Forbidden Royals 02 - Golden Throne

Home > Other > Forbidden Royals 02 - Golden Throne > Page 21
Forbidden Royals 02 - Golden Throne Page 21

by Johnson, Julie


  »Siebenunddreißig Tote. Man geht davon aus, dass diese Zahl noch steigen wird. Eine Menge Leute wurden noch rechtzeitig ins Krankenhaus gebracht, aber die Schwere ihrer Verletzungen …« Seine Stimme bricht, und er schluckt schwer. »Wahrscheinlich werden noch mehr sterben.«

  Ich recke den Hals nach hinten und ringe verzweifelt um Atem. »Kinder?«

  Er hält inne. Seine Stimme klingt belegt, als er die Zahl hervorwürgt. »Nach aktuellem Stand zwölf.«

  Gott.

  Nein.

  Nein.

  Nein.

  Schmerz durchfährt mich, als würde sich ein Dolch direkt in mein Herz bohren. Ich brauche einen Moment, um mich zu sammeln, bevor ich in der Lage bin, Carter wieder in die Augen zu schauen. »Weiß man, wer das getan hat? Und warum?«

  Er wirft seiner Schwester einen Blick zu und zögert.

  Mein Puls schlägt heftiger. Ich schaue zu Chloe und stelle fest, dass ihre hübschen Züge zu einer Maske des Grauens verzogen sind. Sie weicht meinem Blick aus.

  »Sagt es mir einfach.«

  »E. … Das war wirklich viel für einen Tag.« Ihre Stimme zittert. »Du hast eine leichte Gehirnerschütterung und noch andere Verletzungen von den Granatsplittern. Du hast dich noch nicht wieder erholt. Wir wollen dir einfach nicht zu viel zumuten …«

  Ich schaue wieder zu Carter. »Du weißt, dass ich es irgendwann herausfinden werde. Ich würde es lieber von dir erfahren, als es morgen auf der Titelseite irgendeiner Zeitung zu lesen.«

  Er atmet scharf ein und nickt dann. »Das Bombenentschärfungskommando durchsucht immer noch die Trümmer, aber sie glauben, dass die Schützen mit Sprengstoff gefüllte Selbstmordwesten trugen. Wenn du nur ein paar Meter näher an dieser Bühne gewesen wärst, als die Ladungen hochgingen …«

  »Dann wäre ich jetzt auch tot. Genau wie all diese unschuldigen Menschen.« Ich schüttle den Kopf. »Es will mir einfach nicht in den Sinn, aus welchem Grund jemand etwas so Schreckliches tun sollte. In dieser Menge befanden sich Ersthelfer, Familien, Feuerwehrleute … gute Menschen. Sie haben das nicht verdient. Das ergibt keinen Sinn. Wer würde auf Caerleons Helden schießen? Welchen Grund könnte jemand nur dafür haben?«

  Carters Augen füllen sich mit Bedauern. »Emilia …«

  Ich ziehe die Augenbrauen hoch.

  »Die Männer mit den Bomben. Die hatten es gar nicht auf die Menge abgesehen. Viel wahrscheinlicher ist, dass …« Er atmet erneut ein, um sich innerlich auf seine nächsten Worte vorzubereiten. »Dass du ihr Ziel warst. Dass sie versucht haben, zu dir durchzukommen.«

  »Ich?«, frage ich begriffsstutzig. »Nein … Nein, das ist nicht möglich.« Ich schüttle immer heftiger den Kopf, bis mir schwindelig wird. »Nein! Nein . Das kann nicht wahr sein. Carter, sag mir, dass das nicht wahr ist.«

  Er presst die Kiefer aufeinander und umklammert die Armlehnen seines Stuhls so fest, dass seine Knöchel weiß hervortreten.

  »E. …», flüstert Chloe, die schon die ganze Zeit über leise vor sich hin weint. »Oh, Schätzchen …«

  »Das kann nicht wahr sein«, sage ich erneut und spüre, wie alles, was ich jemals zu wissen glaubte, sich in nichts auflöst. »Denn wenn es so ist … habe ich sie umgebracht. Ich habe all diese Menschen auf dem Gewissen.«

  Carters Stimme klingt angespannt. »Das stimmt nicht, Emilia.«

  »Doch, es stimmt sehr wohl!« Nun kommen mir doch wieder die Tränen. Ich mache mir nicht mal die Mühe, sie wegzuwischen. »Wenn ich nicht dort gewesen wäre, wäre die Feier nicht das Ziel gewesen … und all diese Menschen wären noch am Leben. Sie wären zu Hause bei ihren Kindern und lägen sicher in ihren Betten, anstatt … in irgendeiner L…, L…, Leichenhalle.«

  Meine Worte verwandeln sich in Keuchen und kurz darauf in Schluchzer. Ich schließe die Augen und lasse mich nach hinten gegen die Kissen sinken, als der Schmerz mich übermannt. Und die ganze Zeit über hallen unablässig vier kleine Worte in meinem Kopf wider und verfolgen mich wie eine Melodie, die ich niemals vergessen werde.

