Die Sterne werden fallen

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Die Sterne werden fallen Page 20

by Kiefer, Lena


  Dufort hob die Schultern. »Da fragst du den Falschen. Ich bin seit fast 15 Jahren ein Schakal und ich bin es gerne. Für mich ist es nicht vorstellbar, etwas anderes zu machen. Außerdem ist es schwer, über die Zukunft nachdenken, wenn einem die drohende Vernichtung der Menschheit im Nacken sitzt.«

  »Oder Phoenix«, sagte ich mit aller Verachtung, die ich aufbringen konnte.

  Dufort schnaubte. »Er war ein Arsch, das stimmt. Aber in den letzten Monaten habe ich mir mehr als einmal gewünscht, der alte Mistkerl wäre noch am Leben.«

  »Warum? Hättest du seinen Rat gebraucht?«

  »Eher sein Wissen. Leopold und er waren oft unter sich, wenn sie über wichtige Aufträge, diplomatische Missionen oder entscheidende Verbündete in den Regierungen gesprochen haben. Phoenix war ein Meister der Paranoia und hat deswegen nie etwas davon aufgezeichnet oder notiert. Als sie beide gleichzeitig gestorben sind, mussten wir in vielen Fragen bei null anfangen.«

  »Verstehe.« Noch ein Grund mehr, darauf zu hoffen, dass dieser Ausflug nicht umsonst ist, dachte ich, sagte es aber nicht laut.

  Wir schwiegen, bis die Instrumente meldeten, dass wir uns der Absturzstelle näherten. Niemand war zu sehen, niemand hatte unser Eindringen in diesen Luftraum verhindern wollen – sicher dank Duforts Vorkehrungen. Unter uns zeigte sich rotbrauner Lehmboden, so weit das Auge reichte, nur unterbrochen von ein paar weißen Flecken, die vermutlich zugefrorene Seen waren.

  »Wir dürfen nicht länger als eine halbe Stunde dort unten bleiben«, briefte mich Dufort, als wir langsam sanken. »Der Jack lässt sich am Boden tarnen, aber die Zone wird von beiden Seiten durch Drohnenpatrouillen mit Wärmesensoren überwacht. Wenn wir länger als dreißig Minuten brauchen, könnte es sein, dass die Asiaten uns entdecken. Und dann hilft Rausreden nichts.« Er lächelte leicht, als er mich ansah. Rausreden war nämlich eigentlich seine Spezialität. Genau wie meine.

  Ich grinste. »Wie, du hast keine passende Geschichte auf Lager, warum zwei Agenten des europäischen Königs gerade an dieser Stelle landen, um einen kleinen Spaziergang zu machen? Ich bin enttäuscht, Caspar.«

  »Mutig, wie du mit deinem Vorgesetzten redest.« Dufort konzentrierte sich auf die Landung. Als der FlightJack auf dem kargen Boden stand, schaltete er die Tarnvorrichtung ein und schnallte sich ab.

  »Als zukünftige Königin bin wohl eher ich deine Vorgesetzte«, scherzte ich und ging nach hinten, um unseren Scanner in Betrieb zu nehmen. Für den tatsächlichen Scan mussten wir den Jack verlassen, aber vorbereiten konnte ich das Gerät trotzdem hier drinnen. Dufort kam zu mir und checkte unsere EyeLinks sowie die Waffen. Als der Scanner fertig kalibriert war, sah er mich an.

  »Bereit?«

  Ich nickte und spürte eine eigenartige Aufregung. Bisher hatten sich meine Einsätze immer darum gedreht, dass ich in einer Gruppe von Menschen als eine von ihnen akzeptiert wurde. Das hier war neu für mich – auf diese Art unentdeckt bleiben zu müssen.

  »Dann los.« Dufort öffnete die Seitentür des FlightJack und wir sprangen auf den hart gefrorenen Boden. Ich trug den Scanner vor mir her, der wie ein größeres und dickeres Pad aussah.

  Nichts an diesem Ort ließ darauf schließen, dass hier im November eine mehrere Hundert Tonnen schwere FlightUnit abgestürzt und von der Wucht der Explosion beim Aufprall in ihre Einzelteile zerlegt worden war. Alle Überreste davon hatte Maraisville abtransportiert, um sie zu untersuchen. Leichen hatten sie jedoch keine gefunden, weil die laut Untersuchung bereits bei der Explosion des Antriebs vaporisiert worden waren – eine Tatsache, die ausschloss, dass es Überlebende gab. Aber seit ich die merkwürdigen Daten entdeckt hatte, wollte ich alles für möglich halten.

