by Kiefer, Lena
»Sie braucht dringend eine NanoHealing-Behandlung, und ich hätte gern einen Scan, um festzustellen, ob sie innere Verletzungen hat. Aber ich schätze, für die nächste Stunde ist sie stabil. Wenn nicht noch mehr passiert.« Er sah zweifelnd zur Decke, und ich wusste, was er meinte – es brauchte keinen weiteren Angriff, um die Unit endgültig zu zerstören. Dafür reichte auch ein bisschen Wellengang.
»Kann man Imogen transportieren? Wenigstens bis auf den Pier?« Wenn die Schakale dafür sorgten, dass niemand hierherkam, würde sie dort in Sicherheit sein.
»Nein. Der Ponton ist zu weit weg.« Mein Vater zeigte auf den einzigen Zugang, der durch hüfttiefes Wasser führte. »Wenn wir sie jedoch nach oben bringen könnten, ohne sie viel zu bewegen, würde es gehen.«
Der Schakal neben ihm warf einen prüfenden Blick zur Rampe. »Wir könnten versuchen, den Ponton näher an die Unit ranzuziehen. Dann kann man ihn als Floß benutzen.«
Ich nickte. »Bitte versucht das.«
Er machte sich mit den anderen beiden daran, das Seil des Pontons zu erreichen, während mein Vater bei Imogen blieb. Ich trat auf den Teil der Rampe, der gerade noch trocken war, und fühlte, wie die verzweifelten Gedanken wieder nach mir griffen. Bilder einer FlightUnit, die aus großer Höhe ins Meer stürzte oder an einem Berghang zerschellte, überfluteten mein Gehirn. Und Lucien, der darinsaß und nichts tun konnte, weil die OmnI selbst dem besten Schakal der Welt überlegen war. Panik stieg meine Kehle hoch, ich rang nach Luft, um sie wegzudrängen. Zum Durchdrehen war jetzt nicht die richtige Zeit. Ach, und wann ist die richtige Zeit dafür, verdammt nochmal?!
Die Wut half: Meine Verzweiflung gab der Vernunft ein bisschen Platz zum Atmen. Die OmnI will etwas von Lucien, sagte ich mir, dann noch mal, und noch ein drittes Mal. Sie würde nicht den Aufwand betreiben, ihn zu entführen, wenn sie ihn nicht lebend brauchte. Aber was konnte sie von ihm wollen? Ich hatte keine Idee, worüber ein König verfügte, das die OmnI brauchte, außer Ressourcen, die er ihr nicht geben würde, nur weil sie sein Leben bedrohte. Wollte sie ihn auf diese Art zur Kapitulation zwingen?
Wir mussten dringend Kontakt zu Maraisville bekommen. Ich drehte mich zu meinem Vater um.
»Sag mal, Dad, schafft ihr das mit Imogen zu viert?« Ich wollte sie nur ungern aus den Augen lassen, aber ich hatte so eine Ahnung, wo der Verzerrer war, der unsere Kommunikation blockierte. Und da ich Francis und Eneas nicht übermitteln konnte, wo sie suchen sollten, musste ich selbst gehen.
»Ja, das kriegen wir hin. Aber Phee? Bitte pass auf dich auf.«
»Ich versuche es.« Zum Abschied schenkte ich ihm ein schiefes Lächeln, dann trat ich auf die Rampe und sah, dass die drei Schakale es geschafft hatten, das Plateau bis fast an die Kante zu ziehen. Ich half ihnen bei den letzten Metern – eine Hilfe, die angesichts meiner und ihrer Armmuskeln nicht der Rede wert war. Dann stieg ich hinauf und war nur eine Minute später auf dem Pier.
Kaum war ich oben, rannte ich los, an den Resten des Podiums vorbei, ließ den Leuchtturm links liegen und die Spielwelten rechts. Niemand war zu sehen, die Schakale hatten den Pier geräumt, und Eneas und Francis mussten in einem der Gebäude sein. Ich verschwendete keine Zeit, um nach ihnen zu suchen. Stattdessen sprintete ich am Kettenkarussell und den verlassenen Ständen entlang, bis ich schließlich bei einer unscheinbaren Tür ankam, die ich so oft aufgestoßen hatte, dass ich es nicht mehr zählen konnte. Trotzdem war es diesmal etwas anderes. Als würde ich einen Ort betreten, von dem ich nie gewusst hatte, wie gefährlich er war.
