Gold - Pirate Latitudes

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Gold - Pirate Latitudes Page 25

by Michael Crichton


  Plötzlich kamen Enders und der Maure über Bord gesprungen, mit Lanzen in der Hand. Sie landeten neben Hunter auf dem Ungetüm und stießen ihm ihre Lanzen tief in den Leib. Grüne Blutfontänen schossen in die Luft. Ein Wasserschwall wogte auf – dann erschlaffte das Tier und glitt hinab in die Tiefen des Ozeans.

  Hunter, Enders und der Maure schwammen im aufgewühlten Wasser.

  »Danke«, keuchte Hunter.

  »Bedankt Euch nicht bei mir«, sagte Enders und deutete mit einem Nicken auf den Mauren. »Der schwarze Mistkerl hat mich geschubst.«

  Bassa grinste stumm.

  Hoch über ihnen sahen sie, wie die El Trinidad ein Wendemanöver begann, um sie zurück an Bord zu holen.

  »Wisst ihr«, sagte Enders, während die drei Männer auf der Stelle paddelten, »wenn wir wieder in Port Royal sind, glaubt uns das hier kein Mensch.«

  Sie packten die Leinen, die ihnen zugeworfen wurden, und ließen sich triefend und hustend und erschöpft an Deck ziehen.

  TEIL VI

  PORT ROYAL

  KAPITEL 34

  In den frühen Morgenstunden des 17. Oktober 1665 erreichte die spanische Galeone El Trinidad vor der karg bewachsenen Landzunge von South Cay die östliche Fahrrinne nach Port Royal, und Captain Hunter ließ den Anker werfen.

  Bis Port Royal selbst waren es zwei Meilen, und Hunter und seine Besatzung standen an der Reling und blickten über das Wasser auf die Stadt. Im Hafen war es ruhig. Ihr Schiff war noch nicht gesichtet worden, doch binnen Kurzem, so wussten sie, würden Kanonenschüsse ertönen und ein ausgelassener Jubel herrschen, wie immer, wenn ein gekapertes Schiff eintraf. Die Feierlichkeiten dauerten häufig zwei Tage oder länger.

  Doch die Stunden vergingen, und von Jubel keine Spur. Im Gegenteil, die Stadt schien mit jeder Minute stiller zu werden. Es fielen weder Kanonenschüsse, noch wurden Freudenfeuer entzündet, und über das stille Wasser drangen keine Begrüßungsrufe.

  Enders’ Miene verfinsterte sich. »Haben die Spanier angegriffen?«

  Hunter schüttelte den Kopf. »Unmöglich.« Port Royal war die stärkste englische Siedlung in der Neuen Welt. Die Spanier könnten vielleicht St. Kitt angreifen oder einen von den anderen Außenposten. Aber nicht Port Royal.

  »Irgendwas ist da jedenfalls faul.«

  »Wir werden es bald wissen«, sagte Hunter, denn jetzt sahen sie ein Boot von Fort Charles ablegen, unter dessen Kanonen sie ankerten.

  Das Boot machte längsseits der El Trinidad fest, und ein Hauptmann der königlichen Milizarmee kletterte an Bord. Hunter kannte ihn; es war Emerson, ein aufstrebender junger Offizier. Emerson war angespannt. Er sprach zu laut, als er sagte: »Wer ist Captain auf diesem Schiff?«

  »Ich«, erwiderte Hunter und trat vor. Er lächelte. »Wie geht es Euch, Peter?«

  Emerson stand stocksteif da. Er ließ sich nicht anmerken, dass er sein Gegenüber kannte. »Nennt Euren Namen, Sir, wenn ich bitten darf.«

  »Peter, Ihr wisst genau, wer ich bin. Was hat das zu bedeu-«

  »Nennt Euren Namen, Sir, wenn Ihr einer Bestrafung entgehen wollt.«

  Hunter runzelte die Stirn. »Was soll das Theater?«

  Emerson, in starrer Hab-Acht-Stellung, sagte: »Seid Ihr Charles Hunter, Bürger der Massachusetts Bay Colony und zuletzt wohnhaft in Seiner Majestät Kolonie Jamaika?«

  Hunter sagte: »Der bin ich.« Ihm fiel auf, dass Emerson trotz der kühlen Brise schwitzte.

