by Kiefer, Lena
»Durch einen Angriff auf ihr neuronales Netz. Die OmnI ist für die Lösung von hochkomplexen Problemen entwickelt worden. Wenn du ihr also ein Problem gibst, das zwar lösbar erscheint, es aber nicht ist, verstrickt sie sich darin, und ihre neuronale Struktur fällt in sich zusammen.«
Ich runzelte die Stirn. »Du behauptest, dass du einen Morbus erschaffen kannst, der klüger ist als die OmnI selbst? Da bin ich ja mal gespannt.«
»Das ist so typisch für dich, Ophelia.« Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Du bildest dir immer ein Urteil, bevor du alle Fakten kennst. Nur weil du ein brillantes Gehirn hast, bedeutet das nicht, dass es ohne Informationen funktioniert. Nach all deinen Fehlschlägen der letzten Zeit solltest du das doch gelernt haben.«
Nett wie immer. Aber leider auch wahr. Ich gab mich geschlagen.
»Ich bin ganz Ohr.«
Meine Mutter nahm ein Pad vom Tisch und drückte es mir in die Hand. »Lies das. Dann reden wir. Es gibt viel zu tun.«
»Mein Gehirn kannst du doch sicher auch scannen, ohne dass ich das lese, oder?« Ruhig sah ich sie an und bemerkte mit grimmiger Freude, wie ertappt sie aussah. »Dafür bin ich hier, richtig? Nicht, weil ich mit dir arbeiten soll. Sondern weil du nicht alle deine Unterlagen hast retten können und deswegen meine neuronale Struktur brauchst, damit du deinen Morbus perfektionieren kannst.«
»Es kann die Sache beschleunigen, wenn du mithilfst. Ich habe begonnen, die früheren Scans zu rekonstruieren, aber so ginge es schneller.«
Mir kam ein Gedanke. »Bin ich deswegen zurück in der Stadt? Wusste Lucien davon?«
»Nein. Er hatte keine Ahnung.« Sie schüttelte den Kopf, und ich wusste, sie sagte die Wahrheit. Meine Mutter war noch nie eine gute Lügnerin gewesen. Warum auch? Sie sagte einem ihre Meinung einfach knallhart ins Gesicht. »Dein Freund ist so unschuldig, wie man als König dieses Landes und Ex-Schakal nur sein kann.«
Ich überhörte, dass sie damit eigentlich sagte, er wäre alles andere als unschuldig. Luciens Vergangenheit war mir bekannt, und sie hinderte mich nicht daran, ihn zu lieben. Und was seine Entscheidungen als König betraf, vertraute ich seinem moralischen Radar voll und ganz.
»Lass uns einfach die Scans machen, dann sind wir einander wieder los.« Ich wollte nicht länger als nötig hier unten bleiben. Von wegen, das könnte mein Platz sein. Sicherlich war es faszinierend, einen derartig gezielten Infekt zu entwickeln, der die OmnI zerstören konnte. Früher hätte ich für eine solche Chance alles gegeben. Aber meine Begeisterung für die Entwicklung von Hard- oder Software hatte sich in der letzten Zeit deutlich abgekühlt. Und bevor ich mit meiner Mutter zusammenarbeiten würde, setzte ich mich lieber den ganzen Tag auf den Marktplatz. Nackt.
Sie sah mich einige Momente an, dann nickte sie mir zu. »Gut. Eugenie?«
Die Assistentin war so schnell da, dass ich den Verdacht hatte, sie habe direkt hinter der Glaswand gewartet. Hatte sie unser ganzes Gespräch belauscht?
»Ja?«
»Bitte bereiten Sie meine Tochter für die Scans vor. Ich komme gleich dazu.«
Eugenies ohnehin schon große Augen wurden noch ein bisschen riesiger, als sie zwischen uns hin und her sah und zu erkennen schien, dass die Verwandtschaft zwischen meiner Mutter und mir mehr als deutlich war. Weder Eneas noch ich hatten viel von meinem Vater geerbt.
»Natürlich, sehr gern.« Sie wies mir den Weg. Weit kamen wir jedoch nicht.
In der Sekunde, als ich das Büro meiner Mutter verließ, hallte ein lauter Alarmton durch den Raum. Köpfe hoben sich, Gesichter sahen von Berechnungen und Modellen auf. Im nächsten Moment zeigte sich auf allen Terminals im Raum der gleiche blinkende Schriftzug:
»Nein«, flüsterte ich, weil ich wusste, was das bedeutete. Ich wusste es, weil ich selbst genau diesen Modus an einem schicksalhaften Abend im letzten Sommer ebenfalls ausgelöst hatte. Abgeriegelt wurden die einzelnen Bereiche von Maraisville nur, wenn es einen Angriff gab.