Ich lief durch den schmalen Gang, dann an den roten Sitzen vorbei bis zur Bühne. Mit zwei Schritten war ich hinaufgesprungen und durch die Tür an der hinteren Wand getreten, die zum Trainingsraum führte. Als ich hineinkam, blieb ich wie angewurzelt stehen. Nicht, weil etwas anders war. Sondern weil es aussah wie immer.
Die Matten lagen an der Wand gestapelt, daneben die Boxsäcke, die Handschuhe, die Seile. Ich sah die Markierungen auf dem grauen Kunststoffboden, wo ich Runde um Runde gelaufen war. Die Lilie oben an der Wand, die auf dem Kopf stand. Ich war versucht, sie richtig herum zu drehen. Aber dafür hatte ich keine Zeit.
Der Umkleideraum nebenan war vollkommen leer, bis auf einen vergessenen Beutel, der an einem der Haken hing. Ich durchsuchte ihn, fand aber nichts außer einem stinkenden Shirt und ein paar Sportschuhen. Auch im Rest des Raumes war nichts zu finden.
Hatte ich mich geirrt? Hatte sie den Verzerrer im Zuschauersaal verstecken lassen, unter einem der hundert Sessel? Oder war er gar nicht hier im Theater?
Ich ging zurück in den Trainingsraum und erneut fiel mein Blick auf die Lilie. Wieder hatte ich das Bedürfnis, sie umzudrehen, wieder hielt ich mich davon ab. Du willst Lucien helfen, kein Statement setzen, mahnte meine innere Stimme. Aber was, wenn ich ihm damit helfe?, fragte ich zurück, denn plötzlich hatte ich eine Idee. Ein Verzerrer war nicht groß. Man konnte ihn nahezu überall platzieren.
Schnell zog ich mir ein paar der dicken Matten heran und stieg auf den Stapel.
Ich musste mich ganz ausstrecken, um die Lilie mit den Fingerspitzen zu erreichen, dann bekam ich sie zu fassen. Vorsichtig nahm ich sie von ihrem Haken an der Wand und hob sie herunter. Dann drehte ich sie um.
Mein Puls schlug schneller, als er es bei einer Fahrt auf Coaster getan hätte, als ich den Verzerrer entdeckte. Man hatte ihn mit Klebeband auf der Rückseite der Lilie befestigt. Ich riss ihn ab und warf ihn auf den Boden, dann stieg ich von den Matten, setzte meinen Schuh darauf und hörte zufrieden, wie es knirschte. Sofort aktivierte ich die EarLinks.
»Maraisville Lagezentrum!«, rief ich viel lauter als nötig.
»Was ist da in Brighton los?«, fragte mich Jeanne Travere, kaum dass der Kanal geöffnet war. »Sie sind einfach von der Karte verschwunden.«
»Die OmnI hat eine unserer FlightUnits übernommen und die andere beschossen!«, rief ich. »Imogen Lawson ist schwer verletzt, einige Zivilisten wurden getötet. Und –«
»Wir haben längst Unterstützung losgeschickt«, unterbrach sie mich. »Die Flotte müsste in einer halben Stunde bei Ihnen ankommen.«
»Viel wichtiger ist, die andere Unit zu orten. Sie ist garantiert getarnt, muss aber gefunden werden. Das hat oberste Priorität, der König ist an Bord!«
Travere schnappte nach Luft – etwas, das sie in ihrer Karriere sicher noch nicht oft getan hatte. »Er ist was?«
»Er ist an Bord der Unit, die von der OmnI entführt wurde!«
Es gab eine kurze Pause, dann fand Travere ihre Fassung wieder. »Ich sage Paulsen Bescheid. Wir werden absolut alles daran setzen, ihn zu finden.«
»Bitte tun Sie das. Und halten Sie mich auf dem Laufenden. Wir sehen uns in Maraisville.«
Ich wandte mich dem Eingang zu, um hinauszugehen, als ich erstarrte. Der Nerv an meinem Hinterkopf, der sich immer dann meldete, wenn etwas gruselig war, begann zu pochen. Vor mir, an der Wand, der ich die ganze Zeit den Rücken zugedreht hatte, stand mit roter Farbe eine Botschaft. Es waren große, krakelige Buchstaben, in Eile an den weißen Putz gepinselt.
Die Welt wird brennen.
Der Himmel wird beben.
Die Sterne werden fallen.
Und du wirst in der ersten Reihe stehen.
Wappne dich, Ophelia.
Wir sind noch lange nicht fertig.
