by Kiefer, Lena
Edina hatte uns nicht nur einzelne Personen zugewiesen, die in den griechischen Behörden etwas zu sagen hatten und deswegen von Davidge ferngehalten werden mussten. Nein, sie hatte außerdem auch noch Bereiche eingeteilt, damit uns ja nichts entging. Egal, wie oft sie davon sprach, das würde alles ein riesengroßer Spaß werden – ich glaubte ihr kein Wort. Und trotzdem stand ich am Samstagabend in der Lobby, trug einen Smoking und wartete darauf, dass der Rest der Truppe auftauchte. Edina hatte alle in ihr Zimmer beordert, um sich um Klamotten und Haare zu kümmern, nur Finlay und mich hatte sie außen vor gelassen. Sie wusste, ich hasste es, wenn man an mir herumfuhrwerkte, und bei Finlay war es besser, sie hielt Abstand.
Ich sah auf die Uhr und zerrte an meinem Kragen, der mir viel zu eng vorkam. Noch zwanzig Minuten bis zum Beginn der Veranstaltung, bei der man sich natürlich nicht pünktlich sehen lassen durfte, sondern auf jeden Fall ein bisschen zu spät kam, damit man von allen als wichtig wahrgenommen wurde. Das waren die Regeln der oberen Zehntausend, und auch wenn ich das ziemlich unhöflich fand, hinterfragte ich es schon lange nicht mehr. Edina hatte entschieden, sich nach diesem Kodex zu verhalten, also widersprach ich nicht. Ich war einfach froh, wenn das Ganze vorbei war und das Kefi Palace nichts weiter von Davidge befürchten musste.
»Sind die anderen noch nicht da?«, riss mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Eine Stimme, die wohl für alle Zeiten ein Flattern in meinem Magen auslösen würde. Ich drehte mich um und erstarrte.
Gott, steh mir bei.
Kenzie trug ein dunkelgrünes Abendkleid aus fließendem Stoff, das ab der Hüfte weich bis zum Boden fiel und am Ausschnitt gerafft war. Nicht dass ich für eines dieser Details tatsächlich einen Blick gehabt hätte, denn ich konnte nur sie sehen. Und spüren, wie sie mich umhaute, wieder einmal. Genau wie die Erkenntnis, dass sich an meinen Gefühlen für sie nichts geändert hatte. Im Gegenteil. Mit jeder Minute, die sie in meiner Nähe war und ich merkte, dass sie alles verkörperte, nach dem ich mich immer gesehnt hatte, verliebte ich mich mehr in sie. So sehr, dass Verliebtsein längst ein unzulängliches Wort war. Aber ich verbot es mir, dieses andere Wort auch nur zu denken. Denn wenn ich es tat, wurde es wahr. Und dann würde alles nur noch schlimmer werden.
Ich räusperte mich, als sie die Treppe herunterkam und vor mir stehen blieb. »Es gibt keinen Satz, der in diesem Zusammenhang nicht abgedroschen klingt, aber: Du siehst wirklich wunderschön aus.« Ihre Haare fielen ihr offen über die Schultern und waren in Wellen gelegt, vermutlich Edinas Werk.
Kenzie wurde rot. »Danke. Du aber auch.« Sie deutete an mir herunter und lächelte. »Nicht ganz so gut wie der Kilt, aber es kommt nah dran.«
Ich verzog das Gesicht. »Erinnere mich nicht daran. Den Kilt gibt es nicht mehr.«
»Nicht? Wieso?«
»Es war zu viel Blut dran.« Und Erinnerungen . Ich lächelte schief.
»Verstehe.« Sie nickte leicht. »Aber wie ich deine Familie kenne, wirst du um einen neuen wohl nicht herumkommen.«
»Vermutlich nicht. Wobei ich ihn sowieso nur zu den Games und bei irgendwelchen Hochzeiten in der Familie tragen muss, also brauche ich so bald keinen neuen.«
»Du wirst dieses Jahr nicht nach Kilmore zu den Highland Games fahren?«, fragte Kenzie verwundert. »Ich dachte, das wäre ein fester Termin für alle Hendersons.«
Ich hob die Schultern. »Wenn ich es verhindern kann, werde ich diese Stadt nicht öfter betreten als nötig.«
Man konnte ihr förmlich ansehen, was ihr durch den Kopf ging. Wie sie darüber nachdachte, dass ganz Kilmore keine Ahnung hatte, was mit Ada tatsächlich passiert war – und wie viel mehr sie mich alle verabscheuen würden, wenn sie es wüssten. Aber in Kenzies Blick war trotzdem kein Hass, sondern Mitgefühl. Das ich nicht verdiente, deswegen schaute ich weg.
