Kiss Me Once

Home > Other > Kiss Me Once > Page 48
Kiss Me Once Page 48

by Stella Tack


  Ich drehte mich zu Jen.

  »Du kennst sie? Und warum liegen wir dann so weit weg?«, fragte ich.

  »Du kennst sie auch. Denk mal einen Moment an die Madison Academy.«

  Madison Academy war die Highschool, die an unsere alte Middle School an der Upper East Side angeschlossen war.

  »Du meinst, ich kenne sie, aber nicht gut genug, dass wir einfach hingehen? Ich dachte, du wolltest mich vorstellen?«, fragte ich verwirrt.

  »Werde ich auch. Nur muss ich mich selbst auch erst noch vorstellen. Wir haben ja den ganzen Sommer noch vor uns.« Sie lächelte mich verschwörerisch an. »Wir geben ihnen erst einmal eine Chance, uns zu entdecken.« Sie grinste.

  Jen holte eine Bürste aus der Tasche und striegelte sich die Haare, die in allen möglichen Blondtönen glänzten. Ich hatte ähnlich lange Haare, ebenfalls blond, allerdings mit einem rötlichen Stich und mit wesentlich weniger Farbschattierungen. Meistens trug ich sie sowieso eingedreht auf dem Kopf festgesteckt.

  »Warst du nicht früher dunkler als ich?«, fragte ich, auf ihren Kopf deutend.

  »Ich bin sogar noch dunkler geworden. Aber ich habe einen guten Friseur. Sommerblond«, grinste sie. Dann zog sie eine Dose mit Beerenlipgloss aus der Tasche und verteilte ihn auf ihren Lippen, danach bot sie ihn mir an. Ich tunkte meinen Zeigefinger in die weiche Masse und tupfte mir ebenfalls ein wenig Gloss auf die Lippen. Es schmeckte nur sehr entfernt nach Beere, dafür aber sehr süß und faszinierend künstlich.

  Jen ignorierte die Blicke der Surfer, als wären wir völlig zufällig den weiten Weg gekommen, um uns mehr oder minder als Einzige in ihre Nähe zu setzen. Wenn man sich flach hinlegte, fuhr der Wind über einen hinweg und es war gar nicht so kalt. Jens Arme waren schon von einer Gänsehaut überzogen. Sie rollte sich auf den Bauch und klopfte neben sich, damit ich es ihr nachtat. Wir stützten uns auf unsere Ellenbogen. Wenn wir die Köpfe nicht zu auffällig zu ihnen wandten, hätte es genauso gut sein können, dass wir aufs Meer schauten.

  »Und, schon erkannt?«

  »Jemand von früher? Jen, das ist fünf Jahre her, alle haben sich verändert.«

  »Schau noch mal genau. Die beiden im Wasser.« Jen zog ihr mit glänzenden Swarovskisteinen verziertes Handy heraus und scrollte durch Nachrichten und Posts. Sie musste auf jeder einzelnen Social-Media-Plattform vertreten sein. Aber jetzt war war es eher eine nervöse Fingerbewegung zur Tarnung, immer wieder schaute sie unauffällig zu den Surfern. Zwei von ihnen kamen gerade aus dem Wasser. Sie hatten ihre Neoprenanzüge geöffnet, den oberen Teil heruntergezogen und ließen ihn lässig seitlich von der Hüfte herunterbaumeln. Während sie liefen, schienen Muskeln unter der Haut entlangzugleiten und die Bizepse traten hervor, wenn sie die Position der geschulterten Surfboards wechselten. Ihre Haut war gebräunt und wurde am Übergang zur Badehose heller, die Bäuche sahen sogar aus der Ferne durchtrainiert aus. Die beiden kniffen die Augen gegen die helle Sonne zusammen und schoben sich die nassen Haare aus dem Gesicht. Zwei weitere Surfer erreichten auf einer besonders langen Welle das Ufer. Auch sie liefen den Strand hoch, die Bretter unter den angewinkelten Armen, als würden sie nichts wiegen.

  »Die beiden Ersten«, half mir Jen.

  »Ich habe keine Ahnung, wer das ist.« Ich betrachtete die Jungs genau. Der linke hatte hellblonde Haare, fast weißblond, was ihm ein irgendwie unschuldiges Aussehen verlieh. Seine Haut hatte einen goldenen Farbton von der Sonne. Der rechte war dunkler. Er besaß ein sehr ausgeprägtes Kinn, hatte aber noch ausgeprägtere Muskeln, als würde er nicht nur surfen, um sich in Form zu halten, sondern auch Gewichte stemmen. Und plötzlich, vielleicht war es sogar die Körperhaltung, dämmerte mir, wer das sein könnte.

