Ich nicke.
Sie legt ihre Hand auf meine und drückt sie. »Oh, Schätzchen.«
»Ist schon gut. Ich bin in Ordnung. Wirklich. Aber … jetzt verstehst du es, oder? Jetzt begreifst du, warum ich weglaufen muss, ja?«
»Ich verstehe es. Aber ich denke trotzdem nicht, dass Weglaufen die Lösung ist. Was soll das langfristig bringen?«
»Du kennst meinen Vater nicht«, murmle ich düster.
»Wenn er so fest entschlossen ist, dich zu finden, wie du es darstellst, untermauert das mein Argument nur.« Sie lehnt sich vor und sagt mit Nachdruck: »Er wird niemals aufhören, dich zu verfolgen. Und du wirst niemals aufhören, davonzulaufen. Das ist doch kein Leben.«
»Was soll ich denn deiner Meinung nach tun, Carly?« In meinen Augen brennen Tränen. »Soll ich einfach zulassen, dass er mich findet? Soll ich mich von ihm zurück zu dem Haus zerren lassen, in dem ich aufgewachsen bin? Ich kann nicht dorthin zurückgehen. Ich habe meine Kindheit damit verbracht, die Tage bis zu meinem achtzehnten Geburtstag zu zählen, weil ich dachte, dass ich dann endlich frei sein würde.« Ich lache brüchig. »Jetzt bin ich endlich achtzehn, aber ich bin immer noch genauso gefangen wie zuvor.«
»Nein. Das bist du nicht.« Sie umklammert fest meine Hand. »Du bist erwachsen. Wenn du um Hilfe bittest, wird man dich nicht in irgendeine Pflegefamilie stecken oder dich dem Jugendamt ausliefern. Diese Zeiten sind vorbei. Wenn dich dieser Mistkerl wieder verfolgt, rufst du die verdammte Polizei und lässt ihn verhaften. Du suchst dir einen Anwalt, der für dich eine einstweilige Verfügung erwirkt. Du nimmst an Selbstverteidigungskursen teil, damit du dich schützen kannst, egal was passiert. Du holst dir dein Leben zurück, Babe. Lass nicht zu, dass er über dich bestimmt. Leb nicht länger in Angst.«
»Aber ich habe Angst«, gebe ich leise zu.
»Ich weiß. Glaub mir, das weiß ich wirklich. Ich habe selbst eine Menge Gründe, warum ich in Nashville ganz neu angefangen habe.« Ihre Augen sind trauriger, als ich sie je gesehen habe. »Menschen wie dein Vater nutzen das zu ihrem Vorteil aus. Zu sehen, wie du verängstigt wegläufst, in der Klemme steckst und dein Leben in Furcht verbringst … Das spornt sie geradezu an.«
Ich nicke. »Ich weiß. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich diese Angst loswerden kann. Ich höre seine Stimme und … verfalle einfach in Panik.«
»Missbrauchstäter erzielen nur einen Bruchteil ihrer Macht durch körperliche Gewalt. Der Großteil ihres Einflusses rührt von der Angst her, die sie auslösen, ohne auch nur die Hand zu heben. Wenn man sich weigert, Angst zu haben … nimmt man ihnen damit einen Großteil der Macht, die sie über einen haben.«
»Aber wie? Wie hört man auf, Angst zu haben? Du lässt das so einfach klingen.«
»Es ist nicht einfach. Stärke statt Angst zu empfinden ist das Schwierigste auf der Welt.« Ihre Stimme wird leiser. »Vielleicht kann man die Angst nicht ausmerzen. Nicht komplett. Vielleicht geht es einfach nur darum, kleine Fortschritte zu machen, um sie zu überwinden.« Sie schaut mich an und lächelt leicht. »Eine ordentliche Mütze voll Schlaf und ein hausgemachtes Essen sind vermutlich ein guter Anfang.«
»Du bist eine ziemlich gute spirituelle Führerin, weißt du das?«, sage ich nach einer Weile.
»Ich weiß«, sagt sie und streichelt mein Haar.