30
»Haben Sie schon etwas herausgefunden?«
Das Lagezentrum war brechend voll, als ich zusammen mit meiner Angst hineingestürmt kam. Es hatte nicht lange gedauert, uns alle abzuholen und herzubringen, aber trotzdem kam es mir vor, als hätten wir Stunden verloren. Immerhin war Imogen jetzt im Medical Departement und wurde behandelt – mein Vater und Bruder, die mich begleitet hatten, waren bei ihr. Das war aber auch die einzige gute Nachricht dieses Tages. Weder hatten wir Amelie finden können noch die Leute von ReVerse, die den Verzerrer angebracht und die Nachricht an die Wand geschrieben hatten.
»Bisher nichts. Die Unit ist wie vom Erdboden verschluckt.« Saric stand mit Travere und Paulsen am Tisch und be
trachtete eine holografische Projektion von Europa. Ich sah, dass Brighton markiert war.
Ich runzelte die Stirn. »Was ist mit dem Hack? Wie hat sie das geschafft?« Nervös trommelte ich mit meinen Fingern auf den Tisch, setzen wollte ich mich auf keinen Fall. Ich hatte mich nur mit Mühe davon abhalten können, gleich weiterzufliegen und Lucien zu suchen – vor allem, weil ich gehofft hatte, man wäre in Maraisville ein paar Schritte weiter.
»Auch das wissen wir nicht.« Paulsen sah mich bedauernd an.
»Sie hatten drei Stunden Zeit! Wie können Sie da keine Erkenntnisse haben?!«, fuhr ich ihn an. Es wurde still, die Analysten zogen die Köpfe ein. Paulsen straffte seine Schultern.
»Wir haben es mit der OmnI zu tun«, sagte er. »Ich muss Ihnen doch wohl nicht sagen, was das bedeutet. Gerade Ihnen nicht.«
Nein, musste er nicht. Ich dachte an ihre Nachricht auf dieser Wand. Was sollte das? Was wollte sie von mir? Musste ich mich dafür wappnen, dass sie Lucien publikumswirksam ermorden würde? Aber dazu hätte sie doch schon am Pier die Gelegenheit gehabt. Nein, irgendetwas hatte sie mit ihm vor. Ich kam nur nicht darauf, was.
»Haben Sie …« Meine Stimme kippte weg, und ich räusperte mich, bevor ich es erneut versuchte. »Haben Sie den Satelliten nach Absturzsignaturen suchen lassen?«
Paulsen nickte. »Ohne Ergebnis. Es gibt kein Unglück mit einer FlightUnit im gesamten Landesgebiet.«
Ich wusste nicht, ob mich das wirklich erleichterte. Was, wenn man dieses Unglück einfach vor uns versteckte? Nein, das ergibt keinen Sinn, sagte mir mein nur noch sehr leiser Sinn für Logik. Wenn sie ihn umgebracht hätte, würde sie das zumindest dich wissen lassen.
»Was sollen wir jetzt tun?«, fragte ich hilflos. Wenn die FlightUnit keinerlei Signatur hinterließ, wie sollte ich dann herausfinden, wo Lucien war? Ich würde jeden Stein in Europa einzeln umdrehen, um ihn zu finden, aber ich fürchtete, dafür ließ die OmnI mir keine Zeit.
Travere nahm eine flache Mappe vom Tisch. »Das müssen Sie uns sagen, Ophelia. Sie sind jetzt am Zug.«
»Am Zug?« Ich sah sie fragend an. »Wieso ich?« Schließlich waren die drei Anwesenden Ressortleiter des Königs und ihm direkt unterstellt. Ich dagegen war nur seine Freundin.
Die Militärchefin schob mir ein Dokument hin. »Sie sind Nummer 4, Ophelia.«
»Nummer 4?« Ich sah ratlos in die Runde. »Was soll das bedeuten?«
»Es bedeutet, dass Sie nach Lucien de Marais, Imogen Lawson und Caspar Dufort an vierter Stelle in der Kommandohierarchie stehen. Und da die ersten beiden verschollen sind und Miss Lawson nicht bei Bewusstsein ist, rücken Sie nach. Damit haben Sie ab sofort die Befehlsgewalt.«
Ich starrte sie an. Das musste ein Witz sein. Oder ein Fehler. »Wessen Idee war das?«
»Der König hat es vor zwei Wochen verfügt.«
»Wie kommt er denn auf so einen dämlichen Einfall?« Davon hatte Lucien mir nichts gesagt. Kein Wunder, schließlich hätte ich ihn für verrückt erklärt. Er konnte doch nicht ausgerechnet mich an die dritte Stelle seiner Nachfolge setzen! Ich hatte keine Ahnung, wie man regierte, diese ganzen Machtspielchen spielte oder wichtige Entscheidungen traf. Aber er vertraut dir. Mehr als jedem anderen, der jetzt noch in der Lage ist, dieses Land gegen die OmnI zu verteidigen.