  »Nennt Namen und Herkunft Eures Schiffes, wenn ich bitten darf.«

  »Es ist die spanische Galeone El Trinidad.«

  »Ein spanisches Schiff?«

  Hunter wurde ungehalten. »Allerdings, wie nicht zu übersehen ist.«

  »Dann«, sagte Emerson und holte tief Luft, »ist es meine Pflicht, Euch unter Arrest zu stellen, und zwar wegen des Verdachts der Piraterie –«

  »Piraterie!«

  »– und Eure ganze Besatzung ebenfalls. Ihr werdet mich jetzt bitte in dem Beiboot begleiten.«

  Hunter war fassungslos. »Auf wessen Befehl?«

  »Auf Befehl von Mr Robert Hacklett, dem Stellvertretenden Gouverneur von Jamaika.«

  »Aber Sir James –«

  »Sir James liegt im Sterben«, sagte Emerson. »Und nun kommt bitte mit mir.«

  Wie betäubt oder in Trance stieg Hunter über die Bordwand und hinunter ins Boot. Die Soldaten ruderten an Land. Hunter blickte nach hinten auf die schwindende Silhouette seines Schiffes. Er wusste, dass seine Mannschaft genauso ratlos war wie er.

  Er wandte sich an Emerson. »Was zum Teufel geht hier vor?«

  Jetzt, wo Emerson im Boot saß, wirkte er entspannter. »Es hat sich vieles verändert«, sagte er. »Vor vierzehn Tagen ist Sir James am Fieber erkrankt –«

  »Welches Fieber?«

  »Ich kann Euch nur erzählen, was ich weiß«, sagte Emerson. »Seitdem ist er ans Bett gefesselt, in der Gouverneursresidenz. In seiner Abwesenheit hat Mr Hacklett die Leitung der Kolonie übernommen. Mit Unterstützung von Commander Scott.«

  »Ach ja?«

  Hunter wusste, dass er langsam reagierte. Er konnte einfach nicht glauben, dass er nach den vielen Abenteuern in den letzten sechs Wochen zum krönenden Abschluss als gemeiner Pirat ins Gefängnis gesperrt – und zweifellos gehängt – werden sollte.

  »Ja«, sagte Emerson. »Mr Hacklett führt ein strenges Regiment in der Stadt. Viele sitzen bereits im Gefängnis oder wurden gehängt, wie Pitts letzte Woche –«

  »Pitts!«

  »– und Morely erst gestern. Und gegen Euch wurde ein Haftbefehl erlassen.«

  Zahllose Einwände drängten Hunter in den Sinn und zahllose Fragen. Aber er sagte nichts. Emerson war ein Befehlsempfänger, und als solcher war es seine Aufgabe, die Befehle seines Vorgesetzten auszuführen, dieses stutzerhaften Gecken, Commander Scott. Emerson würde tun, was man ihm befahl.

  »In welches Gefängnis werde ich gebracht?«

  »Ins Marshallsea.«

  Hunter fand das aberwitzig und musste lachen. »Ich kenne den Oberaufseher vom Marshallsea.«

  »Nicht mehr, leider. Der Oberaufseher ist neu. Einer von Hackletts Männern.«

  »Verstehe.«

  Hunter sagte nichts weiter. Er lauschte den Ruderschlägen im Wasser und sah Fort Charles näher kommen.

  Sobald er in der Festung war, stellte er beeindruckt fest, welche Bereitschaft und Wachsamkeit die Soldaten an den Tag legten. Früher waren von den Wachposten auf den Zinnen von Fort Charles nicht selten etliche betrunken gewesen und hatten schmutzige Lieder gegrölt. Heute Morgen war niemand betrunken, und die Männer trugen alle ordentliche Uniformen.

  Hunter wurde von einem Trupp bewaffneter und aufmerksamer Soldaten in die Stadt geführt, durch die Lime Street, in der es nun ungewöhnlich still war, und dann nach Norden die York Street hinunter, vorbei an dunklen Schenken, in denen um diese Zeit normalerweise warmes Licht brannte. Die Stille in der Stadt, die Leere auf den schlammigen Straßen, war auffällig.

