Kiss Me Once

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Kiss Me Once Page 31

by Stella Tack


  »Ivy«, rief ich. Und diesmal blieb mir wirklich die Stimme weg.

  »Suchst du sie?«

  Ruckartig wirbelte ich herum und erschreckte damit Soya, die einen Hopser zurück machte und sich keuchend die Hand auf das Herz hielt.

  »Himmel! Was ist denn mit dir los?«, fragte sie.

  Ich versuchte, tief durchzuatmen, mich zu beruhigen, doch das gelang mir in etwa so gut, wie Ivy nicht zu küssen. »Weißt du, wo sie ist?«

  »Öhm, ja …«, sagte Soya verwirrt und trippelte auf ihren hohen Schuhen von einem Bein aufs andere. »Sie ist vor etwa zwanzig Minuten zu dieser Party gegangen. Ich wollte da auch gerade hin.«

  Die Party! Ich hätte es wissen müssen. Ohne mich bei Soya zu bedanken, fuhr ich auf dem Absatz herum und rannte zurück nach draußen. Mein Herz hämmerte wie wild in meiner Brust. Das Blut pumpte mir durch die Adern und der Campus verschwamm förmlich zu einer dunklen Masse aus Bäumen und verwunderten Gesichtern.

  Sie war zu Alex gegangen. Sie war tatsächlich zu ihm gegangen. Meine Gedanken sprangen von einem Bild zum anderen. Ivy, wie sie Alex anlächelte. Alex, der sie in den Arm nahm. Sie tröstete. Ich schnaubte. Ein Teil von mir wusste, dass ich nicht mehr rational dachte. Ich hatte gesehen, wie Alex Jeff ansah. Trotzdem machte es mich rasend, dass Ivy ausgerechnet zu ihm gegangen war.

  Aber ein anderer Teil von mir hatte längst das Kommando übernommen. Ich hatte diesen Teil von mir jahrelang mit schweißtreibendem Training und zermürbender Selbstdisziplin unterdrückt. Doch jetzt nahm er Oberhand. Es war ein deutlich jüngerer Ryan, der gerade in mir hervorkam. Eine Version von mir, die auf alles und jeden wütend war. Am allermeisten auf sich selbst.

  Ivy

  Jeff sah beunruhigt zu mir herüber, als ich den nächsten Shot kippte und angeekelt das Gesicht verzog. Der Erdbeerlimes war mir eindeutig lieber gewesen. Leider war der aber schon leer, sodass mir nur Tequila oder Leitungswasser übrig geblieben waren. Das Bier, das es auf der Verbindungsparty gab, brachte ich beim besten Willen nicht hinunter. Keine Ahnung, wie das Zeug hieß, aber es war einfach nur ekelhaft. Also musste der Tequila herhalten – und damit der nicht ganz so schlimm schmeckte, tauschte ich die Zitronenspalte gegen ein Stück Schokoladenkuchen ein. So ließ sich ein gebrochenes Herz bestimmt wieder gut zusammenkleben. Obwohl ich inzwischen an dem Punkt angelangt war, an dem auch nur der Tequila reichen würde.

  Mein Kopf fühlte sich ganz leicht an. Ich versuchte mir einzureden, dass ich nicht mehr ganz so verheult aussah wie noch vor einer halben Stunde, sondern eher wie ein Albinokaninchen, dem die Nase lief und Heißhunger auf Kuchen hatte … Schließlich war das gerade schon mein zweites Stück und der sechste Tequila … oder war es andersherum? Mhm …

  »Bist du sicher, dass du noch einen willst?«, fragte Alex zögernd. Er saß im Schneidersitz neben mir und hielt mir ein Glas mit klarer Flüssigkeit hin.

  Mit zitternder Unterlippe nickte ich, doch Jeff war schneller und nahm Alex das Glas ab, bevor ich danach greifen konnte. »Ich glaube, Ivy hat genug«, sagte er.

  »Ich kann selbst entscheiden, was ich will«, murmelte ich und schnappte mir das Glas zurück. Dabei schwappte der halbe Inhalt über und tropfte auf den Teppichboden.

  Jeff straffte die Schultern. »Nein, kannst du nicht«, sagte er und tauschte einen besorgten Blick mit Alex.

