by Stella Tack
»Oh … ähm, wir sind ni… also …«, druckste ich herum, als sich plötzlich ein Arm um meine Schultern legte.
»Hier bist du also. Willst du mich verhungern lassen? Ich warte schon die ganze Zeit auf dich.«
Mein Herz machte einen Satz, als Ryan sich an mich schmiegte. Da war plötzlich so viel Ryan auf einmal … Sein Arm, der sich sanft um meine Taille schlang und mich an sich drückte. Mich umarmte. Seine Schultern, die mich beschützend einrahmten. Seine dunklen Haarspitzen, die meinen Nacken kitzelten.
Die Mädchen sogen scharf die Luft ein. Ungläubig starrten sie uns an. Vor allem Courtney sah aus, als hätte sie gerade etwas Ekliges gesehen. Soyas Augen wurden sogar noch größer, als Ryan sich betont langsam herabbeugte und meine Halsbeuge küsste. Mir blieb die Luft weg, während sich meine Finger in den Stoff des Sitzes krallten.
»Was machst du da?«, flüsterte ich.
»Psst«, gab er zurück, bevor er sich lächelnd aufrichtete. »Hey, Courtney! Wie ich sehe, hast du meine Freundin bereits kennengelernt. Wie schön.«
»Ja.« Courtneys Blick zuckte zwischen uns hin und her. Ein nicht zu deutender Ausdruck schlich sich in ihre Augen, doch ihr Lächeln war so süß, dass ich Zahnschmerzen davon bekam.
Eines der anderen Mädchen – Brook, wenn ich mich nicht irrte – musterte uns nachdenklich. »Das ist ja eine Überraschung«, sagte sie übertrieben freundlich. »Ich wusste gar nicht, dass ihr zusammen seid, Ray. Schade, dann muss ich meinem Zimmernachbarn wohl sagen, dass Ivy bereits vergeben ist … Der hat mich nämlich heute schon nach ihr gefragt. Die Jungs scheinen auf mysteriöse Mädchen zu stehen.«
Ryan grinste schief. »Sicher. Wie auch immer, wir sehen uns bestimmt noch in Literatur.« Er zwinkerte ihnen zu und zog mich sanft vom Sofa.
Ich war immer noch vollkommen verwirrt, sodass ich Ryan wortlos folgte. »Bis später«, murmelte ich und winkte Soya kurz zu. Sie war die Einzige, die nicht aussah, als wollte sie mir den Hals umdrehen.
Ryan beförderte die fertigen und hoffentlich nicht schon wieder kalten Pizzen in die Kartons zurück und dirigierte mich die Stufen hoch in mein Zimmer.
Völlig fertig ließ ich mich auf mein Bett fallen. Ryan setzte sich neben mich und reichte mir dann – als wäre gar nichts gewesen – eine Pizza. Ohne zu zögern, griff er nach meinem Laptop und fragte mich nach dem Passwort.
»1, 2, 3, 4, 5, 6«, murmelte ich.
»Ernsthaft?« Ryan verdrehte die Augen, tippte die Zahlen ein und ging auf Netflix. Ohne zu fragen klickte er auf die letzte Serie, die ich geschaut hatte.
Während im Hintergrund eine Folge Supernatural lief, aßen wir schweigend unsere Pizzen. Obwohl sie inzwischen schon wieder fast kalt geworden waren, schmeckten sie ziemlich gut.
»Was sollte das eigentlich gerade?«, brachte ich schließlich hervor, nachdem ich meinen Pizzakarton auf den Boden gestellt hatte. Ich versuchte, jegliche Gedanken an das, was vorhin im Gemeinschaftsraum passiert war, zu verdrängen. Was verdammt schwer bis unmöglich war, da ich immer noch die Stelle fühlen konnte, an der er mich geküsst hatte.
»Mhm?« Mit vollem Mund guckte er mich an und zuckte mit den Schultern. »Ich habe nur dafür gesorgt, dass uns Courtney keinen Ärger mehr macht. Sie hätte uns sonst nie in Ruhe gelassen.«
»Tja, aber jetzt glaubt bestimmt bald das ganze Wohnheim, dass wir ein Paar sind.« Ich funkelte ihn an. Wenn er so weitermachte, würde ich es nie schaffen, mich von ihm fernzuhalten. Vor allem nicht, wenn er mich so berührte wie gerade eben. Wenn er jegliche platonischen Gefühle einfach fortküsste. Ich ertrug das nicht länger. Entweder wir wahrten die Distanz zwischen uns oder … Dieses ständige Hin und Her machte mich völlig fertig. Am liebsten hätte ich ihm ein Kissen an den Kopf geworfen.
