Feel Again

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Feel Again Page 33

by Mona Kasten


  »Hör auf«, sagte er ruhig.

  »Geh aus dem Weg, Isaac«, fauchte ich.

  Riley trat neben Isaac und starrte mich an. »Ich kann nicht glauben, dass du sie geschlagen hast.«

  »Sie hat Mom beleidigt. Und mich. Sie hat …«

  »So war sie schon immer, Sawyer!«, entgegnete sie erhitzt. »Dass wir sie eingeladen haben, sollte ein Schritt in die richtige Richtung sein. Eine Art Neuanfang.«

  »Ein Neuanfang?« Am liebsten hätte ich Riley geschüttelt. »Ein Neuanfang für was denn, Riley? Nur weil du jetzt einen tollen Mann und eine tolle neue Familie hast, heißt das nicht, dass du alles von damals ungeschehen machen kannst!«

  Riley zuckte zusammen, und augenblicklich bereute ich, was ich gesagt hatte. »Riley …« Ich machte einen Schritt auf sie zu, doch sie wich vor mir zurück.

  »Merkst du, was du anrichtest?«, sagte Melissa höhnisch. »Du bist gerade dabei, das Glück deiner Schwester zu zerstören. Genau wie deine Mutter es mit mir gemacht hat, als sie den feigen Ausweg gewählt und sich die Pulsadern aufgeschlitzt hat!«

  Ich verlor einfach die Kontrolle. Wieder machte ich einen Schritt auf sie zu. Und wieder war da Isaac, der mich zurückhielt. Er redete auf mich ein, sanft und beruhigend, aber ich wehrte mich. Ich wollte ihm nicht zuhören. Doch dann umschlag er mich von hinten fest mit seinen Armen und sagte mit dem Mund ganz nah an meinem Ohr: »Ist dir bewusst, dass du gerade den schönsten Tag deiner Schwester kaputtmachst?«

  Mein ganzer Körper zitterte. »Lass mich los, Isaac.«

  »Nein. Du benimmst dich total daneben. Egal, was sie gesagt hat, ich lasse nicht zu, dass du noch mal auf diese Frau losgehst.«

  Seine Worte fühlten sich an wie ein Messerstich, mitten in meinen Rücken. Sie taten so weh, dass ich mich krümmte und einen Moment lang nur entsetzt keuchen konnte.

  Isaac nutzte die Gelegenheit und hob mich hoch. Mit schnellen Schritten trug er mich nach draußen, als wöge ich nicht mehr als ein leerer Umzugskarton. Er setzte mich auf der Veranda ab, weit weg von den anderen Gästen. Nur ließ er mich nicht los. Er hielt mich weiter in seinen Armen und drückte mich an sich, als könnte er so verhindern, dass ich völlig den Verstand verlor.

  »Du hast dich auf ihre Seite gestellt«, brachte ich hervor. Ich konnte mich nicht bewegen, so fest umklammerte er mich.

  »Das stimmt nicht. Ich will nur nicht …«

  »Du hast gehört, was sie gerade zu mir gesagt hat«, brachte ich hervor und schaffte es endlich, mich aus seinem Griff zu befreien.

  Ich fuhr zu ihm herum. Sein Blick war voller Schmerz. »Ja, habe ich. Und das war schrecklich. Aber ich wollte nicht, dass dadurch Rileys Hochzeit zerstört wird. Du hättest das dein Leben lang bereut.«

  »Ich bin also dafür verantwortlich, dass Rileys Hochzeit den Bach runtergeht? Ich?«, fuhr ich ihn an.

  Ich stieß mit beiden Händen gegen seinen Brustkorb, und weil es sich so gut anfühlte, gleich noch einmal. Und ein drittes Mal, bis er zurücktaumelte und sich mit der Hand kurz an einem Holzbalken festhalten musste.

