Feel Again

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Feel Again Page 36

by Mona Kasten


  »Ich kann nicht glauben, dass du das wirklich denkst. Wir sind nicht das, was sie über uns sagen. Erinnerst du dich?«

  Ich schlang die Arme um meinen eigenen Körper und krallte die Finger in meine Seite, um den Drang, ihn berühren zu müssen, zu unterdrücken. »Willkommen in der Realität, Isaac. Ich bin genau das, was sie über mich sagen, und ich habe dir zu verdanken, dass ich mir nicht weiter vormache, es könnte irgendwann einmal anders sein.«

  »Willst du uns einfach wegwerfen?«, fragte er aufgebracht. »Wirklich? Wegen eines bescheuerten Streits?«

  »Eines bescheuerten Streits? Isaac, du hast mich weggeworfen!«

  »Ich … was?«, brachte er ungläubig hervor.

  Ich riss meine Arme in die Höhe. »Du hast mir unmissverständlich klargemacht, dass du nichts mehr von mir wissen willst.«

  »Ich war sauer auf dich, Sawyer! Du hast mich verletzt, und ich … was ich im Steakhouse gesagt habe, tut mir leid. Ich wollte …«

  »Komm schon«, unterbrach ich ihn. »Uns war doch beiden von Anfang an klar, dass du nicht an jemandem wie mir interessiert bist.«

  »Du bist diejenige, die das Projekt beendet hat. Nicht umgekehrt.«

  »Weil ich mich nicht länger von dir benutzen lassen wollte!«

  »Glaubst du wirklich, dass ich deshalb mit dir geschlafen habe? Weil ich üben wollte, um eine andere rumzukriegen?«, fragte er fassungslos.

  »Naja, es ist offensichtlich, dass es geklappt hat«, sagte ich trocken.

  Das ließ ihn verstummen. Eine Minute lang starrten wir einander einfach an.

  »Was ist nur verkehrt mit dir?«, fragte er leise.

  Ich ignorierte den Schmerz, den seine Worte in mir auslösten. Ich nickte in Richtung des Clubs. »Du bist derjenige, der jetzt schon eine Neue hat, also sag du es mir.«

  Er sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Traust du mir das wirklich zu? Dass ich nach dem, was zwischen uns passiert ist, nachdem ich dich meiner Familie vorgestellt habe, mit den Schultern zucke und mir einfach jemand anderes suche?«

  Ich antworte nicht.

  »Sie ist neu in der Stadt, und Al hat mich gebeten, sie ein bisschen rumzuführen. Sie wollte gucken, wo man feiern kann. Aber Sawyer, du musst mir glauben, ich …« Er unterbrach sich selbst und rieb seinen Nacken mit einer Hand. Er atmete kurz durch. »Ich habe mich nur deinetwegen auf dieses Projekt eingelassen. Weil ich, seit du mich zum ersten Mal geküsst hast, an nichts anderes denken konnte als an dich.«

  Ich schüttelte den Kopf.

  »Du brauchst den Kopf nicht schütteln. Es ist die Wahrheit.«

  Es änderte nichts. Nichts von dem, was er gerade gesagt hatte, änderte etwas an der Tatsache, dass das mit uns niemals gut gehen würde. Wir würden uns wehtun und uns zerstören, dessen war ich mir hundertprozentig sicher. Wir hatten ja jetzt schon damit begonnen. Wir passten einfach nicht zueinander, und je eher Isaac das einsah, desto besser.

  Plötzlich streckte Isaac seine Hand aus und legte sie ganz vorsichtig auf meinen Unterarm, der vor meinem Bauch verschränkt war. Mit dem Daumen fuhr er über meine nackte Haut, und ich erschauerte. Ich musste mir auf die Zunge beißen, um nicht aufzuschluchzen. Nichts hatte mich jemals so viel Kraft gekostet wie dieser Moment.

  Ich wich einen Schritt zurück, so schnell, dass ich stolperte. Isaac biss fest die Zähne zusammen und ballte die Hand, mit der er mich eben noch berührt hatte, zur Faust.

  Dann drehte ich mich um und lief davon.

