Die Sterne werden fallen

Home > Other > Die Sterne werden fallen > Page 10
Die Sterne werden fallen Page 10

by Kiefer, Lena


  Allerdings währte die Erleichterung nur kurz.

  Sämtliche Gespräche im Raum verebbten sofort, als man mich bemerkte. Ein Flüstern schoss kreuz und quer durch die wartenden Leute bis zu den wenigen kleinen Tischen. Es war ein ungläubiges Raunen, das schnell ärgerliche Untertöne bekam. Ich spürte einen eisigen Hauch, der nichts mit der Kälte draußen zu tun hatte.

  »Guten Morgen«, wünschte ich der älteren Dame hinter der Auslage und allen anderen Gästen tapfer. Es kam nichts zurück, nichts außer feindseligen Blicken und noch mehr Raunen. Plötzlich kam mir das Team um Kovacs fast schon freundlich vor. Die hatten mich wenigstens nicht für den Feind gehalten. »Könnte ich bitte zwei von den Croissants bekommen? Die sehen lecker aus.«

  »Natürlich, Miss.« Die Hände der Dame zitterten leicht, als sie die Zange nahm und zwei von den Blätterteigstücken in eine Papiertüte steckte. Hatte sie Angst vor mir? Hatten die alle Angst vor mir? Vielleicht sollte ich etwas sagen, Entwarnung geben, zeigen, dass ich unbewaffnet war. Aber ich brachte keinen Ton heraus. Jemand anderen zu spielen, war im letzten Jahr ein Teil von mir geworden, aber dabei hatte ich offenbar verlernt, ich selbst zu sein. Vor allem, wenn man mich so demonstrativ ablehnte.

  Die Tür klingelte wieder.

  »Ophelia!« Etwas schoss heran und schlang seine Arme um meine Mitte. Als ich heruntersah, entdeckte ich hellbraune Augen unter einem blondlockigen Schopf. »Ist das cool, dass du da bist!«, strahlte mich Imogens Sohn Lynx Lawson an. »Ich habe Mum ständig gefragt, wann du endlich zurückkommst.«

  Ich hätte ihn am liebsten dafür geknutscht, dass er da war und mit seiner kindlichen Begeisterung die Feindseligkeit vertrieb. Die Mienen der Leute um uns herum wurden ein wenig heller, die Kälte schien sich etwas zu verziehen. Ich wuschelte Lynx kurz durch die hellen Locken und lächelte. »Was machst du denn hier? Hast du nicht Schule?« Die Dame reichte mir derweil die Tüte über den Tresen und ich bedankte mich bei ihr. Sie rang sich ein schnelles Lächeln ab, das wohl eher Lynx als mir galt. Trotzdem spürte ich, wie ich mich entspannte.

  »Ich habe Pause und wollte mir was zu essen holen.« Der Achtjährige studierte konzentriert die Auslage.

  »Magst du eins davon?« Ich hielt ihm die Tüte mit den Croissants hin.

  »Au ja, danke!« Er griff zu und stemmte dann mit seinem Gewicht die Tür nach draußen auf. »Wiedersehen!« Er winkte den Anwesenden zu und sie winkten zurück. Niemand von ihnen wusste, wer Lynx wirklich war: Leopolds Sohn und heimlicher Thronfolger. Imogen hatte alles dafür getan, dass keiner davon erfuhr. Und trotzdem liebte ihn jeder. Es war unmöglich, das nicht zu tun.

  Ich verabschiedete mich ebenfalls und erntete immerhin hier und da ein neutrales Murmeln, bevor ich dem Jungen nach draußen folgte. Während wir durch die Gasse in Richtung Schule liefen, knabberten wir beide an unserem Croissant.

  »Danke«, sagte ich. »Du hast mich sozusagen gerettet.« Noch immer spürte ich das unangenehme Prickeln der Ablehnung. Genau das war der Grund gewesen, warum ich nicht schon vor Monaten mit Lucien nach Maraisville gegangen war. Weil ich Angst gehabt hatte, jeder hier würde ihn meinetwegen hassen, wenn man erst wusste, was ich getan hatte. Die Menschen in Maraisville waren diejenigen, auf die sich der König in erster Linie verlassen können musste. Und ich brachte das jetzt ins Wanken.