Einen Angriff auf den König.
11
Meine Starre hielt nur ein paar Sekunden. Dann sprang mein Kopf wieder an und begann mir Anweisungen zuzubrüllen.
»Ich muss hier raus«, sagte ich zu Eugenie. »Sofort!« Wenn es einen Angriff auf Lucien gab, musste ich zu ihm. So schnell wie möglich.
Meine Mutter schaltete sich ein.
»Du gehst nirgendwohin«, befahl sie. »Wenn es einen Angriff gibt, dann bist du hier unten in Sicherheit.«
»Glaubst du wirklich, mich interessiert meine Sicherheit?!«, schnauzte ich sie an und war nach wenigen Schritten am nächsten Terminal. Mit fliegenden Fingern rief ich das Menü für die zentralen Funktionen auf und klinkte mich in die Steuerung ein. Oder besser – ich versuchte es. Natürlich bekam ich keinen Zugriff. Die Terminals hier unten waren von Maraisvilles Systemen in dem Moment abgekoppelt worden, als das Protokoll aktiviert worden war. Genau wie die Verriegelung der Türen.
»Scheiße!«, fluchte ich und schlug mit der Faust auf den Tisch. Meine EarLinks waren tot, ebenfalls abgekoppelt. Also rief ich die elektronischen Pläne für den Bunker auf und ging nacheinander meine Möglichkeiten durch.
Der Fahrstuhl. Lahmgelegt durch das Protokoll.
Die Nottreppe nach oben. Verriegelt durch das Protokoll.
Der Schacht neben dem Aufzug für die Abluft.
Das könnte gehen.
»Habt ihr Waffen hier unten?«, fragte ich niemand bestimmten. Das Arsenal war nicht weit entfernt, aber es würde mich Zeit kosten, einen Abstecher zu machen.
Meine Mutter schaute mich an, als hätte sie mich noch nie gesehen. »Dort hinten in dem Schrank. Aber wie willst du rauskommen? Hier ist alles abgeriegelt.«
»Durch den Schacht.« Ich zeigte ihr die Stelle auf dem Plan und prägte mir den Weg des Schachtes ein. Meine Mutter hatte mich dabei stumm beobachtet, doch nun griff sie nach meinem Arm.
»Ophelia, bitte bleib hier. Das ist Wahnsinn. Du bist nicht –«
»Doch, genau das bin ich«, korrigierte ich sie und befreite mich. »Ich bin eine Agentin der Schakale und damit auch dafür zuständig, den König zu beschützen.« Und genau das würde ich jetzt tun. Ich würde es aus diesem verdammten Loch rausschaffen und verhindern, dass die OmnI Lucien etwas antat. Ich würde nicht zulassen, dass sie nach seinem Bruder auch noch ihn tötete.
Der Schrank mit den Waffen war nicht verschlossen. Ich ignorierte die Blicke der Umstehenden, die verängstigt auf die Anzeige der Terminals sahen, und inspizierte das Angebot. Eine TLP-X war nicht dabei, aber eine andere Halbautomatik. Ich lud sie, schob sie in meinen Hosenbund und steckte ein Ersatzmagazin ein. Vielleicht wäre eine Nanopartikelwaffe oder ein Raketenwerfer besser gewesen, schließlich hatte ich keine Ahnung, wie die OmnI vorging. Aber das war egal. Zur Not würde ich jeden Einzelnen mit bloßen Händen erwürgen, der es wagte, Lucien anzugreifen.
Meine Mutter hielt mich nicht auf, als ich die Klappe zum Schacht aufriss und einen Blick hineinwarf. Es war eng und ging senkrecht nach oben, aber das schreckte mich nicht. Ich hatte mich in einem FlightJack über Amber Island abschießen lassen. Ein blöder Abluftschacht würde mich nicht aufhalten.