»Lyall?«, fragte sie leise.
»Hm?« Ich sah wieder auf.
»Glaubst du … denkst du, wir –«
»Hier bist du!« Meine Schwester kam fertig gestylt die Treppe herunter und sah Kenzie an wie einen Hund, der ihr entlaufen war. »Ich habe oben auf dich gewartet und dachte schon, du kneifst.«
Kenzie sah von mir zu Edina und am liebsten hätte ich ihr vom Gesicht abgelesen, was sie mich hatte fragen wollen. Aber es war unmöglich. »Tut mir leid«, sagte sie zu meiner Schwester. »Ich dachte, ich gehe schon mal runter, wenn ich eh fertig bin.«
In dem Moment kamen auch Finlay und die anderen in die Lobby und binnen weniger Sekunden hatte Edina uns alle zu der Limousine gescheucht, die auf dem staubigen Parkplatz wirkte, als hätte das Navi sie ziemlich weit offroad geführt. Nur kurz sprach meine Schwester mit dem Fahrer, dann saßen wir in den bequemen Ledersitzen und wurden Richtung Süden chauffiert.
»Also«, begann Edina mit ihrem letzten Briefing. »Kenzie, du gehst mit Finlay rein, ich mit Lyall und Elliott mit Bella und Martha. Das passt optisch am besten.«
»Merkst du es?«, murmelte ich meinem Cousin zu, der neben Kenzie saß. »Es ist wieder so weit.«
»Oh ja«, gab er zurück. »Edie-Zilla ist zurück.«
»Hey, ich kann euch hören«, sagte sie streng, und schnell setzten wir unschuldige Mienen auf. »Und es ist echt traurig, dass ihr das immer noch nicht verstanden habt, aber der richtige Auftritt ist bei einer solchen Veranstaltung entscheidend. Es gibt keine zweite Chance für einen ersten Eindruck.«
»Ist nur die Frage, was für einen ersten Eindruck wir machen wollen«, sagte Finlay und seine Augen funkelten herausfordernd. Oh nein, bitte nicht , dachte ich. Wenn die beiden besonders frustriert von der Situation zwischen ihnen waren – und nach ein paar Tagen in der Gegenwart des anderen war das todsicher der Fall – dann begannen sie damit, sich zu streiten. Und das war in einem Auto voller Uneingeweihter eine richtig schlechte Idee.
»Na, du sicher den gleichen wie immer«, gab Edina da schon eiskalt zurück. »Möchtegern-Playboy auf der Suche nach dem nächsten dürren Arsch in irgendeiner Designerrobe. Nur dass du in diesem Fall Pech haben wirst. Das heute ist keine Victoria’s -Secret -Fashionshow.«
»Ach, das ist kein Problem für mich.« Finlay hob eine Augenbraue. »Ich komme immer auf meine Kosten, wie du weißt.«
»Oh ja, das weiß ich nur zu gut«, ätzte Edina zurück. »Besonders wählerisch warst du schließlich noch nie. Und außerdem –«
»Vielleicht solltet ihr diese Diskussion auf später verschieben. Das wäre eine gute Ablenkung, falls wir sie irgendwann brauchen sollten.« Es war Kenzie, die all die dicke Luft mit einem völlig neutralen Tonfall zerschnitt. Es wunderte mich nicht – sie hatte in ihrem Leben sicher schon so viele Streits beendet, dass sie reich gewesen wäre, wenn sie dafür jedes Mal ein Pfund bekommen hätte. »Erklärt mir lieber mal, warum das heute so ein wichtiger Abend ist, um Davidge von den Behördenfritzen fernzuhalten? Was hindert ihn daran, einfach am Montag in deren Büros zu spazieren und dort zu versuchen, sie zu schmieren?«
Edina atmete aus und löste ihren wutentbrannten Blick von Finlay. »Klar, das könnte er. Aber in einer Atmosphäre wie heute sind die Leute entspannter und lassen sich leichter einlullen.«
»Und ich denke, dass er das längst versucht hat«, fügte ich hinzu. »Einer wie er glaubt ja, die ganze Welt lasse sich bestechen. Nur dass Europa bei den Bauvorschriften die Daumenschrauben angezogen hat und der alte Knacker das nicht mitgekriegt hat. Wenn er also jemanden belabern will, dann geht das nur in so einem Kontext wie heute. Halten wir ihn davon ab, stehen die Chancen gut, dass er nicht damit durchkommt und seinen Boden erst einmal säubern muss.«