  »Die waren nicht nett zu dir«, riss mich Lynx aus den Grübeleien. »Ich kann es gar nicht leiden, wenn viele Leute einen Einzelnen blöd behandeln.«

  »Sie wissen, was ich getan habe. Ich kann es ihnen also nicht übel nehmen.«

  »Doch, kannst du. Meinst du, die haben noch nie einen Fehler gemacht? Erwachsene machen ständig was falsch, tun aber trotzdem so, als würden sie alles richtig machen. Das ist bescheuert.«

  Ich lächelte über seinen Eifer. »Sprichst du da aus Erfahrung?«

  »Natürlich«, sagte er im Brustton der Überzeugung. »Erst gestern hat meine Mum behauptet, sie würde mich vom Training abholen, aber dann hat sie doch Ray geschickt, weil sie arbeiten musste. Als wäre das so wichtig, diese doofe Arbeit.« Lynx zog eine Schnute.

  Ich knüllte die Papiertüte zusammen und steckte sie in die Jackentasche. »Die Arbeit deiner Mum ist tatsächlich sehr wichtig. Sie arbeitet für den König, das weißt du doch.«

  »Ja-haa«, machte Lynx. »Aber wofür braucht Onkel Luc sie denn ständig? Er muss doch auch mal selbst was arbeiten.«

  Ich erstarrte bei dem Wort Onkel und verpasste die Gelegenheit, über die Bemerkung zu lachen. Wusste der Kleine doch Bescheid? »Du sagst Onkel zu ihm?«, fragte ich vorsichtig. »Warum?« Dass die beiden sich seit Lynx’ Geburt kannten, war mir klar. Lucien musste ein Teenager gewesen sein, als Imogen den Jungen bekommen hatte. Aber Onkel? Das sagte man doch nicht einfach so.

  »Weil es ihn ärgert. Die Großen ärgern sich immer, wenn man sie so anredet, als wären sie schon uralt. Onkel Luc ganz besonders. Er zieht dann immer soo lustige Grimassen.« Lynx wollte sich ausschütten vor Lachen und ich lachte mit.

  »Kann ich mir vorstellen«, sagte ich und fühlte den Druck in meinem Magen, als ich an Lucien dachte.

  »Du musst es auch mal versuchen.« Lynx nickte. »Das wirkt immer.«

  »Ja, vielleicht mache ich das.«

  Die Schule kam in Sicht, und als wir näher kamen, gingen die meisten Kinder bereits wieder vom Pausenhof hinein. Lynx machte keine Anstalten, sich zu beeilen. Erst als eine Lehrerin ihn mit energischen Handbewegungen zur Eile antrieb, setzte er sich in Bewegung.

  »Tschüss, Ophelia! Bis bald!« Er rannte rückwärts und ich winkte ihm zu.

  »Bis bald, Lynx!« Ich wartete, bis er in dem Gebäude verschwunden war, ignorierte den skeptischen Blick der Lehrerin und ging dann zum nächsten Terminal an der Straße, um eine TransUnit für die Fahrt zum See zu ordern.

  Die Feindseligkeit folgte mir wie ein Schatten. Lynx hatte mich wunderbar abgelenkt, aber jetzt spürte ich die Blicke der Bürger von Maraisville wieder mehr als deutlich. Und das würde im Bunker unter dem See sicher nicht anders sein.

  Noch mehr Leute, die mich hassen, dachte ich sarkastisch. Wie wunderbar.

  10

  Meine EarLinks aktivierten sich, als ich gerade aus der TransUnit stieg.

  »Hey, Stunt-Girl. Wo treibst du dich rum?« Luciens Stimme klang wie immer, und ich merkte, dass ich erleichtert war. Meine Angst hatte die Distanz zwischen uns in seiner Abwesenheit zu einem riesigen Monster gemacht. Jetzt schrumpfte es ein bisschen.

  »Ich bin am See«, antwortete ich betont fröhlich. »Da man mich bei den Schakalen nicht will – und auch sonst nirgendwo in der Stadt –, versuche ich mein Glück jetzt bei dem streng geheimen Projekt gegen Du-weißt-schon-was.«

  »Die kriegen sich auch wieder ein.« Lucien seufzte, und sofort bereute ich, etwas gesagt zu haben. Er hatte genug Sorgen, da musste ich ihm nicht auch noch mit meinen Problemen auf die Nerven gehen.