Mit einer bühnenreifen Verrenkung schlängelte ich mich durch das quadratische Loch und stemmte mich dann Zentimeter für Zentimeter nach oben. Während ich kletterte, flackerten beängstigende Bilder durch meinen Kopf. Das Juwel, eingenommen von ReVerse. Die Straßen der Stadt voll mit Costards Leuten. Ein regloser Lucien am Boden, die blaugrauen Augen leer, der Körper voller Blut. Nein, sagte ich mir. Das ist nicht die Wahrheit. Als man das letzte Mal die Stadt abgeriegelt hatte, war Leopold wohlauf gewesen. Ich hatte ihn bedroht, ich hatte versucht, ihn zu erschießen – aber er hatte keinen Kratzer abbekommen. Die Notfallprotokolle bedeuten nicht, dass er tot ist. Sie müssen gar nichts bedeuten. An diesem Gedanken krallte ich mich fest wie an den Seitenwänden des Schachtes.
Meine Klettertour endete an der Luke, die ich auf dem Plan gesehen hatte. Kurz dachte ich darüber nach
, ob sie wohl verschlossen war, aber die Klappe ließ sich aufstoßen. Ich stemmte mich nach oben und schob meinen Körper aus der Öffnung. Kaum hatte ich mich aus dem Schacht auf den Boden des Bootshauses gekämpft, hörte ich es: das Sirren von Drohnen. Ein Luftangriff?
Schnell lief ich hinaus ins Freie und schaute mich um. Im Militärareal neben dem See erkannte ich hektische Aktivitäten, Soldaten bestiegen Fahrzeuge oder rannten zu den niedrigen Gebäuden, in denen sich die Einsatzzentrale für die Luftabwehr und damit auch die manuellen Notsteuerungen befanden. Eigentlich funktionierte das alles automatisch, aber als sich eine unserer eigenen Militärdrohnen näherte und eine Salve auf das Arsenal abfeuerte, wurde mir klar, was los war.
»So machst du das also«, murmelte ich, während ich in Richtung Stadt lief. Die OmnI hatte die Drohnen von Maraisville übernommen und auch das Abwehrsystem überlistet. Das war in einem Sicherheitsring um die Stadt positioniert, daher konnte man es infiltrieren, ohne in die zentralen Systeme eindringen zu müssen. Trotzdem verstand ich die Logik dahinter nicht. Es war Wahnsinn, Maraisville auf diese Art anzugreifen. Selbst wenn wir es nicht schafften, die OmnI schnell wieder aus dem System zu werfen – unsere manuelle Abwehr würde die Drohnen früher oder später alle abschießen. Was sollte das? Wieso ging sie so vor?
Noch mehr Drohnen sausten über mich hinweg und feuerten wahllos auf die Gebäude am See hinter mir. Ich versuchte, Lucien zu erreichen, aber meine EarLinks funktionierten immer noch nicht. Also rannte ich einfach los, von Adrenalin in Richtung Stadt getrieben. Ich überschlug, wie schnell ich in dem Tempo zur Festung käme, als ein Militärkonvoi aus dunkelgrauen TransUnits an mir vorbeifuhr.
»Willst du irgendwohin?«, rief mir jemand zu.
»Ich muss zum Juwel!«, schrie ich gegen den Lärm der Drohnen an. Da streckte der Jemand eine Hand aus, und ich ergriff sie, um mich hochziehen zu lassen. Als ich neben meinem Helfer im Wagen landete, sah ich hoch.
»Emile!«, stieß ich überrascht aus.
»Hi, Ophelia.« Mein Freund – wenn ich ihn noch so bezeichnen durfte – verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. »So sieht man sich wieder.«
»Ich …« Das war nicht der richtige Moment für eine Entschuldigung, also starrte ich ihn nur an, in meinem Herzen neben der tödlichen Angst um Lucien auch eine Menge Bedauern. Dass damals Emile und nicht Troy an meiner Stelle verhaftet und verhört worden war, tat mir immer noch leid.
»Vergiss es«, sagte Emile angespannt und überprüfte den Sitz seiner Weste, die ihn immerhin gegen ein paar Munitionsarten schützte. Die anderen Männer und Frauen auf dem Wagen hatten ähnliche Kleidung an, waren aber trotzdem klar als Schakale oder Soldaten zu erkennen. Die meisten von ihnen beachteten mich nicht. Sie hatten gerade Wichtigeres im Sinn, als mich strafend anzusehen.
»Weißt du was darüber?«, fragte ich Emile und zeigte nach oben. Durch das Dach der TransUnit konnte man die Drohnen nicht sehen, aber deutlich hören.
»Nicht viel. Wir waren beim Training, als der Alarm kam. Dufort schickt uns zur nördlichen Grenze der Stadt.«
»Aber doch nicht, weil …?« Ich brachte es nicht fertig, den Satz zu beenden.