  Nach einer Weile zuckte Alex resigniert mit den Schultern. »Wenn es ihr hilft. Wir sollten allerdings ausmachen, wer ihr die Haare zurückhält, wenn sie anfängt zu kotzen.«

  Jeff schnaubte. »Schau sie dir doch an. Sie sieht aus, als hätte Slenderman sie erwischt.«

  Na danke auch. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass es hier nicht mehr nur um mich ging. Als ich vorhin völlig aufgelöst hier angekommen war, hatten die beiden sich gerade lautstark angeschrien. Aber kaum hatten sie mein verheultes Gesicht gesehen, hatten sie abrupt aufgehört, sich anzubrüllen. Sie hatten sich noch ein letztes Mal heftig angefunkelt und dann versucht, mich aufzuheitern. Jeff mit Kuchen. Alex mit Kartentricks. Und ich mit Alkohol. Meine Methode fand ich bisher am besten. Doch der Waffenstillstand hatte nicht besonders lange gehalten, denn Alex und Jeff waren kurz davor, sich an die Gurgel zu gehen.

  »Hör auf, immer alles besser zu wissen, Jeff«, blaffte Alex. »Du magst zwar schlauer sein als ich, aber sie wird schon wissen, was sie will.«

  »Ach, was will sie denn?«, äffte Jeff.

  Ich hatte Alex und Jeff noch nie so wütend erlebt. Schockiert beobachtete ich die beiden, während ich mir einfach selbst nachschenkte und den Alkohol runterspülte. Mein Magen gluckerte und wurde mit einem Bissen Kuchen besänftigt.

  »Ein bisschen Spaß haben vielleicht?«

  Jeff sprang so ruckartig auf, dass ich vor Schreck zusammenzuckte. »Spaß? Spaß?! Hier geht es nicht um Spaß, sondern darum, dass du Angst hast, über Konsequenzen nachzudenken!«

  Verwundert starrte ich Jeff an, der immer lauter wurde. »Dir geht es immer nur darum, Spaß zu haben. Was anderes interessiert dich nicht. Du bist rücksichtslos meinen … den Gefühlen anderer gegenüber. Dir ist alles egal, Hauptsache, du amüsierst dich! Das hast du früher schon mit deinem Spielzeug gemacht. Hauptsache, neu und aufregend, und wenn es kaputt ging, war es dir verdammt noch mal egal. Es landete in einer Ecke. Aber weißt du was? Ich habe keine Lust, kaputt gemacht zu werden!«

  Alex öffnete den Mund, doch Jeff stürmte einfach davon, stieß ein paar Leute zur Seite und verschwand ins obere Stockwerk.

  Perplex starrte ich ihm hinterher. »Was war das denn?«, fragte ich verwundert.

  Wortlos nahm mir Alex die Flasche aus der Hand, schenkte sich selbst ein Glas ein und kippte den Tequila hinunter, dann noch einen. Beim dritten sah er schon nicht mehr ganz so blass aus.

  »Kuchen?«, fragte ich und hielt ihm meinen Teller unter die Nase.

  Alex seufzte und schüttelte den Kopf. Trotzdem nahm er sich im gleichen Augenblick ein großes Stück Kuchen. Noch während des Kauens verzog er das Gesicht. »Das schmeckt ja furchtbar.«

  Ich schnaubte. »Sei nicht so ein Snob, Alex.«

  »Lass mich doch«, murmelte er mit vollem Mund. Nach einer Weile ließ er sich seufzend zurücksinken.

  »Was ist denn passiert?«, fragte ich und rutschte näher, um mich an ihn lehnen zu können. Seine Nähe beruhigte mich irgendwie, auch wenn er etwas knochiger war als Ryan. Er roch auch nicht so gut wie Ryan … Ryan roch nach Ryan. Alex nach Hugo Boss.

  Alex seufzte erneut und fuhr sich durchs Haar. Er sah völlig fertig aus. »Du zuerst.«

  Ich schluckte. »Ryan will mich nicht«, sagte ich leise und starrte auf das leere Glas in meiner Hand.

  Alex sah mich mitleidig an. »Das tut mir leid.«

  Ich zuckte mit den Schultern. Wäre der Alkohol nicht gewesen, der gerade gute Dienste tat, meine Gefühle in Schach zu halten, wäre ich bestimmt wieder in Tränen ausgebrochen. So spürte ich zum Glück hauptsächlich einen leichten Schwindel in meinem Kopf. Vielleicht sollte ich langsam aufhören zu trinken.

  »Und? Was ist bei dir los?«, fragte ich so leise, dass er mich über die Musik hinweg eigentlich gar nicht gehört haben konnte.

