Ist er krank? Ist er bei seiner Familie? Kommt er erst später dazu?
»Ist leider kaum noch Truthahn da«, sagt das eine Mädchen lachend und zeigt auf den riesigen Vogel, von dessen Resten Amory vermutlich bis Jahresende leben kann. Auf dem Tisch steht kein überflüssiges Gedeck. Das bedeutet, sie erwarten ihn nicht mehr.
»Das ist Thanh«, stellt Amory sie mir vor. »Und wie du siehst, haben wir mehr als genug.«
Der Kerl, der bislang eine Längsseite des Tisches für sich allein hatte, rückt mit seinem Stuhl etwas zur Seite, um Platz zu machen. »Ich bin Julien«, sagt er.
»Ich hol mir mal einen Stuhl und einen Teller«, sage ich und schiebe mich an Amory vorbei Richtung Küche. Ich bin verwirrt, aber ziemlich froh, dass ich Richards Langweilergesicht nicht ertragen muss.
Als ich bereits fast um die Ecke gebogen bin, murmelt Amory so leise, dass nur ich es hören kann: »Schön, dass du da bist.«
Unwillkürlich stiehlt sich ein Lächeln auf mein Gesicht. Eins, das ehrliche Freude ausdrückt. Es ist nicht gezwungen.
»Du bist also der Mitbewohner«, sagt das zweite Mädchen, das nicht Thanh ist, als ich mich neben Julien gesetzt habe. »Ich bin Emily.«
»Curtis«, sage ich.
»Mit Julien und Diego habe ich schon den Bachelor zusammen gemacht.« Amory zeigt erst auf den einen, dann auf den anderen. »Und Thanh und Emily kamen zum PhD zu uns. Wir teilen uns alle ein Büro.«
»Freut mich, euch kennenzulernen«, sage ich und merke, dass ich mich gar nicht so fehl am Platz fühle, wie ich erwartet hatte. Sie scheinen alle nett zu sein. Ich frage mich, warum Amory sich ausgerechnet das schwarze Schaf der Gruppe ausgesucht hat. Und zum wiederholten Mal, warum das schwarze Schaf nicht hier ist.
»Was ist mit dir, Amory? Wofür bist du dankbar?«, fragt Emily. Zu mir gewandt: »Wir waren gerade dabei, für Thanh die amerikanischste Show der Welt abzuziehen.«
»Dafür, dass ich euch habe. Auf euch!«, sagt Amory und lächelt in die Runde. Dafür, dass sie uns hat? Obwohl ihr Freund fehlt? Ich verstehe es nicht.
»Und du, Curtis?«, fragt Thanh.
»Ähm«, mache ich, immer noch verwirrt. »Ist das euer Ernst?« Das ist genau die Art von Gespräch, bei der ich mich unwohl fühle.
»Ich kenne das sonst nur aus Filmen.« Thanh zuckt mit den Schultern.
Auf einmal sind alle Augen auf mich gerichtet, und ich weiß, dass ich keine Chance habe. Wofür bin ich dankbar? Dafür, dass ich Richards Gesicht nicht sehen muss? Dafür, dass Amory lächelt? Dafür, dass ich lebe?
»Schätze mal, ich bin dankbar, dass ich hier bin«, nuschle ich ganz schnell und werfe Amory einen Blick zu. Es ist nur ein Bruchteil einer Sekunde. Ein rasches, beinahe unsicheres Vergewissern. Und trotzdem habe ich das Gefühl, viel mehr Emotionalität und Verletzlichkeit hineinzulegen, als ich es von mir selbst kenne. »Und noch dankbarer werde ich sein, wenn wir endlich mal einen anderen Song anmachen. Ernsthaft, Leute, was ist denn los?«, sage ich mit lauterer Stimme und einem etwas übertriebenen Lachen. Seit ich angekommen bin, läuft dieser eine Skeeter-Davis-Song.
Ein entsetztes Keuchen geht durch die Runde. »Das ist unser Thanksgiving-Song«, sagt Diego mit gespielter Empörung. Zumindest hoffe ich, dass sie gespielt ist, denn ansonsten muss ich davon ausgehen, dass sie alle durchgedreht sind.
»Finger weg von Spotify!« Julien hebt mahnend den Zeigefinger.