  KAPITEL 33

  Ich hatte keine Ahnung, wie ich es nach Hause schaffte, aber als ich endlich in unser Zimmer taumelte, war ich vollkommen am Ende. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich sank noch an der Tür zu Boden und vergrub das Gesicht schluchzend in den Händen. So fand Dawn mich wenig später, als sie bestürzt nach Hause kam. Sie setzte sich noch in ihrer Jacke neben mich auf den Boden und redete auf mich ein, aber ich nahm ihre Worte nicht wahr. Das Rauschen in meinen Ohren und das Wummern meines kaputten Herzens übertönten alles.

  »Mach, dass es aufhört«, schluchzte ich und nahm die Hände vom Gesicht, um Dawn anzusehen.

  Ihr Blick war traurig und mitfühlend. »Ich wünsche mir gerade so sehr, dass ich das könnte.«

  Du fehlst mir.

  Ich hörte seine Stimme in meinem Ohr. Er fehlte mir auch. Aber ich war überzeugt davon, dass ich das Richtige gemacht hatte. Er hatte jemanden verdient, der ihn glücklich machte. Und dass ich das nicht konnte, hatte ich in den letzten Wochen ja mehr als eindrucksvoll bewiesen.

  »Ich halte das nicht aus«, flüsterte ich erstickt, und heiße Tränen strömten über mein Gesicht, als Dawn ihre Arme um mich legte und mich an sich zog.

  »Es tut mir so leid, Sawyer«, antwortete sie und strich über meinen Rücken.

  Ich ließ meine Stirn auf ihre Schulter sinken, und Dawn hielt mich, während sie beruhigende Worte murmelte, die ich nur zum Teil verstand.

  Eine lange Weile später half sie mir vom Boden auf und schob mich zu meinem Bett. Sie kramte ein langes T-Shirt aus meiner Kommode und reichte es mir.

  »Versprich mir etwas, Sawyer«, sagte sie, als ich gerade dabei war, es mir überzuziehen. Ich erstarrte für einen Moment mit beiden Händen in den Ärmeln, zog es mir dann aber das restliche Stück über den Kopf und sah sie an.

  »Was?« Mein Hals war so trocken, dass ich nur ein Krächzen zustande brachte.

  Dawn deutete auf mich. »Das muss aufhören. Dieses Zu-Tode-Arbeiten, Mit-niemandem-Reden, Selbst-Hassen. Der ganze Alkohol. Ich ertrag es nicht, das noch länger mit anzusehen.«

  Ich verharrte regungslos auf meinem Bett.

  »Du bist meine Freundin, und es ist meine Pflicht, auf dich aufzupassen. Aber du musst mich auch lassen. Das mit Isaac ist scheiße gelaufen, und es tut weh. Das verstehe ich. Aber du kommst darüber hinweg, und danach bist du stärker als vorher. Das verspreche ich dir.«

  Sie kam zu mir und setzte sich neben mir aufs Bett. Mit ihrem Daumen wischte sie die Tränen weg, die mir bei ihren letzten Worten über die Wangen gelaufen waren. »Versprichst du mir, dass du mich deine Freundin sein lässt?«

  Der Kloß in meinem Hals war so groß, dass ich kein einziges Wort herausbrachte. Aber mein Nicken war ihr Antwort genug.

  Dawn war fair genug, mir die ersten paar Tage etwas Freiraum zu lassen, und schleppte mich erst am darauffolgenden Dienstag in die Mensa, wo wir uns wieder mit Allie und Sott trafen.

  Scott sah schon ein bisschen besser aus, wobei er immer noch in einem sackförmigen Sweatshirt rumlief, das so gar nicht zu seinem fein säuberlich gegelten Haar passen wollte. Auch die Augenringe waren noch da, aber als ich mich auf den Sitz ihm gegenüber fallen ließ, schenkte er mir ein Lächeln, das ich mit Mühe erwiderte.

  Danach wurde es jedes Mal ein bisschen leichter. Ab da verbrachten wir nahezu jede Mittagspause miteinander. Ich sprach nicht viel, aber das tat Scott glücklicherweise auch nicht. Wir bildeten eine schweigende Front, während Dawn und Allie sich über alles und nichts unterhielten. Am Freitag stieß Spencer zu uns, der es mit seinen dämlichen Sprüchen sogar schaffte, dass meine Mundwinkel ein bisschen zuckten. Wenn auch nur minimal.

  Dawn hatte recht. Ich konnte so nicht weitermachen. Die Partys, die Männer, der Alkohol. Das wollte ich nicht mehr sein. Denn auch wenn es wehtut, an die Zeit mit Isaac zurückzudenken, so hatte ich bei ihm das erste Mal erlebt, was es bedeutete, nicht vor der Wirklichkeit davonzulaufen, sondern mich ihr zu stellen.