  »Warte mal, ist der Dunkelhaarige etwa Matt, für den du schon damals geschwärmt hast? Und ist der andere dann …?«

  »Genau. Asher Buchanan und Matt Sinclair. Sie sind auch erst vor zwei Tagen angekommen.«

  »Ich fasse es nicht«, brachte ich mühsam heraus. Asher. Mein Herz begann wie verrückt zu klopfen, als hätte ich ein paar Jahre zurückgespult und würde jetzt so reagieren wie damals, wenn das Gespräch auf Asher Buchanan kam. Ich war so in Asher verknallt gewesen, wie man es als Zwölfjährige nur sein konnte. Dass ich mir kein Bild von ihm in den Spind gehängt hatte, war alles. Er war schon in der Highschool gewesen, als wir noch die Middle School besuchten. Ich fand ihn so wahnsinnig süß mit seinen blonden Haaren und den großen, braunen Augen, hatte es aber nur einmal geschafft, ein Wort mit ihm zu wechseln. Wenn ich gerade mal nicht von einem eigenen Pferd geträumt hatte, dann von Asher. Das Pferd hatte mein Vater mir sogar versprochen. Während der Trennung war das dann aber untergegangen und zurück in Deutschland war natürlich nicht an Reitstunden zu denken gewesen, geschweige denn an ein eigenes Pferd. Mein ganzes Leben in New York war mir später wie ein Traum vorgekommen, eine rosarote Seifenblase, die schwerelos durch die Atmosphäre trieb. Aber ich hatte versucht, mir die Sehnsucht nicht anmerken zu lassen. Meine Mutter war auch so schon am Ende gewesen, das hätte sie nur noch mehr runtergezogen.

  »Ich glaube, ich brauche dich nicht zu fragen, ob du ihn immer noch süß findest«, sagte Jen und grinste mich an. O nein, das war wohl offensichtlich.

  Einen Moment schwiegen wir und blickten zu den Jungs vor dem dunkelblau glitzernden Wasser. Sie unterhielten sich, zeigten auf die Wellen und diskutierten, vermutlich über die besten Rides.

  »Du denkst jetzt aber nicht, dass ich da hingehe, Jen.«

  Ich hatte in so vielen Bereichen meines Lebens gelernt, selbstbewusst zu sein und die Dinge in die Hand zu nehmen, aber was Jungs anging, unterschied ich mich leider nur wenig von der unerfahrenen Zwölfjährigen von damals.

  »Wir warten erst mal ab und essen einen Snack zur Stärkung. Du packst das schon«, murmelte Jen vergnügt.

  Asher. Wie verrückt, dass er auch hier war, noch ein Puzzleteil aus meiner Vergangenheit. Wir packten die Sandwiches aus, die wir auf dem Weg zum Strand in einem kleinen Laden gekauft hatten. Jen pickte mit ihren Fingern an einem herum und steckte sich ein kleines Stück weiches Brot in den Mund.

  »Früher warst du so verfressen. Jetzt isst du, als hättest du den Magen von einem Wellensittich«, neckte ich sie.

  »Früher konnte ich ja auch nur bei dir was Richtiges essen, weil meine Mutter mir nur gedünstetes Gemüse erlaubt hat. Eine fette Tochter wäre für sie Ausdruck ihres persönlichen Scheiterns gewesen.«

  »Naja, da braucht sie bei dir nun wirklich keine Angst zu haben.« Denn auch wenn Jen größer war und breitere Hüften hatte als früher, war sie ziemlich dünn.

  »Apropos. Hast du deinen Wellensittich noch? Budgy? Es fehlt fast etwas, wenn er nicht auf deiner Schulter sitzt«, sagte Jen.

  »Nein. Er ist ein Jahr nach meinem Umzug gestorben, als ich mit Dad in den Ferien war. Das war echt traurig.« Ich spürte eine glühende Stecknadel im Magen, als ich daran dachte.

  »O Mann, das tut mir leid. Der Vogel war dein Baby!«

  »Das Schlimmste ist, dass ich kurz meine Mutter in Verdacht hatte, ihn vergessen zu haben. Das war fast wie eine Strafe für meine Reise mit Dad. Aber sowas würde sie natürlich nie machen.«

  Jen warf mir einen langen Blick zu. »Moms machen verrückte Dinge während der Scheidung.«

  Ich setzte an, etwas zu sagen, aber ich konnte irgendwie nicht.

  »Aber nein, natürlich nicht«, fügte sie schnell hinzu.