  Dufort sah geradeaus, und ich wusste, er erkannte auf den EyeLinks genauso wie ich die Stelle des Aufschlags. Ich ging näher zu dem Fleck Erde, wo der frühere Scan das Zentrum der mysteriösen Strahlungsdaten geortet hatte. Dort ging ich in die Hocke und startete meinen eigenen, umfassenden Scan. Aber kurz nachdem er begonnen hatte, fror er ein und brach dann ab. Ich versuchte es erneut, mit dem gleichen Ergebnis. Stirnrunzelnd musterte ich die Umgebung, ob irgendetwas störte, aber nichts war zu erkennen – wie auch, das Gelände war völlig einsehbar.

  »Was ist?« Dufort beugte sich zu mir.

  »Keine Ahnung, das System bricht immer wieder ab. Ich muss den Algorithmus anpassen, um eine Störung auszuschließen. Wie viel Zeit haben wir noch?«

  »Zwölf Minuten. Schaffst du das?«

  »Vielleicht.« Mit HeadLock im Kopf war das schwer abzuschätzen.

  »Okay, versuch es.« Er nickte, stand auf und zog seine Waffe, um für den Fall eines Angriffs gerüstet zu sein. Damit war ich so sicher, wie man in dieser Situation sein konnte. Ich griff nach dem Pad, um mich an die Arbeit zu machen, und nutzte meine EyeLinks als visuelle Unterstützung für die Programmierung. Aber ich war nicht sicher, ob ich das in der vorgegebenen Zeit schaffen würde. Was immer den Scan störte, war ziemlich schwer zu umgehen.

  »Fünf Minuten«, sagte Dufort hinter mir.

  »Ich bin gleich so weit.« Zumindest hoffte ich das. »Ich frage mich, was in dieser Einöde so ein Störsignal aussendet. Haben wir oder die Asiat–«

  Weiter kam ich nicht.

  »Deckung!«

  Ich hörte nur das hohe Sirren von Projektilen, da lag ich auch schon flach auf dem Boden. Duforts Hand war an meinem Rücken, und er fluchte, bevor er seine Waffe abfeuerte. Blitzschnell drehte ich mich herum und sah eine Drohne, die sich in dieser Sekunde enttarnte, drehte und wieder auf uns zukam. Ich zog meine Waffe und schoss auf sie, aber ihre Reichweite war besser als unsere. Neben mir, vor mir, hinter uns trafen in schneller Abfolge Kugeln mit dumpfem Schnalzen auf den gefrorenen Boden. Unsere Schüsse kamen nicht einmal in die Nähe der Drohne.

  »Wir müssen hier weg!« Dufort zog mich auf die Füße. »Das ist keine von den normalen Drohnen, die hier patrouillieren!«

  Ich schnappte das Pad und rappelte mich hoch. Dufort streckte hastig die Hand danach aus, aber ich wehrte sie ab.

  »Du schießt besser als ich!«, rief ich ihm zu.

  »Dann lauf!«

  Wir hasteten los in Richtung FlightJack, Dufort feuerte im Laufen auf unsere Angreiferin, ohne sie jedoch zu beeindrucken. Die Drohne schoss weiter auf uns, als wären wir ein paar Hasen und sie der Jäger – nur mit einer Automatikwaffe statt eines Gewehrs. Ein Projektil streifte trotz der Ablenktechnik in der Weste meinen rechten Arm, erwischte aber nur meine Jacke. Ich wich nach links aus. Ein Fehler. Der nächste Schuss traf mehr als den Ärmel. Ein scharfer Schmerz schoss bis in meine Schulter hoch, ein Stöhnen drang durch meine zusammengebissenen Zähne. Trotzdem lief ich weiter.

  Der FlightJack schien unendlich weit entfernt. Trotzdem erreichten wir ihn, ohne zu sterben. Ich sprang an Bord, Dufort kam mir nach und öffnete eine Klappe neben der Tür.

  »Was machst du?«, rief ich. »Warum hauen wir nicht ab?« Die Geschosse trommelten auf die Außenhaut des FlightJacks, als wäre es Hagel. Tödlicher Hagel.

  Dufort zog eine mattgraue Waffe aus dem Schrank, deren Lauf so dick war wie mein Arm. Ohne Zögern lud er sie durch.

