Kiss Me Once

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Kiss Me Once Page 25

by Stella Tack


  »Verdammt«, fluchte ich, »nicht schon wieder.« Schnell schlüpfte ich in meine Sandalen und hörte dabei das Fußkettchen an meinem linken Knöchel klingeln. »Tasche?«, stieß ich leicht panisch hervor und drehte mich im Kreis.

  »Hab sie«, sagte Ryan, der sich gerade den Riemen über die breite Schulter warf und den Honig hineinsteckte. Ohne sich noch einmal zu mir umzudrehen, eilte er zur Tür.

  Schnell folgte ich ihm durch den schmalen Gang, der trotz Tageslicht von grellen LED-Leuchten erhellt wurde, während uns die Klimaanlage eiskalte Luft um die Ohren pustete. Zu rennen war da vielleicht nicht die beste Idee. Vor allem nicht mit einem Kreislauf, der noch kein Frühstück gesehen hatte. Davon abgesehen war ich immer noch völlig überfordert mit den Gefühlen, die Ryan MacCain derzeit in mir auslöste. Aber wenn ich schon wieder zu spät kam, würde sich das mit Sicherheit negativ auf meine Note auswirken. Mrs Garcia fackelte da nicht lange herum, vollkommen egal, wessen Tochter ich war oder wie oft ich mich darüber beschwerte, wie kurz meine Beine und unverhältnismäßig lange der Weg zur Fakultät war.

  »Aus der Bahn!«, brüllte ich daher ein wenig panisch und stieß die Wohnheimtür auf. Der arme Student, der gerade reinwollte, schaffte es zum Glück, noch rechtzeitig wegzuspringen. Sonst hätte ich ihm die Tür glatt gegen die Nase geknallt. Der Kaffee in meiner Hand schwappte über und floss mir klebrig die Finger hinab. Heiß! Wo war das Zeug denn heute aufgebrüht worden? In der Hölle?

  »Sorry!«, rief Ryan dem Studenten entschuldigend zu.

  Ohne stehen zu bleiben, liefen wir durch die feuchte Hitze Floridas weiter in Richtung Truman House. Die Sonne knallte auf unsere Köpfe herunter und Sekunden später rann mir bereits der Schweiß den Rücken hinab. Die Luftfeuchtigkeit war Mitte September so hoch, dass es sich manchmal anfühlte, als würde man unter Wasser atmen. Der perfekte Augenblick also, um zu bemerken, dass ich meine Sonnenbrille vergessen hatte. Shit! Ach, egal.

  Wir schlitterten um die Kurve, wobei ich wie ein Walross schnaufte, während Ryan aussah, als würde er nur einen gemütlichen Morgenspaziergang machen. Er hatte seine Sonnenbrille natürlich nicht vergessen. Wie bei einem Model saß sie auf seiner Nase. Und er besaß sogar die Frechheit, sich im Rennen umzudrehen und rückwärts zu laufen.

  »Sollen wir vielleicht ein bisschen Ausdauersport machen, Ivy? Du siehst aus, als würdest du gleich umkippen.«

  »Gar. Nicht. Wahr! Ich. Bin. Sportlich«, log ich schnaufend, während wir auf den Parkplatz zusteuerten.

  Ryan sprang geschickt – und verflucht noch mal immer noch rückwärts – über das kleine Mäuerchen. Ich stieg hastig darüber und war ziemlich stolz auf mich, mir dabei nicht den ganzen Kaffee übers T-Shirt gekippt zu haben. Keuchend versuchte ich, Ryan einzuholen. Doch der lachte nur und lief noch schneller. Dabei schaffte er es mühelos, den parkenden Autos auszuweichen … als hätte er Augen im Hinterkopf. Offenbar hatte er dann aber doch Mitleid mit mir, denn er wurde langsamer, damit ich wieder zu ihm aufholen konnte. Unsere Schritte hallten laut auf dem Asphalt, während wir an einem Auto vorbeikamen, das gerade rückwärts ausparkte. Ryan riss mich blitzschnell zurück, bevor die Stoßstange des Wagens mich rammen konnte. Ich stolperte über meine eigenen Füße und verschüttete dabei noch mehr Kaffee.

  »Schau doch in den Rückspiegel, du Idiot!«, schrie Ryan den Fahrer an, der erschrocken den Kopf aus dem Fenster streckte.