Emile schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Er hat nichts darüber gesagt, was mit dem König ist. Sie haben ihn bestimmt in Sicherheit gebracht.«
Ja, wenn er sich überhaupt in Sicherheit bringen ließ. Lucien war fast sieben Jahre lang ein Schakal gewesen, und auch, wenn er diesen Job gehasst hatte, würde es ihm zuwider sein, sich in irgendeinem Schutzraum zu verkriechen, wenn andere Leute hier draußen ihr Leben riskierten. Und als König konnte ihm niemand etwas verbieten. Hoffentlich hatte Saric das ignoriert und ihn einfach festgekettet.
Die TransUnits des Militärs hatten nur sehr schmale Fenster, durch die nicht viel zu erkennen war. Trotzdem spähte ich nach draußen. Die Drohnen kreisten über der Stadt, ebenso wie unsere FlightUnits, die sie davon abhalten wollten, Menschen zu töten oder Gebäude zu zerstören. Das war nicht gut, aber auch nicht allzu schlecht. Wenn Costard damit beschäftigt war, auf die FlightUnits zu schießen, konnte er schon mal nicht auf das Juwel feuern.
»Ich glaube, du solltest abspringen.« Emile deutete nach draußen. »Näher kommen wir der Festung nicht.«
»Danke fürs Mitnehmen«, sagte ich und sparte mir die Frage, ob Emile bereit war, sich in nächster Zeit mit mir zu treffen, damit wir reden konnten. Dufort hatte gesagt, dass er bald für einen längeren Auftrag in den Norden musste. Und manche Dinge ließen sich vielleicht gar nicht kitten. »Pass auf dich auf.«
»Du auch.« Er nickte, ich sprang vom fahrenden Wagen auf das Kopfsteinpflaster von Zone B und rollte mich ab. Es herrschte Chaos – Menschen liefen panisch und schreiend die Gasse entlang, irgendwo rauchte es aus einem Haus, medizinische TransUnits jagten durch die Straßen. Eine Drohne zischte über meinen Kopf hinweg einem Ziel entgegen, das ich nicht erkennen konnte. Etwas explodierte und es regnete Schutt. Ich duckte mich. Der Geruch von verbranntem Holz stieg mir in die Nase.
»Ophelia? Hörst du mich?« Luciens Stimme ertönte so plötzlich auf meinen EarLinks, dass ich zusammenzuckte – nur um gleich darauf vor Erleichterung weiche Knie zu bekommen.
»Luc!«, rief ich und drückte mich an die Wand des Pralinenladens, als ein Trupp Soldaten an mir vorbeilief. »Geht es dir gut? Wo bist du?«
»In der Festung. Die wollten mich in den Schutzbunker stecken, aber ich habe mich geweigert.« Er klang fast ein bisschen stolz, aber die Anspannung war seiner Stimme trotzdem anzuhören. Das hier war mehr als ernst und er wusste das. »Warum bist du nicht bei deiner Mutter? Kann man dich eigentlich nie allein lassen?«
»Nein, kann man nicht. Und ich bin aus dem gleichen Grund nicht dort, aus dem du nicht im Bunker bist.« Ich sparte es mir, ihn überreden zu wollen, dort Schutz zu suchen. Das war ohnehin zwecklos.
»Okay, wir sind quitt«, gab er zu. »Wo bist du? Ich wüsste dich gern in meiner Nähe.«
»Ich bin auf dem Weg.« Schnell stieß ich mich von der Wand ab und lief gegen die Flut der flüchtenden Menschen. »Weißt du, was die OmnI hier will?«
»Keine Ahnung. Aber der Angriff scheint keinem festen Schema zu folgen, die Drohnen feuern auf alles und nichts, so als wollten sie nur von etwas ablenken. Die Analyse-Abteilung ist dran.«
Von etwas ablenken. Die Worte drehten ein paar Runden in meinem Kopf, während Sanitäter einen Verletzten an mir vorbeitrugen. Er hatte eine schlimme Kopfwunde, und ich merkte, wie mein Magen rebellierte.
»Stunt-Girl?«, fragte Lucien. »Kannst du hierherkommen, ohne dass dir etwas passiert? Oder soll ich dir ein Team schicken?«
»Nein, ich bin schon ganz in der Nähe.« Ich spürte tiefe Zuneigung, als mir klarwurde, dass Lucien nicht versuchte, mich aus allem rauszuhalten. Ganz anders als in der letzten Nacht.