  Du hast sie umgebracht.

  Du hast sie umgebracht.

  Du hast sie umgebracht.

  18. KAPITEL

  Sobald die Sonne aufgeht, entlassen mich die Ärzte offiziell aus ihrer Obhut.

  Normalerweise würde ich dagegen protestieren, dass man mich in einem Rollstuhl aus dem streng geheimen Militärbunker schiebt, als wäre ich achtzig Jahre alt. Aber irgendwie kann ich nicht mehr die Kraft aufbringen, überhaupt noch etwas zu empfinden. Weder Verlegenheit wegen der zu locker sitzenden Kombination aus Jogginghose und Baumwollshirt, die man mir anstelle eines Krankenhauskittels gebracht hat. Noch Empörung wegen des Zustands meiner Haare oder des verschmierten Make-ups unter meinen Augen.

  Ich bin vollkommen gefühllos geworden.

  Das gebrochene, kaum noch pochende Organ in meiner Brust ist wie in Eis gehüllt, und ich befürchte, dass nichts auf der Welt es je wieder dazu bringen wird, zu schlagen.

  Carter schiebt meinen Rollstuhl, und Chloe geht neben uns her. Trotz der Tatsache, dass sie die ganze Nacht über wach gewesen sind, wirken beide fest entschlossen, für mich stark zu bleiben. Galizia und Riggs, die beide geringfügige Schnittwunden und Prellungen davongetragen haben, folgen direkt hinter uns. Zwei Dutzend Mitglieder der Königsgarde säumen den Gang von meinem Zimmer zu der unterirdischen Garage, in der sechs absolut gleich aussehende SUVs warten. Eine Sicherheitskolonne, um mich während des Transports zu schützen.

  Es sieht eher wie eine Beerdigungsprozession aus , denke ich hohl. Wie passend, da ich innerlich bereits tot bin.

  Als ich an den Wachen vorbeirolle, komme ich nicht umhin zu bemerken, dass sie vor mir salutieren – die Ellbogen zu scharfen rechten Winkeln geknickt, die Fingerspitzen an die Schläfen gehoben. Es ist eine Geste des Respekts, die normalerweise einzig und allein dem König vorbehalten ist.

  Seltsam.

  Ich habe keine Zeit, mehr als einen flüchtigen Gedanken daran zu verschwenden, denn wir sind bei den SUVs angelangt. Carter hilft mir auf die Beine und stützt mich, damit ich mich nicht selbst verletze. Der Schaden an meinem Körper war nicht allzu groß – nur eine Menge farbenfroher Blutergüsse an meiner kompletten linken Seite von der Wucht der Explosion –, dafür habe ich jedoch überall Schmerzen und bin vollkommen erschöpft. Als Carter einen Arm um meine Taille legt, muss ich dem Drang widerstehen, mich gegen ihn zu lehnen. Ihm zusätzlich zu meiner körperlichen Last auch noch mein emotionales Gepäck aufzubürden.

  Nun legt er beide Hände um meine Taille und hebt mich auf den Rücksitz, wo er sich über mich lehnt, um mich anzuschnallen. Er ist mir so nah, dass ich jede einzelne Wimper zählen könnte, die seine tiefblauen Augen umrahmt. Der Sicherheitsgurt klickt in der Halterung, und er hält kurz inne, bevor er sich zurücklehnt und mich einfach nur ansieht.

  Ich erinnere mich an unsere allererste Begegnung – auf der Rückbank eines SUV, genau wie dieser hier; damals stand meine Welt kurz davor, komplett in sich zusammenzubrechen.

  Es fühlt sich an, als wäre seitdem ein ganzes Leben vergangen.

  »Danke«, flüstere ich.

