen. Ich stehe auf, suche den Raum nach Ryder ab und entdecke ihn in einer Ecke, wo er mit dem Handy telefoniert. Ich bin nicht sicher, mit wem er redet, aber es sieht wie ein angespanntes Gespräch aus, denn seine Miene ist steinern. Ein Teil des Lichts ist aus seinen Augen gewichen, als er zu mir herüberkommt. Er steckt sein Handy in seine Gesäßtasche, als wäre es giftig.
»Alles in Ordnung?«
»Nur ein wenig Theater mit der Band.«
Mit anderen Worten: Theater mit Lacey.
Er führt das nicht aus, und sosehr ich auch wissen will, was los ist, habe ich nicht das Recht, ihm Einzelheiten abzuverlangen. Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr und stelle verblüfft fest, dass es schon fast achtzehn Uhr ist.
»Ach herrje, ich habe dich den ganzen Tag lang in Beschlag genommen. Vermutlich musst du nach Hause.« Ich greife nach unten, um meine Handtasche vom Boden aufzuheben. »Lass uns fahren.«
Sein Blick ist auf meine Großmutter und ihre Freunde gerichtet, die mit ihren Rollstühlen und Gehhilfen um den erhöhten Tisch herumsitzen und zu Abend essen wollen. Die Pflegerinnen stellen Teller mit Hackbraten und Kartoffelbrei vor sie, und ich spüre, wie mein Magen knurrt. Ich hatte schon so lange keine warme Mahlzeit mehr, dass selbst püriertes Rindfleisch und matschige Erbsen himmlisch erscheinen.
»Wir können noch ein wenig länger bleiben, wenn du willst«, murmelt er. »Ich habe es nicht eilig, zurückzufahren und mich um diesen Mist mit Lacey zu kümmern. Und ich habe keine anderen Termine.«
»Du willst mir erzählen, dass Ryder Woods an einem Dienstagabend nichts Besseres zu tun hat, als mit mir in einem Altenpflegeheim herumzuhängen?«
Er tut so, als würde er kurz darüber nachdenken, und reibt mit äußerst konzentrierter Miene über seinen Bart. »Hmmm … Nein. Mir fällt nichts ein.«
Ich schnappe nach Luft. »Ich glaube nicht, dass sich dein Ruf von diesem Schlag erholen wird.«
»Süße, zerbrich dir nicht deinen hübschen kleinen Kopf über meinen Ruf. Wenn man so Gitarre spielt wie ich, kommt man sogar mit Mord davon.«
»Dann lassen Sie mal hören!«, ruft meine Großmutter, die unsere Unterhaltung schamlos belauscht hat.
Ryder dreht den Kopf zu ihr herum. »Wie bitte?«
»Wie wäre es mit ein wenig musikalischer Untermalung während des Essens?«
Eine der Pflegerinnen schürzt die Lippen. »Es ist spät, Mrs Hayes. Schon fast Schlafenszeit. Denken Sie nicht …?«
»Ich denke, dass wir alt sind, nicht tot. Und wenn wir gern ein wenig Musik hätten, um diesen Fraß, den Sie uns vorsetzen, genießbarer zu machen, dann sollten wir sie bekommen.« Sie zwinkert mir zu. »Wie wäre es, wenn du deinen Liebsten davon überzeugst, etwas für uns zu spielen, Schätzchen?«
»Oh, er ist nicht mein …«, setze ich zu einer Erklärung an.
»Ich werde spielen«, sagt Ryder und fällt mir ins Wort. Er schaut zu mir. »Aber nur, wenn sie mit mir singt.«
»Was?« Ich werde blass. »Ich?«
»Du.«
»Du weißt, dass ich nicht in der Öffentlichkeit singe«, zische ich durch ein verkrampftes Lächeln.
»Heute Abend wirst du es tun.«
»Ryder!«
»Würdest du dich mal entspannen?« Er legt eine Hand auf mein Kreuz – wodurch sich zu der Panikattacke, die ich gerade erleide, auch noch Herzklopfen gesellt – und führt mich zu zwei Hockern. Er senkt den Mund an mein Ohr, und ich erschaudere, als sein warmes Flüstern auf meine Haut trifft. »Wir sind hier nicht in der Öffentlichkeit. Die Hälfte dieser Leute wird sich nicht mal mehr an uns erinnern, sobald wir zur Tür hinausgehen. Das ist der perfekte Zeitpunkt für dich, um es auszuprobieren.«
»Aber …«
»Komm schon, du Feigling.«
»Ich kann nicht.«
»Du kannst. Für sie.«
»Aber …«
»Felicity.« Er setzt mich auf den Hocker. »Was ist das Schlimmste, das passieren kann? Dass du erstarrst? Dass du dich verschluckst? Das wird nicht passieren. Und selbst wenn … bin ich bei dir. Du bist nicht auf dich allein gestellt.«
Ich zögere und schwanke, als sich unsere Blicke treffen. Ich bin unglaublich nervös … Aber ein kleiner Teil von mir fragt sich, wie es wohl wäre. In der Öffentlichkeit zu singen. Mit ihm zu singen.
Was ist das Schlimmste, das passieren kann?
Du bist nicht auf dich allein gestellt.