  »Was? Sie ist mir doch einfach vors Auto gelaufen!«

  Ryan warf ihm einen solch finsteren Blick zu, dass der Student nichts weiter erwiderte und mit quietschenden Reifen davonfuhr. Gott sei Dank, ohne mich als neuen Stoßstangensticker mitzunehmen, die er offensichtlich sammelte. Oder seine Mom. Anders konnte ich mir nicht vorstellen, warum er Proud Mother of an Anthropology Student auf sein Auto kleben sollte.

  »Danke, das war knapp!«, sagte ich keuchend und stieg mit zitternden Beinen über das Mäuerchen auf der anderen Seite des Parkplatzes. Der UCF-Park breitete sich vor uns aus und ich konnte dahinter bereits die roten Ziegelsteine der Fakultät aufblitzen sehen.

  Ich stolperte weiter. Dabei war mir nur zu deutlich bewusst, dass Ryans Hand immer noch an meinem Ellenbogen lag. Mir war schon ein paarmal aufgefallen, dass er mich ziemlich oft an Ellenbogen, Rücken oder Hüfte berührte. Meistens wenn er mich vor etwas beschützen wollte. Und dieses Etwas war zu 99 Prozent ich selbst. Doch anders als sonst zog er die Hand nicht sofort zurück, sondern hielt mich noch ein bisschen fester. Ich glaubte sogar zu spüren, wie sein Daumen hauchzart, kaum wahrnehmbar über den pochenden Puls in meiner Ellenbeuge streichelte. Prompt bekam ich eine Gänsehaut.

  Ich war so in Gedanken versunken, dass ich das kleine Loch im Boden übersah und erneut kurz ins Straucheln kam. Eine Strähne löste sich aus meinem Pferdeschwanz und kitzelte meine Nase, während ich keuchend weiterlief. Ich warf einen Blick auf das Literaturgebäude, das immer noch viel zu weit entfernt war, und versuchte einzuschätzen, wie viel Zeit uns noch blieb, bis wir im Vorlesungssaal eine angepisste Mrs Garcia vorfinden würden. Das Ergebnis war ernüchternd. Nämlich gar keine.

  »Das schaffen wir niemals rechtzeitig, egal wie schnell wir noch laufen«, stieß ich hervor, lehnte mich vollkommen fertig an den nächsten Baum und schüttelte ein spitzes Steinchen aus meinem linken Schuh.

  Ryan schielte zu dem wuchtigen Gebäude hinüber und verzog nach kurzem Überlegen das Gesicht. »Nein. Sollen wir trotzdem gehen?«

  »Nein, lassen wir es.« Stöhnend rutschte ich auf das warme Gras herunter. »Lieber eine Stunde blaumachen, als wieder ihre schlechte Laune abbekommen.«

  Ryan zog eine Augenbraue hoch. »Okay. Ist ja schließlich nur Literatur. Wer braucht das schon?«

  »Eben, niemand! Sind ohnehin schon alle tot.«

  »Noch schlimmer.« Ryan ließ sich neben mich fallen und kreuzte die Füße zum Schneidersitz. »Es sind Tote, die meistens total depressiv etwas über Tote geschrieben haben. Man sollte das Fach einfach abschaffen.«

  »Entweder das oder endlich Twilight als Weltliteratur anerkennen.«

  »Hm, darüber lässt sich streiten.«

  Ich lachte und streckte meine Beine aus, wobei ich mit den Zehen leicht Ryans Oberschenkel berührte. Himmel! Wie konnte eine so sanfte Berührung so intensiv sein?

  »Was hast du gegen Twilight? Was würdest du denn als Literatur vorschlagen?«, fragte ich amüsiert und nahm einen Schluck des bereits halb verschütteten Kaffees. Vorsichtig. Meine beleidigte Zunge prickelte zwar, aber zumindest verbrühte ich mir nicht mehr den gesamten Mundraum. Perfekt!

  Ryan schürzte die Lippen und fuhr sich wieder mit den Fingern durch das Haar. »Keine Ahnung, Mad Max?«

  Ich schnaubte. »Das ist ein Film, du Idiot.«

  »Ja, aber davor war es ein Buch.«

  »War es nicht!«

  »Doch! Das war ein alter Science-Fiction-Klassiker, bevor Hollywood es groß rausgebracht hat.«

  Skeptisch legte ich den Kopf schief. »Im Ernst? Hast du es gelesen?«

  Ryan wackelte mit den Augenbrauen. »Kann sein. Bist du jetzt beeindruckt?«

  Ich schmunzelte und nahm einen weiteren Schluck. »Erst wenn du mir sagen kannst, warum Vampire nur bei Gewitter Basketball spielen können.«