  Keine Ahnung, was sie in meinem Gesicht gesehen hatte. Ich hatte diesen Vogel so unglaublich geliebt. Noch nicht mal beerdigen konnte ich ihn, weil Mom ihn schon entsorgt hatte, als ich zurückgekommen war. Ich durfte nicht daran denken.

  »Die Sandwiches sind echt lecker«, sagte ich schnell und nahm einen Bissen. Sie waren tatsächlich gut, Thunfischcreme und Ei.

  Jen zupfte ein weiteres Stück aus ihrem Sandwich. Ihre Mutter war mir hingegen so perfekt erschienen. Ihr ganzes Zuhause war wunderschön gewesen, vom Lampenschirm bis zum Bettüberwurf harmonierte alles mit farbigen Tapeten und passenden Stoffen. Es war immer schwer vorstellbar gewesen, wie unerbittlich sich ihre Eltern gestritten hatten.

  Jen schaute
wieder zu den Surfern.

  »Wären die beiden nichts für uns? Ich würde bei Matt bleiben, wie früher, wenn du nichts dagegen hast. Schau dir doch mal seine Zähne an, ich liebe perfekte Zähne. Und die Armmuskeln …« Sie kicherte. Natürlich. Matt. Früher hatte er uns Middle-School-Mädchen der siebten Klasse nicht angeschaut, so uninteressant waren wir für ihn. Aber der Altersunterschied wurde immer unbedeutender, je älter man wurde, wie ich von meinem Vater nur zu gut wusste. Seine Freundinnen waren zehn oder mehr Jahre jünger als er, was waren da schon zwei Jahre?

  »Wenn du von Matt sprichst, klingst du so, als würdest du ein Zuchtschwein aussuchen und erst mal das Gebiss untersuchen. Hast du denn inzwischen überhaupt schon mal mit ihm gesprochen? Also mehr als Ich überbringe dir eine Nachricht als Valentinsbote«, bemerkte ich trocken. »Du hattest ja ein paar Jahre Zeit.«

  Jen prustete los und warf ein Stück Sandwich nach mir. »Diese peinliche Aktion, als wir uns in der Schule darum gerissen haben, ihnen diese bescheuerten Valentinsbotschaften überbringen zu dürfen, hatte ich bis vor einer Minute erfolgreich verdrängt. Danke auch. Jetzt brauche ich wieder zwei Jahre, um es zu vergessen.«

  Die Jungs waren jetzt alle aus dem Wasser gekommen und standen zusammen. »Nein, Matt hat die Schule gewechselt, als du weggegangen bist. Aber diesen Sommer wird sich alles ändern. Für uns beide.« Jen sprach die letzten beiden Sätze mit spielerisch getragener Stimme.

  »Ich will ja kein Spielverderber sein und das Orakel unterbrechen, aber ich muss gleich los zum Vorstellungsgespräch.«

  »Das passt perfekt. Nur noch fünf Minuten. So wissen sie beim nächsten Mal, dass sie schneller sein müssen, wenn sie uns ansprechen wollen. Und wir geben ihnen ein bisschen Zeit, uns von hinten zu bewundern.«

  »So ein bisschen hast du schon einen Knall, Jen, aber das weißt du wahrscheinlich. Die werden uns nicht mit dem Hintern anschauen. Die sind doch eine völlig andere Liga.«

  Jen schüttelte langsam den Kopf. »Nein, Emma. Auch damals waren sie keine andere Liga. Sie waren älter und das kam uns deshalb früher nur so vor.« Sie blickte mich an und wartete darauf, dass ich zustimmte.

  Ich zuckte mit den Schultern. Sie war vielleicht in der gleichen Liga. Ich war jetzt in einer anderen, beziehungsweise eigentlich in überhaupt keiner.

  Es war so verwirrend. Aber vielleicht hatte sie recht. Nur weil ich nicht mehr in einem großen Apartment an der Upper East wohnte, war ich ja keine Aussätzige.

  »Em, was wäre ein Sommer ohne einen Flirt! Hey, du willst doch nicht als Jungfrau das College beginnen«, sagte sie, während sie ihr Handtuch zusammenrollte. »Und ich überlasse dir hier den absoluten A-Lister. Ashers Vater gehört sozusagen die halbe Insel. Die beiden schmeißen die besten Partys. Wir hätten zu viert so viel Spaß. Und du musst schließlich aufholen. Mindestens Third Base, Baby, auf der Zielgeraden zum Home Run!« Jen zwinkerte mir zu. Dann hob sie die Hand, um mich abzuklatschen. Zögernd hielt ich ihr meine hin und sie schlug geräuschvoll ein.