  »Wie konnte ich nur glauben, du würdest etwas an meinem beschissenen Leben ändern können?« Ich fuhr mir durchs Haar und zog daran. Den stechenden Schmerz hieß ich willkommen. »Wie hatte ich nur glauben können, du wärst anders?«

  »Ich bin anders«, knurrte er und ballte die Hände zu Fäusten. »Nur weil ich mich nicht wie ein Irrer auf sie gestürzt habe, heißt das nicht, dass ich sie nicht auch schrecklich finde. Ich hasse, was sie dir angetan hat, und wenn ich könnte, würde ich alles davon rückgängig machen. Aber das musst du doch nicht unbedingt auf der Hochzeit deiner Schwester klären, Sawyer!«

  Ich konnte ihn nicht mehr ansehen. Jeder noch so kleine Muskel in meinem Körper tat mir weh, und der Schmerz raubte mir nicht nur den Atem, sondern auch meine Stimme. »Ein einziges Mal wollte ich auch jemanden, der für mich einsteht. Aber wieso habe ich gedacht, dass ausgerechnet du das könntest?«, flüsterte ich. »Ich hätte dich nicht mit hierhernehmen sollen. Das alles war ein riesiger Fehler.«

  »Sawyer …« Er machte einen Schritt auf mich zu, aber ich wich zurück und schüttelte den Kopf.

  »Nein. Ich dachte … Für einen Moment dachte ich, wir könnten mehr sein als dieses lächerliche Projekt. Aber du bist noch immer derselbe naive, dumme Junge, den ich damals aus Mitleid geküsst habe.«

  Er zuckte zusammen, als hätte ich ihn geschlagen. Sein Blick wurde kalt, und in seinen Augen erschien eine Härte, die ich dort noch nie gesehen hatte. Mit einem Mal wurde ich mir der Kälte hier draußen bewusst. Ohne ein weiteres Wort drehte Isaac sich um und stapfte über den Rasen davon. Er sah nicht mehr, wie ich mich an dem Balken hinter mir klammern musste, damit ich nicht auf den Boden sank.

  KAPITEL 30

  Noch in derselben Nacht fuhr ich zurück nach Woodshill. Bis auf die kleine Clutch, die ich mit zur Hochzeit genommen hatte, hatte ich nichts bei mir, weil meine restlichen Sachen bei Riley und zum Teil noch in Isaacs Wagen waren. Aber das war mir egal.

  Ich war wie betäubt.

  Es gab jetzt nur noch eine einzige Person, die ich mitten in der Nacht anrufen und fragen konnte, ob sie mich am Bahnhof in Woodshill abholen konnte – Dawn.

  Außer ihr hatte ich niemanden mehr. Ich hatte es geschafft, sowohl Riley als auch Isaac an einem einzigen Abend von mir zu stoßen.

  Dawn ging sofort an ihr Handy. Sie stellte keine Fragen, sondern sagte nur, dass sie so schnell wie möglich da sein würde. Ich hätte vor Dankbarkeit fast angefangen zu weinen. Es war November, und ich trug nichts als ein kurzes, dünnes Kleid und ein Paar hoher Schuhe. Mit meinem verlaufenen Make-up und den Haaren, in denen wild verteilt die ganzen Haarnadeln hingen, musste ich absolut furchterregend aussehen.

  Immerhin sprach mich so im Zug niemand an und ich konnte die gesamte Fahrt über nach draußen ins Dunkle starren, wo ich schemenhaft die Bäume, Berge und Wälder erkennen konnte, die an mir vorbeizogen.

  Ich stolperte mehr aus dem Zug, als dass ich ausstieg, dabei war ich stocknüchtern. Ich erkannte Dawn von Weitem. Sie stand am Ende des Gleises, neben ihr Spencer, der einen Arm um sie gelegt hatte. Als Dawn mich entdeckte, kam sie mit kreidebleichem Gesicht auf mich zu und fasste mich bei den Oberarmen. Spencer war direkt hinter ihr und zog seine Jacke aus, um sie um meine Schulter zu legen.

  Dann nahm Dawn mich in den Arm. Sie fragte nicht, was passiert war. Stattdessen murmelte sie, dass alles wieder gut werden würde. Ich sagte ihr nicht, dass ich daran nicht glaubte.

  Spencer setzte uns am Wohnheim ab. In unserem Zimmer angekommen ging ich sofort an meinen Schrank und holte die Flasche Wodka raus, die ich dort für Notfälle versteckt hatte. Allerdings hatte ich die Rechnung ohne Dawn gemacht, die augenblicklich neben mir stand und sie mir aus der Hand nahm. Dann lief sie aus dem Raum und kam wenige Minuten später mit der leeren Flasche zurück.

  »Ich lasse nicht zu, dass du dir jetzt die Birne wegsäufst«, sagte sie streng.

  Ich ignorierte sie, ließ mich auf mein Bett fallen und schloss die Augen.

  Auch diese Rechnung hatte ich ohne Dawn gemacht. Sie nahm sich ihre Decke und kam zu mir, ein Päckchen mit Abschminktüchern in der Hand.