  »Ja, vielleicht«, ruderte ich zurück. »Ich kann ja verstehen, dass man skeptisch ist. Ich hatte nur nicht gedacht, dass es so schlimm sein würde. Hat man damals Plakate aufgehängt, oder warum weiß jeder, was ich getan habe?«

  Er atmete tief ein. »Die Leute reden, das weißt du doch. Vor allem, wenn es etwas Spannendes zu erzählen gibt. Und wenn eine der Schakal-Anwärterinnen den König töten will, ist das ziemlich spannend. Aber sie werden schon merken, dass du deine Meinung geändert hast. Das braucht einfach etwas Zeit.«

  »Zeit, die wir nicht haben. Was, wenn sie sich von dir abwenden? Wenn sie dir nicht mehr trauen, weil sie mir nicht trauen?« Mein Vorsatz, ihm nicht zusätzlich einen Kopf zu machen, verabschiedete sich in die Winterferien.

  »Ich bin ihr König«, sagte Lucien, »und da ich dich liebe, werden sie es auch tun.«

  Ich blieb stehen, gestoppt von der Wucht seiner Worte. Nicht wegen der Liebeserklärung. Sondern wegen dem, was ich schon letzte Nacht wahrgenommen hatte: Lucien schien seine Funktion als König vollkommen akzeptiert zu haben. Als wäre das Amt ein Teil von ihm geworden, wie auch sein Dienst bei den Schakal
en ein Teil von ihm geworden war. Weil man das von ihm erwartete. Diese Stärke beschämte mich. Wenn Lucien das tonnenschwere Erbe seines Bruders stemmte, konnte ich dann nicht mit ein paar lächerlichen Anfeindungen leben?

  »Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich jammere dich voll, während du …« Ich hörte auf zu reden, weil ich im Hintergrund Imogens Stimme erkennen konnte.

  »Ich muss los«, bestätigte Lucien meinen Verdacht eine Sekunde später. »Wir sehen uns später. Heute Abend habe ich angeordnet, dass es keine Katastrophen geben darf, damit wir ein bisschen Zeit haben. Was hältst du von Burgern?«

  »Burger sind immer gut.« Ich lächelte, dann endete die Verbindung.

  Während ich mit Lucien gesprochen hatte, war ich weitergegangen und stand bald vor dem Bootshaus, in dem sich der Zugang zum Bunker befand. Mit etwas weniger schwerem Herzen als noch vor einer halben Stunde hielt ich meinen WrInk an den Scanner und wartete, bis sich der Aufzug öffnete. Ich hatte keine Ahnung, was mich dort unten erwartete. Der Leiter des Projekts schien ein eigensinniger Mensch zu sein. Damit kam ich normalerweise zurecht, aber wenn er mich genauso ansehen würde wie alle anderen, dann könnte es sein, dass ich einfach wieder floh und mich irgendwo im Wald versteckte. Ach nein, Moment. In den Wald durfte ich ja gar nicht.

  Ich fuhr allein in der Kabine nach unten. Als die Türen aufglitten, wollte ich hinaustreten, blieb aber perplex stehen. Staunend sah ich mich um.

  Als ich das letzte Mal hier gewesen war, hatte es in diesem großen, hellen Raum nur Troy, den schwarzen Würfel der OmnI und zwei altmodische Sessel gegeben. Aber jetzt war der Bunker voll besetzt. Er war zu einem komplett eingerichteten Technologie-Labor geworden, bestückt mit allem, was die Abkehr übrig gelassen hatte. Regale mit allerlei Technikkram reihten sich an den Wänden, zwei Dutzend Menschen in hellen Klamotten wuselten herum oder arbeiteten an diversen Tischen. Und in der Mitte stand auf einem Sockel ein ebensolcher schwarzer Würfel wie der, den ich kannte – verbunden mit Hunderten Kabeln, die zu zig verschiedenen Terminals führten.

  »Ophelia Scale?« Eine junge Frau sprach mich an. Sie war nur wenig älter als ich, hatte große blaue Augen und blonde Haare, streng zurückgebunden. Und sie lächelte, was ich in Maraisville kaum noch erwartet hatte.

  »Ja, richtig.« Ich streckte die Hand aus und sie ergriff sie.

