The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke

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The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke Page 17

by Rainer Maria Rilke


  Sein Spiel gab nach. Von draußen wehte Frische.

  Und seltsam fremd stand auf dem Spiegeltische

  der schwarze Tschako mit dem Totenkopf.

  JUGEND-BILDNIS MEINES VATERS

  Im Auge Traum. Die Stirn wie in Berührung

  mit etwas Fernem. Um den Mund enorm

  viel Jugend, ungelächelte Verführung,

  und vor der vollen schmückenden Verschnürung

  der schlanken adeligen Uniform

  der Säbelkorb und beide Hände—, die

  abwarten, ruhig, zu nichts hingedrängt.

  Und nun fast nicht mehr sichtbar: als ob sie

  zuerst, die Fernes greifenden, verschwänden.

  Und alles andre mit sich selbst verhängt

  und ausgelöscht als ob wirs nicht verständen

  und tief aus seiner eignen Tiefe trüb—.

  Du schnell vergehendes Daguerreotyp

  in meinen langsamer vergehenden Händen.

  SELBSTBILDNIS AUS DEM JAHRE 1906

  Des alten lange adligen Geschlechtes

  Feststehendes im Augenbogenbau.

  Im Blicke noch der Kindheit Angst und Blau

  und Demut da und dort, nicht eines Knechtes

  doch eines Dienenden und einer Frau.

  Der Mund als Mund gemacht, groß und genau,

  nicht überredend, aber ein Gerechtes

  Aussagendes. Die Stirne ohne Schlechtes

  und gern im Schatten stiller Niederschau.

  Das, als Zusammenhang, erst nur geahnt;

  noch nie im Leiden oder im Gelingen

  zusammgefaßt zu dauerndem Durchdringen,

  doch so, als wäre mit zerstreuten Dingen

  von fern ein Ernstes, Wirkliches geplant.

  SPANISCHE TÄNZERIN

  Wie in der Hand ein Schwefelzündholz, weiß,

  eh es zur Flamme kommt, nach allen Seiten

  zuckende Zungen streckt—: beginnt im Kreis

  naher Beschauer hastig, hell und heiß

  ihr runder Tanz sich zuckend auszubreiten.

  Und plötzlich ist er Flamme, ganz und gar.

  Mit einem Blick entzündet sie ihr Haar

  und dreht auf einmal mit gewagter Kunst

  ihr ganzes Kleid in diese Feuersbrunst,

  aus welcher sich, wie Schlangen die erschrecken,

  die nackten Arme wach und klappernd strecken.

  Und dann: als würde ihr das Feuer knapp,

  nimmt sie es ganz zusamm und wirft es ab

  sehr herrisch, mit hochmütiger Gebärde

  und schaut: da liegt es rasend auf der Erde

  und flammt noch immer und ergiebt sich nicht—.

  Doch sieghaft, sicher und mit einem süßen

  grüßenden Lächeln hebt sie ihr Gesicht

  und stampft es aus mit kleinen festen Füßen.

  HETÄREN-GRÄBER

  In ihren langen Haaren liegen sie

  mit braunen, tief in sich gegangenen Gesichtern.

  Die Augen zu wie vor zu vieler Ferne.

  Skelette, Munde, Blumen. In den Munden

  die glatten Zähne wie ein Reise-Schachspiel

  aus Elfenbein in Reihen aufgestellt.

  Und Blumen, gelbe Perlen, schlanke Knochen,

  Hände und Hemden, welkende Gewebe

  über dem eingestürzten Herzen. Aber

  dort unter jenen Ringen, Talismanen

  und augenblauen Steinen (Lieblings-Angedenken)

  steht noch die stille Krypta des Geschlechtes,

  bis an die Wölbung voll mit Blumenblättern.

  Und wieder gelbe Perlen, weitverrollte,—

  Schalen gebrannten Tones, deren Bug

  ihr eignes Bild geziert hat, grüne Scherben

  von Salben-Vasen, die wie Blumen duften,

  und Formen kleiner Götter: Hausaltäre,

  Hetärenhimmel mit entzückten Göttern.

  Gesprengte Gürtel, flache Skarabäen,

  kleine Figuren riesigen Geschlechtes,

  ein Mund der lacht und Tanzende und Läufer,

  goldene Fibeln, kleinen Bogen ähnlich

  zur Jagd auf Tier- und Vogelamulette,

  und lange Nadeln, zieres Hausgeräte

  und eine runde Scherbe roten Grundes,

  darauf, wie eines Eingangs schwarze Aufschrift,

  die straffen Beine eines Viergespannes.