  »Darf ich?«, fragte sie und setzte sich neben mich.

  Ich nickte. Mir war einfach alles egal.

  Dawn nahm eines der Tücher aus der Packung und wischte damit sanft über mein Gesicht. »Mach die Augen zu«, sagte sie leise.

  Ich schloss die Augen, und sie fing an, die schwarzen Überreste meines Make-ups von meinen Wangen zu wischen. Sie tat das ganz sanft, und nach all den Tränen und dem Schmerz war es eine Wohltat, ihre warmen Finger auf meiner Haut zu spüren. Sie machte weiter, bis alle Spuren verschwunden waren. Dann lehnte sie sich zurück und begann, über mein Haar zu streicheln.

  »Danke, dass du meine Freundin bist«, flüsterte ich nach einer Weile und hoffte inständig, dass es nicht so erbärmlich klang, wie ich mich fühlte.

  Sie hielt nur ganz kurz inne. Dann streichelte sie meinen
Kopf weiter, so lange, bis ich in einen unruhigen Schlaf fiel.

  Als ich am nächsten Morgen aufwachte, starrte ich gegen die Decke. Im ersten Moment fragte ich mich, wieso ich mich so hundsmiserabel fühlte, bis die Erinnerungen an das zurückkamen, was am Vortag geschehen war.

  Ich setzte mich ruckartig auf. Mir wurde schwindelig, und ich musste mich mit einer Hand an der Wand festhalten. Dawn drehte sich an ihrem Schreibtisch um und sah mich besorgt an.

  »Guten Morgen«, sagte sie und stand auf, um zu mir zu kommen.

  »Morgen«, erwiderte ich gehetzt und griff nach meiner Tasche, die vor dem Bett auf dem Boden lag. Ich kramte mein Handy raus.

  Morgan hatte versucht, mich anzurufen. Neunmal.

  »Shit«, fluchte ich und drückte sofort auf Rückruf.

  »Soll ich dich kurz allein lassen?«, fragte Dawn. »Oder lieber bei dir bleiben?«

  »Ich … ich glaube, ich muss allein mit Riley sprechen«, stammelte ich, als das Freizeichen ertönte.

  »Hallo?«, erklang Morgans Stimme am anderen Ende der Leitung.

  »Morgan? Ich bin’s«, sagte ich schnell, während Dawn leise aus dem Zimmer ging und die Tür hinter sich ins Schloss zog.

  »Gott sei Dank.« Ich hörte ihn ausatmen. »Wir haben uns Sorgen gemacht.«

  »Ist sie das?«, hörte ich Rileys Stimme im Hintergrund. »Gib mir sofort den Hörer!« Es raschelte. »Sawyer?«

  »Ja, ich bin’s. Riley …«

  »Geht es dir gut?«, unterbrach sie mich.

  »Ich … nein. Ja. Ich meine, ich …«

  »Bist du heil angekommen? Wohin auch immer du abgehauen bist, meine ich.« Ich kannte Riley gut genug, um ihr anzuhören, wie viel Kraft es sie kostete, mich in diesem Moment nicht anzuschreien.

  Ich seufzte leise. »Ja. Ich bin in Woodshill. Ich wollte nur sagen …«

  »Mir ist egal, was du sagen willst. Ich bin so wütend auf dich. Nicht nur wegen der Sache mit Melissa, sondern weil du einfach verschwunden bist.«

  »Ich dachte, ihr wolltet mich nicht mehr dahaben«, krächzte ich.

  Sie machte ein undefinierbares Geräusch. »Lass einfach gut sein, Sawyer. Ich brauche ein bisschen Ruhe nach dem, was gestern passiert ist.«

  »Es tut mir leid«, platzte ich raus. »Es tut mir so wahnsinnig leid, Riley. Sie hat so schlimme Sachen gesagt, über Mom und … und über mich, und ich … ich habe einfach die Kontrolle verloren.«

  Einen Moment lang sagte sie nichts, und ich hörte, wie sie zittrig einatmete. »Ich glaube dir, dass es dir leidtut. Aber das ändert nichts daran, dass ich enttäuscht von dir bin.«

  Ich schluckte schwer. »Was heißt das?«, fragte ich nach einer Weile, meine Stimme kaum hörbar.

  Ich spürte mein Herz gegen meine Rippen schlagen, als Riley nicht sofort antwortete.

