Feel Again

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Feel Again Page 22

by Mona Kasten


  Das musste Eliza sein.

  Ich öffnete den Mund, um mich vorzustellen, doch sie legte mit einem Grinsen den Finger an die Lippen, stellte ihre Reisetasche auf dem Boden ab und schlich über die Holzdielen zu Isaac und Ivy ans Klavier.

  »Das hört sich ja wundervoll an«, sagte sie, als Ivy die ganz linken Tasten erwischte und mehrere tiefe Töne gleichzeitig laut erklangen.

  Isaac fuhr herum, und seine Augen weiteten sich. Er stieß ein überraschtes Geräusch aus, wartete, bis Ivy vom Hocker gesprungen war, und machte dann einen Satz auf Eliza zu. Er hob sie hoch und wirbelte sie herum, genau wie er es auch mit seinen anderen Geschwistern gemacht hatte. Da Eliza fast so klein war wie Dawn und zudem sehr zierlich, machte es auch keinen Unterschied, dass sie im Gegensatz zu ihnen ein ausgewachsener Mensch war.

  »Ich dachte, du kommst nicht mehr«, sagte Isaac, ohne Eliza runterzulassen.

  »Ich hab einfach so lange Stress gemacht, bis sie mein Gesicht nicht mehr sehen konnten und mich umgebucht haben. Ich lasse mir von einer blöden Airline doch nicht meine Herbstferien vermiesen.«

  »Weil du mich vermisst hast.«

  »Eigentlich eher, weil ich Sawyer unbedingt mal kennenlernen wollte«, sagte Eliza mit einem Augenzwinkern und deutete auf mich.

  Isaacs Kopf wirbelte herum, und unsere Blicke trafen sich. Für den Bruchteil einer Sekunde spiegelten sich mehrere Emotionen gleichzeitig in seinem Gesicht wider – Sorge, Freude, Bedauern, Verlangen, Angst –, und plötzlich bekam ich keine Luft mehr, weil mir mit einem Schlag bewusst wurde, was ich in der vergangenen Nacht alles mit ihm geteilt hatte und dass er jetzt mehr über mich und meine Vergangenheit wusste als jeder andere Mensch auf dieser Welt, mit Ausnahme von Riley.

  Dann breitete sich ein warmes Lächeln auf seinem Gesicht aus, und er ließ Eliza runter. »Wehe, du erzählst ihr peinliche Geschichten.«

  Und ich konnte wieder atmen.

  Eliza lachte, und es klang so einladend und herzlich, dass ich mich von der Tür abstieß und endlich das Wohnzimmer betrat. Eliza bückte sich kurz, um Ivy zu drücken, doch die strampelte sich gleich wieder frei und kletterte zurück auf den Klavierhocker.

  Ohne Vorwarnung schlag Eliza ihre Arme auch um mich. Ich versuchte, mich nicht zu versteifen und die Geste zu erwidern. Irgendwann würde ich mich an die Herzlichkeit der Grant-Geschwister gewöhnen. Bestimmt.

  »Endlich habe ich mal ein Gesicht zu den Geschichten, die Zac erzählt hat.« Sie grinste mich an.

  »Gleichfalls. Die einzige Schwester, von der ich vorher ein Bild zu sehen bekommen habe, war Ariel.«

  Eliza fixierte ihren Bruder. »Du hast ihr hoffentlich nicht das Foto gezeigt.«

  Er zuckte mit den Schultern.

  »Wart’s bloß ab. Ihre Rache wird noch folgen. Sie weiß, wo deine peinlichen Bilder versteckt sind.«

  »Das ist es mir wert. Es hat Sawyer zum Lachen gebracht«, antwortete er, und sein Lächeln fühlte sich so intim an, dass es mir unangenehm war, dass seine Schwester direkt neben uns stand. Ich fummelte die Brille aus meiner Hemdtasche hervor und reichte sie ihm.

  »Ah, danke«, sagte er und setzte sie auf. »Jetzt kann ich auch erkennen, was … Oh Gott, was hast du mit deinen Haaren gemacht?«

  Eliza strich sich übers Haar und wirkte mit einem Mal unsicher. »Ich wollte mal was Neues ausprobieren.«

  »Es ist auch hübsch«, sagte Isaac schnell. »Nur … so dunkel. Du siehst fast aus wie ein Vampir.«

  »Das fällt dir erst jetzt auf, wo du deine Brille aufhast? Ich dachte, du wärst weitsichtig, nicht farbenblind«, murmelte ich.