»Dann bis gleich.« Die Verbindung brach ab, ich lief wieder los. Die Festung tauchte vor mir auf und ich legte noch einen Schritt zu. Von etwas ablenken. Luciens Instinkt war untrüglich, wenn es um so etwas ging. Also war das alles hier nur ein Manöver, um etwas zu bekommen, das Costard anders nicht beschaffen konnte. Aber was war das? Sie hatten den Generator, sie hatten den DataPod, sie hatten jede nur erdenkliche Technologie, die man brauchte, um die OmnI zu betreiben. Und seit letzter Nacht hatten sie wahrscheinlich noch ein paar Dinge mehr. Aber es musste einen Grund geben, warum sie die Stadt angriffen, denn das war bisher noch nie passiert. Königstreue auf diese Art zu töten war nicht der Stil der OmnI, sie ging chirurgisch vor und hatte immer einen Hintergedanken. Als sie im Sommer das Hotel von ReVerse attackiert hatte, war das nur geschehen, weil sie Knox und die anderen gegen Leopold aufbringen wollte. Sie hatte die Opferzahlen gering gehalten und nur oberflächliche Schäden verursacht. Das hier war etwas ganz anderes, es war chaotisch und aggressiv. Ich wusste zwar nicht, wie viele Leute heute ihr Leben lassen mussten, aber mir war klar, dass die OmnI diesmal keine Rücksicht nahm. Was war also ihr Plan? Was wollte sie damit erreichen?
Zwanzig Meter vor dem Zugang zur Festung schob ich meinen
Ärmel hoch und legte meinen WrInk für den Scan frei. Dann zog ich meine Waffe hervor, um sie registrieren zu lassen. »Kennung OS-«, begann ich pflichtbewusst, kam aber nicht weit.
»Geh schon durch«, unterbrach die Gardistin und winkte mich an sich vorbei. Sie hatte ihre Waffe im Anschlag, den Blick auf den Himmel gerichtet. Wie ich schien sie Angst zu haben, dass die Drohnen auf die Festung schießen könnten.
In den unteren Stockwerken war es ähnlich wuselig wie in Zone B, aber absolut nicht chaotisch. Alle hier bewegten sich zügig, aber nicht hektisch. Ein paar Blicke streiften mich, die ich nur schwer deuten konnte, aber ich ignorierte sie und steuerte zielstrebig das Lagezentrum an. Lucien hatte nicht gesagt, wo genau er in der Festung war, deswegen wollte ich es dort zuerst versuchen.
Ein Trupp Schakale lief an mir vorbei und ich wich zur Seite aus. Echo Claesson grüßte im Vorbeigehen mit einem Nicken, die anderen musterten mich mit kühlem Interesse. Wie weit war es noch bis zum Lagezentrum? Beim letzten Mal war mir das kürzer vorgekommen. Ich wollte so schnell wie möglich zu Lucien, denn auch wenn ich seine Stimme gehört hatte, würde ich trotzdem erst glauben, dass er in Sicherheit war, wenn ich ihn vor mir sah. Allerdings wagte ich nicht zu rennen, wo doch alle anderen so einen beherrschten Eindruck machten.
Ich bog gerade in den Gang ein, der zu dem richtigen Raum führte, als etwas meinen Blick auf sich zog: ein Mann, der in schwarzer Schakalmontur gegen den Strom derer lief, die nach draußen eilten, um die Stadt zu beschützen. Das allein war nicht ungewöhnlich – vielleicht hatte er andere Befehle oder musste ins Depot, um sich auszurüsten. Wäre es irgendein Schakal gewesen, hätte ich ihn vermutlich nicht einmal bemerkt.
Aber es war nicht irgendwer. Es war Dufort. Zumindest glaubte ich das, denn ich sah nur seinen Hinterkopf.
Der Chef der Schakale in voller Montur, wenn die Stadt in Flammen stand – auch das war nicht merkwürdig. Etwas anderes allerdings schon. Ich hatte genug Zeit in Caspar Duforts Gegenwart verbracht, um zu wissen, dass er so ziemlich jede Person spielen, jeden Bewegungsablauf imitieren, jeden Akzent faken konnte. Und genau deswegen war das hier so eigenartig: Dieser Dufort bewegte sich nicht wie er selbst. Er lief etwas steifer, weniger geschmeidig und kontrolliert. Welchen Grund konnte es geben, dass er eine leicht andere Version von sich selbst imitierte? Keinen, gab ich mir selbst die Antwort.