Wir legen Countrymusik auf und tanzen lachend durch Carlys Küche, während wir frittiertes Hühnchen, grüne Bohnen und Kartoffelbrei zubereiten. Mein letztes Essen, das nicht aus einer Dose oder einer Schachtel kam, ist ewig her. Ich war sieben Jahre alt und lebte bei meiner Oma, während meine Eltern einen vom Gericht verordneten sechsmonatigen Aufenthalt in einer Entzugsklinik absaßen. Nach einem besonders üblen Oxycodonrausch vergaßen sie, mich an einem Freitag von der Schule abzuholen. Ich verbrachte das Wochenende bei Miss Potts, meiner Lehrerin, während die Behörden meinen Eltern einen Besuch abstatteten und sie nicht ansprechbar auf dem Wohnzimmerfußboden vorfanden.
Das ist nicht unbedingt meine schönste Kindheitserinnerung.
Außerdem war es kein Einzelfall.
Als Carly und ich uns zum Essen hinsetzen, wird unsere Unterhaltung immer wieder von lauten Rufen auf der Straße und fröhlichem Gelächter von Leuten unterbrochen, die unterwegs zum Festival sind. Es ist jetzt in vollem Gange. Wir können aus der Ferne Musikfetzen der jeweiligen Bands hören, die gerade spielen.
Wir schauen uns an, als wir unsere leeren Teller zum Spülbecken tragen. Sie sagt kein Wort, aber ihre Gedanken sind deutlich auf ihrem Gesicht zu lesen: Sie will da draußen sein und den Abend mit dem Rest der Stadt genießen.
»Schön«, murmle ich und hole tief Luft. »Lass uns gehen.«
»Wir müssen nicht, wenn du lieber hierbleiben möchtest. Wirklich nicht.«
»Ich weiß. Aber du hast recht.« Ich zucke mit den Schultern. »Ich kann nicht aufhören, mein Leben zu leben. Dann hat er gewonnen.«
Ihr Grinsen ist unfassbar breit. »Das Feuerwerk findet erst in einer guten Stunde statt. Wenn wir uns beeilen, können wir es noch rechtzeitig schaffen, um ein paar Bands auf der Bühne im Riverside Park zu sehen. Schnapp dir diese Decke, dann können wird uns draufsetzen, falls wir eine geeignete Stelle finden!«
Ich greife nach der marineblauen Wolldecke auf der Couch, und Carly holt ihre Schlüssel. Dann machen wir uns auf den Weg.
Draußen ist es noch warm, obwohl die Sonne bereits in Richtung Horizont wandert und der Abend dämmert. Die Menge wird dichter, je näher wir dem Fluss kommen. Boote, die darauf vor Anker liegen, schmücken die Wasseroberfläche. Sie sind festlich mit bunten Lichtern geschmückt, die um ihre Buge drapiert sind. Tausende von Leuten haben sich Plätze auf dem Gras gesichert und ihr Territorium mit Kühlboxen und Picknickdecken markiert. Sie alle freuen sich auf das Feuerwerk.
Von der Stadt geht an diesem Abend eine aufgeregte Energie aus. Alle sind gut gelaunt und wollen Amerikas Geburtstag feiern, von torkelnden Kleinkindern bis hin zu Großeltern in Rollstühlen. Ich lächle alles und jeden an und lasse mich von der ausgelassenen Stimmung der Menge anstecken, während wir in Richtung der Fußgängerbrücke in der Nähe der Shelby Avenue gehen, die über den Fluss führt. Carly hakt sich bei mir unter, damit wir uns in dem Chaos nicht verlieren.
Zum ersten Mal seit Ryders Abreise bin ich glücklich.
Trotzdem wünschte ich, dass er hier wäre. Ich kann einfach nicht anders. Ich würde ihn zu gerne für eine so große Menge spielen sehen. Andererseits bin ich mir sicher, dass er schon bald zusammen mit Lacey auf sehr viel größeren Veranstaltungen spielen wird – in Los Angeles und auf der ganzen Welt. Mein Lächeln gerät beim Gedanken daran ein bisschen ins Wanken.
Carly hat vorhin versucht, mir Einzelheiten zu entlocken, aber ich war nicht in der Stimmung, ihr alles zu erzählen. Diese Erinnerungen, die ich mit Ryder teile, sind für mich sehr kostbar. Etwas, das ich dicht an meinem Herzen aufbewahre und gut bewache. So etwas erzählt man nicht beiläufig während einer Unterhaltung beim Abendessen.