  »Wir können der Drohne mit dem Jack nicht entkommen. Ich muss sie abschießen.« Angespannt deutete er auf die Instrumente. »Starte die Aggregate. Verstärkung für das verdammte Ding ist wahrscheinlich längst unterwegs. Ich will weg sein, bevor sie auftaucht.«

  Ich nickte, und er ging zur Tür des FlightJack, platzierte den Raketenwerfer auf seiner Schulter und richtete ihn aus. Ich wartete nicht, ob er traf, sondern hechtete an die Steuerkonsolen und ahmte nach, was ich vorhin gesehen hatte. Röhrend kam Leben in den FlightJack. Im gleichen Moment ertönte draußen ein lauter Knall.

  »Hab sie!«, rief Dufort, zog sich ins Innere zurück, warf die Waffe beiseite und schloss die Tür des Jack. Da kam mir ein Gedanke.

  »Warte!« Ich schob die Tür wieder auf.

  »Was wird das denn jetzt?!«

  »Ich hole die Drohne. Ohne werden wir nie wissen, von wem sie ko
mmt.«

  Schnell sprang ich raus, schnappte mir den Techniktrümmerhaufen und rannte zurück. Drei Sekunden später war ich auf meinem Platz neben Dufort, nach drei weiteren waren wir in der Luft.

  »Nichts wie weg hier«, sagte er. »Behalte bitte den Annäherungsalarm im Auge. Wenn uns etwas folgt, will ich es sofort wissen.«

  »Okay.« Ich heftete meinen Blick auf die Anzeige, aber es war nichts zu erkennen, auch nach zehn Minuten nicht. Dufort bemerkte das ebenfalls und musterte nun mich.

  »Glückwünsch«, lobte er. »Offenbar bist du bereit für Beschuss im Außeneinsatz.«

  Ich lachte nur dünn. Während der Zeit bei Costards Truppe war zwar auch viel geschossen worden, aber nie auf mich. Die eine Seite hatte nicht gewusst, dass ich ihr Feind war – und die andere hatte gewusst, dass ich eigentlich zu ihnen gehörte. Eine sehr eigenwillige Form von Luxus.

  »Was ist mit deinem Arm?« Dufort zeigte auf das Loch in meiner Jacke.

  »Nichts. Sie hat mich nur gestreift, alles okay.« Ich zog den Ärmel hoch, um mir die Verletzung anzusehen. Es war, wie ich gesagt hatte: eine Fleischwunde, aus der nicht besorgniserregend viel Blut sickerte. Mit einer Ladung NanoHealing würde das innerhalb einer Stunde heilen.

  Ich holte aus dem Notfallset einen SubDerm-Injektor mit dem richtigen Serum und drückte dann eine Kompresse auf die Wunde, um die Blutung zu stoppen. Es brannte, wie so etwas immer einen Moment brennt, also ignorierte ich es und klebte die Kompresse fest. Dann schaute ich wieder auf die Anzeige.

  Aber das Brennen ging nicht weg. Im Gegenteil. Je länger wir flogen, desto stärker wurde es und fühlte sich bald an, als würde jemand ein glühendes Eisen auf meine Haut drücken.

  Mir brach Schweiß aus, als hätte ich von einer Sekunde auf die andere hohes Fieber bekommen. Mein Hals schnürte sich zu, Angst hinderte mich am Atmen. Da stimmte etwas nicht.

  »Cas?«, fragte ich und hörte, dass es irgendwie verschwommen klang. Meine Zunge fühlte sich dick an, Schwindel überflutete meinen Kopf.

  »Was ist los?« Er sah zu mir und seine Augen weiteten sich. »Verflucht!«, stieß er aus. »Ophelia? Hey, Ophelia!« Ich bekam am Rande mit, dass er auf der Konsole herumtippte, dann löste er meinen Gurt und half mir auf die Füße. Es tat höllisch weh – überall, wo er mich berührte, wurde das Brennen heftiger.

  »Nicht anfassen«, stöhnte ich dumpf. Vorsichtig ließ er mich zu Boden gleiten, aber auch überall, wo ich den Untergrund des Jacks berührte, flammte der Schmerz auf. Das Feuer breitete sich aus, ich spürte, wie es im Sekundentakt immer weiter Besitz von mir ergriff. Ich hörte jemanden schreien, es hallte laut in meinen Ohren, tat mir weh. Ich wollte zurückbrüllen, damit derjenige den Mund hielt.

  Bis ich merkte, dass ich es war, die schrie.

