Die Sterne werden fallen

Home > Other > Die Sterne werden fallen > Page 4
Die Sterne werden fallen Page 4

by Kiefer, Lena


  »Sie ist nicht in Paris?« Ich sah Costard irritiert an. Auch ich hatte daran gedacht, meiner Mutter zu schreiben. Sie hatte die OmnI mitentwickelt, sie wusste vielleicht, wie man sie zerstörte. Aber obwohl mir meine Mutter nicht ganz so nahe stand wie mein Dad, wollte ich sie doch auf keinen Fall in Gefahr bringen.

  »Nein. Ein Team war in ihrem Haus und hat es verlassen vorgefunden. Die Möbel sind noch da, aber keine Spur von ihr.«

  »Sie haben ein Team zu ihr geschickt?« Costard hatte einen Einsatz befohlen, dessen Ziel meine Mutter gewesen war? Das klang für mich nicht nach einem harmlosen Freundschaftsbesuch um der alten Zeiten willen.

  »Cécile verfügt über sehr sensibles Wissen, was die OmnI angeht. Es wäre daher besser, deine Mutter in Sicherheit zu wissen.«

  Was er damit eigentlich sagen wollte, war: Wir müssen verhindern, dass die Leute des Königs deine Mutter in die Finger bekommen. Dabei konnte ich allerdings nicht helfen.

  »Ich habe keine Ahnung, wo sie ist. Wir haben schon seit letztem Jahr keinen Kontakt, und davor auch nur sporadisch.« Es war die Wahrheit, ich wusste nicht, wo sie steckte. Allerdings war sie nie sehr reisefreudig gewesen, und wenn ihre Möbel noch da waren, konnte sie auch nicht umgezogen sein. Ich hoffte, dass ihr nichts passiert war.

  »In Ordnung. Sollte sie sich bei dir melden, weißt du ja, was zu tun ist.«

  »Natürlich.« Ich nickte.

  »Gut.« Costard schlug leicht mit den Handflächen auf die Lehnen seines Sessels. »Die OmnI erwartet mich noch heute Abend zurück, um deine Entscheidung zu überbringen. Was soll ich ihr von dir ausrichten?«

  Die Antwort darauf fiel mir schwer. Ich wusste, Costards Angebot brachte mich in die Nähe der OmnI. Das war gut – weil ich auf diese Art vielleicht in der Lage war, sie zu zerstören. Aber es konnte auch schiefgehen, sollte sie erkennen, dass ich nicht mehr auf ihrer Seite stand, sobald sie mich vor sich sah.

  Wie groß war die Chance, dass die Gefühle mir gegenüber ihr messerscharfes Urteilsvermögen trübten? Ich wusste es nicht. Ich konnte mir diese Chance jedoch nicht entgehen lassen. In den inneren Kreis vorgelassen zu werden bedeutete für Maraisville, dass sie einen Livestream in den Abgrund der Hölle bekamen. Das durfte ich nicht ablehnen.

  »Ich bin gerne bereit, der OmnI zu helfen, wenn sie der Ansicht ist, ich wäre dazu in der Lage.« Mit einem höflichen Lächeln nickte ich. Das bedeutete zwar, ich konnte nicht länger Informationen von der Front liefern, aber das wurde ja vielleicht auch überflüssig, wenn ich direkt im Zentrum des Geschehens war.

  »Wundervoll.« Auf Costards Gesicht zeigte sich Erleichterung. »Allerdings kann ich dich nicht gleich mitnehmen. Das Wasserkraftwerk in der Nähe von Trier ist ein wichtiges Ziel und wir können so schnell keinen Ersatz für dich finden. Ich werde dich in einer Woche abholen lassen.«

  Ich nickte wieder. »Es gibt allerdings eine Bedingung«, sagte ich dann.

  »Und die wäre?« Costard war bereits aufgestanden und hielt nun inne.

  »Jye Eadon. Ich möchte, dass er mit mir kommt.« Ich würde Jye sicher nicht in diesem Team lassen. Nicht nur, weil ich ihn als Freund brauchte. Sondern vor allem, weil er trotz Knox niemanden hier hatte, dem er vertrauen konnte.