  Aber Alex schien die Frage trotzdem verstanden zu haben. Gequält schloss er die Augen. »So ziemlich dasselbe. Ich habe mir einen Ruck gegeben und Jeff gesagt, dass ich mit ihm zusammen sein will.«

  »Und?«

  »Er will nicht.«

  »Das ist scheiße.«

  »Du sagst es.« Er öffnete wieder die Augen und drehte träge den Kopf, um mich ansehen zu können. Ein harter Zug spielte um seine Mundwinkel. »Das Ironische an der Sache ist, dass ich früher wirklich immer mein Spielzeug kaputt gemacht habe. Für ihn.«

  »Hä?«, fragte ich wenig intelligent. Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass der Alkohol in mir gerade dabei war, meine Gehirnzellen abzutöten.

  »Früher habe ich haufenweise Spielzeug bekommen. Jeff war oft bei mir zum Spielen, aber immer, wenn ich ihm mein neues Spielzeug gezeigt habe, sah er traurig aus. Ich
konnte es nicht ertragen, dass Jeff unglücklich war. Also habe ich das Spielzeug kaputt gemacht, damit er wieder lächelte. Ich war wohl damals schon ein Idiot. Scheint sich mit dem Alter nicht geändert zu haben.«

  Mitleidig verzog ich das Gesicht. Mein Magen hob sich bedrohlich, doch zum Glück blieb alles unten.

  Alex seufzte deprimiert. »Warum kann ich mich nicht in dich verlieben, Ivy? Du verstehst mich. Du weißt immer, was ich meine. Vor dir müsste ich mich nicht rechtfertigen. Und du hast keine Angst vor Geld.« Er schnaubte leise. »Jeff ist absolut unfähig, Geschenke anzunehmen. Letztens habe ich ihm eine Ray-Ban-Sonnenbrille geschenkt, da ist er völlig ausgeflippt und hat darauf bestanden, das Ding zurückzugeben.«

  »Viele Menschen sind es einfach nicht gewöhnt, so viel Geld zur Verfügung zu haben«, sagte ich sanft und strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn. »Mein Vater predigt immer ›Ein Mensch, der für Geld arbeitet, wird niemals so viel verdienen wie ein Mensch, der mit Geld arbeitet.‹ Aber weißt du, er hat recht damit: Wir kommen aus einer Welt, in der Geld keine Rolle spielt. Ob ich jetzt eine Tasche für 20 oder für 20000 Dollar kaufe, ist vollkommen belanglos. Es macht auf dem Konto keinen Unterschied. Bei all der Sorglosigkeit vergisst man manchmal, dass es Menschen gibt, die zu Geld ein ganz anderes Verhältnis haben.«

  »Jeffs Verhältnis zu Geld ist … pingelig«, knurrte Alex, nahm sich die Flasche Tequila und trank einfach direkt daraus.

  Ich schmunzelte. »Vielleicht solltest du das mal mit Jeff klären. Ich mache mir langsam Sorgen um ihn.«

  »Ach, dem geht es gut. Der schmollt nur in seinem Zimmer und zählt seine Briefmarken«, winkte Alex ab und wollte erneut aus der Flasche trinken.

  Schnell nahm ich ihm den Tequila weg und stellte ihn auf dem Tisch ab. Ein wenig wacklig stand ich auf und griff grinsend nach seiner Hand. »Lass uns tanzen.«

  Er blinzelte irritiert. »Jetzt?«

  »Ja, jetzt. Ich mag den Song.«

  Alex lauschte und lachte amüsiert. »It’s now or never von Elvis?«

  Ich zuckte mit den Schultern. »Komm schon«, drängte ich ihn. Ächzend stand Alex auf und ließ sich von mir in die Mitte des Wohnzimmers ziehen, wo die Dichte an feiernden Studenten exponentiell zunahm, zumal daneben auch das Bierfass stand.

  Plötzlich blieb Alex stehen, wirbelte mich herum in eine perfekte Grundstellung. Langsam legte ich meine Hand auf seine Schulter. Offenbar war ich nicht die Einzige, die Tanzunterricht erhalten hatte, denn schon nach wenigen Schritten bewegten wir uns so mühelos durch die plump zuckenden Menschen, dass es schon fast peinlich war. Alex wirbelte mich im Kreis und fing mich wieder auf, bevor er einen gekonnten Ausfallschritt machte. Nett, aber irgendwie wurde mir dabei ziemlich schlecht.