  Und wieder Blumen, Perlen, die verrollt sind,

  die hellen Lenden einer kleinen Leier,

  und zwischen Schleiern, die gleich Nebeln fallen,

  wie ausgekrochen aus des Schuhes Puppe:

  des Fußgelenkes leichter Schmetterling.

  So liegen sie mit Dingen angefüllt,

  kostbaren Dingen, Steinen, Spielzeug, Hausrat,

  zerschlagnem Tand (was alles in sie abfiel),

  und dunkeln wie der Grund von einem Fluß.

  Flußbetten waren sie,

  darüber hin in kurzen schnellen Wellen

  (die weiter wollten zu dem nächsten Leben)

  die Leiber vieler Jünglinge sich stürzten

  und in denen der Männer Ströme rauschten.

  Und manchmal brachen Knaben aus den Bergen

  der Kindheit, kamen zagen Falles nieder

  und spielten mit den Dingen auf dem Grunde,

  bis das Gefälle ihr Gefühl ergriff:

  Dann füllten sie mit flachem klaren Wasser

  die ganze Breite dieses breiten Weges

  und trieben Wirbel an den tiefen Stellen;

  und spiegelten zum ersten Mal die Ufer

  und ferne Vogelrufe—, während hoch

  die Sternennächte eines süßen Landes

  in Himmel wuchsen, die sich nirgends schlossen.

  ORPHEUS. EURYDIKE. HERMES

  Das war der Seelen wunderliches Bergwerk.

  Wie stille Silbererze gingen sie

  als Adern durch sein Dunkel. Zwischen Wurzeln

  entsprang das Blut, das fortgeht zu den Menschen,

  und schwer wie Porphyr sah es aus im Dunkel.

  Sonst war nichts Rotes.

  Felsen waren da

  und wesenlose Wälder. Brücken über Leeres

  und jener große graue blinde Teich,

  der über seinem fernen Grunde hing

  wie Regenhimmel über einer Landschaft.

  Und zwischen Wiesen, sanft und voller Langmut,

  erschien des einen Weges blasser Streifen,

  wie eine lange Bleiche hingelegt.

  Und dieses einen Weges kamen sie.

  Voran der schlanke Mann im blauen Mantel,

  der stumm und ungeduldig vor sich aussah.

  Ohne zu kauen fraß sein Schritt den Weg

  in großen Bissen; seine Hände hingen

  schwer und verschlossen aus dem Fall der Falten

  und wußten nicht mehr von der leichten Leier,

  die in die Linke eingewachsen war

  wie Rosenranken in den Ast des Ölbaums.

  Und seine Sinne waren wie entzweit:

  indes der Blick ihm wie ein Hund vorauslief,

  umkehrte, kam und immer wieder weit

  und wartend an der nächsten Wendung stand,—

  blieb sein Gehör wie ein Geruch zurück.

  Manchmal erschien es ihm als reichte es

  bis an das Gehen jener beiden andern,

  die folgen sollten diesen ganzen Aufstieg.

  Dann wieder wars nur seines Steigens Nachklang

  und seines Mantels Wind was hinter ihm war.

  Er aber sagte sich, sie kämen doch;

  sagte es laut und hörte sich verhallen.

  Sie kämen doch, nur wärens zwei

  die furchtbar leise gingen. Dürfte er

  sich einmal wenden (wäre das Zurückschaun

  nicht die Zersetzung dieses ganzen Werkes,

  das erst vollbracht wird), müßte er sie sehen,

  die beiden Leisen, die ihm schweigend nachgehn:

  Den Gott des Ganges und der weiten Botschaft,

  die Reisehaube über hel
len Augen,

  den schlanken Stab hertragend vor dem Leibe

  und flügelschlagend an den Fußgelenken;

  und seiner linken Hand gegeben: sie.

  Die So-geliebte, daß aus einer Leier

  mehr Klage kam als je aus Klagefrauen;

  daß eine Welt aus Klage ward, in der

  alles noch einmal da war: Wald und Tal

  und Weg und Ortschaft, Feld und Fluß und Tier;

  und daß um diese Klage-Welt, ganz so

  wie um die andre Erde, eine Sonne

  und ein gestirnter stiller Himmel ging,

  ein Klage-Himmel mit entstellten Sternen—:

  Diese So-geliebte.

  Sie aber ging an jenes Gottes Hand,

  den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,

  unsicher, sanft und ohne Ungeduld.