  »Sonderbar.« Costard runzelte die Stirn. »Die OmnI sagte mir, es wäre wahrscheinlich, dass du jemanden mitnehmen willst. Allerdings hatte ich eher auf Nicholas getippt. Seid ihr nicht …?«

  »Nein. Schon seit einer ganzen Weile nicht mehr.« Ich stand ebenfalls auf, nahm die Schultern zurück und hob das Kinn. »Diese Bedingung ist nicht verhandelbar. Entweder kommt Jye mit oder ich stehe nicht zur Verfügung.«

  Costard überlegte nur kurz. »Dann werde ich wohl in einer Woche euch beide abholen lassen.« Er ging zur Tür und legte die Hand auf die Klinke. Aber dann zog er sie wieder zurück. »Eine Sache noch.«

  »Ja?« Ich blieb stehen, nur wenige Schritte von ihm entfernt. Irrte ich mich oder waren die Falten um seine Augen seit unserer letzten Begegnung tiefer geworden?

  »Troy Rankin.« Costard sagte den Namen, als wäre das schon genug.

  »Was ist mit ihm?« Ich hielt jede Regung in Schach.

  Es war in den letzten Wochen seltener vorgekommen, dass Troys lebloses Gesicht in meinen Träumen auftauchte – andere Dämonen hatten ihm den Rang abgelaufen.

  Trotzdem verfolgte es mich, dass ich ihn getötet hatte. Auch wenn es nötig gewesen war, um Lucien und mich selbst zu retten.

  »Wir hatten noch keine Gelegenheit, darüber zu sprechen, was passiert ist.«

  »Müssen wir das denn?«, fragte ich verwundert. Es war nur gespielt. Angst ließ meine Hände feucht werden, mein Puls klopfte gegen meinen Kehlkopf.

  »Nun, eigentlich wollte ich dich fragen, wie du damit zurechtkommst. Du bist keine Killerin, sicherlich war es schwierig für dich, das zu verarbeiten.«

  Diese ungewohnte Fürsorge machte mich misstrauisch. »Wollen Sie das wirklich wissen?«, fragte ich unvermittelt. »Oder sie?«

  Costard zuckte zurück, als hätte ich ihn bei etwas Unanständigem erwischt. Aber dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Wie die OmnI sagte: Augenhöhe. Sie wird begeistert sein, dich bald an ihrer Seite zu haben.«

  Seine Worte wirkten kryptisch, aber sie waren es nicht – nicht für mich. Sie bedeuteten, die OmnI hatte ihm aufgetragen, mich nach meinem Umgang mit Troys Tod zu fragen. Und das wiederum hieß, dass ich richtig vermutete: Sie verhielt sich in Bezug auf mich alles andere als rational.

  Costard sagte nichts weiter, sondern ging voran durch den Korridor, bis wir an der Haustür ankamen.

  »Soll ich dem Team Bescheid sagen, dass wir aufbrechen?«, fragte ich. Wenn er das Haus verließ, war es angebracht, das ebenfalls zu tun.

  »Nicht nötig.« Er zeigte in die Richtung, wo man die anderen reden hörte. »Ich habe die Gästezimmer im oberen Stockwerk herrichten lassen und die Küche ist gut gefüllt. Ihr könnt über Nacht bleiben, essen, etwas zusammen trinken, mal wieder in einem richtigen Bett schlafen. Die Pflicht wartet bis morgen auf euch.«

  Das war ungewöhnlich großzügig, aber ich stellte es nicht infrage. Costard reichte mir die Hand und ich schüttelte sie.

  »Wir sehen uns bald, Ophelia.«

  Dann war er auch schon aus der Tür.

  4

  Costard hatte nicht gelogen: Die Schränke in der Küche waren ebenso reichhaltig bestückt wie die beiden großen CoolUnits. Es gab nicht nur eine breite Auswahl an Essen, sondern auch Alkohol in unterschiedlichsten Ausführungen. Ich hielt mich davon fern – das Letzte, was ich brauchte, war ein benebelter Kopf –, aber das galt nicht für die anderen. Die Aussicht auf eine Auszeit im Luxus hatte die meisten aus dem Team alle Hemmungen verlieren lassen. Es war noch nicht einmal neun Uhr abends, als die Ersten darüber nachdachten, ob man wohl das Eis draußen über dem Pool auftauen könnte, um eine Runde zu schwimmen.

  »Hoffentlich machen sie das«, raunte ich Jye zu, der neben mir auf dem Sofa saß und einen Teller mit Häppchen auf den Knien balancierte. »Mit etwas Glück friert dem einen oder anderen dabei das Gehirn ein.«

  Jye lachte. »Du meinst, bei denen, die überhaupt eins haben?«

  Ich hielt ihm die Faust zum Einschlagen hin. Normalerweise mussten wir vorsichtig mit unseren Lästereien sein, aber heute Abend hätten wir auch lauthals herausschreien können, was wir von ReVerse hielten – es hätte wahrscheinlich niemand mitgekriegt.