  »Wow, du bist echt gut«, sagte ich und kam dabei leicht aus dem Takt.

  Alex grinste. »Danke. Man lernt so einiges an Privatschulen. Blöd nur, dass es eine Jungsschule war, in der man immer ewig diskutieren musste, wer die Frau tanzt.«

  Ich lachte. »War Jeff dein Tanzpartner?«

  »Immer.«

  »Warst du die Frau?«, fragte ich amüsiert.

  Alex schnaubte belustigt. »Nein, wir haben uns abgewechselt. Im Grunde habe ich nur getanzt, weil es Jeff eine Freude gemacht hat …« Seine Augen wurden dunkel. Traurig. »Ich habe früher immer ziemlich abfällig über das Tanzen gesprochen. Aber jetzt vermisse ich es, vermisse die Zeit mit Jeff …« Am Schluss war Alex so leise geworden, dass ich seine Worte kaum noch verstanden hatte.

  Prompt führte er mich in eine schnelle Schrittfolge. Damn! War er gut. Alex’ Hand streichelte sanft über meinen Rücken.

  »Das mit Ryan tut mir übrigens leid.«

  »Ja. Mir auch.«

  »Und da lässt sich wirklich nichts machen? Soll ich mal mit ihm reden?«

  Ich lachte leise. »Das ist ein nettes Angebot, aber ich glaube nicht, dass das etwas bringt. Ich muss mich wohl oder übel woanders umsehen.«

  Alex runzelte die Stirn, während er mich nachdenklich ansah. »Vielleicht kann ich euch trotzdem helfen. Wir könnten Ryan ein wenig eifersüchtig machen.« Er grinste verschmitzt. »Vielleicht funktioniert das, um ihn aus der Reserve zu locken?«

  Ich prustete. »Danke, aber ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich funktionieren würde. Außerdem wäre Jeff sicher nicht begeistert davon.«

  »Wie du meinst, aber wenn du meine Hilfe brauchst, bin ich für dich da, okay?«

  »Okay«, sagte ich leise und erwiderte sein Lächeln.

  Alex senkte langsam den Kopf hinab. Ich spürte seinen Atem, bevor seine Lippen auf meine trafen und er mich sanft küsste. Ein einfaches Aneinandertreffen der Lippen, das genauso harmlos wie zärtlich war. Ein Teil meiner Anspannung fiel von meinen Schultern, während Alex seine Einsamkeit mit meiner teilte.

  Der Kuss konnte höchstens ein, zwei Sekunden gedauert haben, als Alex ruckartig von mir gezogen wurde und ein großer Körper sich zwischen uns drängte. Was zum …? Mein Herz jagte los, als ich eine vertraute Stimme hörte.

  »Das war ein ziemlich großer Fehler«, fauchte Ryan und packte Alex am Shirt.

  »Lass ihn los, Ryan«, rief ich den wohl klischeehaftesten Standardspruch, seit es Hollywood gab.

  Doch Ryan ignorierte mich einfach. Ich wollte gerade einen Schritt auf ihn zumachen, um ihn zu beruhigen, als er ruckartig den Kopf drehte. Er warf mir einen so wütenden Blick zu, dass ich erschrocken zusammenzuckte. Rasend vor Zorn wandte er sich wieder an Alex, der zum Glück so klug war, sich nicht zu wehren, sondern nur vorsichtig die Hände hob.

  »Ryan!«, sagte er ruhig. »Alles gut! Tief durchatmen, das ist ein Missverständnis, mehr nicht.«

  »Ein Missverständnis?«, brüllte Ryan. Es schien ihm vollkommen egal zu sein, dass er gerade die Party crashte. Die Musik wurde abgewürgt und ein paar der Verbindungsjungs sahen bereits grimmig zu uns herüber. »Du warst gerade dabei, sie zu küssen, was soll ich da missverstehen?«

  Alex zuckte zusammen, hob jedoch trotzig das Kinn. »Ich habe sie nur getröstet!«

  »Mit deiner Zunge?« , brüllte Ryan.

  »Mit ein wenig Zuneigung, du Idiot!«

  »Wer’s glaubt. Lass einfach die Finger von ihr!«

  Ich musste dringend etwas tun. Am besten, bevor die Verbindungsjungs einen Baseballschläger holen konnten und der Abend in einer Prügelei endete. Hektisch sah ich mich um.