  »Ich bin Eugenie Capaldi, die Assistentin der Projektleitung. Kommen Sie mit, ich bringe Sie hin.« Sie lächelte immer noch und ging voran, quer durch den Raum, auf einen abgeteilten Bereich zu. Im Gegensatz zum Rest der Stadt starrte mich hier niemand an – alle schienen in ihre Arbeit vertieft zu sein. Ich lockerte meine verkrampften Hände. Vielleicht war das hier ja wirklich mein Platz. Ein Ort, an dem ich helfen konnte, ohne finster beäugt zu werden. Ich könnte morgens aus der Festung verschwinden und abends zurückkommen, um dann hoffentlich Lucien zu sehen. Das war kein schlechter Plan.

  Eugenie führte mich um die Milchglaswand herum in ein großes Büro, das von einem Schreibtisch, drei separaten Arbeitstischen und vier großen Wandterminals dominiert wurde – und einer Frau, die an einem davon stand, ein Pad in der Hand. Schon ihre Rückansicht kam mir bekannt vor, die Art, wie die Haare zusammengebunden waren, die aufrechte Haltung. Ich wusste es, bevor sie sich umdrehte und ich ihr Gesicht sah.

  »Mum?«, keuchte ich überrascht und mein Mund klappte auf. Was machte sie denn hier? Und wieso hatte Dufort mich nicht vorgewarnt, dass sie dieses Projekt leitete? Weil du dann nie hierhergekommen wärst.

  »Ophelia.« Sie maß mich mit einem ihrer üblichen Blicke, der mein Äußeres scannte und dabei alles entdeckte, was ihr an mir nicht gefiel. Dann sah sie meine Begleiterin an. »Eugenie, Sie können gehen.«

  Nein, geh nicht, flehte ich mit meinen Augen, aber die Assistentin ließ uns trotzdem allein.

  »Du siehst dünn aus.« Meine Mutter zog die Brauen zusammen.

  »Als Doppelagentin zu arbeiten macht nicht gerade dick«, entgegnete ich und verfiel dabei in den trotzigen Tonfall, den Cécile Victoire schon seit meiner Kindheit durch ihre bloße Anwesenheit provozierte.

  »Soweit ich weiß, hat dich niemand dazu gezwungen.« Sie legte das Pad auf den Tisch. »Weder zur Teilnahme an deiner idiotischen Widerstandsgruppe noch zu diesem Auftrag im Winter. Oder hat Lucien dich im letzten November etwa nicht darum gebeten, ihn hierher zu begleiten?«

  Ich ließ mich selten dazu hinreißen, gleich beide Augenbrauen zu heben, aber jetzt tat ich es. »Du redest mit Lucien?« Den Namen betonte ich, als stünde es ihr nicht zu, ihn mit Vornamen anzusprechen.

  »Selbstverständlich rede ich mit Lucien.« Meine Mutter machte eine rasche Handbewegung. »Schließlich hat er mich engagiert, kurz nachdem er König wurde. Aber keine Sorge, wir sprechen im Allgemeinen nicht über dich.« Dafür bist du nicht wichtig genug, lautete der unausgesprochene Teil des Satzes.

  »Beruhigend«, sagte ich sarkastisch. »Sonst hättest du ihm sicher schon eingeredet, dass er was Besseres verdient hat als mich.«

  Sie schnaubte. »Sei nicht albern. Er könnte nie etwas Besseres finden als dich. Etwas Einfacheres sicher, du warst schon immer aufsehenerregend kompliziert. Aber Lucien macht nicht den Eindruck, als würde er das Einfache bevorzugen.« Eines der Terminals zog ihre Aufmerksamkeit auf sich und gab mir Gelegenheit, ihr Kompliment zu verarbeiten, das sie in dem Schwall aus Beleidigungen versteckt hatte. Dann sah sie mich wieder an.

  »Ich wollte eigentlich nicht, dass du an diesem Projekt mitarbeitest. Oder überhaupt erfährst, dass ich hier bin. Aber unter den gegebenen Umständen ist es sicherlich sinnvoll, auf dich zugreifen zu können.«

  Zugreifen. Ich ballte die Fäuste. Bisher hatte ich gar keine Zeit gehabt, die Wut darüber hervorzukramen, dass meine Mutter mich an Costards Forschung verschachert hatte. Aber kaum dachte ich daran, war sie auch schon mit voller Wucht da.