Ich sehe verwirrt von einem zum anderen. Das können sie unmöglich ernst meinen. Und dann beginnen sie alle zu lachen. Thanh, die sich an Diego lehnt. Diego mit dem Arm um ihre Schultern. Julien und Emily. Und Amory und ich. Ich habe zwar keine Ahnung, was es damit auf sich hat, sage aber nichts mehr. Nach einer Weile höre ich den Song kaum noch. Er geht einfach in den fröhlichen Gesprächen, Amorys himmlisch lautem Lachen, meiner merkwürdigen emotionalen Aufgeräumtheit unter. Der Song spielt weiter, bis wir beinahe platzen vor Essensmassen. Er geht immer wieder von vorne los, auch während wir Amorys Trifle in uns stopfen, doch niemand erwähnt ihn mehr. Mitten in der Nacht singen wir noch einmal alle lautstark mit. Und selbst als die Gäste gegangen sind, singt Skeeter Davis noch.
»Erzähl mal, Am«, sage ich, während ich Teller aufeinanderstaple. Ich will eigentlich nicht fragen, aber irgendetwas geht hier vor. »Wieso kommt Richard in deiner Dankbarkeit nicht vor?«
Für einen Moment ist abgesehen von Skeeter Davis nichts zu hören.
»Weil wir nicht mehr zusammen sind«, sagt Amory dann mit fester Stimme, und ich muss die Teller abstellen, die ich gerade noch in den Händen hielt.
Mein Herz springt. Mein Kopf wird ganz heiß. Ich bin mir sicher, mich verhört zu haben. »Seit wann?« Ich bemühe mich um einen neutralen, nonchalanten Tonfall, aber es kann sein, dass es genau das Gegenteil ist. Was zur Hölle hat die alte Frau mit ihrer Hexerei gemacht?
»Seit gestern Mittag um halb zwei«, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Ich bin erleichtert. Das war also, lange bevor ich bei ihr war.
»Willst du … willst du darüber reden?«, frage ich und kann nichts dagegen tun, dass sich mein Mund zu einem breiten Grinsen verzieht.
»Heute nicht mehr«, sagt sie und dreht sich wieder zu mir um. »Heute habe ich zu viel Wein getrunken und keine Lust mehr auf Gefühlsduselei.«
»Aber … er ist weg?«, frage ich. »So richtig?«
»Er ist weg.«
»Und ihr kommt nicht mehr zusammen?«
Sie lacht. »Sicher nicht.«
Ich nicke. Schlucke. Nicke erneut. »Das sind gute Neuigkeiten«, entfährt es mir, und ich denke an das merkwürdige Säckchen der Alten, das sich in meiner Jackentasche befindet. Die Liebe lässt sich nicht manipulieren.
»Haha, ja. Vielleicht.«
»Für mich sind es gute Neuigkeiten«, sage ich leise.
Wir tragen den leer geräumten Tisch in die Küche zurück. Stellen die Stühle wieder an ihren Ort. Wir räumen die Spülmaschine ein. Und plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich hätte es wissen können.
»Deswegen hören wir den Song!«
Amory grinst und nickt.
»Und auf einmal finde ich, wir könnten die Lautstärke ruhig noch ein bisschen aufdrehen.«
»Battery low. Please recharge«, sagt eine verzerrte Stimme in diesem Moment.
»Oder wir nehmen das als Zeichen und genießen noch einen Moment der Ruhe«, schlägt Amory vor.
»Oder das!«, sage ich begeistert und schalte in null Komma nichts die Musik aus.
Wir haben beide noch einen letzten Rest Wein in unseren Gläsern und setzen uns an den Küchentisch. So, wie wir es schon Hunderte von Malen gemeinsam gemacht haben. So, wie es war, bevor Richard sich zwischen uns quetschte.
»Hattest du Spaß die letzten zwei Nächte?«, fragt Amory mit dem Anflug eines Lächelns auf den Lippen. Mir fällt jetzt erst auf, dass sie ein bisschen müde aussieht.
»Spaß?«, frage ich, weil die Arbeit am Haus und die beiden Nächte unter Packdecken nicht unbedingt meiner Definition von Spaß entspricht.
»Na ja … du hast offensichtlich woanders geschlafen.«
»Ach, du meinst … Nein. Ich war nicht …« Auf einmal stammle ich. Warum zum Teufel stammle ich?