  »Also niemals.«

  »Wart’s ab.«

  »Was?«

  »Na, unseren nächsten Fernsehabend.«

  »Davor kündige ich.«

  Lachend klemmte ich den Becher zwischen meine Knie, holte den inzwischen leicht malträtierten Donut aus der Tüte und leckte die herausquellende Füllung ab. Sie war so süß, dass mir die Zähne schmerzten. Also absolut perfekt. Genüsslich aß ich mein Frühstück, während Ryan mich schweigend dabei beobachtete. Ein sanfter Wind fuhr ihm durch die Haare und die warmen Sonnenstrahlen, die durch das grüne Blätterdach drangen, brachten seine grünen Augen zum Funkeln.

  »Würdest du wirklich kündigen?«, fragte ich schließlich bemüht unbekümmert und steckte mir das letzte Stück in den Mund.

  Ryan verfolgte
jede Bewegung aufmerksam und biss sich auf die Unterlippe. »Hm, weiß nicht. Vielleicht sollte ich für das Anschauen von Glitzervampiren einen Gefahrenzuschlag verlangen.«

  »Wo liegt denn da die Gefahr?«, fragte ich amüsiert und nahm wieder einen Schluck vom Kaffee.

  Ryan grinste und zuckte lässig mit den Schultern. »Na ja, ich könnte eine posttraumatische Belastungsstörung kriegen.«

  »Du bist so ein Blödmann!« Ich zupfte eine Handvoll Gras aus und bewarf ihn damit. Die Halme segelten durch die Luft und blieben in seinem Haar hängen.

  Ryan stöhnte, verdrehte die Augen und ließ sich auf den Rücken fallen. »Ich bin getroffen!«, röchelte er, rang dabei dramatisch die Hände und ruderte mit den Beinen wie ein Insekt kurz vor dem Vergiftungstod. »Weißt du denn nicht, dass ich gegen Gras allergisch bin?«

  Ich stellte den Kaffee neben mir ab, krabbelte auf allen vieren zu ihm und guckte amüsiert auf ihn hinab. »Gegen Gras?«, hakte ich gedehnt nach.

  Ryan nickte und schloss ergeben die Augen. »Ganz fürchterlich. Meine Lungen schwellen zu und sind kurz vor dem Kollabieren. Ich befürchte, du musst mir eine Mund-zu-Mund-Beatmung geben, um mich zu retten.«

  Obwohl er es im Scherz sagte, klopfte mein Herz schneller und mein Mund wurde trocken. Zögerlich hob ich eine Hand und legte sie ihm sanft auf die Brust, während Ryan weiterhin im gespielten Todeskampf stöhnte. Meine Fingerspitzen prickelten, als ich den aufgewärmten Stoff seines T-Shirts fühlte, und Ryans Lider flogen wie von Fäden gezogen wieder auf. Er starrte auf meine Hand, die wie festgefroren auf seiner Brust lag. Nur mein Daumen streichelte hauchzart über den Stoff.

  »Was machst du da?«

  Ich zuckte peinlich berührt mit den Schultern und hielt inne. Ryans Herzschlag pochte unter meiner Handfläche. »Ähm … Herzrhythmusmassage?«

  Ryans Pupillen weiteten sich unmerklich. »So machst du eine Herzrhythmusmassage?«

  »Äh … ja?« Beschämt zog ich meine Hand zurück, doch Ryan legte blitzschnell seine Hand auf meine.

  »Vielleicht solltest du es ein wenig fester machen, damit ich mich auch wieder von dem Anfall erhole.«

  »Dem Grasanfall?«, stellte ich lächelnd klar und in Ryans Augen stahl sich ein Funkeln.

  Sein Daumen strich hauchzart über meinen Handrücken, während er ernst nickte. »Ich befürchte, ich muss von Ihnen gerettet werden, Miss Bennet.«

  Ich biss mir auf die Unterlippe und setzte mich auf meine Unterschenkel. »Aha, mein Bodyguard will also von mir gerettet werden?« Obwohl er meine Finger immer noch umschlungen hielt, begann ich wieder sanft zu streicheln und genoss das Gefühl seiner festen Muskeln, die unter meiner Berührung zuckten.