Er gehört immer noch mir.
Auch wenn es nicht so ist.
»Das ist der Wahnsinn!«, rufe ich Carly zu, als wir uns einer der Bühnen nähern und die riesige Menschenmenge bestaunen.
»Viel besser, als sich in meiner Wohnung zu verstecken, oder?«
Sie hat so recht.
Mindestens zwanzigtausend Menschen drängen sich auf der stufig angelegten Rasenfläche, die zum Fluss hinunterführt, und schauen der Band auf der Bühne zu. Ich erkenne sie wieder. Sie haben vor zwei Wochen im Nightingale gespielt. Die Leadsängerin hat eine Stimme wie Seide und spielt so schnell auf ihrer Geige, dass mir ganz schwindelig wird, wenn ich ihr zu lange dabei zuschaue.
Ursprünglich dachte ich, dass wir in der hintersten Reihe bleiben müssten, weil wir so spät angekommen sind. Doch mittlerweile sollte ich wissen, dass man nicht an Carly zweifeln darf. Sie marschiert direkt auf einen der Typen zu, die gerade einen Soundcheck durchführen, und gibt ihm einen neckischen Kuss auf die Wange. Auf diese Weise schafft sie es irgendwie, uns einen Platz direk
t vorne an der Bühne im abgesperrten VIP-Bereich zu sichern.
»Er ist furchtbar im Bett, aber die Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen«, informiert sie mich leise und zwinkert, als ihr Liebhaber uns an den samtenen Absperrseilen vorbeiführt. Wir sind so nah an der Bühne, dass ich den Hals nach hinten recken muss, um die Künstler sehen zu können. Wir finden eine kleine freie Stelle, auf der wir unsere Decke ausbreiten können. Ich lege mein Sommerkleid um meine Oberschenkel, schüttle die Sandalen von meinen Füßen und lasse meine Zehen vom Gras kitzeln, während die Sonne immer tiefer sinkt. Mittlerweile ist es fast vollkommen dunkel. In etwa einer Stunde geht das Feuerwerk los.
Carly spaziert zu der behelfsmäßigen Theke, die ein paar Meter entfernt steht, und holt sich ein Bier, während ich unsere Stelle bewache. Eine kurze Pause entsteht, während die Bands wechseln. Ich sehe zu, wie Roadies, die komplett in Schwarz gekleidet sind, Ausrüstung herumtragen, und frage mich gedankenverloren, wer wohl als Nächstes auftreten wird. Es wird die letzte Vorband sein, bevor der Hauptact auf die Bühne kommt.
Das Licht geht aus, um den Beginn des nächsten Auftritts anzukündigen, und die Menge jubelt. Ich kneife die Augen zusammen und versuche, die Gesichter der Musiker zu erkennen, doch ich kann lediglich die vagen Umrisse eines Schlagzeugs sehen. Plötzlich ertönt von allen Seiten laute Musik, als die ersten Gitarrenklänge aus den riesigen Lautsprechern schallen. Die Musik ist so laut, dass der Boden unter meinen Füßen bebt. Doch das ist nicht der Grund dafür, dass mir der Atem stockt und mein Körper vollkommen erstarrt.
»Hey.«
Ein Wort.
Es trifft mich wie ein Blitzschlag – es rast durch meine Nervenenden und erleuchtet mich von innen heraus. Schon bevor die Bühnenscheinwerfer angehen, um ihn sichtbar zu machen, weiß ich, dass mir der Mann, der dort steht, den Atem rauben wird.
»Nashville … Ich muss schon sagen, ihr seht heute Abend echt toll aus!«, ruft er ins Mikro, als das Licht angeht.
Die Menge jubelt und pfeift anerkennend, aber ich bin nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Ton herauszubringen. Irgendetwas steckt in meiner Kehle fest. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es mein Herz ist.
»Wir freuen uns sehr, hier zu sein und mit euch allen den vierten Juli zu feiern!« Er schenkt der Menge sein bestes Grinsen – das Grinsen, das die Frauen in den Wahnsinn treibt. Das Grinsen, das mich in den Wahnsinn treibt. »Ich bin Ryder, das am Bass ist Aiden, und Lincoln ist der Typ am Schlagzeug … und wir sind hier, um Amerika einen unvergesslichen Geburtstag zu bescheren. Meint ihr, dass ihr uns dabei helfen könnt? Lasst uns hören, ob ihr bereit seid, Nashville!«
Die Reaktion ist ohrenbetäubend.