»Und was ist so schlimm daran?«, fragte er und stellte seinen leeren Karton auf den Boden.
Er verstand es wirklich nicht. »Was daran so schlimm ist?« Ich stach ihm meinen Zeigefinger in die Brust. »Schlimm daran ist, dass Courtney überall herumerzählt, was für ein tougher, wilder Typ du bist. Wie soll sich da jemals ein anderer Junge an mich rantrauen?«
»Hm, lass mich mal überlegen … gar nicht?«, schlug Ryan vor, wofür er nun tatsächlich ein Kissen ins Gesicht kassierte.
»Das ist nicht lustig, Ryan. Du ruinierst mein Privatleben.«
Das Lachen verschwand aus Ryans Gesicht. »Erstens …«, sagte er, während er mich genauso düster anstarrte wie ich ihn. »… werde ich keinen Typen aufhalten, falls er sich für dich interessiert. Und zweitens: Wen interessiert es, was Courtney erzählt?«
»Mich interessiert es.«
»Warum?«
»Weil … keine Ahnung.« Ich seufzte. »Wahrscheinlich sind sie nur dumme Gänse, die ohnehin über alles und jeden lästern. Aber was, wenn es doch an mir liegt? Was, wenn ich die dumme Tussi bin?« Ich schüttelte den Kopf und ließ mich wieder zurückfallen. Müde starrte ich an die Decke.
Ryan lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Sei nicht so streng zu dir selbst, Ivy. Und auch nicht zu den Mädels im Gemeinschaftsraum. Sie mögen oberflächlich und zickig sein, aber sie versuchen nur, sich selbst zu schützen. Sieh es einfach als Kompliment, wenn sie dich angiften. Denn das bedeutet nur, dass sie dich als Konkurrenz sehen.«
»Mhm … das hilft mir nicht gerade weiter.«
Ryan seufzte und sah zu mir herab. »Was willst du denn von mir hören? Ich kenne dich noch nicht lange, Ivy, aber was ich sicher weiß, ist, dass du ein Mensch bist, der sich nicht für sich selbst schämen muss. Niemand ist perfekt. Du nicht, ich nicht, und die Mädels unten auch nicht. Dich mit ihnen zu vergleichen, bringt also nichts. Sei einfach du selbst und glücklich damit – das wird ihnen irgendwann die Luft aus den Segeln nehmen.«
»Mhm … ich werde darüber nachdenken, Sensei«, witzelte ich schwach.
Ryan lächelte kurz, doch dann wurde er ganz ernst. »Ivy?«, sagte er leise.
»Ja?«
»Tut mir leid wegen heute.«
»Was tut dir leid?«, fragte ich verwirrt und beobachtete eine Haarsträhne, die ihm in die Stirn fiel.
»Dass du wegen mir geweint hast«, flüsterte er.
»Habe ich nicht.«
»Okay, dann sorry, dass du wegen mir fast geweint hast.«
Ich schluckte. »Nicht so schlimm.«
»Und dass das nicht mein bester Tag war.«
Plötzlich berührte etwas ganz sanft meine Fingerspitzen. Ich traute mich nicht hinzusehen, doch ich fühlte Ryans Daumen, der zart meinen Handrücken auf und ab streichelte. Irgendwann verhakten sich unsere Zeigefinger ineinander. Zentimeter für Zentimeter folgten auch die anderen Finger. Schweigend hielten wir Händchen. Und Ryan ließ mich nicht mehr los, bis ich eingeschlafen war.
Ivy
Mrs Garcia stand vor dem Pult und sah mit ihren dunklen Augen über den Rand ihrer Brille hinweg. »Das Geheimnis des Alchemisten Storitz wurde von 1898 bis 1901 …«
»Hey!« Ein warmer Atemzug traf meinen Nacken und ich schielte zu Ryan hinüber.
»Was denn?«, flüsterte ich und kritzelte weiter hektisch auf meinem Block herum. Wo waren wir noch mal?