Ich wickele seine Worte um mein Herz wie eine schützende Decke, atme scharf aus und nicke zustimmend. »In Ordnung. Ich werde es tun … Für sie.«
Der Triumph, der in seinen Augen aufflammt, sorgt dafür, dass mein Herz schneller schlägt. »Gut. Was singen wir?«
Ich fahre mit einer Hand durch mein Haar, während ich im Geiste eine Liste mit den Lieblingsliedern meiner Großmutter durchgehe. Die Lieder, die sie auf ihrem alten Plattenspieler spielte, als ich noch zu klein war, um zu verstehen, warum die nette Dame vom Jugendamt sagte, dass ich eine Weile lang nicht in meinem Zuhause wohnen könne. Jene Jahre, in denen wir auf ihrer abgeschirmten Veranda herumtanzten und sie mir all die Klassiker vorsang, waren die besten Jahre meiner Kindheit und die letzten meiner Unschuld.
Ein kurzer, heller Punkt in der Dunkelheit.
Das Auge des Sturms.
»Hey, Bethany!«, rufe ich und warte darauf, dass sie den Kopf hebt, um mir in die Augen zu schauen. »Johnny und June oder George und Tammy?«
»Als ob das eine Frage wäre!« Sie schnaubt undamenhaft in ihren Hackbraten. »Um Himmels willen, wer hat dich großgezogen, Mädchen?«
Das warst du. Ich wünschte, dass du dich daran erinnern würdest, Oma.
Ich blinzle Tränen weg und zwinge mich zu einem Lächeln, während ich zu Ryder hinüberschaue. In seinen Augen schimmert Mitgefühl.
»Johnny und June natürlich«, murmle ich.
Er nickt. »›Ring of Fire‹?«
Der Text rauscht verschwommen durch meinen Kopf. Die Vorstellung, hier zu sitzen und zu singen, ist schon schlimm genug. Aber dieses Lied zu singen … mit ihm … während es darum geht, dass man vor wildem Verlangen verbrennt …
»Ähm.« Ich schlucke. »Ich dachte an etwas, das ein wenig lebhafter ist – wir könnten ›Jackson‹ singen. Das ist ein lustiges Lied.«
Gedanken wirbeln hinter seinen Augen, während er über meinen Vorschlag nachdenkt. »Haben sie nicht eine Coverversion von Bob Dylans ›It Ain’t Me Babe‹ gemacht? Warum singen wir nicht lieber das? Da kenne ich die Akkorde besser.«
»Klar«, stimme ich automatisch zu, da ich zu nervös bin, um über die Liedauswahl zu diskutieren. Meine Hände zittern, also schiebe ich sie unter meine Oberschenkel und konzentriere mich auf seinen Fuß, mit de
m er rhythmisch auf den Parkettboden tippt, um das Tempo vorzugeben. Im Raum wird es still, als seine Finger den ersten Akkord spielen. Ich halte den Blick fest auf das Gesicht meiner Großmutter gerichtet, um mir vor Augen zu führen, warum ich das hier mache. Ihr Lächeln ist breiter, als es den ganzen Tag über gewesen ist.
Für sie. Ich tue das hier für sie.
Ryder übernimmt die erste Strophe und singt Johnnys Text perfekt. Jede Frau im Publikum, von den Pflegerinnen bis hin zu den Achtzigjährigen, schmilzt angesichts seiner tiefen, rauen Stimme, die durch die Luft rollt, dahin.
»I’m not the one you want, babe. I’m not the one you need …«
Als er zum Refrain kommt, hole ich tief Luft, falle mit ein und füge meine Stimme seiner hinzu. Er schenkt mir ein ermutigendes Grinsen, als wir im Einklang singen. Zuerst befürchte ich, dass ich wie eine Maus klingen könnte – dass sich meine Altstimme neben seinem starken Bariton wie ein armseliges Quieken ausnehmen könnte. Doch zu meiner großen Überraschung ist das Gegenteil der Fall. Seine Stimme macht meine irgendwie stärker und hebt sie auf eine Plattform, dass alle sie hören können. Meine Noten klingen klarer und deutlicher, als sie es tun, wenn ich allein in meinem kleinen Zimmer über dem Nightingale vor mich hin singe.
»It ain’t me, babe«, singen wir gemeinsam, und unsere Stimmen harmonieren perfekt miteinander. »It ain’t me you’re lookin’ for.«
Ich habe meine Augen fest auf seine gerichtet. Ich kann den Blick nicht abwenden. Zwischen uns gibt es eine Verbindung wie ein Stromkabel. Unsichtbare Fäden verweben die Luft zu einem unzerreißbaren Seil, während wir über zwei Liebende singen, die nicht falscher füreinander sein könnten. Mit jedem Wort, das über meine Lippen kommt, werde ich ein wenig stärker von ihm angezogen, und ich bin absolut nicht in der Lage, es zu verhindern.
In der Art, wie seine tiefen Töne meine höheren abrunden und meine Süße seine Rauheit abmildert, liegt eine natürliche, nicht zu leugnende Chemie. Es ist ein Ganzes, das sehr viel größer ist als die Summe seiner Teile, eine sich ergänzende Paarung, die uns beide besser macht. Die Erkenntnis ist erschütternd, und ich sehe, wie sich die gleiche Überraschung in Ryders ungleichen Augen spiegelt, als er meinen Blick erwidert.
Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment Page 12