Forbidden Royals 02 - Golden Throne

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Forbidden Royals 02 - Golden Throne Page 10

by Johnson, Julie


  Ich bin erst ein einziges Mal hier gewesen, an dem Tag, an dem Linus nach Hause kam. Damals hatte ich kaum Gelegenheit, mich umzuschauen, da ich auf der einen Seite von Simms und auf der anderen von Lady Morrell eskortiert wurde. Neugier erwacht in mir, als ich durch die verzweigten Flure wandere. Ich bewundere die kunstvoll verzierten Gaslampen, die meinen Weg beleuchten, und luge vorsichtig durch offene Türen.

  Galizias Anwesenheit in meinem Schlepptau ist mir vollkommen bewusst, daher versuche ich, meine Schnüffelei nicht zu offensichtlich aussehen zu lassen, während ich die private Bibliothek des Königs, ein Billardzimmer sowie einen Salon voller antiker Waffen passiere. Irgendwann finde ich mich vor zwei schweren Eichentüren ganz am Ende des Korridors wieder. Die Türknäufe sind wie Löwenköpfe geformt. Das Gleiche gilt für den kunstvollen Klopfer, der in das Holz eingelassen ist.

  Ich hebe eine Hand, um den Klopfer gegen die dafür vorgesehene Platte zu schlagen. Die Tür öffnet sich beinahe umgehend. Ein Diener mit weißen Handschuhen zieht sie auf, um mir Zugang zum Allerheiligsten meines Vaters zu gewähren. Ich trete über die Schwelle und schaue mich im Zimmer um. Es ist ein beeindruckendes Arbeitszimmer – die Bücherregale reichen vom Boden bis zur Decke, die riesigen Fenster bieten eine Aussicht auf die bewaldeten Außenanlagen, und ein riesiger Schreibtisch dominiert den Raum.

  Zu meiner Überraschung sitzt Linus nicht dahinter. Stattdessen thront er auf einem rotbraunen Ohrensessel am prasselnden Kaminfeuer. Er hat ein Plaid über den Knien und einen dicken Stapel Papiere auf dem Schoß.

  »Emilia! Komm herein, komm herein.«

  Ich versuche, mir meinen Schock nicht anmerken zu lassen, als ich auf ihn zugehe, aber es fällt mir schwer, meine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Da er schon dreiundsiebzig ist, habe ich ihn nie als ein Inbild perfekter Gesundheit wahrgenommen … Aber jetzt, dort am Feuer, sieht er so furchtbar gebrechlich aus. So unglaublich anders als der Mann, dem ich vor nur wenigen Wochen zum ersten Mal begegnet bin.

  »Ich würde ja aufstehen, um dich zu begrüßen, aber …« Seine Worte verlieren sich in einem Hustenanfall.

  Ich lasse mich auf den Sessel sinken, der seinem gegenübersteht, und bin mir nicht sicher, was ich sagen soll.

  Er lässt den Blick zur Tür schweifen. »Charles, Sie dürfen gehen. Es sei denn …« Er schaut wieder zu mir. »Hättest du gern einen Tee? Oder Kaffee?«

  Ich schüttle den Kopf.

  »Dann benötigen wir Ihre Dienste momentan nicht, Charles. Bitte sorgen Sie dafür, dass uns niemand stört.«

  Die Tür schließt sich mit einem entschiedenen Klicken, und wir sind allein. Für einen kurzen Moment ist das einzige Geräusch im Zimmer das Knistern der Holzscheite im Kamin.

  Ich räuspere mich heiser. »Du siehst gut aus.«

  Der Anflug eines Lächelns huscht über seine Lippen. »Und du bist eine Lügnerin.«

  »Nein, ich …« Ich verstumme. Er weiß, dass ich nicht die Wahrheit sage. Es hat keinen Zweck, die Fassade länger aufrechtzuerhalten. »Wie fühlst du dich?«

  »Wie ein schwacher, alter Mann, wenn du es unbedingt wissen willst.«

  Ich verziehe das Gesicht.