»Storitz griff zu einem ungewöhnlichen Mittel: Er hatte eine Mixtur entwickelt, die …«
Ein Stift pikte mich und ich schlug ihn genervt weg. Wer war noch mal Storitz? Verdammt! Verzweifelt versuchte ich, meine eigene Handschrift zu entziffern und scheiterte kläglich. Die Buchstaben verschwammen vor meinen Augen und alles, was Mrs Garcia sagte, machte heute irgendwie keinen Sinn. Wieder pikte mich Ryan.
»Ich glaube nicht, dass es dein Job ist, mich vom Lernen abzuhalten«, flüsterte ich gereizt und warf Ryan einen finsteren Blick zu.
Ryan zog eine Augenbraue hoch und verzog schmollend den Mund. »Ich langweile mich hier zu Tode«, sagte er leidend und fuhr sich durch das dunkle Haar. »Wollen wir nicht lieber rausgehen und was anderes machen?«
»Nein! Ich muss diese Vorlesung besuchen.«
»Ach
, komm schon.«
»Wenn dir so langweilig ist, geh dir einen Kaffee holen und warte draußen auf mich.« Ich versuchte, mich wieder auf Mrs Garcias Vortrag zu konzentrieren, die gerade … Shit! Ich hatte den Faden verloren. Stöhnend ließ ich den Stift fallen und vergrub das Gesicht in den Händen.
»Ivy!«
»Was ist denn?«
»Ich kann mir keinen Kaffee holen. Jemand könnte dich in meiner Abwesenheit töten.«
Schnaubend nahm ich die Hände vom Gesicht und starrte ihn ungläubig an. »Und wer, bitte schön?«
Ryan verengte die Augen zu Schlitzen und deutete auf einen Studenten mit schwarzen Haaren und Nietenhalsband, der eine Reihe vor uns saß. Er sah genauso überfordert aus, wie ich mich fühlte, und spielte nervös mit seinem Stift herum. »Er könnte dich mit seinem Go to fucking hell-Kugelschreiber erstechen.«
Ich verdrehte die Augen und sah wieder aufmerksam zu Mrs Garcia, als ich etwas an meinem Knie fühlte. Zuerst war es nur eine hauchzarte Berührung, danach eine warme Hand, die sanft über meinen Oberschenkel strich. Und ich trug nur einen Rock! Ich riss die Augen auf und sah zu Ryan hinüber.
»Wa…was machst du da?«, flüsterte ich in Ryans Richtung, der mir nur ein freches Grinsen schenkte.
»Den Unterricht interessanter gestalten«, raunte er mir zu.
»Ryan!« Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg. Insbesondere, als Ryans Daumen weiter über meine Haut streichelte. Die Berührung war kaum wahrnehmbar – und trotzdem hatte ich innerhalb von Sekunden eine Gänsehaut. Schnell biss ich mir auf die Unterlippe, um kein verräterisches Geräusch zu machen.
Ryans grüne Augen blitzten, seine Lider senkten sich ein wenig und er schenkte mir seinen besten Schlafzimmerblick. Mein Herz schlug so kräftig in meiner Brust, dass es mich wunderte, dass Mrs Garcia es nicht hören konnte. Mein ganzer Körper kribbelte, während er seine Finger leicht über meine Haut wandern ließ. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken, als er sich geschmeidig zu mir herüberlehnte und mich sanft auf den Hals küsste. Ich schloss die Augen und seufzte leise.
»Du hast eine Gänsehaut, Ivy«, raunte Ryan mir ins Ohr und ließ meine Gedanken Achterbahn fahren. Ich spürte seine Zähne, die sanft an meinem Ohrläppchen knabberten, und sog scharf die Luft ein. »Nicht aufhören zu atmen«, sagte Ryan mit rauer Stimme.
»Vorsicht, die … die anderen … können uns sehen.«
Ryan lachte. »Welche anderen? Es gibt nur dich und mich.«
Verdutzt öffnete ich die Augen und tatsächlich: Der Vorlesungssaal war leer. Mrs Garcia war verschwunden, genau wie alle anderen Studenten. Selbst die Tafel war leer gewischt. Wann war das denn passiert? War die Stunde schon zu Ende und ich hatte es nicht mitbekommen?
Nur Ryan war noch da. Und er war mir viel, viel zu nahe. Sein Stuhl knackte, als er mein Gesicht mit der freien Hand umfasste und mich küsste. Seine Lippen waren weich und schmeckten ein wenig nach Zahnpasta und etwas, das Ryan sein musste. Absolut köstlich.