  20

  Wer immer gesagt hatte, es gäbe so etwas wie eine rettende Ohnmacht, war ein Lügner. Ein dreckiger, grausamer Lügner, der keine Ahnung hatte, was Schmerz bedeutete. Wer allerdings behauptet hatte, dass einem Sekunden wie Stunden vorkommen können, wenn man Qualen durchstehen musste: Japp, der Typ hatte recht gehabt.

  Nichts, was ich bisher erlebt hatte, war mit dem vergleichbar, was ich nun durchlitt. Mein Körper schien förmlich in Flammen zu stehen und jede Berührung war wie eine Explosion aus Schmerzen, die alles noch schlimmer, brennender, grausamer machte. Trotzdem blieb ich bei Bewusstsein. Warum, wusste ich nicht. Aber es war ein begrenztes Bewusstsein, das sich nur darauf konzentrierte, wann der nächste Schub, die nächste Stufe von Schmerz erreicht wurde. Ich dachte an Lucien. Hatte ich ihm nicht versprochen, ihn nicht wieder zu verlassen? Es fühlte sich an, als würde genau das jetzt passieren.

  Irgendwo in meiner Hölle bekam ich mit, dass mir mehrfach etwas an den Hals gedrückt wurde, aber nichts davon machte es besser. Dufort fluchte, redete mit mir, nur konnte ich nicht antworten. Ich wollte ihm sagen, dass er Lucien etwas ausrichten solle, aber es ging nicht. Jeder Satz, jedes Wort wurde erstickt, meine Lunge gehorchte nicht, meine Stimmbänder versagten. Ich wurde bewegt, gezogen, gezerrt, das Licht wurde heller, greller, stechend, sogar durch die geschlossenen Lider. Viele Hände schienen mich zu berühren, ich konnte ihnen nicht sagen, wie unerträglich das war. Dann überflutete ein entsetzliches Reißen an jedem Nerv meines Körpers alle verbleibenden Gedanken in meinem Gehirn. Das war der Moment, als die Angst vor dem Tod sich verabschiedete – nur um ihn herbeizusehnen, damit es ein Ende nahm. Als ich endlich, endlich das Bewusstsein verlor, war es mir egal, ob ich je wieder aufwachen würde.

  Und dann war da nur noch Leere.

  »Jye?«

  Es war ein hohles Krächzen, das aus meinem Mund kam und mir verriet, dass ich nicht tot war. Zumindest wollte ich nicht glauben, dass man im Jenseits mit angegriffener Stimme aufwachte – oder einem Gefühl, als hätte man die letzten Wochen tägliche Dates mit einer Abrissbirne gehabt. Ob mich das erleichterte? Da war ich noch nicht sicher. Der Anblick meines besten Freundes, der schlafend neben meinem Bett auf einem Stuhl saß, allerdings schon.

  »Jye«, sagte ich noch einmal, und er schreckte aus seiner unbequemen Haltung hoch. Gehetzt sah er sich um, bis er mich entdeckte. Sein Körper sackte vor Erleichterung wieder zusammen.

  »Du lebst. Gott sei Dank.« Er lächelte schief. Dann stand er auf und kam näher. »Wie fühlst du dich?«

  »Zermahlen.« Ich dehnte meine Arme und stöhnte sofort auf. Draußen dämmerte es. Ob Morgen oder Abend war, wusste ich nicht. Der Screen am Ende des Bettes zeigte Kürzel, für die mein Gehirn gerade keine Übersetzung lieferte. Aber wen interessierte das auch, solange Jye hier war? »Haben sie dich abgezogen? Warst du in Gefahr?« Vielleicht hatte Costard ihm doch nicht mehr vertraut, nachdem ich verschwunden war.

  Jye schob den Stuhl näher an mein Bett und setzte sich wieder. »Nein, nicht direkt. Sie haben die Teams aufgelöst.«

  »Aufgelöst? Warum?«

  »Ich schätze, die OmnI hat eingesehen, dass Costards und ihr bisheriger Plan an der Realität gescheitert ist. Er dachte, die OmnI könne die Energiezentren und RTCs in kürzester Zeit übernehmen, aber das hat nicht geklappt, weil wir ihr dazwischengefunkt haben. Dann noch der gescheiterte Run auf das RTC in Madrid … Jetzt versucht sie es anders.«

  Ich setzte mich umständlich auf und biss die Zähne zusammen, als meine Muskeln sich beschwerten. »Was heißt das, anders?« Ich dachte daran, wie sie mich um Hilfe angefleht hatte. Also war das alles Lüge gewesen.