  Ein Muskel zuckt in seiner Wange, als er nickt, den zusammengeklappten Rollstuhl auf dem Boden verstaut und meine Tür dann mit einem leisen Klicken schließt. Einen Augenblick später klettert Chloe auf der anderen Seite ins Auto. Sie kauert sich wortlos auf dem Ledersitz zusammen und schließt die Augen. Die Erschöpfung ist ihr anzusehen. Sie ist die ganze Nacht wach geblieben und hat an meiner Seite auf Neuigkeiten gewartet.

  So machen das Familienmitglieder.

  Die Erkenntnis genügt, um einen kleinen Splitter aus dem dicken Eisklotz zu brechen, der mein Herz umgibt. Ich wehre mich dagegen, weil ich Angst habe, dass mich die Emotionen wieder überrollen werden, wenn ich nur irgendetwas Gefühlsmäßiges an mich heranlasse.

  Carter steigt vorne auf den Beifahrersitz. Riggs sitzt bereits am Steuer, lässt den Wagen an und legt den Gang ein.

  Durch die getönten Scheiben kann ich nicht viel erkennen, während wir langsam von Fort Sutton zum Waterford-Palast fahren. Die ganze Welt wirkt trist und kalt. Alle Straßen sind leer. W�
�hrend der gesamten Fahrt sehe ich draußen keine einzige Menschenseele.

  Später wird mir klar, dass das daran liegt, dass Vasgaard nach dem Angriff effektiv abgeriegelt wurde – Straßen wurden gesperrt, Regierungsgebäude abgesichert, Ausgangsbeschränkungen erlassen. Aber jetzt gerade bin ich von allem, was passiert ist, so benommen, dass ich mir kaum etwas dabei denke, als ich aus dem Fenster auf die verlassenen Straßen der Stadt starre.

  Die Stimmung im Wagen ist ausgesprochen düster. Keiner von uns verfügt über die Energie oder auch nur den Wunsch, eine Unterhaltung anzufangen. Ich kann Chloe keinen Vorwurf dafür machen, dass sie eingeschlafen ist. Tatsächlich beneide ich sie. Ich wünschte, dass ich auch schlafen könnte – auf diese Weise könnte ich dem ständigen Schmerz entkommen -, aber ich habe furchtbare Angst vor dem, was ich sehen werde, wenn ich die Augen schließe. Ich habe furchtbare Angst vor den neuen Albträumen, die an den Rändern meines Unterbewusstseins lauern.

  Da keinerlei Verkehr herrscht, der uns aufhalten könnte, dauert die Fahrt nicht lange. Bevor ich es überhaupt realisiert habe, sind wir auch schon am Palast angekommen. Das Erste, was mir auffällt, ist ein gewaltiges Sicherheitsaufgebot. An dem versteckten Hintereingang des Anwesens stehen mehr Wachen, als ich dort je zuvor gesehen habe. Ich könnte mir vorstellen, dass der Haupteingang wie eine Szene aus der Zeit des Widerstands im Zweiten Weltkrieg aussieht, als die Nazis Vasgaard zum Sperrgebiet erklärten und versuchten, die Kontrolle über das Schloss zu erlangen – eine militärische Machtdemonstration im großen Stil.

  Alles, um für meine Sicherheit zu sorgen.

  Wir biegen in die gebogene Einfahrt ein und halten vor den hoch aufragenden Eingangstüren an, die in den Thronsaal führen. Ich atme tief ein, als ich sehe, dass das komplette Palastpersonal – Dienstmädchen, Köche, Pagen, Stallburschen, Wachen, Stallmeister, Fahrer – in voller Montur auf den Steinstufen aufgereiht steht und auf uns wartet.

  Der Stallmeister Hans steht weiter hinten in der Reihe und sieht so mürrisch wie immer aus. Ich entdecke Anita, eine der königlichen Schneiderinnen, die neben Patricia steht, die zufällig die besten Kekse mit Schokoladenstückchen im ganzen Land macht. In der Mitte des Begrüßungskomitees stehen Simms und Lady Morrell Schulter an Schulter. Sie haben sogar ihre marineblauen Outfits aufeinander abgestimmt.

  Das haben sie für mich gemacht.

  Sie heißen mich zu Hause willkommen.

  Plötzlich brennen meine Augen wieder, und trotz des Eisklotzes in meiner Brust verspüre ich einen Anflug von echten Gefühlen.

  Vielleicht ist dieses verstümmelte Organ doch noch nicht vollständig tot.

  Chloe schläft weiterhin tief und fest neben mir und schnarcht leise. Ich vermute, dass ich sie wecken und ihr mitteilen sollte, dass wir zu Hause sind … Aber sie sieht aus, als könnte sie den Schlaf gebrauchen – zumindest sprechen die dicken Ringe unter ihren Augen stark dafür.