  »Ha!« Eliza schlang einen Arm um meine Taille und drückte mich kurz an sich. »Ich mag dich, Sawyer.«

  Bevor ich etwas erwidern konnte, stürmten Ariel und Levi ins Wohnzimmer. Kurz darauf folgten Theodore und Isaacs Mutter. Während sie alle Eliza begrüßten, drückten und ihre Haare bewunderten, wagte ich einen Blick zu Isaac. Er stand mit hinter dem Kopf verschränkten Händen da und beobachtete die Szene.

  In mir breitete sich eine ungewohnte Wärme aus. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, warum.

  Weil ich mich freute, dass Isaac glücklich war.

  Es machte Spaß, sich mit Eliza zu unterhalten. Mittlerweile saßen wir seit über einer Stunde auf der Holzbank am Esstisch, frühstückten und sprachen über alles Mögliche – ihr Studium, mein Studium, Woodshill, Boston. Isaac hatte sich zwischenzeitlich wieder ans Klavier gesetzt und klimperte jetzt abwechselnd mit Levi und Ivy zwischen seinen Beinen darauf herum.

  »Er hat seit Ewigkeiten nicht mehr gespielt«, meinte Eliza, als sie mich dabei ertappte, wie ich zum wiederholten Mal zu ihm sah.

  »Wieso nicht?«, fragte ich.

  Sie wandte den Blick ab und zuckte mit den Schultern. »Er hat mit dem Hof auf einmal so viel um die Ohren gehabt.« Sie drehte ihren Kopf zum Klavier und betrachtete ihren Bruder mit warmen Augen. »Und ich glaube, dass er am Tag seines Schulabschlusses auch beschlossen hat, von da an nichts mehr mit dem Jungen gemeinsam haben zu wollen, der er die ganzen Jahre davor gewesen war. Er hatte …« Sie unterbrach sich selbst, als wüsste sie nicht, wie viel Isaac mir womöglich schon erzählt hatte und ob sie mit mir darüber sprechen konnte.

  »Er hat mir davon erzählt, wie schlimm die Highschool für ihn war.«

  Eliza wandte ihren Blick nicht von Isaac ab. »Ich war nicht unbeteiligt daran.«

  »Wie meinst du das?«

  »Isaac war nicht beliebt. Alle hielten ihn für einen Freak. Ich weiß gar nicht mehr so genau, wie das angefangen hatte und warum. Mich hingegen … Mich mochten die Leute. Ich hatte Freundinnen. Ich hätte mich in der Pause nur mal zu Isaac an den Tisch setzen müssen. Oder im Flur mit ihm sprechen. Oder nach Schulschluss auf ihn warten.« Sie brauchte einen Moment, bis sie weitersprechen konnte. »Aber ich hab mich nicht getraut, obwohl ich genau gesehen habe, wie einsam er war.«

  Es kostete mich alle Mühe, mir nicht anmerken zu lassen, wie furchtbar ich Eliza in diesem Moment fand. Am liebsten wäre ich aufgestanden und von ihr weggegangen, aber irgendetwas hinderte mich daran. Vielleicht war es das Bedauern in ihrem Blick. Sie sah aus, als würde sie das, was sie Isaac angetan hatte, zutiefst bereuen.

  »Unsere Eltern hatten keine Ahnung, was in der Schule los war. Isaac hat es zu Hause nie angesprochen, und er hat mir kein einziges Mal einen Vorwurf gemacht oder mich zur Rede gestellt.« Sie stockte. »Und ich habe in Kauf genommen, dass unser Verhältnis immer schlechter wurde. Als ich ihm dann auch noch gesagt habe, dass ich nach Harvard gehe … Er war so enttäuscht von mir.«

  »Ich kann es ihm nicht verübeln«, sagte ich, ohne nachzudenken, aber es tat mir nicht leid. Gerade fiel es mir schwer, Eliza Sympathie entgegenzubringen.