»Du treibst mich in den Wahnsinn, Ivy«, murmelte er an meinen Lippen. »Wenn du in der Nähe bist, kann ich an nichts anderes mehr denken.«
»Was?«, fragte ich und schauderte, als er meinen Hals küsste. Meine Hände wanderten wie von selbst nach oben und fuhren durch sein Haar. Ich konnte seine Piercings fühlen, die bei jedem Kuss kühl über meine Haut tanzten.
»Du hast mir den Kopf verdreht, Ivy Redmond!«
Ich lehnte meine Stirn an seine und schluckte schwer. »Ich … ich …« Die Worte blieben mir im Hals stecken. Stattdessen küsste ich ihn und versuchte, all das, was ich im Augenblick fühlte und doch nicht aussprechen konnte, in diesen Kuss zu legen.
Ryan stöhnte. Seine Zunge drang in meinen Mund ein und ließ mich mit jeder Bewegung atemloser zurück. Ich hörte mich selbst seinen Namen flüstern und …
Der verdammte Wecker klingelte. Keuchend riss ich die Augen auf und setzte mich abrupt auf. Mein ganzer Körper war heiß, kribbelte und mein T-Shirt klebte verschwitzt an meinem Rücken. Ich knallte die Faust auf den Wecker und ließ mich schwer atmend ins Kissen zurückfallen.
Das konnte einfach nicht wahr sein! Wie konnte sich Ryan MacCain nur in meine Träume stehlen? Noch dazu so! Das war einfach nur peinlich!
Ich war nun schon seit über einer Woche an der UCF. Die Freshman Week war an mir vorbeigezogen, ohne dass viel mehr passiert war, als dass ich mich zum Schauspielkurs angemeldet und mich mit Alex und Jeff getroffen hatte. Ryan hielt sich seit unserem Ausflug an den See zurück. Für seine Verhältnisse war er schon fast nett, sodass wir uns nur noch höchstens dreimal am Tag anbrüllten. Obwohl seit diesem Abend, an dem wir Händchen haltend eingeschlafen waren, nichts weiter zwischen uns passiert war, musste ich immer wieder an Ryan denken. Wann immer er in meine Richtung blickte, wurde ich nervös und hatte Schwierigkeiten, mich im Unterricht zu konzentrieren. Und jetzt auch noch dieser Traum … Ich schauderte.
Schnell packte ich Mr Snuffels, meinen Stoffhasen, den ich vorsorglich vor Ryan unter meinem Kopfkissen versteckt hielt, und presste mein Gesicht stöhnend in sein weiches Kunstfell. Immer noch kribbelte mein ganzer Körper, und meine Gefühlslage schwankte zwischen schwindelerregend heißer Aufregung und abgrundtiefer Scham.
Ryan hatte deutlich gemacht, dass er keine Beziehung mit mir anfangen wollte … oder konnte. Was auch immer. Er wollte seinen Job nicht riskieren. Und ich verstand das. Der Kuss zu Beginn des Semesters war ein Versehen gewesen und der Kuss an meinem Nacken nach dem Ausflug eine Demonstration von … Tja, so ganz wusste ich selbst nicht, was das gewesen sein sollte, aber ich musste dringend anfangen, darüber hinwegzukommen. Ryan war toll und witzig und …
Abrupt setzte ich mich wieder auf und schwang die Beine aus dem Bett. Ich tastete blind nach dem Lichtschalter und knipste die Lampe an. Die Glühbirne blinzelte dabei genauso müde, wie ich mich fühlte, und ich rieb mir über die brennenden Lider. Eigentlich wollte ich mich nur wieder hinlegen und weiterschlafen – am besten ohne Ryan als Hauptact. Doch ich brauchte jetzt frische Luft!
Gequält wie eine alte Oma stand ich auf und kippte das Fenster. Sofort drang mir das laute Geschrei der Zikaden entgegen und die ersten Sonnenstrahlen krochen über das dunkle Holzimitat meines Schreibtisches.
Oh Gott, ich hasste es, so früh aufstehen zu müssen. Heute war Mittwoch und in zwei Stunden begann mein Kurs bei … ich checkte schnell meinen Stundenplan und vergrub erneut stöhnend das Gesicht in den Händen. Mrs Garcia. Danke, liebes Unterbewusstsein, für diesen Traum!
