by Kiefer, Lena
Es war ein langwieriger Prozess und er würde noch eine Weile andauern. Aber nachdem Lucien und ich unermüdlich gearbeitet hatten und kaum zum Schlafen oder Essen gekommen waren, hatte ich entschieden, dass es Zeit für einen Urlaub war. Und den genossen wir nun, hier an der iberopäischen Küste, in diesem Häuschen und mit einer Menge Freizeit.
»Was gibt es Neues?« Ich griff nach meiner Gabel und deutete auf das Pad zwischen den Tellern mit den synthetischen Spiegeleiern und dem Brotkorb. Es war das einzige technische Equipment in diesem Haus. Wir hatten es nur, um Kontakt mit Maraisville zu halten – und einigen anderen Menschen, die auf der ganzen Welt verstreut waren.
»Du bist vor deinem ersten Bissen schon bereit für die Nachrichten des Tages? Das ist neu.« Lucien zog mich nur auf, obwohl ich zugeben musste, dass ich es extrem genoss, wie langsam unser Leben momentan verlief.
»Sicher. Es sei denn, Leo fragt schon wieder, ob ich sein Angebot annehme. Das darfst du überspringen.«
Lucien lachte. »Offenbar ist gutes Personal schwer zu finden.«
Leopolds neueste Idee war, dass er – nachdem sowohl Lucien als auch ich den Dienst bei den Schakalen quittiert hatten – mich für seine Entwicklungsabteilung haben wollte, die seit drei Monaten von meinem Vater geleitet wurde. Es war ein verlockendes Angebot, aber ich war gerade mal 19 Jahre alt. Ich wollte mir wenigstens ein bisschen Zeit lassen, um mich für einen Beruf zu entscheiden – oder darüber nachzudenken, ob ich mich wirklich jeden Tag mit Technik herumschlagen wollte. Lucien, den sein Bruder natürlich auch gerne an seiner Seite gewusst hätte, ging es ähnlich, was seine Zukunft betraf. Erst einmal waren wir hier. Und das war gut.
»Was noch?«, fragte ich.
»Dein Bruder schreibt mir, Prag wäre unglaublich, vor allem die ganzen … ich weiß nicht, ob ich dir das vorlesen soll.«
Ich schnaubte. »Der Taugenichts soll studieren und nicht seine Zeit an irgendwelche Bettgeschichten vergeuden.«
»Jetzt klingst du wie deine Mutter.« Lucien grinste.
»Autsch.« Anklagend sah ich ihn an. »Ich glaube nicht, dass du mich jemals mehr verletzt hast als mit diesen sechs Worten.«
Er lehnte sich vor und küsste mich liebevoll. »Entschuldige. Sie schreibt übrigens auch. Diese Stelle als technische Botschafterin in Nordamerika gefällt ihr echt gut. Die ganzen Fachbegriffe darfst du mir dann nachher übersetzen.«
»Oder auch nicht«, meinte ich leichthin. Ich freute mich, dass meine Mutter eine neue Aufgabe von Leopold bekommen hatte.
»Hat Dufort schon was von den neuen Rekruten hören lassen?«
Lucien warf mir einen langen Blick zu. »Solltest du nicht irgendwann damit anfangen, ihn Caspar zu nennen?«
»Das mache ich doch, wenn ich mit ihm spreche. Aber wenn ich über ihn rede, wird er für mich immer Dufort sein.« Und manchmal sah ich in ihm immer noch den Ausbilder, der jede meiner Regungen und jedes meiner Worte genau analysierte … bevor er dann über einen meiner Witze lachte.
»Er sagt, dass es niemanden gäbe, der dir das Wasser reichen kann. Oder mir. Diese Reihenfolge beleidigt mich ein bisschen, aber ich schätze, Jye hat einen schlechten Einfluss auf ihn.«
Ich musste lachen. »Und trotzdem nennen sie es immer noch nicht Beziehung.« Was eher ein Running-Gag war, weil die beiden mittlerweile sogar zusammen wohnten, während Jye für Amelie arbeitete, die sich um die endgültige Beseitigung des Widerstands kümmerte. Dufort tat derweil, was er am besten konnte: neue Rekruten ausbilden und die Schakale leiten.
»Ich glaube, selbst wenn sie irgendwann heiraten, nennen sie es immer noch nicht Beziehung.« Lucien schüttelte belustigt den Kopf. »Dabei ist das doch gar nicht so schwer, oder?« Er lehnte sich vor und streichelte meine Wange.