  Sie war in sich, wie Eine hoher Hoffnung,

  und dachte nicht des Mannes, der voranging,

  und nicht des Weges, der ins Leben aufstieg.

  Sie war in sich. Und ihr Gestorbensein

  erfüllte sie wie Fülle.

  Wie eine Frucht von Süßigkeit und Dunkel,

  so war sie voll von ihrem großen Tode,

  der also neu war, daß sie nichts begriff.

  Sie war in einem neuen Mädchentum

  und unberührbar; ihr Geschlecht war zu

  wie eine junge Blume gegen Abend,

  und ihre Hände waren der Vermählung

  so sehr entwöhnt, daß selbst des leichten Gottes

  unendlich leise, leitende Berührung

  sie kränkte wie zu sehr Vertraulichkeit.

  Sie war schon nicht mehr diese blonde Frau,

  die in des Dichters Liedern manchmal anklang,

  nicht mehr des breiten Bettes Duft und Eiland

  und jenes Mannes Eigentum nicht mehr.

  Sie war schon aufgelöst wie langes Haar

  und hingegeben wie gefallner Regen

  und ausgeteilt wie hundertfacher Vorrat.

  Sie war schon Wurzel.

  Und als plötzlich jäh

  der Gott sie anhielt und mit Schmerz im Ausruf

  die Worte sprach: Er hat sich umgewendet—,

  begriff sie nichts und sagte leise: Wer?

  Fern aber, dunkel vor dem klaren Ausgang,

  stand irgend jemand, dessen Angesicht

  nicht zu erkennen war. Er stand und sah,

  wie auf dem Streifen eines Wiesenpfades

  mit trauervollem Blick der Gott der Botschaft

  sich schweigend wandte, der Gestalt zu folgen,

  die schon zurückging dieses selben Weges,

  den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,

  unsicher, sanft und ohne Ungeduld.

  ALKESTIS

  Da plötzlich war der Bote unter ihnen,

  hineingeworfen in das Überkochen

  des Hochzeitsmahles wie ein neuer Zusatz.

  Sie fühlten nicht, die Trinkenden, des Gottes

  heimlichen Eintritt, welcher seine Gottheit

  so an sich hielt wie einen nassen Mantel

  und ihrer einer schien, der oder jener,

  wie er so durchging. Aber plötzlich sah

  mitten im Sprechen einer von den Gästen

  den jungen Hausherrn oben an dem Tische

  wie in die Höh gerissen, nicht mehr liegend,

  und überall und mit dem ganzen Wesen

  ein Fremdes spiegelnd, das ihn furchtbar ansprach.

  Und gleich darauf, als klärte sich die Mischung,

  war Stille; nur mit einem Satz am Boden

  von trübem Lärm und einem Niederschlag

  fallenden Lallens, schon verdorben riechend

  nach dumpfem umgestandenen Gelächter.

  Und da erkannten sie den schlanken Gott,

  und wie er dastand, innerlich voll Sendung

  und unerbittlich,—wußten sie es beinah.

  Und doch, als es gesagt war, war es mehr

  als alles Wissen, gar nicht zu begreifen.

  Admet muß sterben. Wann? In dieser Stunde.

  Der aber brach die Schale seines Schreckens

  in Stücken ab und streckte seine Hände

  heraus aus ihr, um mit dem Gott zu handeln.

  Um Jahre, um ein einzig Jahr noch Jugend,

  um Monate, um Wochen, um paar Tage,

  ach, Tage nicht, um Nächte, nur um Eine,

  um Eine Nacht, um diese nur: um die.

  Der Gott verneinte, und da schrie er auf

  und schrie’s hinaus und hielt es nicht und schrie

  wie seine Mutter aufschrie beim Gebären.

  Und die trat zu ihm, eine alte Frau,

  und auch der Vater kam, der alte Vater,

  und beide standen, alt, veraltet, ratlos,

  beim Schreienden, der plötzlich, wie noch nie

  so nah, sie ansah, abbrach, schluckte, sagte:

  Vater,

  liegt dir denn viel daran an diesem Rest,

  an diesem Satz, der dich beim Schlingen hindert?

  Geh, gieß ihn weg. Und du, du alte Frau,

  Matrone,

  was tust du denn noch hier: du hast geboren.

  Und beide hielt er sie wie Opfertiere

  in Einem Griff. Auf einmal ließ er los

  und stieß die Alten fort, voll Einfall, strahlend

  und atemholend, rufend: Kreon, Kreon!