»Ich sage es Ihnen offen, Ophelia – ich habe ihm davon abgeraten.« Travere verzog den Mund, und ich wusste, sie nahm das persönlich. »Aber Sie wissen, wie er ist. Er hat sich nicht davon abbringen lassen.«
Saric hob das Kinn. »Ich für meinen Teil hatte mich von Beginn an dagegen ausgesprochen, das gesamte Führungsteam nach Brighton zu schicken. Nun haben wir die Quittung dafür.«
Ja, das sah ihr ähnlich. Saric war noch nie Teil meines Fanclubs gewesen, und seit der Entführung von Lynx durch einen ihrer Leute war sie noch ätzender geworden. Oh Gott, Lynx! Jemand musste ihm Bescheid geben, ihm und Ray. Aber erst einmal hatte ich etwas anderes zu tun.
»Sie behaupten also, ich habe hier nun das Sagen?«
Travere nickte. »Das ist richtig.«
»Okay.« Ich sah mich einmal kurz um und hoffte, dass ich keinen Fehler machte. »Dann alle raus hier.«
»Wie bitte?«
»Ich möchte, dass alle außer Ihnen dreien das Lagezentrum verlassen. Alle, die mit sensiblen Daten zu tun haben, werden vorübergehend suspendiert und von den Schakalen mit einem CerebralAnalyzer überprüft. Und ich möchte die Ergebnisse sehen, bevor man die Leute wieder einsetzt.«
Paulsen sah mich so entgeistert an, als hätte ich ihm gesagt, ich wolle das Lagezentrum rosa streichen. »Wir brauchen jede verfügbare Person hier, wenn wir herausfinden sollen, wo man den König hingebracht hat. Und Sie wollen sie alle suspendieren?«
Ich konnte mir vorstellen, wie das für ihn klang. Aber es war notwendig. »Die FlightUnit wurde gehackt. Genau wie damals die von Leopold, nur dass diesmal auch Zugriff auf das Waffensystem erlangt wurde. Das schafft nur jemand, dem bei der Zugriffsberechtigung eine Hintertür eingebaut wurde – und das kann nur ein Insider. Die Schakale kommen dafür nicht infrage, weil sie zu diesen Daten keinen unbeschränkten Zugang haben, genau wie Soldaten oder Gardisten. Damit bleiben nur die Analysten. Bevor ich also nicht sicher weiß, ob einer von ihnen da mit drinsteckt, lasse ich niemanden an diese Terminals.«
Paulsen nickte, wenn auch widerwillig. Dann wandte er sich seinen Leuten an den Arbeitsplätzen zu und bat sie, den Raum zu verlassen und sich für Fragen bereitzuhalten. Ich war mit Carla und ihren Leuten hergekommen. Ein kurzer Wink und sie kümmerte sich um die Überprüfungen.
Travere stand immer noch am Tisch, neben ihr Saric. Ich wandte mich an die Gardechefin. »Außerdem möchte ich vorübergehende Sicherheitsfreigaben der Stufe 6 für Eneas Scale, Andrew Scale, Cécile Victoire und Jye Eadon. Sie dürfen sich im Juwel frei bewegen.« Das sah zwar so aus, als wollte ich aus meiner vorübergehenden Regentschaft eine Familienparty machen, aber sie gehörten zu den wenigen Menschen, denen ich hier noch vertrauen konnte. Sogar deiner Mutter, die früher mit Costard gearbeitet und dich jahrelang belogen hat?, fragte mein nerviges inneres Stimmchen. Ja, lautete die Antwort, denn ich wusste, dass sie in diesem Kampf auf der richtigen Seite stand.
»Natürlich.« Saric nickte wenig erfreut. »Ich werde alles veranlassen, Madam.«
»Bleiben wir doch bei Ophelia.« Ich rang mir ein Lächeln ab. »Ich werde diesen Job nicht lange genug machen, um Madam genannt zu werden.« Schließlich würde ich ab jetzt jeden Funken Energie in die Suche nach Lucien stecken. Ich würde ihn finden und er würde am Leben sein. Und wenn es das Letzte war, was ich tat.