  »Das weiß ich nicht«, sagte Jye. »Aber Maraisville hielt es nicht für ratsam, dass ich darauf warte. Costard hat vermutet, dass es Verräter in seinen Reihen geben könnte und wollte deswegen unsere Loyalität prüfen. Ich schätze, dass du das überlebt hättest. Caspar meinte, bei mir hätte er weniger Hoffnung.«

  »Er kann so motivierend sein, nicht wahr?« Ich grinste. Selbst das tat weh. Jye lachte leise.

  »Ich bin eigentlich ganz froh, dass er meine Fähigkeiten so realistisch einschätzt. Für die gute Sache zu sterben hatte ich einkalkuliert, aber nicht auf eine so sinnlose Art.«

  »Da bin ich auch froh. Hast du … was ist mit Knox?« Ich hatte auch meinen Ex-Freund im Auge behalten, während ich Jye überwachte. Dass er jetzt meinem Blick völlig entzogen war, behagte mir nicht – egal, wie weit wir uns innerlich voneinander entfernt hatten.

  »Er ist noch dort«, sagte Jye. »Ich wollte ihn überreden, mit mir zu kommen, um der alten Zeiten willen. Aber er wurde nur wütend, weil nach dir nun auch noch ich ihn verraten hatte. Also bin ich allein gegangen.«

  »Tut mir echt leid.« Ich streckte die Hand aus und legte sie auf seinen Arm. Auch das schmerzte, aber es tat trotzdem gut. Mein Zusammenzucken blieb Jye jedoch nicht verborgen. Bevor er fragen konnte, tat ich es. »Weißt du, was das für ein Zeug war?« Um meinen Arm wand sich ein Verband, darunter pochte es. Ein normaler Streifschuss war das jedenfalls nicht gewesen.

  Jye deutete auf eine Uhr über der Tür, die kurz vor sieben zeigte. »Ich bin erst in der Nacht hier angekommen. Man hat mir nur gesagt, du wurdest bei einem Außeneinsatz verle
tzt und hättest irgendwas abgekriegt, das dein Nervensystem in Brand gesteckt hat und gegen das man keine Schmerzmittel nehmen darf, weil es dann noch schlimmer wird. Mann Phee, echt. Da denkt man, jetzt bist du endlich in Sicherheit, und was machst du? Fliegst in die Pampa und lässt dich anschießen.« Er schüttelte den Kopf und sah dabei aus wie ein Vater, dessen Tochter ihn schwer enttäuscht hatte.

  »Falls es dich beruhigt – das mit dem Anschießen war nicht Teil des Plans.«

  »Das mit der schwarzen Zone aber schon, oder?«

  Woher wusste er das? Vermutlich von meiner Begleitung. »Dein Verhältnis zu Dufort ist definitiv zu eng, wenn er dir das verraten hat«, sagte ich tadelnd.

  Ein Schulterzucken und ein leichtes Grinsen waren seine einzige Antwort darauf. Es erinnerte mich daran, dass Jye und Dufort sich schon im letzten Jahr kennengelernt hatten, als sich mein Freund in Maraisville von seiner Verletzung erholte. Da hatte ich aber noch nicht gewusst, dass Dufort für Frauen nicht viel übrighatte. Wahrscheinlich war jetzt eine Warnung angebracht.

  »Sei lieber vorsichtig mit Dufort«, sagte ich. »Mehr als ein gelegentlicher Besucher kannst du bei ihm nicht werden.«

  Jye lachte wieder. »Du bist besorgt um mein Herz, Phee? Langsam wirst du echt weich. Gefällt mir.«

  Ich streckte ihm knallhart die Zunge raus. Aber die Erwähnung seines Herzens brachte mir meins wieder ins Bewusstsein. Und dass ich es betrogen hatte, als ich heimlich in die schwarze Zone geflogen war.

  »Lucien … war er hier?« Erst vor zwei Tagen hatte ich ihm ein Versprechen gegeben und es gestern schon wieder gebrochen. Brachte uns das an den Punkt vor unserem Streit zurück? Würde er mir das verzeihen können? Mein Magen begann zu schmerzen.

  »Vor zwei Stunden zuletzt«, sagte Jye. »Er musste wieder weg. Ich habe gesagt, ich passe solange auf dich auf.«

  »Weiß er Bescheid? Wie sauer ist er?« Ich verzog das Gesicht.

 

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