»Nein, gar nicht.« Ich lächelte, dann fiel mein Blick auf das Pad, das Lucien nun abgelegt hatte, und auf dem eine farbige Zeichnung zu sehen war. »Was ist das denn?«
»Lynx hat es geschickt. Ich bin nicht sicher.« Er gab es mir.
Es war ein Bild mit mehreren Personen, die mit etwas Mühe als Superhelden zu erkennen waren. Sie flogen durch die Luft und waren mit Lynx, Tantchen Ophelia und Onkel Luc beschriftet. Zu ihrer schwarzen Einsatzkleidung trugen sie Capes in der gleichen Farbe. »Er will also immer noch ein Schakal werden?«
»Niemand kann es ihm ausreden. Aber wir können es immerhin versuchen. Wann kommt der kleine Hosenscheißer noch mal her?«
»Nächsten Freitag, er bleibt eine Woche. Was bedeutet, dass du langsam die ganzen Sachen aus dem Gästezimmer räumen solltest.«
Lucien verzog das Gesicht. Im Gästezimmer türmten sich einige der alten Gegenstände aus dem Haus. Er hatte sie sichten, säubern und neu verteilen wollen, aber bisher war noch nichts passiert. »Und das nur wegen Lynx?«
»Ach, stell dich nicht so an«, grinste ich. »Du würdest für den Kleinen doch alles tun.«
»Auch wieder wahr«, seufzte er. »Hilfst du mir bei dem alten Kram?«
»Klar. Sobald ich das hier vernichtet habe.« Ich zeigte auf die Eier.
Lucien legte das Pad beiseite und nahm ebenfalls seine Gabel. Aber bevor er seinem Frühstück zu Leibe rückte, hielt er inne.
»Oh, da war übrigens noch eine Nachricht von Eva an dich. Ich habe nicht reingesehen.«
»Okay.« Ich nickte. »Ich lese sie später.«
Wir waren nach Knox’ Tod gemeinsam bei Eva Odell in Horsham gewesen. Ich hatte gewollt, dass sie es von mir erfuhr, nicht von irgendeinem Fremden. Sie hatte die Nachricht natürlich nicht gut verkraftet, aber langsam ging es ihr besser. Lucien hatte dafür gesorgt, dass sie wieder einen Platz zum Leben in Brighton bekam – unsere alte Wohnung im Engineerium, nachdem Lexie mit Fleur und Lion nach Maraisville gezogen war. Ich hatte es zwar früher nie zu schätzen gewusst, aber dort herrschte eine gute Gemeinschaft und Eva hatte Leute, die für sie da waren. Trotzdem schrieben wir uns regelmäßig, um die Erinnerung an Knox aufrechtzuerhalten. Denn völlig egal, was er getan hatte, am Ende hatte er sich richtig entschieden. Wie wir alle.
Deswegen war die Welt zwar noch lange kein so friedlicher Ort wie dieses Fleckchen hier, aber wir würden alles dafür tun, damit sie das wurde. Damit nie wieder jemand so viel Hass empfinden musste wie ich, als ich beschlossen hatte, den König zu stürzen – und mich nur die Wahrheit gerettet hatte. Sie und die Gefühle für jemanden, der meinen Hass genommen und in etwas verwandelt hatte, das so viel mächtiger gewesen war als mein Wunsch nach Rache. Ich sah Lucien an und spürte, wie mir Tränen in die Augen traten.
»Was ist?«, fragte er sanft. »Was hast du?« Er berührte meine Hand, und ich verschränkte meine Finger mit seinen, für den Moment nicht fähig, etwas zu sagen.
Es gibt Tage im Leben, da ist alles gut. Es gibt keine schwierigen Prüfungen, keine unmöglichen Aufgaben, keine wahnwitzigen Pläne. Was man an diesen Tagen auch tut, es fühlt sich richtig an.
»Gar nichts«, lächelte ich schließlich.
Heute war einer dieser Tage.
Dank
Es ist also tatsächlich so weit – Ophelias Geschichte ist zu Ende. Oder eher der Teil der Geschichte, den wir mitverfolgen konnten, denn ich stelle mir gerne vor, dass meine Charaktere danach glücklich weiterleben. Und vielleicht habe ich sogar eine Hintertür eingebaut, durch die wir eines Tages wieder etwas von Ophelia und Lucien hören werden. Wer weiß.