Ich warte atemlos auf den Moment, in dem diese unglaublichen blau-braunen Augen in meine Richtung schauen und Ryder mich in der Menge entdeckt … Aber ich bin nur ein einzelner, stiller Tropfen in einem Meer aus schreienden Leuten. In dieser Masse bin ich unsichtbar.
Die Jungs beginnen mit einer übermütigen Version von »Hard Luck«. Das war mal eins von Laceys Liedern, aber heute Abend ist sie nirgends zu sehen. Ich sitze wie gebannt da und lasse Ryder für keine Sekunde aus den Augen, während er sich die Bühne zu eigen macht. Er bewegt sich da oben so natürlich, als wäre das der Ort, für den er bestimmt ist, und fesselt die Menge allem Anschein nach mühelos. Ich kann sehen, wie ihn die Jubelrufe anspornen. Seine Augen leuchten, und seine Gliedmaßen lockern sich, während sich das Lied entfaltet. Er ist vor Tausenden von Leuten genauso selbstbewusst, wie er es ist, wenn er seine Gitarre vor einer Gruppe Demenzpatienten in einem Altenpflegeheim spielt.
Mir kommt der gleiche Gedanke, den ich auch schon beim ersten Mal hatte, als ich ihn auf der Bühne sah: Ryder Woods wurde geboren, um ein Star zu sein.
Also … warum ist er wieder hier? Mein Herz pocht. Wofür – für wen – ist er zurückgekommen?
»Heilige Scheiße!«, zischt Carly und lässt sich neben mir auf die Decke fallen. Sie reicht mir eine Flasche Wasser und nippt an ihrem Bier. »Ist das …?«
»Ja.«
»Ich dachte, er wäre abgehauen …«
»Das dachte ich auch.«
»Aber jetzt ist er wieder da …«
»Scheint so.«
»Ist das eine gute oder eine schlechte Neuigkeit?«
Ich schaue sie an und schlucke schwer. »Das weiß ich noch nicht.«
»Tja … Mist.«
»Das kannst du laut sagen, Carly. Das kannst du laut sagen.«
23. KAPITEL
Ryder
Es tut so verdammt gut, wieder zu Hause zu sein.
Wieder zusammen mit der Band auf der Bühne zu stehen. Meine Gitarre in den Händen zu halten und meine Lieder zu singen. Ich singe mit der ganzen Begeisterung, die ich aufbringen kann, für die Menge und lasse den Blick über das Flussufer schweifen. Wegen der grellen Scheinwerfer, die mir in die Augen scheinen, fällt es mir schwer, Gesichter zu erkennen, aber da draußen müssen etwa zwanzigtausend Leute sein. Sie sitzen auf Picknickdecken und lauschen unserer Musik.
Ich bin immer noch ein wenig sprachlos, dass Aiden in der Lage war, das hier zu organisieren. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, uns unseren Platz auf der Bühne zurückzubeschaffen, aber ich wäre absolut nicht überrascht, wenn ich erfahren würde, dass er jemandem tief in den Hintern kriechen musste, um das zu bewerkstelligen. Für jemanden, der so schweigsam ist, kann er wirklich charmant sein, wenn es darauf ankommt.
Wir spielen ein paar unserer abgewandelten Lieder, die ursprünglich für Lacey gedacht waren, und zwei unserer besten Coverversionen. Wir bringen das Publikum auf Touren, bis sich alle im Takt der Musik bewegen und mitsingen. Bevor wir die nächste Nummer spielen, nicke ich Aiden zu, und seine Finger erstarren, während ich ans Mikro trete.
»Danke!«, rufe ich über den Applaus hinweg. »Mann, ihr seid toll. Wir haben heute Abend nur noch ein paar Lieder für euch, aber das nächste liegt mir ganz besonders am Herzen.«
Pfiffe und Rufe werden laut.
»Es handelt von einer Frau, von der ich mich nicht verabschieden wollte …«
Die Menge gibt ein einstimmiges gerührtes Seufzen von sich.