  In einem überraschenden Anflug von Ritterlichkeit springt Carter vom Beifahrersitz und zieht meine Tür auf, bevor einer der Bediensteten eine Gelegenheit dazu hat. Er greift nach dem zusammengeklappten Rollstuhl zu meinen Füßen, doch ich schüttle den Kopf, um ihn aufzuhalten.

  Er zieht fragend die Augenbrauen hoch. Unsere Blicke treffen sich, und plötzlich führen wir eine wortlose Unterhaltung.

  Was zum Teufel hast du vor?

  Ich werde da mit eigener Kraft reingehen!

  Sei nicht so stur, Emilia.

  Sag mir nicht, was ich zu tun habe, Carter.

  Du bist unmöglich.

  Er seufzt, als würde er es bereits bereuen, und bietet mir seinen Arm an, um mir aus dem Auto zu helfen. Ich ergreife ihn dankbar und ignoriere den leichten Schmerz, der durch mein Bein schießt, sobald ich es belaste. In Anwesenheit des gesamten Hauspersonals humpeln wir langsam vom SUV auf die Stufen zu. Ich spüre, dass Galizia und Riggs direkt hinter uns sind, bereit, jederzeit einzuschreiten, falls meine Beine nachgeben sollten. Doch ich weiß, dass Carter das nicht zulassen wird.

  Ich brauche sehr lange, um diese dreieinhalb Meter hinter mich zu bringen – beschämend lange. Aber ich meistere die Aufgabe mit hoch erhobenem Kopf und gefasster Miene.

  Ein sinnloser Akt des Terrors wird mich nicht in die Knie zwingen.

  Ich werde vor denjenigen, die mich zerstören wollen, nicht niederkauern oder mich verstecken.

  Ich bin Emilia Victoria Lancaster.

  Die Kronprinzessin von Caerleon.

  Die Thronerbin.

  Die Prinzessin des Volkes.

  Ich werde nicht straucheln.

  Nicht jetzt, während mich alle anschauen, weil sie bei mir nach Kraft suchen.

  Niemals wieder.

  Niemand lacht mich aus. Niemand wirkt wegen meines Schneckentempos gelangweilt oder unruhig oder genervt. Sie wirken … stolz. Als wüssten sie genau, warum ich diesen holprigen, untröstlichen Gang aus eigenem Antrieb hinter mich bringen muss. Als verstünden sie vollkommen, dass ich hier Schritt für Schritt, Zentimeter für Zentimeter etwas zurückerobere.

  Als wir endlich das untere Ende der Stufen erreichen, atme ich angestrengt und lehne mich schwer auf Carter, doch er scheint es gar nicht zu bemerken. Er stützt mich mit Leichtigkeit und sorgt dafür, dass ich aufrecht stehen bleibe, wann immer ich das Gleichgewicht zu verlieren drohe.

  Ich schaue Simms in die Augen, und innerhalb einer Sekunde kommen mir die Tränen. Ich bin noch nie im Leben so froh gewesen, den beleibten Pressesprecher zu sehen. Seinen absurden Nadelstreifenanzug und diesen vertrauten wichtigtuerischen Gesichtsausdruck. Als ich ihn das letzte Mal sah, stand er inmitten des Gedränges neben mir auf der Bühne. Ich war mir nicht mal sicher, ob er sich rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte, und ich hatte zu viel Angst, danach zu fragen. Ich hätte es nicht ertragen, meiner Todesliste noch ein weiteres Opfer hinzuzufügen.

  Sie ist auch so schon viel zu lang.

  Seine Augen sehen ein wenig gerötet aus, als er die Stufen heruntersteigt und auf uns zukommt. Einen guten Meter entfernt bleibt er stehen. Wie immer achtet er darauf, einen angemessenen Abstand zwischen sich und den Mitgliedern des Königshauses zu wahren, denen er dient.

  »Willkommen zu Hause, Eure Majestät.« Seine Stimme ist ganz belegt, weil so viele unausgesprochene Emotionen darin mitschwingen. »Ich bin … Ich bin zutiefst erleichtert, Sie wieder sicher und gesund hier zu haben, wo Sie hingehören.«

  Ich warte kurz ab und schaue ihn einfach nur an. Ich suche nach einer passenden Erwiderung, entscheide dann jedoch, dass die beste Art, meine Gefühle auszudrücken, darin besteht, gar keine Worte zu benutzen. Ich stürze vor, schlinge die Arme um seine massigen Schultern und drücke ihn so fest, wie ich kann.