  »Verschwende deine Sorgen nicht an mich, Emilia. Mit meiner Gesundheit steht es schon eine ganze Weile nicht mehr zum Besten. Lange bevor jemand beschloss, meinen Champagner mit einer Dosis Curare zu versehen.«

  »Curare?«

  »Das ist ein Gift. Normalerweise ist es tödlich. Ich hatte Glück.«

  »An deiner Definition von ›Glück‹ muss ein wenig geschraubt werden.«

  Seine Lippen zucken. »Das stimmt.«

  »Gibt es immer noch keine Hinweise darauf, wer hinter dem Anschlag stecken könnte?«

  Er schüttelt den Kopf. »Bane versichert mir, dass sie mit Hochdruck nach einer Lösung suchen. Aber bislang haben sie keine gefunden.«

  »Glaubst du, dass es zwischen der Person, die versucht hat, dich zu töten, und demjenigen, der das Feuer gelegt hat, in dem König Leopold und Königin Abigail ums Leben gekommen sind, irgendeine Verbindung gibt?«

  »Ich denke, dass es töricht wäre, diese Möglichkeit auszuschließen.« Er hustet erneut – es ist ein feuchtes, scheußliches Geräusch, und sein ganzer Körper verkrampft sich. Ich versuche, nicht zusammenzuzucken, während ich darauf warte, dass er weiterspricht. »Wenn es sich tatsächlich um dieselbe Person handelt, habe ich keinen Zweifel, dass sie erneut zuschlagen wird. Das Motiv ist offensichtlich – es geht darum, das Haus Lancaster ein für alle Mal auszulöschen. Und wenn man bedenkt, dass mein Bruder unter der Erde ist, Prinz Henry immer noch mit schweren Verbrennungen im Koma liegt und ich ebenfalls stark geschwächt bin … scheint der Täter bislang erschreckend erfolgreich zu sein.«

  Mir läuft ein Schauer über den Rücken.

  »Deswegen habe ich dich herbestellt, Emilia.« Er zieht die Augen zusammen und sieht mich an. »Ich habe mit Octavia gesprochen …«

  »Ah, dann ist ja alles gut.«

  »Emilia. Bitte. Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass du und meine Frau euch je verstehen werdet. Allerdings hoffe ich, dass ihr zwei mit der Zeit lernen werdet, einander zu respektieren. Wenn auch nur widerwillig.«

  »Ich würde mir nicht allzu große Hoffnungen machen, wenn ich du wäre.«

  »Auch wenn es dir nicht so vorkommen mag, tut Octavia stets das, was sie für das Beste für die Familie hält. Sie würde alles tun, um das Vermächtnis der Lancasters zu schützen.«

  »Egal wer dabei überrollt wird?« Ich schüttle den Kopf. »Das einzige Mitglied dieser Familie , das ihr wichtig ist, ist sie selbst. Die Dinge, die sie getan hat – die sie mir oder ihren eigenen Kindern angetan hat …«

  Seine Stimme wird schärfer. »Was hat sie dir angetan?«

  Ich schüttle den Kopf, da ich ihn nicht belasten will, solange er in diesem Zustand ist. »Die genauen Einzelheiten spielen keine Rolle, aber das ändert nichts an den Tatsachen: Sie will mich loswerden, und sie wird alles tun, um dieses Ziel zu erreichen.«

  »Das ist einfach nicht wahr, Emilia.«

  »Ja, okay.« Ich verdrehe die Augen gen Himmel. »Du hast mich überzeugt.«

  Linus seufzt. »Sie kam zu mir, weil sie sich Sorgen um dich macht.«

  Ich schnaube. Laut.

  »Sie wollte mich wissen lassen, dass du dich mit den Wachen, die dir aktuell zugeteilt sind, nicht sicher fühlst. Dass du darauf bestanden hast, dir eine eigene Einheit zusammenzustellen. Und sie ist nicht die Einzige, die mich auf diesen Umstand hingewiesen hat.«

  »Lass mich raten – Bane ist hier gewesen, um ebenfalls seine tiefe Zuneigung zu mir zum Ausdruck zu bringen? Im Ernst, die beiden sollten darüber nachdenken, einen offiziellen Emilia-Fanclub zu gründen …«

  »Er war ziemlich aufgebracht.« Linus führt seine gefalteten Hände an den Mund. »In all den Jahren, die ich ihn nun schon kenne, habe ich ihn noch nie so erlebt.«

  »Ich neige dazu, auf frauenfeindliche, machthungrige Kleingeister diese Wirkung zu haben.«

  Er stößt ein bellendes, raues Lachen aus.