  »Ich wette, in Maraisville gibt es so was hier jeden Abend«, lallte Milan und schwenkte seine Bierflasche. »Essen und Alkohol und … Orgien.«

  Torres warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Orgien? Wo ist das denn hier bitteschön eine Orgie?«

  »Noch nicht, Schätzchen. Aber es gibt da oben eine Menge Betten und ich wette, du kannst auch mit deinem verletzten Arm gut zup –« Ein Schmerzensschrei würgte seine Fantasien radikal ab. Torres hatte ihm mit dem Ellenbogen gezielt in die Rippen gestoßen.

  »Trotzdem«, sagte Scott mit einer großen Geste und fegte bein
ahe ein paar Teller vom Tisch. »Da geht es bestimmt ordentlich ab. Leopold war ja eher steifärschig, was man so hört, aber sein Bruder? Was würdet ihr tun, wenn ihr Anfang zwanzig wärt und Zugriff auf jeden Menschen im Land hättet? Sicher nicht abends allein ins Bett gehen.«

  Ich ballte die Faust, sagte aber nichts.

  »Red doch keinen Scheiß«, antwortete Jye stattdessen. »Als ob man jeden oder jede haben kann – oder will –, weil man der König ist.«

  »Ach, Eadon, nur weil du an Scale klebst wie ein Magnet, musst du doch nicht von dir auf andere schließen. De Marais ist sicher nicht so dumm, sich seine Chancen entgehen zu lassen.«

  Ich stand auf, um mir etwas zu trinken zu holen – so musste ich diesen Schwachsinn immerhin nicht länger ertragen. Leider machte ich damit die angetrunkene Meute auf mich aufmerksam.

  »Scale, du warst doch in der Festung«, bemerkte Milan. »Was geht da ab? Und lass bloß keine schmutzigen Details aus.«

  Am liebsten hätte ich ihm sein dreckiges Grinsen aus dem Gesicht radiert. »Tut mir leid, wenn ich deine Fantasien enttäuschen muss, Kovacs. Ich habe nie auch nur den Ansatz einer Orgie miterlebt.«

  »Orgien nich«, sagte da plötzlich Knox mit leiernder Stimme. Ich fuhr herum und sah ihm in die trüben Augen. Er saß abseits in einem Sessel, eine Flasche mit einer klaren Flüssigkeit in der Hand. Ich hatte geglaubt, er wäre längst weggenickt. »Aber andres schon. Warstschließlich mit ihmim Bett.« Ich erstarrte und wusste, meine Augen waren plötzlich groß geworden. Aber das hielt Knox nicht auf. »Mit LuciendeMarais.«

  Stille war die Folge dieser Eröffnung. Dann gluckste Flint vor sich hin. »Guter Witz, Odell. Scale im Bett mit Lucien de Marais. Was für eine Vorstellung.« Er kicherte weiter. Aber er war leider der Einzige.

  »Ist das wahr?« Milan stierte mich an und schien plötzlich ziemlich nüchtern zu sein.

  Ich schwieg, meine Zähne fest aufeinandergepresst. Über dieses Thema würde ich kein einziges Wort verlieren.

  »Is wahr«, meldete sich da wieder Knox. »Is aber nich alles, ne, Phee? Warstin ihn verl-«

  »Halt die Klappe, Knox!«, fauchte ich ihn an.

  »Warum?« Trotzig sah er mich an. »Is es dir etwa peinlich, dass du mit’m König gepennt hast?« Er stand auf und schwankte – fast wie damals von den Clearthrough-Medikamenten. Nur dass ich ihn zu der Zeit schmerzlich vermisst hatte. Jetzt wäre es mir lieber gewesen, er hätte seine Erinnerungen nie zurückbekommen.

  »Sei still.« Meine Stimme hatte plötzlich etwas Flehendes.