»Was bedeutet, Dora müsste nicht mehr fürchten, er würde ihrer Eröffnung in die Quere kommen.« Kenzie nickte. »Alles klar. Dann kann ich nur hoffen, dass sein Bauleiter nicht dort sein wird. Der würde mich vielleicht doch erkennen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Keine Sorge. Davidge bezahlt seine Leute nicht nur schlecht, er behandelt sie auch so. Garantiert nimmt er keinen von ihnen mit zu einem solchen Event.«
»Gut.« Sie lächelte und zupfte an ihrem Kleid herum, nur eines der Anzeichen dafür, dass sie nervös war. Ich wollte sie beruhigen, dachte nicht nach und legte meine
Finger sanft auf ihre. Kenzie atmete hörbar ein und nahm ihre Hand nicht weg, aber sie versteifte sich, also zog ich meine zurück. Jedoch konnte ich auch, als wir uns nicht mehr berührten, ihre weiche Haut immer noch fühlen, als wäre jeder Funke Nähe zwischen uns eine Droge, die mich immer abhängiger machte. Schnell sah ich aus dem Fenster.
Die anderen hatten davon nichts mitbekommen, denn sie sprachen längst über den Ort, an dem das Ganze stattfinden sollte: das Achilleion, gebaut für Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn. Ich war noch nie dort gewesen, aber als wir einige Minuten später vor dem Haupteingang hielten, den man mit einem roten Teppich versehen hatte, wusste ich, wieso viele von diesem Ort so beeindruckt waren.
Durch die getönten Fenster der Limousine erkannte ich den von warmen Lampen angestrahlten weißen Bau mit seinen imposanten Säulen. Die Kaiserin hatte sich den Palast bauen lassen, nachdem sie Korfu als neue Heimat auserkoren hatte, und sich bei der Gestaltung ganz an den großen griechischen Vorbildern orientiert. Als meine Mutter mich gefragt hatte, ob ich ihr helfen würde, hatte ich mir vorgenommen, das Achilleion zu besuchen, aber die Arbeit war einfach wichtiger gewesen. Ein Gutes hatte dieser Zirkus also doch – ich konnte mir das Gebäude ansehen. Sofern Edina und ihr Plan mich ließen.
»Showtime«, sagte Finlay und reichte Kenzie seine Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Sie holte Luft, dann war sie auch schon aus dem Wagen. Ich folgte ihr und meine Schwester hakte sich bei mir unter.
»Wissen die eigentlich, dass wir kommen?«, fragte ich und versuchte, meinen Blick von Kenzies Rücken zu lösen. Was schwierig war, weil ich keine Ahnung gehabt hatte, wie tief dieses Kleid hinten ausgeschnitten war.
»Kommt darauf an, wen du mit die meinst.« Edina zeigte ein leises Lächeln. »Ich habe das Team von Mrs Fraser selbstverständlich darüber informiert, dass die Hendersons ihren Empfang besuchen wollen. Aber es könnte sein, dass ich das erst heute Morgen getan habe, um niemanden aufzuschrecken.«
Ich grinste. »Also hat Davidge keine Ahnung.«
»Das will ich doch hoffen. Sonst wäre das alles nur der halbe Spaß.« Sie lächelte mich an, und in der nächsten Sekunde waren wir auch schon bei der Gastgeberin angekommen, der Finlay gerade Kenzie als seine Begleitung vorstellte und seinen üblichen Charme für sich arbeiten ließ. Mrs Fraser sah zumindest sehr verzückt aus, als die beiden weitergingen und sie sich uns zuwandte.
»So viele Hendersons auf einmal, womit verdiene ich das?« Sie gab zuerst Edina und anschließend mir die Hand, sah jedoch vor allem mich an, als sei ich – weil ich männlich war – eher dazu befugt, ihre Frage zu beantworten. Fast hätte ich mit den Augen gerollt, aber dann besann ich mich auf meine guten Manieren und die Rolle, die ich hier zu spielen hatte.