  »Ich schätze, dass du das ebenfalls für eine absurde Idee hältst, oder?«, frage ich mit Verbitterung in der Stimme. »Meine Prinzessinnengarde?«

  »Im Gegenteil. Ich unterstütze sie voll und ganz.«

  Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Ach wirklich?«

  »Ja.« Um seine grünen Augen herum bilden sich Falten, als er lächelt. »Ich will unbedingt, dass du dich in diesem Palast sicher fühlst, Emilia. Ich habe von der Sache mit den Demonstranten draußen vor dem Tor gestern gehört. Und ich weiß, dass meine Krönung nicht so gelaufen ist wie geplant …«

  Wieder schnaube ich. »Das könnte man so sagen.«

  »Ich weiß, dass dir die Sicherheitsvorkehrungen übertrieben vorkommen müssen. Dass du das Gefühl haben musst, eingesperrt zu sein, um es milde auszudrücken. Aber ich will nicht, dass du dich hier wie eine Gefangene fühlst. Ich will, dass du dich fühlst … nun ja, als wäre das hier dein Zuhause.«

  Zuhause?

  Ich lache beinahe.

  Mein Zuhause ist ein heruntergekommenes zweistöckiges Haus in de
r Peach Street in Hawthorne mit einem verblichenen Briefkasten, auf dem in Moms schräger Handschrift LENNOX geschrieben steht. Mein Zuhause ist eine ausgeleierte Matratze in einem blauen Schafzimmer mit knarrenden Bodendielen und schlechter Wärmedämmung, das kaum größer als ein Kleiderschrank ist. Mein Zuhause ist direkt neben dem der Hardings, in deren Garten ich viele Nachmittage damit verbracht habe, mit einem blonden Jungen, den ich einst als meinen besten Freund bezeichnet habe, in einem Baumhaus zu sitzen.

  Dieses kalte Steinschloss wird niemals mein Zuhause sein.

  Linus muss mir die Gefühle von meinem Gesicht abgelesen haben, denn er seufzt erneut. »Ich hatte gehofft, dass du hier nicht vollkommen unglücklich sein würdest. Wie ich sehe, habe ich mich geirrt.«

  Schuldgefühle überkommen mich. »Es ist nicht so, dass ich unglücklich bin. Ich bin nur … ein wenig gelangweilt.«

  »Aber ich habe gehört, dass du fast jeden Tag mit Hans ausreitest. Und du hast deine Stiefgeschwister als Gesellschaft. Ich dachte, dass du dich gut mit Chloe und Carter verstehst.«

  Wenn du nur die Hälfte wüsstest …

  »Ich verstehe mich gut mit ihnen, aber sie sind mit ihrem eigenen Leben beschäftigt. Außerdem bin ich mit meiner Kursarbeit für dieses Semester fertig. Ich schätze, dass ich mir ohne diese Aufgabe ein wenig nutzlos vorkomme.« Ich kaue auf meiner Unterlippe herum. »Du musst das verstehen – ich habe dreieinhalb Jahre auf ein einziges Ziel hingearbeitet. Ich wollte Psychologin werden. Und jetzt hat das, was ich tue, keinerlei Bedeutung mehr. Nichts, was ich tue, dient irgendeinem Zweck oder hat irgendwelche Konsequenzen.«

  »Das stimmt einfach nicht.«

  Linus greift nach der Zeitung, die neben ihm auf dem Beistelltisch liegt. Mit einem sanften Lächeln hält er sie mir hin. Nach kurzem Zögern strecke ich meine Hand aus und greife danach. Ich reiße die Augen auf, als ich die fett gedruckte Schlagzeile auf der Titelseite lese.

  DIE PRINZESSIN DES VOLKES:

  IHRE KÖNIGLICHE HOHEIT EMILIA BEZAUBERT DIE MENGE BEI DEN FEIERLICHKEITEN ZUM VOLKSTRAUERTAG

  Unter der Überschrift befindet sich ein Farbfoto von mir, wie ich auf der Straße hocke und durch die Absperrung greife, um Annie mein Diadem aufzusetzen. Weiter unten entdecke ich ein anderes Foto, das mich während meiner Rede auf dem Podium zeigt. Den Ausdruck auf meinem Gesicht habe ich so noch nie bei mir gesehen – er ist voller Leidenschaft. Voller Energie und nicht zu leugnendem Enthusiasmus.

  Ich erkenne mich kaum wieder.