  »Zugreifen also? Wie damals, als du und Costard mein Gehirn für die Entwicklung der OmnI missbraucht habt?«

  Nur kurz flackerte ihre stoisch-blasierte Miene. »Missbraucht? Ophelia, ich bitte dich. Wir haben deine Erinnerungen überschrieben, aber wir haben dich nie verletzt oder deine Gesundheit in Gefahr gebracht. Es waren Hirnscans, sonst nichts.«

  Ich verschränkte die Arme. »Aber ihr habt mich nicht gefragt, oder?«

  »Du warst ein Kind. Natürlich haben wir dich nicht gefragt.«

  »Dad allerdings ebenso wenig.« Ich dachte an ihn und meinen Bruder. »Hast du Kontakt zu ihm oder Eneas?«

  »Sporadisch. Es geht ihnen gut, wenn du das wissen willst. Du solltest ihnen schreiben, wenn du die Zeit findest.« Sie sah mich an. »Aber nein, wir haben deinen Vater nicht gefragt, da hast du recht. Er hat nie verstanden, was die Anomalie deines Gehirns für eine unglaubliche Chance bedeutet.« Sie gab etwas auf dem Terminal ein.

  »Stimmt«, sagte ich abfällig. »Eine unglaubliche Chance, die Welt zu vernichten.«

  Meine Mutter fuhr herum und funkelte mich an. »Sei nicht so lächerlich selbstgerecht«, zischte sie. »Bis vor einigen Monaten hättest du alles dafür getan, die Abkehr zu beenden und die OmnI an die Macht zu bringen. Nur, weil du dich verliebt hast –«

  »Das hat damit überhaupt nichts zu tun!«, rief ich empört.

  »Herrgott, Ophelia.« Der Blick meiner Mutter flog zur Öffnung in der Milchglaswand. »Würde es dich umbringen, unsere familiären Streitigkeiten nicht in aller Öffentlichkeit auszutragen?«

  Ich presste die Lippen aufeinander. Gerne hätte ich diese Frage bejaht, aber wenn ich nicht wollte, dass auch noch die letzten Menschen in Maraisville mich für eine mordlustige Irre hielten, war ich lieber still. Natürlich fasste meine Mutter das als Zustimmung auf.

  »Gut. Dann können wir ja anfangen.«

  »Anfangen womit? Was tut ihr hier überhaupt?« Dufort hatte gesagt, dass man an einer Möglichkeit arbeitete, die OmnI zu besiegen. Aber der Aufbau in der Mitte des Bunkers hatte eher so ausgesehen, als ob sie einen Zwilling bekäme. »Entwickelt ihr etwa eine zweite OmnI?« Das wäre eine naheliegende Lösung für das Pro
blem. Aber auch eine ziemlich wahnsinnige. Hey, wir haben einen übermächtigen Feind erschaffen, wie wäre es mit einem zweiten?

  »Es wäre die beste Option«, sagte meine Mutter. »Aber niemand auf dieser Welt verfügt noch über die erforderlichen Fertigungstechniken dafür. Bis wir die Komponenten herstellen könnten, wäre es längst zu spät.«

  »Was dann?«

  »Ein Infekt, eine Art Krankheit, speziell für die OmnI.«

  »Also einen Virus? Das hatten wir doch schon.« Und waren damit grandios gescheitert. Wir hatten versucht, den DataPod mit einem Virus zu bestücken, der die OmnI infizieren sollte, sobald er mit ihr in Kontakt kam. Aber das hatte Costard leider bemerkt.

  »Nein, kein Virus.« Arroganz, eine der hervorstechendsten Eigenschaften meiner Mutter, durchtränkte ihre Worte. »Ein Virus ist darauf aus, sich zu verbreiten und Wirte zu befallen. Er ist simpel und leicht zu entdecken. Was wir brauchen, ist eine hochintelligente, auf die OmnI zugeschnittene und auf sie begrenzte Infektion. Ich bezeichne sie als Morbus Mortis.« Sie deutete auf einen ihrer Bildschirme, wo ich eine neuronale Struktur erkennen konnte. »Es gibt verschiedene Theorien, wie sich die OmnI eindämmen lässt. Aber diese Variante hier ist die erfolgversprechendste.«

  »Das heißt, du willst einen Infekt programmieren, der nur die OmnI befällt? Wie soll das gehen?«

 

‹ Prev