  Ryan kommentierte das nur mit einem zufriedenen Lächeln und ließ seine Hand wieder sinken. Mein Puls hämmerte so laut in meinen Ohren, dass es sogar das Kreischen der Zikaden übertönte. Irgendwie fühlte es sich viel zu intim an, Ryan so zu berühren. In aller Öffentlichkeit. Nachdem er nach dem Filmabend so viel Distanz zwischen uns aufgebaut hatte, war diese Intimität irritierend und gleichzeitig fürchterlich aufregend. Als würden wir etwas Verbotenes tun.

  Meine Finger fuhren neugierig über seine Brust, ertasteten den Schwung seines Schlüsselbeins und malten die verschlungenen Schriftzeichen an seinem Arm nach.

  »Was bedeuten die?«, hörte ich mich selbst fragen, während ich versuchte, nicht allzu deutlich durchblicken zu lassen, wie sehr mich die Nähe zu ihm überwältigte.

  »Das ist Sanskrit und heißt Karuna, Shakti, Santulana und Aanand.« Die fremde Sprache rollte geschmeidig über seine Lippen und der Klang bescherte mir eine Gänsehaut.

  »Aha.«

  Ryan lachte. »Selbstbewusstsein, Stärke, Balance und Glück.« Er räusperte sich, fing meine Finger ab und inspizierte die hellen Sommersprossen auf meinem Handrücken. Sein Daumen streichelte dabei abwesend über meinen Ballen. »Einer der Nahkampfausbilder auf der Akademie sprach fließend Sanskrit«, erzählte er mir und malte einen unsichtbaren Smiley auf meine Handinnenfläche. »Immer, wenn ich etwas falsch machte – und das war eigentlich immer –«, Ryan grinste bei der Erinnerung, »beschimpfte er mich auf Sanskrit und ließ mich hundert Liegestütze machen. Ich weiß bis heute nicht, was er mir alles an den Kopf geworfen hat, aber ich bin mir sicher, dass es nicht nett war. Wir haben uns gehasst wie die Pest, aber die wichtigsten Lektionen, die er mir beigebracht hat, siehst du auf meinem Arm.«

  »Obwohl du ihn nicht gemocht hast?«, fragte ich ungläubig.

  Ryan sah mich nachdenklich an. »Manchmal sind die Menschen, die wir am wenigsten leiden können, diejenigen, die uns im Leben am meisten beibringen. Er war genau wie mein Vater der Meinung, ich sollte studieren und die Firma übernehmen, anstatt selbst einer der Angestellten zu sein. Und obwohl von Anfang an klar war, dass der Ausbilder mich nicht als Azubi wollte, hat er mir Charakterstärke eingebläut. Wegen ihm bin ich der Mensch, der ich heute bin.«

  Ich schnaubte und schlug ihm gegen die Schulter. »Ein Mensch, der sich von seiner Klientin streicheln lässt, anstatt deren Leben zu beschützen?«, provozierte ich ihn.

  An Ryans Kinn zuckte ein Muskel und im nächsten Augenblick hatte er die Beine um mich geschlungen und mich mit einem einzigen eleganten Schwung auf den Rücken geworfen. Von einer Sekunde auf die nächste saß er breitbeinig über mir und sah tadelnd auf mich hinab. »Stellen Sie gerade meine Kompetenz infrage, Miss Bennet?«, fragte er mich ernst. Sein Gesicht war meinem dabei so nahe, dass sich unsere Nasen beinahe berührten.

  Hoffentlich sah ich nicht so atemlos aus, wie ich mich fühlte. »Mehr Ihre Moral, Mr MacCain«, flüsterte ich und versuchte, mich unter ihm hervorzuziehen.

  Doch Ryan spannte die Muskeln an und hielt mich am Boden fest. Gebannt beobachtete ich, wie das einfallende Sonnenlicht mit seinen Haaren spielte.

  »Meine Moral ist normalerweise ohne jeden Fehl und Tadel, Miss Ivy«, murmelte er und strich mir eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. »Aber wenn ich in Ihrer Nähe bin, geht sie in Urlaub und lässt mich schutzlos mit Ihnen zurück.«

  Ich zwang mich, normal weiterzuatmen, während ich meine Finger, die sich irgendwie an Ryans Seiten geschlichen hatten, vorsichtig über seine Rippenbögen entlangwandern ließ. »Das klingt richtig poetisch, Mr Ryan«, sagte ich leise. »Vielleicht sollten wir doch in den Literaturkurs gehen.«

  »Mhm, ja, vielleicht. Schade nur, dass er schon fast vorbei ist. Aber vielleicht weiß ja auch der Biologiekurs ein wenig Ethik und Prosa zu schätzen.«

  »Aber Bio fällt heute aus. Stattdessen haben wir Schauspiel«, sagte ich, was Ryan prompt einen finsteren Gesichtsausdruck entlockte.