  Sie seufzte. »Auf diesem Hof lebt man für die Landwirtschaft. Und ich weiß, dass das egoistisch klingt, aber ich wollte endlich mal etwas nur für mich haben. Ich fand, dass ich das verdient hatte.«

  »Das hätte Isaac auch«, sagte ich und bemühte mich, ruhig zu sprechen. »Aber er ist hier geblieben.«

  »Als Dad seine Operation hatte, war ich längst in Harvard. Ich hätte auf keinen Fall mein Studium abbrechen können.«

  »Du wolltest nicht«, entgegnete ich. Ich konnte verstehen, dass ein Stipendium für Harvard eine Sache war, auf die man nicht leichtfertig verzichtete. Aber Isaac war derjenige, der unter all dem hatte leiden müssen. Er hatte für diese Farm und seine Familie gekämpft – während Eliza einfach abgehauen war.

  »Er hat sein Studium aufgeschoben, damit du dir deinen Traum erfüllen kannst.«

  Eliza schluckte schwer. »Ein Traum, der nicht so ist, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Aber so etwas merkt man ja meistens erst im Nachhinein.«

  Ihr Blick war abwesend, als wären ihre Worte nicht für mich bestimmt gewesen, sondern für sie selbst.

  »Wir verstehen uns inzwischen wieder viel besser. Aber ich bin nicht naiv. Mir ist klar, dass das, was damals passiert ist, immer noch zwischen uns steht. Ich würde es so ger
ne wiedergutmachen. Aber ich weiß nicht, wie.«

  »Das kann ich dir auch nicht sagen«, sagte ich ehrlicherweise. »Aber ich weiß, dass ihm eine Riesenlast von den Schultern fallen würde, wenn eure Eltern endlich über ihren Schatten springen und ihn wieder wie ihren Sohn behandeln würden. Dieser Streit … der hilft doch wirklich niemandem.«

  »Ich wusste nicht, dass es immer noch so schlimm ist«, sagte Eliza leise. »Ich dachte, es hätte sich wieder gelegt. Er hat es am Telefon immer klingen lassen, als wäre alles in Ordnung.«

  »Weil er Isaac ist. Er will dir kein schlechtes Gewissen machen. In Wahrheit reden sie nicht mehr mit ihm, seit er ihnen gesagt hat, dass er studieren und kein Geld mehr von ihnen annehmen wird.«

  »Er nimmt kein Geld von unseren Eltern an?«, unterbrach Eliza mich ungläubig. »Wie kommt er in Woodshill denn über die Runden?«

  »Er arbeitet sich tot. Während er gefühlt zwanzig Fächer gleichzeitig studiert. Er will euren Eltern nicht auf der Tasche liegen, wenn er sie schon so enttäuscht hat.«

  Elizas Augen weiteten sich, und sie schüttelte den Kopf. »Das wusste ich nicht.«

  »Er würde alles für diese Familie tun, und das obwohl er hier schon so oft verletzt worden ist.«

  Eliza wandte den Blick ab. »Ich weiß.«

  »Er kümmert sich um alle«, fuhr ich fort und musste an letzte Nacht denken, als er mich gehalten und getröstet hatte, bis ich eingeschlafen war. »Aber um ihn kümmert sich niemand. Das ist nicht fair.«

  Es entstand eine Pause zwischen uns. »Das stimmt nicht«, sagte Eliza nach einer Weile. Dann sah sie mir direkt in die Augen. »Er hat dich, Sawyer. Mehr könnte ich mir nicht für ihn wünschen.«

  KAPITEL 21

  Wir verbrachten noch den gesamten Sonntag bei Isaacs Familie, und als ich abends die Tür zu unserem Wohnheimzimmer aufschloss, wartete Dawn bereits auf mich. Sie tat zwar so, als würde sie total beschäftigt an ihrem Laptop arbeiten, aber um sie herum surrte die Luft förmlich, und ich wusste aus Erfahrung, wie viel Mühe es sie kostete, mich nicht sofort über jedes kleinste Detail meines Ausflugs auszufragen.

  Dabei hätte ich mich am liebsten einfach nur aufs Bett fallen lassen und die Augen zugemacht. Ich war todmüde. So müde, wie ich mich normalerweise fühlte, wenn ich drei Tage lang durchgefeiert hatte. Nur dass ich die letzten beiden Tage nicht gefeiert, sondern gespielt hatte. Ich hatte gespielt, geredet, war meilenweit gerannt. Und ich war geritten – etwas, das ich seit meinem fünften Lebensjahr hatte tun wollen.

  Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich mich auf Isaacs Pferd gesetzt und wäre schreiend über die Felder galoppiert, doch Isaac war der Meinung, dass Moonshine mich erst kennenlernen und eine Bindung zu mir aufbauen müsste, bevor er mich allein mit ihr in die Wildnis entlassen konnte. Also hatte ich sie erst mit einer merkwürdig aussehenden Bürste striegeln müssen, bevor er mir beim Aufsteigen geholfen und uns anschließend an einer Leine im Schneckentempo über den Hof geführt hatte. Es war trotzdem cool gewesen.

  Nach der Nacht im Gästezimmer hatte ich eigentlich gedacht, dass es merkwürdig werden würde, Isaacs Familie – vor allem seiner Mutter und seinem Großvater – wieder unter die Augen zu treten. Aber die Grants erwähnten den Vorfall mit keinem Wort und gaben mir auch nicht das Gefühl, dass sie mich seltsam fanden. Nur Isaacs Vater beachtete mich den gesamten Sonntag überhaupt nicht, sondern arbeitete die meiste Zeit draußen. Ich hatte mehrmals beobachtet, wie Isaac ihm seine Hilfe angeboten hatte und mit einem knappen Kopfschütteln wieder weggeschickt worden war. Isaac hatte jedes Mal so niedergeschmettert ausgesehen, dass ich seinen Vater am liebsten angeschrien hätte. Elizas Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie dasselbe gedacht wie ich, und ich hegte die Hoffnung, dass sie jetzt, wo sie wusste, was in ihrer Familie los war, vielleicht endlich anfangen würde, zwischen ihnen zu vermitteln.

  Dawn hüstelte. Ich ließ mich neben sie auf ihr Bett fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. Erleichtert atmete sie auf und klappte sofort ihren Laptop zu.

  »Geht es dir besser?«, fragte sie.

  Ich hätte fast »Wieso?« gefragt, aber dann fiel mir ein, weshalb ich den Ausflug zur Grant-Farm überhaupt gemacht hatte. Ich hatte seit gestern Morgen nicht mehr an Amandas fiese Worte gedacht. Und jetzt kamen sie mir neben all den Dingen, die auf der Farm geschehen waren, plötzlich völlig unbedeutend vor.

  Das war es wohl, was Isaac gemeint hatte, als er von der heilenden Wirkung der Farm erzählt hatte.

  »Es geht mir gut«, sagte ich und betrachtete die bunte Weltkarte, die über Dawns Bett hing. Ich war noch nie im Urlaub gewesen, hatte die Staaten noch nie verlassen. Aber das Wochenende mit Isaac – ganz gleich, wie emotional und aufwühlend es zwischendurch gewesen war – fühlte sich im Nachhinein wie Urlaub an.

  »Du siehst ziemlich müde aus, aber auch ziemlich zufrieden. Fast so, als hättest du das Wochenende damit verbracht, dich über Isaacs nackten Körper herzumachen.«

  Ich verdrehte die Augen. »Ich habe mich von seinem Grandpa beim Pokern über den Tisch ziehen lassen. Und mit seinen Geschwistern gespielt. Und sein Pferd Moonshine kennengelernt.«

  Perplex sah sie mich an. »Im Ernst?«

  »Es war echt toll«, sagte ich.

  Sie nickte. »Ich will alles hören.«

  Also erzählte ich ihr von Iaacs Farm, seiner Familie und seinen Tieren. Als ich fertig war, schüttelte Dawn lächelnd den Kopf.

  »Ich hätte niemals gedacht, das mal zu erleben«, sagte sie und überschlug ihre Beine.

  »Was?«, fragte ich.

  Sie grinste verschmitzt, so, als wüsste sie Dinge, von denen ich nicht einmal die leiseste Ahnung hatte. »Ist egal. Du kommst schon noch drauf.«

  Ich runzelte die Stirn und wollte noch einmal nachhaken, aber Dawn wechselte abrupt das Thema und erzählte mir von einer neuen Geschichte, die sie in der Nacht zuvor begonnen hatte zu schreiben.

  In der folgenden Woche musste ich vier Schichten im Steakhouse übernehmen. Da es allmählich immer kälter und schneller dunkler wurde, kamen die Leute früher und gingen später. Al war froh darüber, da er höhere Einnahmen hatte, aber für Isaac und mich bedeutete das, dass wir längere Schichten übernehmen mussten.