»Das verdanken Sie meiner Schwester«, lächelte ich. »Edina ist diejenige von uns, die von Ihrer Veranstaltung wusste und es für eine wunderbare Idee hielt, Sie hier zu besuchen.« Gott, ich klang, als hätte ich ein paar Regency-Filme inhaliert. Grandma wäre begeistert gewesen.
»Tatsächlich?«, sagte Mrs Fraser und betrachtete meine Schwester auf eine Art, wie es viele andere auch taten – von ihrer Schönheit beeindruckt und gleichzeitig wegen des cleveren Ausdrucks in ihren Augen auf der Hut. Ich fragte mich, ob Edina irgendwann einen Partner finden würde, der keine Angst davor hatte, neben ihr zu verblassen. Finlay wäre das völlig egal gewesen, er war selbstbewusst genug, um an ihrer Seite zu bestehen – oder ihr im richtigen Moment das Feld zu überlassen. Aber er war keine Option. Es sei denn, wir konnten etwas in der Familie ändern und unsere Mutter davon überzeugen, dass diese Beziehung dem Sturm der Öffentlichkeit standhalten würde.
»Tatsächlich«, lächelte Edina jetzt freundlich. »Ich habe schon so viel von all dem Guten gehört, was Sie hier tun, dass ich meinen Bruder, meinen Cousin und unsere Freunde quasi dazu genötigt habe, herzukommen. Vielen Dank, dass Sie uns empfangen. Ich bin sicher, es wird eine ordentliche Summe für den guten Zweck zusammenkommen.«
Mrs Fraser nickte, lächelte und entließ uns dann. Edina schob ihren Arm wieder in meinen und wir folgten Kenzie und Finlay, wie immer die vielen Blicke ignorierend, die wir beide zusammen auf uns zogen. Ich wusste, was in den Köpfen der Leute vor sich ging. Sind die beiden ein Paar? Nein, dazu sehen sie sich zu ähnlich. Also Geschwister. Oder sogar Zwillinge? Vielleicht doch ein Paar. Bei diesen einflussreichen Familien weiß man schließlich nie.
»Hast du Davidge schon entdeckt?«, fragte ich Edina leise.
»Nein. Aber ich bin sicher, er ist hier irgendwo.«
»Und wenn nicht, haben wir immerhin ein paar Tausend Euro für einen guten Zweck gespendet«, grinste ich.
»So sieht es aus.« Sie lachte. »Dieses Jahr geht das Geld an die Eselrettungsstation auf der Insel. Also haben wir auf jeden Fall ein gutes Werk getan.«
»Da seid ihr ja.« Mein Cousin hatte wie üblich bereits Getränke organisiert und reichte Edina und mir ein Glas Champagner, kaum dass wir einen Fuß auf die Terrasse gesetzt hatten. Ich schaute mich um, unauffällig, aber beeindruckt. Der Marmor in Schachbrettoptik, dazu die griechischen Statuen und erneut unzählige Säulen … es war wirklich feudal, einer Kaiserin würdig. Ich sah, wie Kenzies Augen leuchteten und ahnte, dass sie bereits tausend Ideen im Kopf hatte, wie man diesen Stil in den Villen des Kefi Palace umsetzen konnte. Und ich wollte unbedingt wissen, welche es waren.
Edina machte meinem Plan, sie danach zu fragen, allerdings einen Strich durch die Rechnung. Nachdem Bella, Martha und Elliott, die von dem ganzen Prunk völlig überwältigt schienen, zu uns gestoßen waren, stellte meine Schwester ihr Glas auf dem Tablett eines Kellners ab und sah uns an.
»Also, Team Kefi Palace, an die Arbeit. Wir haben viel zu tun.«
30
Kenzie
Edinas Plan hatte in der Theorie kompliziert geklungen, in der Praxis war er eigentlich ganz einfach. Wir wechselten jede halbe Stunde unseren Standort, flanierten über die Terrasse oder durch den Palast, redeten mit Leuten und taten so, als würden wir uns amüsieren, während wir Davidge und seine Versuche im Auge behielten, den griechischen Entscheidungsträgern Honig ums Maul zu schmieren. Wobei das vor allem Edinas Job zu sein schien, denn immer, wenn der alte Hotelier sich an jemanden heranwanzte, tauchte sie auf, um in bestem Griechisch denjenigen um den Finger zu wickeln, sodass er nur noch Augen für sie hatte. Wir waren eher Zuschauer dieses Schauspiels, wie Statisten bei einem Film, die von A nach B liefen und nicht groß auffielen. Immerhin trugen wir nicht solche Ohrstöpsel wie in einem Action-Streifen. Ich wäre wohl jedes Mal zusammengezuckt, wenn jemand etwas gesagt hätte, ohne in meiner Nähe zu sein.