Vielen Dank an Martina Patzer, meine Lektorin und ungekrönte Königin der Kursivsetzung. Drei Ophelia-Bände in einem Jahr haben uns zu einem echten Team werden lassen. Du schaffst es, dass mein Text immer mein Text bleibt, aber trotzdem besser wird. Ich freue mich auf alle weiteren Projekte mit dir.
Danke meinem Blitz Julia, danke an Verena, an Susanne, Leonie, Sonja, Andrea und alle anderen, die im cbj Verlag so gut für Ophelia und ihren Weg zum Leser sorgen. Wie es aussieht, kann ich niemals bei einem anderen Verlag veröffentlichen, weil ich so verwöhnt von euch bin.
Meiner Agentin Gerlinde Moorkamp, die genau wie Silke Weniger und alle ihre Kolleginnen immer ein of
fenes Ohr für die teils sicher merkwürdigen Sorgen einer Autorin hat. Danke, dass du sie immer ernstnimmst und grundsätzlich mein Wohl im Blick hast.
Stina und Patricia: Ihr habt jeden Meter meines Weges mit Ophelia begleitet und nie die Überzeugung verloren, dass sie die Herzen erobern wird. Ich stehe nicht gern in der Schuld von jemandem, aber bei euch werde ich mich damit abfinden müssen – denn das kann ich nie zurückzahlen.
Ich danke meinen Eltern und meiner Schwester, deren Wunsch für mich es immer war, dass ich glücklich bin. Was soll ich sagen? Ich bin glücklich. Eurer Liebe, eurem Vertrauen und eurem unerschütterlichen Glauben an mich verdanke ich, dass ich bin, wer ich bin – und tun kann, was ich liebe.
Felix. Du hast das Herz eines Lucien, den klugen Kopf eines Leopold und die Begeisterung eines Lynx – und bist deswegen mein einzig wahrer König. Deine Unterstützung ist ebenso wichtig für mich wie deine Hilfe bei der Technologie in dieser Buchreihe. Falls jemand einen technischen Berater für sein Buchprojekt sucht: Dieser Mann ist der beste. [Werbung, unbezahlt]
Und zum Abschluss danke ich all meinen Lesern, die Ophelia ins Herz geschlossen haben und mitfiebern, wie ihre Geschichte weitergeht. Und natürlich den Bücherverrückten, die auf allen Kanälen (und sogar in einer Chat-Gruppe) ihre Leidenschaft für diese Buchreihe teilen. Ich hoffe sehr, dass ihr mit diesem Abschluss der Geschichte genauso glücklich seid wie ich. Wir lesen uns beim nächsten Abenteuer.
Playlist für Ophelia Scale
human – Christina Perri
Hometown Glory – Adele
Yours – Ella Henderson
Remember Me – Chris Mann
This Is War – Thirty Seconds To Mars
Best Fake Smile – James Bay
Homesick – Dua Lipa
It’s So Hard To Say Goodbye – Jason Mraz
Skyscraper – Demi Lovato
Someone You Loved – Lewis Capaldi
hate u love u – Olivia O‘Brien
Titanium – Jasmine Thompson
A Little Too Much – Shawn Mendes
My Mistake – Gabrielle Aplin
Sit Still, Look Pretty – Daya
Queen (Remastered) – Jax Anderson
Whatever It Takes – Imagine Dragons
Take The World By Storm – Lukas Graham
Falling Like The Stars – James Arthur
Us – James Bay
© Fotogräfin Lisa
Lena Kiefer wurde 1984 geboren und war schon als Kind eine begeisterte Leserin und Geschichtenerfinderin. Einen Beruf daraus zu machen, kam ihr jedoch nicht in den Sinn. Nach der Schule verirrte sie sich in die Welt der Paragraphen, fand dann aber gerade noch rechtzeitig den Weg zurück zur Literatur und studierte Germanistik. Bald darauf reichte es ihr nicht mehr, die Geschichten anderer zu lesen – da wurde ihr klar, dass sie Autorin werden will. Heute lebt Lena Kiefer mit ihrem Mann in der Nähe von Freiburg und schreibt in jeder freien und nicht freien Minute. Die »Ophelia Scale«-Trilogie ist ihr Debüt.
Von Lena Kiefer sind bei cbj erschienen:
Ophelia Scale – Die Welt wird brennen
Ophelia Scale – Der Himmel wird beben
Ophelia Scale – Wie alles begann
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