  Ich blättere die Seite um und finde eine ganze Reihe von Fotos, wie ich durch die Flure des Krankenhauses gehe. Wie ich die Hand eines Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg schüttle. Wie ich im Traumazentrum aufmerksam einem Experten für posttraumatische Belastungsstörungen lausche. Selbst ein oberflächlicher Blick auf den dazugehörigen Artikel reicht aus, um mir zu verraten, dass hier ein extrem schmeichelhaftes Porträt von Caerleons neuestem Mitglied der königlichen Familie verfasst wurde.

  »Du siehst also«, murmelt Linus, »dass deine Handlungen sehr wohl Bedeutung haben, und zwar für sehr viele Menschen. Du erfüllst einen Zweck, Emilia. Er mag einfach nur anders sein als der, den du zuvor für dich ausgewählt hattest.«

  Mein Herz verkrampft sich. Ich schaue zu ihm hoch und fühle mich verwirrter als je zuvor. »Aber … das hier? Politik und Prinzessinnenpflichten? Ich habe keine Ahnung von dem, was ich tue.«

  »Ganz genau. Deswegen lieben sie dich.«

  Ich falte die Zeitung zusammen und lege sie beiseite, damit ich mir die Fotos nicht länger ansehen muss. »›Lieben‹ erscheint mir ein wenig übertrieben.«

  Tatsächlich wäre »hassen« deutlich angemessener – vor allem in den Kreisen gewisser Monarchiegegner, wie ich erst gestern am eigenen Leib erfahren durfte. Ich frage mich nur, warum es in der Zeitung keine Fotos von dieser charmanten Episode mit der Menge gibt.

  Unter normalen Umständen würde ich Linus vielleicht danach fragen – wie oft solche Proteste vorkommen, ob er irgendeine Möglichkeit hat, Banes exzessive Gewalteinsätze zu zügeln, ob es irgendwelche Möglichkeiten gibt, die Konflikte mit den Monarchiegegnern zu lösen. Aber als ich beobachte, wie er immer wieder schwach in sein Taschentuch hustet, verwerfe ich diesen Gedanken, weil ich ihm nicht noch zusätzliche Qualen bereiten will.

  »Emilia.« Mein Vater räuspert sich und verzieht das Gesicht, so als hätte bereits dieses schwache Hüsteln große Schmerzen bei ihm ausgelöst. »Ich denke, dass du vergisst, dass du im Begriff bist, eine der einflussreichsten Monarchinnen der Welt zu werden. Viele Menschen werden dich allein dafür bewundern. Aber du könntest dir mehr als ihre Bewunderung verdienen. Du könntest dir mit Leichtigkeit auch ihre uneingeschränkte Verehrung verdienen.«

  Ich schüttle den Kopf, um seine Worte zurückzuweisen. »Das bezweifle ich stark.«

  »Dann wirf noch mal einen Blick in diese Zeitung!« Seine Stimme ist plötzlich sehr nachdrücklich. »Du stehst gerade erst am Anfang und hast bereits die Herzen der Presse und der Öffentlichkeit erobert. Das beweist, dass du das natürliche Charisma einer wahren Anführerin hast.«

  »Hör zu, ich denke einfach nicht, dass ich dafür gemacht bin, irgendjemandes Anführerin zu sein. Ich bin zwanzig Jahre alt! Mein Leben ist ein verdammtes Chaos. Niemand sollte von mir erwarten, dass ich Entscheidungen für andere Menschen treffe.«

  »Emilia, selbst die besten Anführer zweifeln an sich. Sie hinterfragen, ob sie die beste Person für diese Aufgabe sind und ob sie den Erwartungen gerecht werden können. Das ist nur natürlich. Mit der Zeit wirst du lernen, auf deine Instinkte zu vertrauen – und auf deine Fähigkeiten. Du wirst zu der Person werden, von der sie glauben, dass du sie sein kannst.«

  Ich schaue wieder auf die Zeitung und fühle mich ganz und gar unwohl, während ich das Foto von mir betrachte, das sich über die Titelseite erstreckt. All diese aufgeregten Gesichter in der Menge, die allem Anschein nach von ihrer neuen Prinzessin begeistert sind …

  Die Prinzessin des Volkes.

  »Alle anderen bringen dir einen Vertrauensbonus entgegen«, murmelt Linus leise. »Warum fällt es dir so schwer, das ebenfalls zu tun?«

  Ich schüttle den Kopf und bin nicht in der Lage, einen Laut von mir zu geben. In meiner Kehle steckt ein neuer Kloß fest, der aus Unbehagen und noch etwas anderem besteht – etwas, mit dem ich mich noch nicht näher auseinandersetzen will.