  In der kommenden Woche traute ich mich, wieder ins Fitnesscenter zu gehen. Kaden war zwar nicht da, aber ich hatte noch immer seine Bandagen und lieh mir Boxhandschuhe am Empfang. Ich machte ein paar Aufwärmübungen und begann dann, so zu trainieren, wie Kaden es mir beigebracht hatte, wobei ich feststellte, dass er recht gehabt hatte: Es war nervig, wenn niemand den Boxsack hielt und er die ganze Zeit hin- und herschwang. Trotzdem wollte ich es alleine probieren. Und obwohl meine Muskeln zitterten und meine Arme sich wie Blei anfühlten, ging es mir nach dem Training um einiges besser. Als
Kaden am darauffolgenden Montag mit Allie in die Mensa kam und sich zu uns an den Tisch setzte, traute ich mich sogar, ihn vor allen zu fragen, ob er wieder mit mir trainieren würde. Für seinen besserwisserischen Blick hätte ich ihn zwar treten können, aber als er »Klar« sagte, verschwand der Drang schnell.

  An diesem Nachmittag suchte ich zusammen mit Robyn und Pat die Bilder aus, die sie für die Website verwenden wollten. Insgesamt hatte ich über fünfzig in die Endauswahl gepackt, und ihnen gefielen die meisten so gut, dass sie über eine Stunde brauchten, um sich zu einigen. Als ich mich verabschiedete, sagte Pat mir, dass sie begeistert von meiner Leistung waren und sie sich freuen würden, wenn ich in Zukunft öfter Projekte für sie realisieren würde.

  Als ich abends die Tür zum Wohnheim aufschloss, konnte ich es kaum erwarten, Dawn davon zu erzählen. Sie saß an ihrem Schreibtisch, und ich fing an, zu erzählen, ehe ich ganz im Zimmer war. »Sie waren total zufrieden mit den Bildern! Und sie haben mich sogar gefragt, ob ich an der nächsten Ausstellung beteiligt sein möchte. Endlich mal was, das gut läuft.«

  Dawn lächelte vorsichtig. »Super, ähm …«

  »Hi«, erklang eine zweite Stimme aus meiner Zimmerhälfte.

  Ich zuckte zusammen, weil ich mich so erschreckte. Dann drehte ich mich zu meinem Tisch in der anderen Ecke des Zimmers.

  Meine Schwester erhob sich langsam und sah mich unsicher an.

  »Riley?«, krächzte ich. »Was machst du hier?«

  Sie zu sehen, riss Wunden auf, die bloß halb verheilt waren, aber gleichzeitig überkam mich eine Woge der Erleichterung. Ich hatte sie vermisst und befürchtet, sie könnte sich vielleicht gar nicht mehr bei mir melden.

  Am liebsten wäre ich ihr um den Hals gefallen, wusste aber nicht, ob ich das durfte. Schließlich hatte sie mir bei unserem letzten Gespräch deutlich gesagt, dass sie eine Pause von mir brauchte.

  »Ich wollte mit dir sprechen«, sagte sie, nachdem wir uns eine Weile stumm gegenübergestanden hatten. »Über die Hochzeit. Und … alles andere.«

  »Ich würde dann zu Spencer fahren«, beeilte sich Dawn zu sagen, hob ihren Schlüssel hoch und ließ ihn klimpern. »Es sei denn, du willst, dass ich bleibe.« Den letzten Satz hatte sie geflüstert, sodass nur ich ihn hören konnte. Dankbar lächelte ich sie an, schüttelte aber den Kopf. Diese Sache musste ich unter vier Augen mit Riley besprechen. Das war ich meiner Schwester schuldig.

  »Wenn irgendetwas ist, melde dich«, sagte Dawn und schulterte ihre riesige Laptoptasche mit einem leisen Ächzen. Sie kam zu mir und drückte mir einen Kuss auf die Wange. »Ich meine es ernst. Melde dich«, sagte sie noch mal nachdrücklich.

  »Okay.« Ich wischte mir naserümpfend über die Wange, was sie zum Grinsen brachte. Dann drehte sie sich um und lief nach draußen. Ich sah, wie sie die Tür hinter sich ins Schloss zog, und starrte ihr noch eine Weile hinterher, bevor ich es wagte, mich zu meiner Schwester umzudrehen.