  Plötzlich ertönte hinter uns ein Glucksen.

  Ich fuhr zusammen und drehte mich gleichzeitig mit Jen um. Unter dem Handtuch, aus dem die Männerbeine ragten, wackelte es. Dann wurde es zur Seite geschoben, das aufgeklappte Buch fiel in den Sand und ein Männerkopf mit zerzausten schwarzen Haaren kam zum Vorschein. Der Typ gluckste immer noch, wobei seine Rippen und sein Bauch vibrierten, obwohl er sich scheinbar bemühte, sein Lachen unter Kontrolle zu bringen. Sein Oberkörper war gebräunt und muskulös, aber nicht aufgepumpt wie Matts. Vielleicht war er etwas älter als ich, aber nicht viel. Er hielt sich die Hand vor die Stirn, schien sich endlich im Griff zu haben und murmelte: »Sorry, ich wollte wirklich nicht lauschen.« Dann schaute er hoch, langsam, als müsste er sich beherrschen, um nicht wieder loszuprusten. Als sein Blick meinen traf, schoss mir sofort das Blut in die Wangen, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Er sah trotz seiner Entschuldigung alles andere als zerknirscht aus, sondern eher selbstzufrieden und überheblich.

  Sein Gesicht war fast herzförmig mit einem markanten Kinn und blauen Augen, welche durch die dichten, schwarzen Augenbrauen besonders leuchteten. Die Röte stieg mir immer weiter ins Gesicht, als mir klar wurde, worüber wir gerade gesprochen hatten. Sein Blick sprang von mir zu Jen und wieder zurück und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.

  »Und da soll noch mal jemand sagen, dass Frauen Männer nicht als Sexobjekte sehen«, sagte er, sprang auf und stellte sich mit verschränkten Armen vor uns. Er war ziemlich groß.

  Ich wollte vor Scham im Boden versinken. Was hatte er genau gehört? Unser ganzes Gespräch?

  Dann blickte er zu den Surfern. »Hey, die A-Lister schauen rüber. Kleiner Tipp: Nichts belebt das Geschäft besser als Konkurrenz. Ich würde mich gern bereit erklären, mit euch zu flirten, aber ich muss leider los. Viel Spaß noch. Verkauft euch nicht unter Wert!«, sagte er zum Abschied und warf mir dabei einen eindringlichen Blick zu. Warum nur konnte ich mich noch mal nicht ans andere Ende der Welt beamen?

  Ich blickte zu Jen, die grinsend neben mir stand.

  »Man sollte nie einem schlafenden Mann trauen«, sagte sie und schüttelte den Kopf, schien wegen des Vorfalls aber nicht sonderlich aus der Bahn geworfen zu sein. »Gott, der war ja scharf, das hat man unter dem Handtuch vorhin überhaupt nicht gesehen.« Wehmütig blickte sie ihm hinterher.

  »Du hast gut lachen. Er denkt ja auch nicht, dass du eine verzweifelte Jungfrau bist, die sich jedem dahergelaufenen Typen an den Hals schmeißt.«

  »Dabei bin ich eine«, sagte Jen trocken. »Hey, Em, bleib locker. Der Typ ist doch völlig egal.«

  Ich schluckte und hoffte nur, dass Long Island groß genug war, damit einem weitere peinliche Begegnungen erspart blieben.

  Drei

  Kurze Zeit später saßen wir wieder in Jens rotem Käfer und brausten Richtung Main Street in Southhampton. Wir fuhren an den großen Anwesen vorbei, viele klassisch aus Holz gebaut, aber mit beeindruckenden Einfahrten, in denen teure europäische Sportwagen geparkt waren. Näher am Ziel war es ein bisschen städtischer. Die Häuser waren etwas kleiner, hatten liebevoll gepflegte Gärten und Hortensien mit riesigen Blüten. Leider wurden wir bald ausgebremst, denn der Wochenendverkehr hatte eingesetzt und es ging eher langsam voran. Jen fuhr im Bikini-Oberteil und ich machte es ihr nach und warf mein T-Shirt auf den Rücksitz. Die leichte Gänsehaut, die der Fahrtwind auf unserer Haut hinterließ, fühlte sich gut an, und sobald das Auto stand und der Fahrtwind ausblieb, brannte die Sonne heiß auf uns herunter.

  Nach dem Vorstellungsgespräch würde ich meinen Vater zum Abendessen treffen. Hoffentlich klappte alles und ich konnte ihm direkt von meinem Job berichten. Ich freute mich so, meinen Vater zu sehen. Er war bisher meistens unterwegs gewesen. Aber jetzt war Wochenende und wir würden endlich etwas Zeit miteinander verbringen können.