»Phee! Meine Güte, geht’s dir gut? Wir sind erst seit ein paar Minuten zurück.«
Jyes Stimme schreckte mich auf. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass jemand hereingekommen war.
Etwas steif stand ich auf. Nachdem ich den Ressortleitern aufgetragen hatte, weiterhin nach der vermissten FlightUnit zu suchen, war ich in Luciens Räume gegangen, um selbst alle verfügbaren Daten zu sichten. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich hier an seinem Schreibtisch gesessen und mich erfolglos durch die Satellitenaufnahmen gescrollt hatte, aber draußen war es jetzt dunkel.
»Was hat man euch gesagt?«, fragte ich, während Jye mich umarmte, wie nur er es konnte. Für eine Sekunde fühlte ich mich besser. Dann verschwand das Gefühl.
»Nur, dass die OmnI am Pier eine der FlightUnits gekapert und dann auf die andere geschossen hat.« Jye sah mich ernst an. »Stimmt es, dass Lucien an Bord war?«
»Ja.« Ich nickte, in meinem Hals drückte es fürchterlich. Ich hatte nicht geweint, seit das alles passiert war, ich wollte es auch nicht. Wenn ich weinte, war ich schwach, und wenn ich schwach war, dann war ich nicht mehr in der Lage, etwas zu tun.
Jye atmete aus, als hätte er auf eine andere Antwort gehofft. »Wer noch?«
»Adrian Deverose. Zwei Schakale. Und Dufort.«
Mein bester Freund schloss für eine Sekunde die Augen. Erst da wurde mir bewusst, dass ich nicht die Einzige hier war, die um das Leben e
ines Menschen fürchtete, der ihr viel bedeutete. »Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst aufpassen, was ihn angeht?«, fragte ich leise. Jye lächelte traurig, aber er sagte nichts dazu.
»Erzähl mir, was passiert ist«, bat er stattdessen. »Vielleicht kann ich helfen.«
Ich ließ mich in einen Sessel sinken und berichtete, begann beim Hinflug, kam zu Luciens Rede, dann zu meiner und zur Reaktion der Leute darauf. Als ich erzählte, wie ich Amelie entdeckt hatte und ihr auf dem Pier gefolgt war, setzte sich Jye auf das Sofa mir gegenüber.
»War sicher komisch, wieder dort zu sein«, sagte er.
»Sehr. Vor allem, wenn das, was wir früher dort getan haben, zu dem geführt hat, was heute passiert ist.« Ich erzählte ihm von dem Gespräch mit Amelie, davon, wie die Verbindung zu Lucien abbrach – und schließlich von der Katastrophe, die nicht nur den Pier beschädigt zurückgelassen hatte. Jye schwieg erst, das tat er oft, wenn er etwas verarbeiten musste. Dann sah er hoch.
»Wie geht es Imogen?«
»Nachdem wir hier ankamen, war sie stabil, aber dann haben sie herausgefunden, dass ihre Lunge perforiert war und schließlich kollabiert ist, bevor das NanoHealing etwas ausrichten konnte. Mein Dad synthetisiert gerade ein neues Organ für sie. Wenn es gut läuft, können sie ihr die Lunge morgen einsetzen.« Aber auch danach würde sie im Koma gehalten werden, um die Heilung nicht zu gefährden. Und das bedeutete, ich war weiterhin auf mich gestellt.
»Weiß es ihr Junge schon?«
»Ja.« Ich rieb mir meinen schmerzenden Kopf. »Ich habe Ray Bescheid gegeben und er hat es ihm gesagt. Sie sind beide unten in der Festung im Gästebereich, zur Sicherheit.«
»Solltest du nicht selbst mit Lynx reden?« Der Hauch von Vorwurf in Jyes Ton traf einen Nerv bei mir.
»Ich habe dafür keine Zeit!«, blaffte ich. »Was glaubst du, was ich hier mache – eine Liste von Europas schönsten Reisezielen aufstellen? Ich versuche Lucien zu finden! Ich kann jetzt nicht auch noch Babysitter spielen!«
Jye schüttelte den Kopf. »Das weiß ich. Aber der Junge hatte nie wirklich einen Vater und nun wird sein Onkel vermisst und seine Mutter kämpft um ihr Leben. Du hast ihn schon einmal gerettet, also vertraut er dir. Es wird ihm helfen, wenn du mit ihm sprichst.«