  »Ich akzeptiere deine Entschuldigung«, sagte sie schließlich, leise, aber mit fester Stimme. »Aber … ich brauche jetzt einfach ein bisschen Zeit für mich und meinen Ehemann.«

  Ich hatte das Gefühl, zu fallen. »Okay.«

  »Ich melde mich bei dir. In Ordnung?«

  Ich nickte, und obwohl sie das nicht sehen konnte, legte sie auf.

  Ich biss so fest auf meine Unterlippe, dass ich Metall schmeckte. Mir war schlecht, und ich hatte das Gefühl, immer weiter zu fallen. Da war nichts, was mich auffing, kein Boden, auf dem ich landen konnte. Ich fiel einfach weiter, und irgendwann übertönte das Rauschen in meinen Ohren alles.

  Drei Tage lang bewegte ich mich nicht vom Fleck. Ich stand nur auf, um ins Bad zu gehen, und aß nur, wenn Dawn mich dazu zwang. Wir sprachen nicht viel, dazu war ich auch nicht in der Lage. Es war, als wäre mir die Kraft geraubt worden, mit dem realen Leben fertigzuwerden. Ich funktionierte nur noch in meinem Kokon aus Decken auf dem Bett meines Wohnheimzimmers.

  An Tag vier hatte ich mich selbst satt. Ich hatte mein Selbstmitleid satt, ich hatte es satt, mir den Kopf über Melissa und Riley zu zerbrechen, und am allermeisten hatte ich es satt, dass ich Isaac vermisste. Sobald ich an ihn dachte, zog sich mein Herz so schmerzhaft zusammen, dass ich es kaum aushielt. Am liebsten hätte ich ihn angerufen, nur um seine Stimme zu hören, die mir fehlte. Aber ich traute mich nicht. Stattdessen schrieb ich ihm eine SMS:

  Es tut mir leid, wie ich mich verhalten habe. Und was ich gesagt habe. Ich war nicht ich selbst.

  Er antwortete nicht.

  An Tag fünf wurde ich wütend. Auf Melissa, auf Isaac, auf die ganze Welt – aber am meisten auf mich selbst. Noch vor wenigen Monaten hatte es nichts gegeben, was mich aus dem Konzept bringen konnte. Ich hatte mich von allem abgeschottet und keine Gefühle zugelassen. Damit war es mir gut gegangen.

  Es wurde Zeit, dass ich wieder ich selbst wurde. Aber erst mal brauchte ich einen klaren Kopf. Deshalb raffte ich mich an diesem Tag auf, schrieb Dawn eine kurze Nachricht und ging zum ersten Mal seit einer Ewigkeit ins Fitnessstudio.

  Ich trainierte und trainierte und trainierte, genau wie früher, wenn ich so wütend auf Melissa gewesen war, dass nur eine Stunde auf dem Laufband meinen Kummer einigermaßen dämpfen konnte. Es tat gut, alle Gedanken und Gefühle auszuschalten, aber selbst als ich völlig außer Atem war und meine Muskeln bereits schmerzten, fühlte es sich nicht an, als wäre es genug. Ich musste noch immer an Rileys trauriges Gesicht und Isaacs harten Blick denken, sah die beiden noch immer vor mir, wie sie innerlich mit mir abschlossen. Es hörte nicht auf wehzutun, und das machte mich wahnsinnig wütend.

  Als ich den Boxsack sah, der weiter hinten in der Halle an der Decke angebracht war, überlegt ich nicht lange. Ich lief hin, holte aus – und wurde unvermittelt beim Handgelenk gepackt.

  Ich fuhr herum.

  »Willst du dir die Hand brechen, oder was?«, fragte Kaden mich mit gerunzelter Stirn.

  Das hatte mir jetzt gerade noch gefehlt.

  »Nein. Ich …« Ich zuckte mit den Schultern und versuchte, ihm meine Hand zu entziehen.

  Sofort ließ Kaden mich los. Er beugte sich runter, um in seine Sporttasche zu greifen. Ich beäugte seine bandagierten Hände, als er erst eine Flasche Wasser rausholte und gleich darauf zwei seltsam aussehende rote Rollen.

  »Gib mir deine Hand«, sagte er mit grimmigem Gesichtsausdruck.

  Argwöhnisch sah ich ihn an. »Wieso?«

  »Weil du scheiße aussiehst.«

  »Fick dich doch, Kaden«, fauchte ich und machte kehrt. Ich kam nicht weit, er fasste mich am Ellenbogen und drehte mich zurück zu sich herum. Ich wollte ihn nicht ansehen, also starrte ich auf den Schweißfleck auf seiner Brust.