Allein für den Besuch des Palastes lohnte es sich jedoch schon, kriminell hohe Schuhe zu tragen und dazu dieses Kleid, das eigentlich nicht ganz mein Stil war – wobei ich seit Lyalls Blick nicht sicher war, ob ich es nicht behalten wollte. Es passte auf jeden Fall zum Ambiente des Achilleions, zu den Säulen, den bemalten Decken, der opulenten Ausstattung der Innenräume oder der breiten Treppe im Eingangsbereich. Da es aber wohl merkwürdig kam, wenn ich am heutigen Abend den Boden genauer angeschaut oder die Tapeten inspiziert hätte, hatte ich mir bereits vorgenommen, noch einmal während der Besuchszeiten herzukommen und mein Skizzenbuch mitzunehmen.
»Wie machst du das nur?«, fragte ich Finlay, mit dem ich in den Garten gegangen war, weil das für die nächste halbe Stunde unser Bereich war. Davor hatte ich mit Bella und Elliott im Haus die Sissi-Ausstellung angesehen, aber trotzdem bemerkt, wie Lyalls Cousin von den anderen Gästen angeschaut wurde – und nicht nur er. Die Hendersons zogen die Aufmerksamkeit auf sich, egal wo. Ich hatte unendlich viele Blicke in Lyalls, Edinas und Finlays Richtung gesehen, die jeden sonst hätten rot werden lassen. Aber keiner der drei ließ sich das anmerken. »Dieses ganze Small-Talken und Komplimente machen, selbst wenn sie nicht angebracht sind. Und dann das Lächeln . Ich habe das Gefühl, ich werde morgen Muskelkater im Gesicht haben, dabei bin ich neben dir eine Spaßbremse ohne Mimik.«
Finlay lachte. »Jahrelange Übung. Mein großer Bruder Logan war immer schon der ernste, verschlossene Typ, deswegen hat meine Fa
milie mich bereits mit zu solchen Anlässen genommen, als ich noch in der Schule war. Lächeln und das Richtige zur richtigen Zeit sagen, das ist wie Fahrradfahren. Kannst du es einmal, verlernst du es nie wieder.«
»Also ist das für dich nicht anstrengend? So zu tun, als würdest du dich für diese Leute interessieren? Oder für das, was sie sagen?« Ich konnte mir nicht vorstellen, ein solches Leben zu führen.
Er hob die Schultern. »Ich mag Menschen. Manche mehr, manche weniger, aber im Schnitt finde ich die meisten tatsächlich interessant. Meine Mutter sagt, das wäre das Ergebnis davon, dass ich es nicht mit mir allein aushalte. Vielleicht hat sie damit recht.«
Ich schnaubte. »Charmant, deine Mum.«
»Auch daran gewöhnt man sich.« Er lächelte. »Mein Dad ist dafür der Hammer, also gleicht es sich aus.«
»Das heißt, die eingeheirateten Hendersons sind eigentlich schlimmer als die originalen?«, fragte ich, bis mir auffiel, dass das ziemlich anmaßend war. »Sorry, ich wollte nicht schlecht über deine Mutter reden –«
Finlay winkte ab. »Ach was, sie ist wirklich nicht gerade Mum des Jahres. Ich glaube, nachdem meine Eltern geheiratet haben, wollte sie sich beweisen, schließlich hatte sich Grandma höchstpersönlich dafür eingesetzt, dass sie meinen Dad bekommt. Und ja, ich weiß, dass das wie auf einem Basar klingt.« Er verdrehte die Augen. »Jedenfalls hat sie dann eigentlich nur noch für die Arbeit gelebt, nachdem ich da war, also hat mein Dad entschieden, er steigt aus dem Unternehmen aus und kümmert sich um uns. War cool. Ich hätte es nicht anders haben wollen.«
»Und der Dad von Edina und Lyall? Hat er das auch so gemacht?« Ich hatte letzten Sommer gelesen, dass Ross Henderson, der längst wieder Boyd hieß, Olympiaschwimmer gewesen war und die Trennung nicht gerade einfach. Aber ich hatte Lyall nicht nach ihm gefragt, dazu waren wir nie gekommen.