  Sie sah gut aus. Erholt und glücklich, auch wenn sie gerade besorgt auf ihrer Unterlippe herumkaute.

  »Ich wollte …«

  »Es tut mir …«

  Wir verstummten gleichzeitig, um der jeweils anderen den Vortritt zu lassen.

  »Mann, sind wir Memmen«, meinte Riley und nahm nun doch wieder an meinem Tisch Platz.

  Ich zuckte mit den Schultern und setzte mich ihr gegenüber. »Hast recht. Schrecklich.«

  Wieder schwiegen wir.

  Dann holte Riley tief Luft, als würde sie etwas sagen wollen, aber einen Moment brauchen, um die richtigen Worte zu finden.

  »Es tut mir so leid, wie ich mich auf der Hochzeit benommen habe, Riley«, platzte es aus mir heraus. »Ich war nicht ich selbst. Und ich wollte …«

  Sie hob die Hand, um mich vom Reden abzuhalten, und sofort presste ich die Lippen aufeinander.

  »Ich muss mich bei dir entschuldigen. Nicht umgekehrt.« Sie schluckte schwer. »Es tut mir leid, dass ich dir nicht von Melissa erzählt habe. Ich dachte … du kommst nicht, wenn ich das tue.«

  »Natürlich wäre ich gekommen. Ich hätte besser reagiert, wenn ich vorbereitet gewesen wäre, glaube ich.«

  »Ich wollte es dir noch kurz vorher sagen, aber dann … konnte ich nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß eh nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Ich wollte einfach irgendwie versuchen, die Überreste unserer Familie beisammenzuhalten. Aber das funktionierte nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte«, sagte Riley zerknirscht.

  Ich schluckte schwer und gab mir Mühe, meine Gedanken zu sortieren.

  »Ich will auf keinen Fall, dass du mich falsch verstehst – ich liebe Morgan wie einen Bruder. Als du mir von eurer Verlobung erzählt hast, wollte ich mich unbedingt für euch freuen. Aber es hat sich auch abgeführt, als würdest du mir entgleiten.« Ich musste mich räuspern, und als Riley den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, sprach ich schnell weiter. »Als du mir dann von deinen Brautjungfern erzählt hast, habe ich mich ausgeschlossen gefühlt. Als würdest du mich an nichts teilhaben lassen wollen, als würde ich in deinem neuen Leben überhaupt keine Rolle spielen.«

  »Ich habe dich nicht gefragt, weil ich Angst hatte, dass du Nein sagen würdest. Und noch mehr Angst hatte ich, dass du aus der Verpflichtung heraus Ja sagen und jede Sekunde hassen würdest.« Sie griff nach meiner Hand und drückte sie. »Natürlich hätte ich dich gerne da vorne bei mir gehabt, Sawyer. Es gibt niemanden, mit dem ich lieber dort gestanden hätte. Außer Morgan vielleicht.«

  Ich lächelte schwach.

  »Ich meine es ernst. Es war nie meine Absicht, dich auszuschließen. Ich wollte die ganze Sache nur möglichst sanft für dich über die Bühne bringen, weil ich genau weiß, wie schwer Veränderungen für dich sind.«

  Ich nickte und erwiderte den leichten Druck ihrer Hand. »Ich war so vor den Kopf gestoßen, als ich Melissa gesehen habe. Ich konnte einfach nicht glauben, dass du sie wirklich zu deiner Hochzeit eingeladen hast. Sie hat uns so sehr gequält. Ich habe ihre Worte heute noch im Kopf. Es war für mich unvorstellbar, dass du sie freiwillig auf diese Weise an deinem Leben teilhaben lässt.«

  Riley nickte langsam. »Natürlich werde ich niemals vergessen, wie beschissen unsere Kindheit bei ihr war. Aber ich kann diese Wut nicht für immer in mir tragen. Und …« Sie zögerte einen Moment. »Es gibt eine Sache, die du nicht über sie weißt, Sawyer.«

  Eine unangenehme Gänsehaut überlief meine Arme. »Was?«

  »Melissa war früher mit Dad zusammen«, sagte sie, und der Blick in ihren Augen wurde mitfühlend.

  Ich verstand, was sie sagte, aber es ergab keinen Sinn.