»Wäre ja auch nichts dabei«, sagt sie. »Ich würde mich für dich freuen.«
»Aber ich hab nicht …«
»Ja.«
»Ich habe nicht einmal Lust auf …«
»Wieso nicht?«
Ich zucke mit den Schultern. Ich weiß genau, warum ich auf keine andere Frau Lust habe. Weil da nur Amory in meinem Kopf ist. Die Erinnerung an sie. An ihren Körper.
»Du weißt es nicht?« Sie lacht.
»Gibt so Phasen«, sage ich.
Dann schweigen wir für eine Weile, nippen abwechselnd an unserem Wein.
»Nicky fragt, ob du an Weihnachten mit zu uns kommst.« Amory zeichnet mit dem Finger die Maserung des Esstisches nach. Sie schluckt.
»Du wärst gerne mit Richard gefahren, oder?«, frage ich, obwohl ich die Antwort eigentlich nicht hören will.
»Ich wäre gern mit meinem Freund hingefahren«, erwidert sie. »Ich glaube,
Richard war nur eine Projektionsfläche.«
Das ist gut. Das ist zumindest besser, als was ich erwartet hatte.
»Hast du Lust?«, fragt sie und sieht mich an.
Kurz denke ich nach. Will ich Richards Ersatz sein?
»Ist schon gut, du kannst es dir überlegen. Aber meine Eltern würden sich freuen. Und Nicky am allermeisten.«
Meine Kehle wird wieder eng. Eines Tages sollte ich vielleicht wirklich zum Arzt gehen. Oder vielleicht hat die Alte irgendein Wundermittel. »Und was ist mit dir?«, frage ich. Es nervt mich, dass ich so unsicher klinge.
»Was meinst du?«, fragt sie.
»Würdest du dich auch freuen?«
»Curtis!« Ihre Stimme ist laut und bestimmt. »Ich freue mich immer über deine Gesellschaft.«
»Okay.«
»Okay, du kommst mit? Oder okay, Amory mag mich? Oder okay …«
»Okay, ich komme mit«, sage ich und höre Amory mag mich ab jetzt auf Dauerschleife in meinem Kopf. »Ich komme sehr gerne«, füge ich etwas leiser hinzu. Es ist schließlich nicht so, als hätte ich selbst familiäre Verpflichtungen. »Erinnerst du dich noch an Weihnachten vor zwei Jahren?«, frage ich. Denn das war das Weihnachten, an dem wir das erste Mal miteinander geschlafen haben. Ein bisschen betrunken. Ein bisschen unbeholfen, weil wir noch nicht so richtig wussten, worauf das hinauslaufen würde.
»Daran denkst du?«, fragt sie ungläubig.
Andauernd. Tag und Nacht. Vor dem Einschlafen, beim Aufwachen. »Na ja … ist mir eben so eingefallen.«
»Ich dachte, du hast eine Phase.«
Du bist meine Phase. »Die könnte ja bis Weihnachten wieder vorbei sein«, sage ich und wackle mit den Augenbrauen.
»Du bist unmöglich!«, sagt Amory, lacht aber. Lauter diesmal. Offener. Ehrlicher.
»Was?«, frage ich betont arglos.
»Ich bin erst seit gestern wieder Single, und du machst mich schon an!«
»Seit vorgestern«, präzisiere ich, denn es ist inzwischen weit nach Mitternacht. »Was denkst du von mir? Dass ich gar keinen Anstand habe?«
»Ja, so was in der Art.«
»Sag einfach Bescheid, wenn du Lust auf Sex hast.« Ich erhebe mich von meinem Stuhl und strecke mich. »Dann sehen wir, was wir tun können.« Mit diesen Worten verlasse ich die Küche. Ich wäre gerne noch länger mit ihr sitzen geblieben, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ich in meinem Zustand etwas Dummes sage, ist hoch.
»Das werde ich«, erwidert Amory, und ich grinse in mich hinein.
Kurz bevor ich endgültig in meinem Zimmer verschwinde, stecke ich noch mal meinen Kopf in die Küche. Amory sitzt nach wie vor auf ihrem Stuhl. Sie hat ein Bein angezogen und die Augen geschlossen.
»Nur zur Info«, sage ich. »Die Phase ist vorbei. Also … ich bin bereit, wann immer …«
»Alles klar«, sagt sie und lächelt.
»Und es macht mir nichts aus, dafür geweckt zu werden.«
»Ist notiert.«
»Wollte ich nur gesagt haben.«
Ihr Lachen begleitet mich in mein Zimmer, sodass ich die Tür angelehnt lasse, um nichts davon zu verpassen.