  »Troy hat alles erzählt«, fuhr Knox fort, als hätte ich nichts gesagt. Ich hörte einen Hass in seiner Stimme, der mich erschreckte. Das Lallen war mit einem Mal schwächer geworden. »Hat mir erzählt, wie du Leopold gerettet hast, als wir ihn erledigen wollten. Weil Lucien dich drum gebeten hat. Ich hab nix drüber gesagt, wegen uns. Aber jetzt weiß ich, da is kein Uns mehr. Du liebst ihn immer noch!«

  »Das ist nicht wahr!« Ich spürte die Blicke der anderen aus dem Team in meinem Rücken und wusste, diese Situation war ernst. Wenn Milan und die anderen Knox’ alkoholisches Gefasel für die Wahrheit hielten, dann hatte ich ein großes Problem. »Ich glaube, Knox braucht ein bisschen frische Luft«, sagte ich mit fester Stimme, packte seinen Arm und zog ihn mit mir zur Terrassentür. Ich musste ihn wegbringen, bevor er noch mehr von dem verraten konnte, was Troy ihm offenbar in epischer Breite berichtet hatte. Vielen Dank, Troy, dachte ich bitter. Sogar aus dem Grab heraus machte er mir noch das Leben schwer.

  Milan hielt uns nicht auf, und ich wagte, das als gutes Zeichen zu sehen. Schnell öffnete ich die Schiebetür und stieß Knox unsanft in die Kälte hinaus. Er stolperte auf der vereisten Granitfläche, fing sich aber und lief dann geradeaus in den Park. Ich stapfte ihm hinterher, bis wir außer Hörweite des Hauses waren.

  »Bist du vollkommen bescheuert?!«, fuhr ich ihn an. »Weißt du eigentlich, was du damit anrichtest, wenn du so etwas in aller Öffentlichkeit über mich sagst?«

  Die kalte Luft schien den Nebel in Knox’ Kopf etwas zu lichten, aber sein trotziger Gesichtsausdruck blieb.

  »Is doch wahr!«, schnauzte er. »Nur wegen dem Arsch sind wir nicht mehr zusammen. Als hätt’ er dich verhext oder so was, damit du nach ihm nie wieder Gefühle für jemand anderen haben kannst. Aber meine Gefühle sind noch da, okay? Und du tust mir jeden Tag weh!«

  »Deine beschissenen Gefühle interessieren mich nicht, Knox!«, rief ich. »Lucien ist jetzt König, verdammt noch mal! Er ist nicht mehr der kleine Bruder, mit dem ich zufällig etwas hatte. Sondern der mächtigste Mann in diesem Land! Und du hast denen da drinnen gerade erzählt, dass ich seinetwegen zur Verräterin geworden bin. Wenn Milan das glaubt, was denkst du, macht er dann mit mir?!« Dass Costard mir nichts getan hatte, konnte nur bedeuten, dass Troy ihm das alles nie verraten hatte – oder die Wünsche der OmnI mich immun machten. Nur würde das einen betrunkenen Teamleader nicht interessieren.

  Mit einem Mal verschwand der Trotz und blankes Entsetzen machte sich auf Knox’ Gesicht breit. »Oh Gott«, sagte er tonlos. »Phee, es tut mir leid, ich wollte nicht … Oh Gott.«

  Ich sah zum Haus und erkannte, dass hinter der großen Scheibe heftig diskutiert wurde. Dann trat eine breitschultrige Gestalt aus der Tür und kam auf uns zu.

  »Hau ab«, sagte Knox und schob sich vor mich. »Ich halte ihn auf.«

  Ich spähte über seine Schulter. »Das ist nur Jye, du Held. Außerdem – wo soll ich deiner Meinung nach hin? Es hat minus zehn Grad.« Die ich langsam spürte, jetzt, wo meine Wut auf Knox mich nicht mehr wärmte.

  Jye kam bei uns an, einen besorgten Ausdruck auf dem Gesicht. »Ich hoffe, du hast ihm dafür eine verpasst«, sagte er zu mir. »Knox, du bist echt ein Vollidiot.«

  »Ich weiß.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht nachgedacht, ich –«

  »Wie sieht es da drin aus?«, schnitt ich ihm das Wort ab.

  »Kann ich nicht genau sagen.« Jye warf einen Blick zum Haus. »Manche halten es für einen Witz von Knox, aber Milan und Scott Wulff wohl eher nicht. Bisher hat allerdings niemand gesagt, du sollst hängen. Vielleicht haben sie genug intus, um es bis morgen zu vergessen.«

  »Das glaube ich kaum.« Schließlich standen hinter dem Fenster mehrere Leute, die uns beobachteten. Die Party war beendet, so viel war sicher.