  »Damit meinte ich, dass du aussiehst, als könntest du ein bisschen Dampf ablassen, Sawyer«, sagte er.

  Ich zuckte bloß mit den Schultern.

  »Ich habe Bandagen und kann dir zeigen, wie man richtig zuschlägt«, fuhr er fort. »Deine Entscheidung.«

  Ich blickte zu ihm auf. Seine Augen waren düster, genau wie seine ganze Aura. Früher hatte mir das mal total an ihm gefallen, aber jetzt hätte es mich nicht kälter lassen können.

  Ich hatte keine Lust, mich zu unterhalten, geschweige denn auf Gesellschaft, aber da Kaden der mürrischste und schweigsamste Typ war, den ich kannte, war seine Gegenwart vielleicht gar nicht so unerträglich. Alles war besser als Dawn, die in jeder freien Minute versuchte, mich zum Reden zu bringen.

  »Einverstanden«, murmelte ich. »Zeig mir, wie das funktioniert, ohne dass ich mir was breche.«

  Er nickte, und ich hielt ihm meine Hände hin. Kaden fing an, die Bandagen um meine Handgelenke zu wickeln. Sein Ausdruck war zwar konzentriert, aber seine Finger wirkten geübt und sicher. Nachdem er fertig war, verschwand er kurz nach vorne zum Empfang und kehrte wenig später mit schwarzen Boxhandschuhen zurück. Anschließend half er mir dabei, sie richtig anzuziehen.

  Er zeigte mir, wie ich meine Beine richtig positionierte und wie ich meine Arme halten musste, damit ich mir nicht wehtat. Er führte mir Schlagkombinationen vor, erst ganz langsam, dann schneller, damit ich sah, wie man es ri
chtig machte. In knappen Worten erklärte er mir, was Punch-Out-Drills, Aufwärtshaken und Crossschläge waren und dass er seine Übungen immer in Intervallen durchführte. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er mich schließlich an den Boxsack ließ.

  Er stellte sich dahinter, hielt ihn fest und nickte mir zu. Endlich. Das Gewicht der Handschuhe an meinen Händen war ungewohnt. Ich stellte mich eine Armlänge vom Sack entfernt hin, hob die rechte Hand vor mein Kinn und die linke versetzt davor, wie Kaden es mir gezeigt hatte. Dann schlug ich zu.

  »Niedlich«, meinte Kaden unbeeindruckt. »Ich hab hier hinten nichts gemerkt.«

  Ich knurrte. Schön, wenn er es so wollte.

  Ich holte aus und boxte noch mal auf den Sack, mehrmals hintereinander, in den Kombinationen, die Kaden mir gezeigt hatte, und großer Gott, war das anstrengend. Ich wusste schon nach einer halben Minute, dass ich garantiert Muskelkater bekommen würde. Trotzdem hörte ich nicht auf. Ich schlug mit aller Kraft auf den Sack ein, während Kaden mir Anweisungen gab wie »Vergiss nicht, in die Deckung zu gehen« und »Achte auf deine Beine«.

  Irgendwann hatte ich den Dreh einigermaßen raus. Und es half. Ich konnte förmlich spüren, wie mit jedem Schlag die Anspannung etwas mehr aus meinem Körper wich, und als ich nach einer halben Stunde schweißüberströmt gierig mein Wasser trank, fühlte ich mich viel besser als in den letzten Tagen.

  Dann bot ich Kaden an, den Boxsack für ihn zu halten. Ich dachte erst, dass er es ausschlagen würde, aber er nickte nur knapp und brachte sich in Position. Wir wechselten kein Wort, während er zuschlug, und ich merkte, wie meine Gedanken wieder abzudriften begannen. Ob es Kaden mit Allie genauso gegangen war wie mir mit Isaac? Wir waren uns damals ziemlich ähnlich gewesen – er hatte wie ich keine Emotionen zugelassen, weder äußerlich noch innerlich. Ob Allie ihm auch Stück für Stück die Kontrolle über sich entzogen hatte? Und falls ja, wie hatte er das zulassen können?

  Allein der Gedanke an Isaac genügte, und schon bekam ich keine Luft mehr vor Schmerz. Das musste dringend aufhören. Ich wollte mich so nicht mehr fühlen. Wenn ich ehrlich war, wollte ich überhaupt nichts mehr fühlen. So wie früher.

 

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