  »Sie glauben an dich. Ich glaube an dich.« Linus’ Stimme ist nun sogar noch sanfter. »Warum kannst du nicht an dich glauben?«

  »Ich weiß es nicht, okay?« Die Worte sind so schwer, dass ich sie kaum über die Lippen bekomme. »Ich weiß es nicht.«

  »Tja, ich schlage vor, dass du einen sehr langen und gründlichen Blick in den Spiegel wirfst und es herausfindest.« Er hustet erneut, und es klingt elend. So als würde er an der Flüssigkeit in seiner Lunge ertrinken. So als könnte jeder Atemzug, den er macht, sein letzter sein. »Besser früher als später, meine Liebe.«

  9. KAPITEL

  »Au!«

  Ich presse meine pochende Hand an meine Brust und starre den Sandsack böse an. Er macht nicht einmal den Anschein, auch nur ansatzweise zu schwingen, obwohl ich mich gerade mit meinem ganzen Körpergewicht dagegengeworfen habe. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der einzige Schaden, den ich mit meinem Schlag verursacht habe, mir selbst zugefügt wurde.

  Galizia gibt einen missbilligenden Laut von sich. »Ihr Griff ist schon wieder falsch.«

  »Was Sie nicht sagen«, blaffe ich und schüttle meine geschwollenen roten Knöchel aus. »Können wir jetzt Schluss machen? Es ist schon nach zehn. Wir machen das hier seit zwei Stunden, und ich habe den Eindruck, dass ich nur schlechter werde.«

  »Prinzessin, wenn Sie nur halb so viel Zeit damit verbringen würden, an Ihrem Griff zu arbeiten, wie Sie aufs Jammern verwenden, hätten Sie nicht so große Schmerzen. Jetzt versuchen Sie es noch mal, aber machen Sie es dieses Mal so, wie ich es Ihnen gezeigt habe – indem Sie den Daumen außen um die Knöchel legen und ihn nicht innen einklemmen. Fest, aber nicht so fest, dass Sie sich den Blutfluss abschnüren. Die Füße locker, die Schultern gestrafft. Bewegen Sie sich m
it dem Sandsack. Und denken Sie daran, dass sich die stärksten Knöchel Ihrer Hand an Ihrem Zeige- und Mittelfinger befinden. Auf diese beiden müssen Sie sich konzentrieren, wenn Sie mit dem Schlag etwas bewirken wollen.«

  »Ja klar. Was auch immer. Schweben wie ein Schmetterling, stechen wie eine Biene.«

  »Sarkasmus wird Ihre Technik nicht verbessern, Muhammad Ali.«

  Ich verdrehe die Augen und passe meine Haltung an. Meine nächsten paar Schritte sind geringfügig besser, aber man kann wohl mit Sicherheit sagen, dass ich noch einen langen Weg vor mir habe, bis ich für meinen ersten Boxkampf bereit bin. Trotzdem muss ich zugeben, dass Galizia recht hatte – mit der Faust gegen einen Sandsack zu schlagen und dabei die Anspannung, die im Körper gefangen ist, aus sich herauszuschwitzen, hat etwas Reinigendes.

  Nach dem Treffen mit meinem Vater an diesem Morgen konnte ich seine Worte einfach nicht aus meinem Kopf bekommen, egal wie viele Runden ich ruhelos durch meine Zimmer gedreht oder wie viele Stunden ich damit verbrachte habe, in Gingers Box zu stehen, ihr glänzendes Fell zu striegeln und sie nach unserem zweistündigen Ausritt mit Zuckerwürfeln zu füttern.

  Du hast bereits die Herzen der Presse und der Öffentlichkeit erobert.

  Du hast das natürliche Charisma einer wahren Anführerin.

  Du bist im Begriff, eine der einflussreichsten Monarchinnen der Welt zu werden.

  Die ganzen Verpflichtungen, die mit meiner neuen Aufgabe verbunden sind, haben mich so sehr beschäftigt, dass ich gar nicht wirklich über die Möglichkeit nachgedacht habe, dass ich tatsächlich gut darin sein könnte. Darin, mehr als eine Studentin mit wirren Haaren, kleinen Träumen und einem festgelegten Karriereplan zu sein.

 

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