  Knox straffte die Schultern. »Ich biege es wieder hin«, sagte er. »Ich erkläre ihnen, dass es so eine Art Insiderwitz zwischen Phee und mir ist. Und wir das ständig machen.«

  »Dein Ernst?« Ich starrte ihn an. »Du glaubst, das nehmen sie dir ab? Nachdem du mir hasserfüllt vorgeworfen hast, den König dir vorgezogen zu haben? Vergiss es. Der Zug ist abgefahren.«

  Jye und ich wechselten einen Blick, und ich wusste, dass er daran dachte, wie richtig Knox mit seinen Vorwürfen lag. Das machte die Lage allerdings nicht besser. Ich brauchte eine Lösung für das Problem.

  »Es wird wohl das Beste sein, wenn ich die Wahrheit sage.«

  »Die Wahrheit? Bist du irre?« Jye schüttelte den Kopf.

  »Nicht die ganze«, beruhigte ich ihn. »Es ist kein Geheimnis, dass ich mit Lucien zusammen war – die OmnI weiß es, Troy hat es gewusst und Costard weiß es auch. Ich muss Milan nur verkaufen, dass sich seitdem einiges geändert hat.« Selbst in meinem eigenen Kopf klang das nicht sehr vielversprechend. Kovacs kannte mich nicht besonders gut, er würde sich kaum von mir einlullen lassen. Oder von einer erfundenen Story, die mich wieder als strahlende Vorzeige-Widerstandskämpferin hinstellte.

  Wir holen dich raus. Die Nachricht auf meinen EyeLinks erschien aus dem Nichts. Maraisville machte sich Sorgen.

  »Nein«, hielt ich dagegen. Knox sah mich irritiert an.

  »Weißt du was, mein betrunkener Freund?« Jye hängte mir seine Jacke um die Schultern und legte dann den Arm um die von Knox. »Ich glaube, wir sollten wieder reingehen.«

  »Was ist mit Phee?«, fragte mein Ex-Freund, die dunklen Augen voller Sorge und Bedauern.

  »Sie kommt gleich nach«, sagte Jye san
ft. Ein letzter Blick von ihm, der dem von Knox ähnelte, dann erklommen die beiden den Hang in Richtung Haus.

  Sie waren kaum außer Hörweite, als ich mich an Maraisville wandte.

  »Es ist nicht nötig, dass ihr mich rausholt«, informierte ich eilig. »Mit Kovacs werde ich schon fertig, und wenn ich jetzt verschwinde, komme ich nie in die Nähe der OmnI.« Denn wie sollte ich Costard erklären, dass ich mein Team verlassen hatte, wo er mich doch gerade darum gebeten hatte, noch eine Woche dortzubleiben?

  »Das Risiko ist zu groß.« Echo Claessons Stimme war mehr als streng. Aber da das ihr üblicher Tonfall war, ließ ich mich davon nicht beeindrucken.

  »Wo ist Dufort?« Er würde verstehen, dass wir eine riesige Chance verschenkten, wenn ich jetzt abgezogen wurde. Denn dann war ich komplett raus aus dem Spiel und das kam überhaupt nicht infrage. Ich hatte nicht drei Monate Kälte und Hasstiraden gegen Lucien ertragen, um am Ende mit nichts dazustehen.

  »Caspar ist nicht hier. Er leitet einen Einsatz.«

  »Was für einen Einsatz?« Seit Phoenix’ Tod war Dufort Chef der Schakale. Wieso ging er selbst mit nach draußen?

  »Das unterliegt der Geheimhaltung«, sagte Echo knapp. »Ophelia, bitte sei nicht dumm. Du hast keine Ahnung, was die Typen in ihrem Zustand mit dir machen.«

  »Ich kriege das hin. Vertrau mir.« Ich konnte jetzt nicht gehen. Nicht, wo ich so dicht davor war, endlich in die Nähe der OmnI zu gelangen. »Außerdem ist Jye hier, genau wie Knox.«

  »Ja, Knox ist eine enorm große Hilfe«, schnaubte Echo abfällig. Sie hatte recht, aber ich verstand, warum Knox so reagiert hatte: Er war verletzt. Im Gegensatz zu mir hatte er uns noch nicht losgelassen, und ich war blind genug gewesen, das zu übersehen. Im Endeffekt war es meine Schuld, dass er heute Abend ausgeflippt war.

  Ich atmete ein, zittrig in der kalten Luft. »Kannst du mir eine Stunde geben? Wenn ich es in der Zeit nicht schaffe, das Team zu überzeugen, dürft ihr mich rausholen.« Ich kannte Echo mittlerweile ganz gut. Sie war kein Fan von mir und genau deswegen ließ sich mit ihr verhandeln.

 

‹ Prev