  »Oh!«, ruft er steif. Er ist so verblüfft, dass es ihm die Sprache verschlagen hat. Er erwidert die Umarmung nicht, aber als ich ihn loslasse, bemerke ich, dass in seinen Augen Tränen schimmern. Er tupft sie mit einem bestickten Taschentuch trocken und dreht sich eilig um, um die Stufen hinaufzufliehen. Dabei murmelt er irgendeine Entschuldigung, dass Lady Morrell ihn brauche.

  Dieser alte Weichling.

  Ich gerate wieder ins Wanken, doch plötzlich ist Carter da – er legt eine Hand um meine Taille und gibt mir Halt. Ich schlinge einen Arm um seinen Rücken und presse meine Finger in seine Seite. Dann beäuge ich die vielen Stufen, die sich bis zur Tür erstrecken.

  »Danke, dass du mir hilfst«, flüstere ich leise und frage mich, wie zum Teufel wir es bis ganz nach oben schaffen sollen.

  »Du kannst mir danken, nachdem wir diese verdammte Treppe hinter uns gebracht haben«, knurrt er finster. »Und später kannst du mir dann noch mal danken, wenn ich deinen Arzt herrufe, damit er dich behandeln kann, weil du dich mit diesem störrischen Unterfangen vollkommen verausgabt hast.«

  Mit einem tiefen Seufzen humpele ich los.

  Ich bin fast an meiner Suite angelangt, als meine Beine schließlich unter mir nachgeben. Carter flucht lebhaft, doch es gelingt ihm, mich aufzufangen, bevor ich auf den Steinboden falle. Er hebt mich hoch, schmiegt mich an seine Brust wie ein Kind und marschiert weiter durch den Flur. Wenn ich noch das kleinste bisschen Res
tenergie in mir hätte, würde ich mich furchtbar dafür schämen, dass ich vor versammelter Mannschaft eine solche Szene veranstaltet habe. Außerdem würde ich mich vermutlich fragen, welche Schlüsse das Personal ziehen würde, wenn es mich in den Armen meines Stiefbruders sähe. Doch in diesem Augenblick verspüre ich lediglich Erschöpfung, während er umständlich mit einer Hand meine Tür öffnet und mich über die Schwelle trägt.

  Das Zimmer ist angenehm ruhig und dunkel, bis auf das Licht, das von draußen durch die Balkontüren hereinfällt. Es hat angefangen zu schneien, und die herabrieselnden Flocken bedecken die Welt mit einem weißen Teppich. Ich schaue zu, wie sie vor dem Fenster tanzen, während mich Carter auf das Bett legt und meinen Kopf sanft stützt, bis er auf das Kissen trifft.

  Ich starre zu ihm hoch und weiß nicht, was ich sagen soll. Das hier ist der schlimmste Tag meines Lebens gewesen – voll unvorstellbarer Trauer und unaussprechlichem Schmerz. Und doch gibt es einen Teil von mir, der in seiner Berührung Trost findet und den das Gefühl seiner Hände auf meiner Haut beruhigt. Er ist wie eine Salbe für die rissige Wunde in meinem Inneren. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Wunde jemals heilen wird.

  »Ich werde dich jetzt schlafen lassen«, sagt Carter leise. In seinen Augen schimmern scharfkantige Gedanken, die ich nicht entziffern kann. »Du bist erschöpft.«

  Er steht auf, doch ich strecke eine Hand aus und packe seinen Arm. In meinem Griff liegt eine Dringlichkeit. Eine Art verzweifelte Angst angesichts des plötzlichen Gedankens, dass er durch diese Tür gehen und mich mit einem Kopf voller Erinnerungen, die ich nicht mehr viel länger unterdrücken kann, allein in der Dunkelheit zurücklassen könnte.

  »Bitte … bleib .«

  Ein Zucken durchfährt seinen Körper, als hätte ich ihm einen Stromschlag verpasst. »Ich denke nicht, dass das klug wäre, Emilia.«

  »Bitte, Carter.« Ich senke die Stimme zu einem kaum hörbaren Flüstern. »Ich will jetzt nicht allein sein.«

  Er spannt den Kiefer an, und ich weiß, dass er darüber nachdenkt. Ich sehe den inneren Konflikt, der sich in seinen Augen widerspiegelt. Er will mich nicht verlassen, aber er weiß, dass es vermutlich falsch ist zu bleiben.

 

‹ Prev