  Und nichts als das; und nichts als diesen Namen.

  Aber in seinem Antlitz stand das Andere,

  das er nicht sagte, namenlos erwartend,

  wie ers dem jungen Freunde, dem Geliebten,

  erglühend hinhielt übern wirren Tisch.

  Die Alten (stand da), siehst du, sind kein Loskauf,

  sie sind verbraucht und schlecht und beinah wertlos,

  du aber, du, in deiner ganzen Schönheit—

  Da aber sah er seinen Freund nicht mehr.

  Er blieb zurück, und das, was kam, war sie,

  ein wenig kleiner fast als er sie kannte

  und leicht und traurig in dem bleichen Brautkleid.

  Die andern alle sind nur ihre Gasse,

  durch die sie kommt und kommt—: (gleich wird sie da sein

  in seinen Armen, die sich schmerzhaft auftun).

  Doch wie er wartet, spricht sie; nicht zu ihm.

  Sie spricht zum Gotte, und der Gott vernimmt sie,

  und alle hörens gleichsam erst im Gotte:

  Ersatz kann keiner für ihn sein. Ich bins.

  Ich bin Ersatz. Denn keiner ist zu Ende

  wie ich es bin. Was bleibt mir denn von dem

  was ich hier war? Das ists ja, daß ich sterbe.

  Hat sie dirs nicht gesagt, da sie dirs auftrug,

  daß jenes Lager, das da drinnen wartet,

  zur Unterwelt gehört? Ich nahm ja Abschied.

  Abschied über Abschied.

  Kein Sterbender nimmt mehr davon. Ich ging ja,

  damit das Alles, unter Dem begraben

  der jetzt mein Gatte ist, zergeht, sich auflöst—.

  So führ mich hin: ich sterbe ja für ihn.

  Und wie der Wind auf hoher See, der umspringt,

  so trat der Gott fast wie zu einer Toten

  und war auf einmal weit von ihrem Gatten,

  dem er, versteckt in einem kleinen Zeichen,

  die hundert Leben dieser Erde zuwarf.

  Der stürzte taumelnd zu den beiden hin

  und griff nach ihnen wie im Traum. Sie gingen

  schon auf den Eingang zu, in dem die Frauen

  verweint sich drängten. Aber einmal sah

  er noch des Mädchens Antlitz, das sich wandte

  mit einem Lächeln, hell wie eine Hoffnung,

  die beinah ein Versprechen war: erwachsen

  zurückzukommen aus dem tiefen Tode

  zu ihm, dem Lebenden—

  Da schlug er jäh

  die Hände vors Gesicht, wie er so kniete,

  um nichts zu sehen mehr nach diesem Lächeln.

  ARCHAÏSCHER TORSO APOLLO
S

  Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,

  darin die Augenäpfel reiften. Aber

  sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,

  in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,

  sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug

  der Brust dich blenden, und im leisen Drehen

  der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen

  zu jener Mitte, die die Zeugung trug.

  Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz

  unter der Schultern durchsichtigem Sturz

  und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;

  und bräche nicht aus allen seinen Rändern

  aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,

  die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.

  LEICHEN-WÄSCHE

  Sie hatten sich an ihn gewöhnt. Doch als

  die Küchenlampe kam und unruhig brannte

  im dunkeln Luftzug, war der Unbekannte

  ganz unbekannt. Sie wuschen seinen Hals,

  und da sie nichts von seinem Schicksal wußten,

  so logen sie ein anderes zusamm,

  fortwährend waschend. Eine mußte husten

  und ließ solang den schweren Essigschwamm

  auf dem Gesicht. Da gab es eine Pause

  auch für die zweite. Aus der harten Bürste

  klopften die Tropfen; während seine grause

  gekrampfte Hand dem ganzen Hause

  beweisen wollte, daß ihn nicht mehr dürste.

  Und er bewies. Sie nahmen wie betreten

  eiliger jetzt mit einem kurzen Huster

  die Arbeit auf, so daß an den Tapeten

  ihr krummer Schatten in dem stummen Muster

  sich wand und wälzte wie in einem Netze,

  bis daß die Waschenden zu Ende kamen.

  Die Nacht im vorhanglosen Fensterrahmen

  war rücksichtslos. Und einer ohne Namen

  lag bar und reinlich da und gab Gesetze.

  SCHWARZE KATZE

  Ein Gespenst ist noch wie eine Stelle,

  dran dein Blick mit einem Klange stößt;

  aber da, an diesem schwarzen Felle

 

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