  Mein Mund klappte auf und wieder zu. Ich wollte fragen, was sie damit meinte, aber ich brachte kein einziges Wort hervor.

  »Damals auf der Highschool war Dad mit Melissa zusammen. Aber dann hat er Mom kennengelernt und sich Hals über Kopf in sie verliebt. Er hat das nicht geplant, es ist … einfach passiert. Melissa hat es das Herz gebrochen. Sie war so verletzt und gedemütigt. Vor allem als Mom und Dad nach dem Abschluss durchgebrannt sind. Dann … kam ich. Und du. Wir waren eine glückliche Familie, während Melissa komplett allein war. Das hat sie so bitter werden lassen.«

  Ich konnte nichts sagen. In meiner Brust zog sich alles fest zusammen, bis ich kaum noch atmen konnte und das Bedürfnis verspürte, mich zu einem Ball zusammenzurollen.

  »Das glaube ich dir nicht«, krächzte ich.

  Riley drückte meine Hand erneut.

  »Deswegen hatte Melissa so einen Hass auf Mom. Und auf uns. Weil sie nie über die Sache hinweggekommen ist. Ich glaube, es war nicht sehr hilfreich, dass du ganz genauso aussiehst wie Mom damals.«

  Meine Augen brannten, und ich musste wie verrückt blinzeln. Alles, was ich geglaubt hatte, über meine Familie zu wissen, war durch Rileys Worte zerstört worden. Meine Mom war plötzlich ein völlig anderer Mensch. Ich konnte einfach nicht glauben, dass diese Geschichte wahr war.

  Auch wenn sie viel erklären würde.

  »Als Dad krank wurde … da war Melissa am Boden zerstört
. Sie hatte nie aufgehört, ihn zu lieben. Und trotzdem stand sie Mom während der ganzen Zeit zur Seite. Aber dann …« Rileys Stimme versagte. »Melissa hat nicht nur ihre große Liebe verloren, sondern auch ihre Schwester. Und plötzlich stand sie mit uns da. Sie war so wütend auf Mom und auf Dad und hat das an uns ausgelassen.«

  All die fiesen, schlimmen Worte. All die Wut und der Hass in Melissas Augen, sobald sie mich angesehen hatte. Ich hatte sie an Mom erinnert. Sie musste furchtbar gelitten haben.

  »Wieso erzählst du mir das jetzt erst?«, fragte ich heiser.

  Rileys Blick war schmerzerfüllt – und genauso traurig, wie ich mich fühlte.

  »Weil ich weiß, dass Mom immer deine Heldin war und das auch heute noch ist. Als ich davon erfahren habe, hat sich mein Bild von ihr verändert – und das wollte ich auf keinen Fall für dich. Du solltest sie so in Erinnerungen behalten, wie du sie kennengelernt hast. Und dich davon nicht beeinflussen lassen.« Ihre Augen begannen, verdächtig zu glänzen, und auch meine Sicht verschwamm. Riley drückte meine Hand fest, ein bisschen zu fest sogar, aber das war okay.

  Es hatte nicht an mir gelegen. Melissa hatte nicht mich gehasst, sondern lediglich ihre Trauer und die Wut, die sie auf meine Eltern hatte, auf mich projiziert. Das rechtfertigte nichts von dem, was sie mir angetan hatte, aber ich wusste jetzt, dass sie nicht einfach nur eine böse, verbitterte Frau war, der es Freude bereitete, anderen Leid zuzufügen. Denn sie litt. Sie litt genauso sehr wie jeder andere.

  »Mom war Dads große Liebe. Daran wird sich nichts ändern, und daran ist auch nichts falsch«, sagte Riley unvermittelt.

  Ich nickte gedankenverloren. Ich erinnerte mich noch genau daran, wie verliebt und glücklich unsere Eltern gewesen waren.

  Mom hatte Dad so sehr geliebt, dass sie ihm in den Tod gefolgt war.

  »Das ändert nichts«, murmelte ich nach einer Weile. Auf Rileys fragenden Blick hin räusperte ich mich und fuhr fort. »Mom und Dad sind immer noch meine Helden. Ganz gleich, was damals mit Melissa geschehen ist.«

  »Gut. So soll es auch sein, Sawyer.«

  »Auch wenn ich ihr nie verzeihen kann … Ich verstehe jetzt ein bisschen besser, warum sie so zu uns war. Es muss schrecklich für sie gewesen sein.«

 

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