29
Amory
In den nächsten Wochen arbeite ich von zu Hause aus. Zwar schreiben mir Thanh und Emily regelmäßig, dass Richard auch kaum im Büro ist, aber ich habe irgendwie Lust, mich einzuigeln. Nicht weil es mir so schlecht geht, sondern weil ich in mich gehen will. Die Tatsache, dass ich mich für Richard beinahe verbogen hätte, ohne es wirklich zu merken, beschäftigt mich. Und so richte ich es mir am Schreibtisch in meinem Zimmer gemütlich ein und arbeite an meinem Paper.
Abends nötige ich Curtis, Tierdokus mit mir zu schauen, besuche die Auftritte von After Hours oder treffe mich wie heute mit Bonnie und Franzi im Barrel.
»Okay, warte«, sagt Bonnie. Wir haben wieder einmal unseren Stammplatz in der hintersten Ecke der gemütlichen Bar ergattert. Ich trinke einen Cocktail, Bonnie ein Bier. »Habe ich das richtig verstanden? Du hast keinen Liebeskummer, bist aber trotzdem unglücklich?«
»›Unglücklich‹ wäre zu viel gesagt«, erwidere ich. »Nein, mir geht es im Grunde gut. Ich bin nur verwirrt.«
»Warum bist du verwirrt?«, fragt Franzi, die länger arbeiten musste und sich in diesem Moment neben mich auf das Plüschsofa fallen lässt.
»Ich predige von morgens bis abends anderen, dass sie perfekt sind, so wie sie sind, dass sie sich nicht kleinmachen sollen. Dass sie sich nicht für andere ändern sollen. Und dann kommt ein Kerl daher, von dem ich ja selbst weiß, dass er nicht der Vater meiner Kinder wird, sollte ich eines Tages welche wollen. Und dennoch versuche ich, es ihm recht zu machen. Mich ihm recht zu machen.« Beim letzten Satz ist meine Stimme ganz dünn geworden.
»Aber ist das nicht normal?«, fragt Franzi. »Dass man vor allem am Anfang einer Beziehung dem anderen gefallen will?«
»Ja, klar. Aber ich habe mich richtig verunsichern lassen. Dabei dachte ich eigentlich, ich sei stärker als das. Ich sei stark. «
»Also hör mal«, meldet sich Bonnie zu Wort, »das macht dich doch nicht weniger stark. Es war eine Erfahrung, die du so noch nie gemacht hattest. Weil alle anderen Menschen auf der Welt sehen, wie perfekt du bist. Dass du ausgerechnet an den einen geraten musstest, der das nicht gesehen hat, war einfach phänomenales Pech.«
Ich seufze. »Siehst du, vor ein paar Monaten wäre ich noch diejenige gewesen, die das so gesehen hätte. Was ist nur los mit mir?«
»Wieso darf man nicht mal verunsichert sein?«, fragt Franzi. »Wieso gibt es immer nur Extreme? Stark oder schwach, laut oder leise, mutig oder ängstlich, wild oder brav … Sei doch einfach alles. Und alles dazwischen. Gleichzeitig, nacheinander, überlappend. Wie es dir gefällt.«
»Was habe ich nur für weise Freundinnen«, sage ich und nehme einen Schluck von meinem blasslila Cocktail.
»Wir haben dir eben aufmerksam zugehört.«
»Ach, du«, sage ich und schlinge meine Arme um Franzi. »Danke.« Es tut gut, das zu hören.
»Man sagt doch, Liebe macht blind«, wirft Bonnie ein. »Vielleicht gilt das eben auch für den Wunsch nach Liebe.«
»Denkst du, der Wunsch nach Liebe hat mich in einen dämlichen Zombie verwandelt, der nicht mehr weiß, was seine eigenen Ideale sind?«, frage ich lachend. »Das ist ja sehr aufbauend.«
»Ich denke, dass du ziemlich hart zu dir bist, obwohl du, wenn man ehrlich ist, noch stärker aus dieser Sache hervorgegangen bist.«
»Wie meinst du das denn?«
»Beim nächsten Mal, wenn so etwas passiert, werden sofort deine Alarmglocken schrillen.« Sie zuckt mit den Schultern. »Und das ist viel wert.«
Ich nicke. Sie hat bestimmt recht. Und mit Sicherheit kann ich es in ein paar Tagen auch so sehen. Die ganze Geschichte ist erst knappe drei Wochen her, sodass es vielleicht einfach zu früh ist, um schon ganz darüber hinweg zu sein. Nicht zu früh, um über Richard hinweg zu sein. Denn das bin ich. Aber die Tatsache, dass ich meinen eigenen Selbstwert angezweifelt habe, geht mir nicht aus dem Kopf.