  Ich war froh, dass das, was am letzten Wochenende geschehen war, die Dinge zwischen uns nicht seltsam machte. Ich hätte es nicht ertragen, wenn Isaac sich mir gegenüber plötzlich anders verhalten hätte, aber das tat er nicht. Anscheinend hatte ich ihn – mal wieder – unterschätzt. Ich musste das dringend sein lassen, denn neben der Tatsache, dass ich ihn inzwischen so viel besser kannte, nahm ich immer öfter Veränderungen an ihm wahr. Er geriet kaum noch ins Stottern, wenn ein Mädchen ihn während unserer Schicht ansprach. Manchmal ging er sogar darauf ein, wenn jemand mit ihm flirtete, und schloss Wetten mit mir ab, wer an einem Abend mehr Trinkgeld bekommen könnte.

  Das war geradezu ein Quantensprung zu dem Isaac, der am Limonadenstand vor der Uni beinahe umgefallen wäre, weil er sein Kleingeld nicht gefunden hatte. Dass es mir jedes Mal einen Stich verpasste, wenn ich ihn mit einem anderen Mädchen reden sah, ignorierte ich geflissentlich. Und ich wagte es auch nicht, ihn nach Everly zu fragen. Dawn hatte mir erzählt, dass er bei ihrer Stiefschwester anscheinend einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte, und auch, dass die beiden Nummern ausgetauscht hatten.

  Das reichte mir. Mehr wollte ich darüber definitiv nicht wissen.

  An den Tagen, an denen ich nicht arbeitete, war ich mit meinen Kursen eingespannt. Ich traf mich mit ein paar Kommilitonen für eine Gruppenarbeit, die bald eingereicht werden musste, und quälte mich durch zwei theoretische Abhandlungen für einen anderen Kurs.

  Ich war froh, als das Ende der Woche in Sicht war – auch wenn das bedeutete, dass ich nach Portland fahren und gemeinsam mit Riley nach Kleidern für ihre Hochzeit suchen musste.

  Ich war so überrascht gewesen, als sie mich gefragt hatte, dass ich, ohne nachzudenken, zugesagt hatte. Und nachdem sie mir – mehrmals – versichert hatte, dass sie keine große Sache
daraus machen würde und ich weder quietschen noch weinen musste, wenn sie sich in einen Haufen Stoff quetschte, der sie wie einen Windbeutel aussehen ließ, freute ich mich sogar darauf. Zumal sie ihre bastelnden Brautjungfern zu Hause lassen würde.

  Der erste Laden, den wir betraten, erschlug uns mit seinem Angebot an Plüsch und Tüll, sodass wir ihn rückwärts wieder verließen. Im zweiten Laden wurden wir von den beiden Verkäuferinnen mit einem verkniffenen Lächeln und einem abschätzigen Blick auf unsere Tattoos begrüßt, und als wir uns umsahen, war uns eine von ihnen so dicht auf den Fersen, dass Riley sich unwohl fühlte und ihr Fluchtinstinkt einsetzte. Im dritten Laden wurden wir deutlich besser behandelt. Riley probierte sogar eines der cremeweißen Puffärmelkleider an, brach aber in Gelächter aus, als sie sich darin im Spiegel betrachtete, was die Verkäuferinnen allerdings gar nicht lustig fanden.

  »Ich glaube, das wird nichts, Riley«, sagte ich, als wir wieder draußen waren und beide auf die Liste von Geschäften starrten, die Rileys Freundinnen ihr auf einem Zettel aufgeschrieben hatten. »Deine Freundinnen haben dir total traditionelle Läden rausgesucht. Aber traditionell gefällt dir doch gar nicht. Abgesehen davon, dass die alle schweineteuer sind.«

  Riley seufzte tief. »Ich weiß. Aber ich habe echt keine Ahnung, wo ich sonst gucken soll.«

  Als wir noch jünger gewesen waren, hatten wir oft Ausflüge nach Portland gemacht, meistens, um in irgendwelche Clubs oder auf Konzerte zu gehen, manchmal aber auch, um durch Secondhandläden zu streifen und dort nach Schätzen für unseren Kleiderschrank zu suchen.

  »Erinnerst du dich noch an den Laden, in dem wir dir deine ersten Docs gekauft haben?«, fragte ich sie.

  »Ich glaube schon. Der war …« Sie runzelte die Stirn. »Meinst du echt, dass wir da was finden?«

  Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, aber ich glaube, dass wir uns dort wohler fühlen werden, als in den Kotzläden mit versnobten, unfreundlichen Verkäuferinnen.«

 

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