Ich wischte vier SMS und zehn WhatsApps von meinem Vater zur Seite und überlegte kurz, mich einfach krank zu stellen. Dann könnte ich Ryan wenigstens einen Tag lang ausweichen. Doch so, wie ich ihn inzwischen kannte, würde er darauf bestehen, mich gesund zu pflegen. Und so viel platonische Nähe würde ich niemals unbeschadet überstehen. Am Ende fiel ich noch über den armen Kerl her und …
Seufzend legte ich das Handy weg, schnappte mir mein Handtuch von der Schreibtischstuhllehne und holte das Shampoo aus dem Schrank. Entschlossen machte ich mich auf den Weg ins Bad. Vor Ryans Tür blieb ich kurz stehen und lauschte. Ob er schon wach war? Doch aus seinem Zimmer drang nur ein lautes, schiefes Schnarchen und ich spürte, wie sich ein leises Lachen auf meine Lippen stahl. Bevor ich noch länger grinsend hier herumstehen konnte, gab ich mir innerlich einen Tritt und zwang mich weiterzugehen.
Oh Gott. Wenn das so weiterging, würde ich noch zum Stalker werden. Dabei wusste ich doch ganz genau, was Sache war. Und außerdem war Ryan ein sarkastischer Idiot, der … Ich seufzte. Wem wollte ich denn etwas vormachen? Ich war so sehr in Ryan MacCain verknallt, dass ich sogar von ihm träumte. Sich jetzt noch etwas vorzulügen, wäre völlig absurd.
Ich knallte das Shampoo mit mehr Wucht als beabsichtigt auf die Ablage des Duschraums. Zum Glück war außer mir noch niemand da. Schnell zog ich mich aus und stellte mich unter die Dusche. Während das warme Wasser auf meine Haut prasselte, fragte ich mich zum wiederholten Mal, wie meine Pläne in so kurzer Zeit schon so katastrophal schiefgehen konn
ten. Alles war perfekt gewesen: College, Freunde, erste Liebe, endlich leben. Aber nein, ich musste mich ja gleich am ersten Tag in meinen Bodyguard verknallen. Toll, einfach toll! Diese Schwärmerei musste dringend aufhören. Als ich endlich das Wasser wieder abdrehte, war meine Haut schon ganz schrumpelig und die ersten anderen Studentinnen kamen müde ins Bad geschlurft. Schnell wickelte ich mich in das flauschige Handtuch und eilte wieder in mein Zimmer zurück – bevor Ryan mich am Ende noch halb nackt im Flur erwischte … und mir mit seinem ätzenden Ausgeschlafener-Morgenmensch-Lächeln und seinen rein platonischen Umarmungen das Leben schwer machte.
Völlig erledigt von diesem ganzen Gefühlschaos ließ ich mich platt auf das zerwühlte Bett fallen und schielte zum Wecker hinüber. Es war zehn vor sieben. Das hieß, Ryan war wahrscheinlich gerade beim Joggen. Also blieb mir noch genug Zeit, um mich wieder in den Griff zu bekommen. Und meinem Dad zu antworten.
Ryan
Ich war seit fünf Uhr wach und starrte missmutig an die hässliche graue Decke. Mein Vorgänger musste entweder ein Messerwerfer gewesen sein oder gerne Poster an die Decke genagelt haben, denn überall waren Löcher, die jemand mit Kaugummi verputzt hatte. Inzwischen wusste ich auch, dass es exakt zwanzig Vertiefungen waren. Ich hatte sie in der letzten Stunde mehrmals gezählt, in der Hoffnung, doch wieder einzuschlafen. Leider erfolglos.
Stöhnend fuhr ich mir über das Gesicht. Ich wollte gar nicht wissen, wie beschissen ich aussehen musste. Meine Gedanken wollten einfach nicht zur Ruhe kommen. Dabei hatte ich es endlich geschafft. Alles, wofür ich in den letzten Jahren gekämpft hatte, wofür ich mit meinem Vater gestritten hatte … Ich hatte endlich einen Auftrag bekommen, bei dem ich beweisen konnte, dass ich das Zeug zu einem Bodyguard hatte. Ich durfte das nicht vermasseln. Und dann war ausgerechnet Ivy gekommen und … Fuck!