»Ich weiß nicht, wo sie ist oder ob sie das hier jemals hören wird … Aber, Felicity, wo auch immer du heute Abend sein magst … Das hier ist für dich, Baby.«
Ich weiß, dass sie fort ist, aber das spielt keine Rolle. Ich rufe mir ihr Bild vor Augen, um es in Gedanken festzuhalten – bernsteingoldene Augen, die fest auf meine gerichtet sind, ein langer, dichter Zopf, der ihr über den Rücken hängt wie ein Seil, ein eingerostetes Lächeln, das an ihren Mundwinkeln zupft. Ich umfasse das Mikro, schließe die Augen und singe für sie.
Nur für sie.
»Why would I look at the stars
when I could look at you?
Why would I close off my heart
when you’ll just break through …?«
Die Menge ist vollkommen still. Vollkommen gebannt.
»’Cause I got too close to the flame
Blinded my sight, ruined my name.
Wasn’t till I saw you that it hit me …
I was burning up …
For a girl named Felicity.«
Ich habe den Eindruck, dass unten am Rand der Bühne Unruhe entsteht, aber ich bleibe fest auf das Lied konzentriert.
»Why would I tear you apart
when I could walk away?
Why would I tell you the truth is,
I just want to stay?«
Aiden und Linc spielen lauter, als ich die letzte Strophe mit voller Kraft singe.
»’Cause I got too close to a star
Singed on my mind, scored on my heart
Wasn’t till I left that it hit me,
I was in love …
With a girl named Felicity.
A girl named Felicity …«
Ich halte die letzte Note und sorge so dafür, dass ihr Name nachklingt. Als ich schließlich verstumme, reagier
t das Publikum so heftig, dass ich zuerst glaube, dass sie aus einem anderen Grund jubeln. Ich kann kaum fassen, dass sie uns zujubeln. Nachdem ich L. A. verlassen hatte, dachte ich, dass dieser Teil meines Lebens vorbei wäre. Dass ich niemals wieder auf einer Bühne stehen, diesen unglaublichen Rausch erleben und meine Worte mit einem wogenden Ozean aus Fremden teilen würde.
Genau so sollte Musik sein. Es geht nicht darum, sich das richtige Outfit zuzulegen oder auf den hippsten Partys aufzutauchen oder die meisten Follower auf Instagram zu haben. Es geht um das hier. Um dieses Gefühl, das man empfindet, wenn sich die Luft aufgrund der Noten, die die Fingerspitzen verlassen, in Feuer verwandelt und sich das Herz über die Grenzen des Brustkorbs hinweg ausbreitet und sich mit jeder einzelnen Person dort draußen verbindet, die deiner Musik zuhört.
»Danke«, sage ich und öffne die Augen. »Ich danke euch allen so sehr.«
Ich kann meine eigenen Worte kaum verstehen, weil das Gebrüll so laut ist – das Publikum hat das Soundsystem überwältigt. Die meisten Leute sind aufgestanden und wedeln mit den Armen in meine Richtung. Es ist beinahe so, als würden sie auf etwas zeigen … als wollten sie unbedingt erreichen, dass ich etwas bemerke …
Ich drehe den Kopf.
Und mein verdammtes Herz bleibt stehen.
Sie steht barfuß in einem hauchdünnen weißen Kleid da und sieht wie ein gottverdammter Engel aus, der direkt vom Himmel geschickt wurde. Ihre Augen sind auf meine gerichtet, und in ihrer Miene liegt so viel Fassungslosigkeit und Freude und Sehnsucht, dass es mich fast in die Knie zwingt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie mein eigenes Gesicht in diesem Moment aussieht.
Felicity.
Die Menge ist verstummt und wartet mit angehaltenem Atem ab, was als Nächstes passieren wird. Die Luft verdichtet sich vor Anspannung, und Elektrizität fließt durch das gesamte Amphitheater.
»Hi«, flüstert sie und macht einen winzigen Schritt auf mich zu.
Ich erwidere nichts. Ich kann nicht. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, mir die Gitarre auf den Rücken zu schwingen, die Entfernung zwischen uns aufzuheben und sie in meine Arme zu schließen und hochzuheben. Unsere Lippen prallen aufeinander, und ich küsse sie, bis ich mir absolut sicher bin und nicht mehr den geringsten Zweifel daran hege, dass sie wirklich hier bei mir ist.
Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment Page 24