  »Kannst du mich beim The Bitter End rauslassen? Das ist so ein Café in der Nähe der Hauptstraße«, sagte ich.

  »Das kenne ich natürlich, das gibt es ja schon ewig. Ist ein bisschen heruntergekommen in den letzten Jahren. Hast du schon wieder Hunger?«

  »Nein, dort habe ich mein Vorstellungsgespräch.«

  »Das ist dein Sommerjob? Du willst im Bitter End arbeiten, im Ernst?«

  Ich nickte. »Ist das schlimm?«

  »Nee, das Café ist ein Klassiker, nur dachte ich irgendwie, es würde zumachen oder so was.«

  »Drück mir bitte die Daumen. Es muss klappen. Fast alle Jobs waren schon vergeben, weil sich natürlich alle früher drum gekümmert haben.«

  »Klar doch, du packst das locker. Hier ist es schon.« Sie hielt an und nickte mit dem Kopf in Richtung eines Gebäudes am Ende der Main Street. Ich umarmte Jen kurz, nahm mein Shirt von der Rückbank, streifte es über und stieg aus dem Auto.

  »Wir sehen uns morgen! Sag mir, wie’s gelaufen ist!« Jen hob die Hand, während sie losfuhr und die Musik lauter drehte. Das Brummen des Motors von ihrem Käfer wurde durchdringender und dann war sie auch schon verschwunden.

  »The Bitter End« stand in geschwungenen Buchstaben auf einem Holzschild an einem altmodisch wirkenden
Haus mit grauen Schindeln. Durch die unterteilten Scheiben sah es schon von außen gemütlich aus, weniger gestylt als viele andere Läden hier. Als ich die dunkelgrüne Holztür mit der großen Scheibe zum Innenraum aufdrückte, stieg mir sofort der aromatische Duft von Kaffee und Gebäck in die Nase. Drinnen standen Tische in verschiedenen Größen und Formen, die zusammengewürfelt waren und trotzdem harmonierten. Die Stühle waren aus Holz, manche davon waren grün lackiert. Das honigfarbene Parkett glänzte und spiegelte das Sonnenlicht, das durch die großen Scheiben fiel. Auf den Tischen standen unterschiedliche Vasen mit zarten Blumen. An den Wänden hingen kleine Bilder in Holzrahmen, detailgetreue Zeichnungen von Gebäuden, dazu Drucke aus alten Büchern. Einige Tische waren besetzt, aber lange nicht alle. Im Hintergrund lief eine melancholische Melodie. Manche Gäste tippten auf ihren Laptops, obwohl auf einem Schild stand »Keine Laptops im Sommer«. Wahrscheinlich sollte verhindert werden, dass jemand stundenlang einen Tisch blockierte. An der einen Seite des Cafés befand sich ein altmodischer Tresen, auf dem unter bauchigen Glasdeckeln Kuchen und Gebäck ausgestellt wurde. Dahinter stand, mit dem Rücken zu mir, ein Mädchen mit hochgesteckten Haaren, das an der Espressomaschine herumwerkelte. Hier sah nichts heruntergekommen aus. Alles war sauber geschrubbt, das Gebäck duftete, es war eben etwas altmodisch. Ich mochte so was. Der Laden, eine Mischung aus Café und Restaurant, war nicht vornehm, aber gepflegt und sehr einladend. Ich folgte dem Gang neben dem Tresen, der laut eines handgeschriebenen Schildes zum Garten führte. Hier standen Tische und Stühle aus hellgrünem Metall zwischen großen Holzkübeln, in denen Büsche, weiße Rosen und Hortensien blühten. Die Terrasse sah verwunschen aus, wie aus einer vergangenen Welt. Ich würde während der Arbeit sogar an der frischen Luft sein. Im Bedienen war ich schließlich durch die Arbeit in der Pizzeria schon ziemlich gut. Meine Mutter hatte von dem Job gar nichts gewusst. Sie wollte nichts davon hören, dass ich mehr Geld brauchte, als sie mir zuteilte, und war der Meinung, dass ich mich lieber auf die Schule konzentrieren sollte, die sie selbst so früh abgebrochen hatte, um für die Modelagentur ins Ausland zu gehen. Aber meine Noten blieben gut und sie hatte nie Verdacht geschöpft. In den Hamptons gab es bestimmt besseres Trinkgeld als in Ratingen. Der Job war perfekt. Es musste einfach klappen.

 

‹ Prev