  »Vielleicht sollten wir das auch lieber sausen lassen.«

  Ich grinste hinterhältig. »Warum? Ich mag den Professor und seine Aufwärmübungen.«

  »Mhm, ja, Atemtechnik mit Alex …«, murmelte er.

  »Ryan?«

  »Ja?«

  »Alles okay bei dir?«

  »Na klar.«

  »Du warst seltsam die letzten Tage«, flüsterte ich.

  Ein Schatten huschte durch seine Augen und ließ das Grün darin irgendwie dumpf wirken. »Ich habe nur meinen Job gemacht«, sagte er schlicht.

  Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und sah, wie Ryan der Bewegung sehnsüchtig folgte. »Sag mal …« Ich räusperte mich und wusste plötzlich nicht mehr, was ich eigentlich sagen wollte. »Ähm … Willst du nicht mal von mir runtergehen?«, flüsterte ich zaghaft, obwohl alles in mir das Gegenteil wollte.

  Ryan presste die Lippen zusammen. »Stört es dich denn?«

  Ich schüttelte langsam den Kopf. »Nein, aber ich dachte, du wolltest das nicht?«

  Ryan schloss gequält die Augen.

  Ich sollte mich zusammenreißen. Sollte das hier rechtzeitig abbrechen, doch es gelang mir nicht. Dafür war Ryan viel zu nah. Sein Körper viel zu warm und seine Augen viel zu grün.

  Ryans Finger verkrampften sich um mein Handgelenk, während er scharf die Luft ausstieß. »Ich darf
dich nicht küssen, Ivy. Wenn das herauskommt …«

  »Und wenn es nicht herauskommt?«, fragte ich leise.

  Ryan biss sich in die Unterlippe und das Zittern in seinen Muskeln verriet mir, dass er diese Möglichkeit auch selbst schon in Betracht gezogen hatte.

  »Die Wahrscheinlichkeit ist erschreckend hoch, dass ich die Finger nicht mehr von dir lassen kann, wenn ich einmal damit anfange, Ivy«, gestand er und lehnte seine Stirn an meine. »Und spätestens wenn dein Vater hier aufkreuzt, wird es brenzlig.«

  »Ryan?«

  »Ja?«

  »Küss mich bitte. Nur noch einmal.«

  Ryans Muskeln spannten sich an. Ich schluckte, schloss die Augen und versuchte die letzten Millimeter zwischen uns zu überwinden. Ich glaubte, seine warmen Lippen bereits auf meinen zu fühlen. Wie im Traum. Wie damals. Doch anstatt warmer, voller Lippen traf mich plötzlich ein Luftzug und ich schlug panisch die Augen auf.

  Ryan wich zurück und sah dabei aus, als hätte ihn jemand in den Magen getreten. »Ich kann nicht. Es tut mir leid, Ivy. Aber ich muss meinen Job machen«, stieß er hervor, sprang auf die Füße und rannte praktisch von mir weg. Ein paar Meter entfernt blieb er stehen und stützte sich schwer atmend gegen einen Baum.

  Ich setzte mich auf und versuchte, die Enttäuschung und das Stechen in meiner Brust zu unterdrücken. »Ist …« Ich räusperte mich und biss mir auf die Lippen, als ich spürte, wie meine Augen feucht wurden. Nein. Nicht weinen. Alles, nur das nicht.

  »Entschuldigung, das war dumm«, sagte ich leise, aber laut genug, dass er mich hören konnte.

  Seine Schultern spannten sich an, sein Kopf zuckte zu mir herüber.

  »Sorry«, sagte ich noch einmal.

  »Es geht nicht darum, dass ich es nicht will«, fuhr er mich beinahe schon verzweifelt an und stieß sich vom Baum ab. »Aber … scheiße, Ivy, ich kann einfach nicht. Ich … ich …« Er wich meinem Blick aus, als er sich meine Tasche schnappte und den inzwischen kalten Kaffee und die leere Donuttüte wegwarf. »Komm jetzt. Sonst kommen wir zu spät zu Schauspiel.«

  Er streckte seine Hand aus, wahrscheinlich, um mir aufzuhelfen, doch ich konnte ihn gerade nicht anfassen, ohne dabei in Tränen auszubrechen. Ich ignorierte seine Hand, rappelte mich mühsam auf und klopfte mir das Gras von den Beinen.

 

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