»Und du bist überzeugter denn je davon, dass deine Einstellung dir gegenüber die richtige ist«, sagt Franzi. »Doppelt stark.«
Ich lache. »Ihr seid die Tollsten. Wisst ihr das?«
»Wir haben von der Meisterin gelernt«, sagt Bonnie.
Ich lächle und werde etwas rot. »Übertreib nicht«, nuschle ich und bin bereits wieder genervt von mir. Warum kann ich nicht mal ein nettes Kompliment annehmen? »Will noch jemand was zu trinken?«, frage ich und stehe auf.
»Eine Limonade«, sagt Franzi und schiebt erklärend hinterher: »Ich muss morgen fit sein. Meine Mutter und mein Bruder kommen ziemlich früh an.«
»Ach, morgen schon?«, fragt Bonnie. »Wie cool. Du freust dich sicher, sie zu sehen.«
»Total. Und darauf, ihnen das alles hier zu zeigen.« Sie macht eine umfassende Geste.
»Das Barrel? «, frage ich lachend.
»Mein Leben«, sagt sie.
Ich gehe an die Bar und bestelle bei Eric einen weiteren Aviation für mich und eine Limonade für Franzi.
»Ist alles klar bei dir?«, fragt Eric. »Du s
iehst heute ein bisschen bedrückt aus.«
Na toll! Anscheinend sieht man es mir sogar an. Doch dann fällt mir etwas ein. »Ich weiß, das war fürsorglich gemeint, aber tatsächlich ist es ein wenig unhöflich. Du hast mich wahrscheinlich einfach noch nie komplett ungeschminkt gesehen. Gut zu wissen, dass ich dadurch gleich bedrückt wirke.« Ein warmes Gefühl breitet sich in meinem Körper aus. Das hat gutgetan.
»Also, ehrlich gesagt, liegt es an deinen Mundwinkeln«, sagt Eric grinsend. »Dein Gesicht sieht aus wie immer. Einfach schön.«
Vielleicht müsste mir mein kleiner Ausbruch peinlich sein, doch seltsamerweise ist er das nicht. Das Gefühl, für mich selbst eingestanden zu sein, ist stärker als das leichte Unbehagen darüber, Eric zu Unrecht verdächtigt zu haben. »Ups, sorry«, sage ich. »Da bin ich wohl ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen.«
»Offenbar hast du das aber gebraucht, denn jetzt lächelst du wieder.« Er zeigt auf meine Mundwinkel.
Als ich mit den beiden Getränken in der Hand zurück zu unserem Tisch gehe, lächle ich immer noch.
»Ich glaube, ich werde langsam wieder ich selbst«, sage ich triumphierend. »Ich habe gerade Eric angefahren.«
»Der arme Kerl.« Bonnie gluckst. »Freut mich allerdings sehr für dich.«
»Bleibt deine Familie über Weihnachten, Franzi?«, erkundige ich mich.
»Genau. Sie kommen her, damit wir zusammen feiern können.« Sie strahlt. »Ich bin so gespannt, was sie sagen werden.«
»Zu New Orleans?«, frage ich.
»Zu allem. Der Stadt, Hugo, Link …«
»Was zeigst du ihnen alles?«, will Bonnie wissen.
»Als Erstes den Garden District. In den habe ich mich sofort verliebt, als ich hier ankam. Und dann das French Quarter. Ich will, dass sie Streetcar fahren, den Mississippi sehen. Wir gehen auf jeden Fall auf einen Auftritt von After Hours. In den City Park. Auf den Friedhof. Sie sollen die Sümpfe sehen und die Alligatoren … Und meine Freunde kennenlernen. Und vor allem Link.«
»In den du dich als Zweites verliebt hast?«, fragt Bonnie scherzhaft.
»Eher so als Fünftes, glaube ich. Ich habe mich ja vorher schon in alles verliebt, was ich gesehen habe, noch ehe ich überhaupt wusste, dass es ihn gibt.«
Love is Wild – Uns gehört die Welt (Love-is-Reihe 3): Roman (German Edition) Page 19