  »Sonst was?«, sagte Alex provozierend. »So wie Ivy mir das gerade erklärt hat, klingt es, als hättest du sie abserviert. Also heul jetzt nicht rum, nur weil ich sie trösten wollte.«

  »Ich habe sie nicht abserviert«, fauchte Ryan so wütend, dass Alex leicht zusammenzuckte und die Schultern anspannte. Schnell lief ich zum Wohnzimmertisch, schnappte mir die Flasche Tequila und eilte zurück.

  »Ach nein? Das klang aber ganz anders, als Ivy vorhin völlig verheult hier angekommen ist!«, sagte Alex finster.

  »Ich versuche nur, das Richtige zu tun«, brüllte Ryan.

  »Ach ja? Dann hör auf, mit ihr zu flirten und ihr falsche Hoffnungen zu machen, nur um sie dann fallen zu lassen«, gab Alex kalt zurück.

  Ein Muskel an Ryans Kiefer zuckte. »Du hast doch keine Ahnung«, knurrte er und machte einen Schritt auf Alex zu. Ryan sagte noch etwas, aber so leise, dass ich es nicht hören konnte.

  Plötzlich riss Alex überrascht die Augen auf und sein Mund klappte auf, während er Ryan fassungslos anstarrte. Im selben Moment war es mit meiner Geduld endgültig vorbei. Ohne zu zögern, hob ich den Arm und leerte die Flasche Alkohol über Ryans Kopf aus. »Okay, das reicht jetzt!«

  »Scheiße!«, rief Ryan erschrocken, als ihm die kalte Flüssigkeit ins Gesicht lief. Ruckartig ließ er Alex los und drehte sich zu mir um.

  »Was machst du hier?«, fragte ich gereizt.

  »Was ich hier mache?« Fassungslos starrte er mich an. »Du solltest doch im Zimmer bleiben. Wie kannst du einfach abhauen?«

  »Ich tue nur das, was du von mir wolltest! Ich lasse dich in Ruhe … immer
hin dürfen wir ja nicht«, knallte ich ihm seine eigenen Worte entgegen. Wow. Tat das gut.

  Blinzelnd wischte sich Ryan den Tequila aus dem Gesicht. Als er einen Schritt auf mich zuging, wich ich synchron einen zurück.

  »Okay. Du kommst mit«, sagte Ryan bestimmt und deutete auf die Tür.

  »Nein!« Vehement schüttelte ich den Kopf.

  »Du. Kommst. Mit«, sagte Ryan mit nur mühsam unterdrückter Wut. Und ehe ich reagieren konnte, packte er mich am Arm und zog mich in Richtung Tür.

  Ein spitzer Protestschrei entkam mir, als Ryan mich ohne stehen zu bleiben hinter sich herzog.

  »Sollen wir ihr helfen?«, fragte einer der Studenten zögerlich.

  »Nein«, schnaubte Alex. »Die beiden haben dringenden Klärungsbedarf.«

  Na vielen Dank auch! Vielleicht sollte ich mir die Sache mit der Freundschaft doch noch mal überlegen. Aber vorher musste ich Ryan loswerden. »Ryan, lass mich sofort los«, rief ich aufgebracht und schlug gegen seinen Arm.

  »Nein«, erwiderte er stur.

  »Du bist so ein Arschloch«, presste ich hervor, während ich hilflos hinter ihm herstolperte.

  Ryans Schultern spannten sich an. »Ich weiß«, murmelte er.

  Draußen wehte ein überraschend kühler Wind. Es regnete auch leicht und über uns grollte der Himmel. Ryan lief immer schneller, sodass ich kaum noch mit ihm Schritt halten konnte. Erst als wir das Verbindungsviertel hinter uns gelassen und das kleine Parkstück, das zum Wohnheim führte, erreicht hatten, wurde er langsamer. Bisher hatte ich das Stückchen Natur immer als sehr einladend und heimelig empfunden, doch heute jagte es mir eine Gänsehaut über den Rücken. Durch das aufziehende Gewitter war die Sonne hinter dichten grauen Wolkenbänken verschwunden und der Park so gut wie ausgestorben. Der Unwille, von Ryan wie ein unartiges Mädchen nach Hause gezogen zu werden, wurde so groß, dass sich mein Magen zusammenzog. Das Gerenne half auch nicht wirklich, meinen Magen zu beruhigen.

  »Lass mich los«, ächzte ich.

  »Nei…«

 

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