  Marshallsea, das Männergefängnis, lag am Ende der York Street. Es war ein wuchtiges Steingebäude mit fünfzig Zellen auf zwei Stockwerken. Im Innern stank es nach Urin und Kot. Ratten huschten durch die Binsen, mit denen der Boden bedeckt war. Die Männer in den Zellen starrten Hunter aus hohlen Augen an, als er im Fackellicht zu einer Zelle geführt und eingeschlossen wurde.

  Er schaute sich in der Zelle um. Sie war völlig leer; weder Bett noch Pritsche, bloß Stroh auf dem Boden und ein hohes, vergittertes Fenster. Durch das Fenster konnte er eine Wolke sehen, die an der Mondsichel vorbeischwebte.

  Als die Tür klirrend hinter ihm zufiel, drehte er sich um und sah Emerson an. »Wann wird mir wegen Piraterie der Prozess gemacht?«

  »Morgen«, sagte Emerson und wandte sich ab.

  Der Prozess gegen Charles Hunter fand am Samstag, dem 18. Oktober 1665 statt. Für gewöhnlich tagte das Gericht nicht an Samstagen, machte bei Hunter jedoch eine Ausnahme. Das erdbebengeschädigte Gebäude war nahezu leer, als Hunter hineingeführt wurde, allein, ohne den Rest seiner Besatzung, und sich einem Tribunal von sieben Männern gegenübersah, die an einem Holztisch saßen. Den Vorsitz ha
tte Robert Hacklett höchstpersönlich in seiner Eigenschaft als Stellvertretender Gouverneur der Kolonie Jamaika inne.

  Hunter musste aufstehen, während die Anklage verlesen wurde.

  »Hebt die rechte Hand.«

  Er gehorchte.

  »Ihr, Charles Hunter, Ihr und jedes Mitglied Eurer Besatzung werdet durch die Ermächtigung unseres gnädigen Herrschers, Charles, König von Großbritannien, wie folgt angeklagt.«

  Eine Pause entstand. Hunter ließ den Blick über die Gesichter wandern: Hacklett, der ihn finster ansah, mit dem leisen Anflug eines süffisanten Lächelns; Lewisham, Richter der Admiralität, dem sichtlich unbehaglich zumute war; Commander Scott, der sich mit einem goldenen Zahnstocher in den Zähnen pulte; die Kaufleute Foster und Poorman, die Hunters Blick geflissentlich auswichen; Lieutenant Dodson, ein reicher Offizier in der Miliz, der an seiner Uniform herumzupfte; James Phips, Kapitän eines Handelsschiffes. Hunter kannte sie alle, und er sah ihnen an, wie unwohl sie sich fühlten.

  »In offener Missachtung der Gesetze Eures Landes und der hoheitlichen Bündnisse Eures Königs habt Ihr Euch frevelhaft zusammengeschlossen mit dem Ziel, den Untertanen und Besitzungen Seiner Höchst Christlichen Majestät Philipp von Spanien zu Wasser wie zu Lande Schaden und Verdruss zu bereiten. Und Ihr habt Euch mit den bösesten und verderblichsten Absichten zu der spanischen Siedlung auf der Insel Leres begeben, um dortselbst jederlei Schiff, das zufällig Euren Kurs kreuzte, zu plündern und zu brandschatzen und zu berauben.

  Des Weiteren seid Ihr angeklagt, einen gesetzwidrigen Angriff auf ein spanisches Schiff in den Gewässern südlich von Leres verübt und selbiges versenkt zu haben, mit der Folge des Verlustes aller Seelen und Besitztümer, die sich an Bord des Schiffes befanden.

  Und schließlich seid Ihr angeklagt, dass Ihr und Eure Mannschaft bei der Ausführung Eurer frevelhaften Taten von dem Vorsatz geleitet wurdet, besagte spanische Schiffe und Hoheitsgebiete nach Kräften zu bedrängen und anzugreifen und die Untertanen Spaniens zu ermorden, was Ihr dann auch tatet. Wie bekennt Ihr Euch, Charles Hunter?«

  Hunter zögerte kurz. Dann sagte er: »Nicht schuldig.«

  Für Hunter war der Prozess schon jetzt eine Posse. Laut des vom Parlament 1612 erlassenen Gesetzes musste sich das Gericht aus Männern zusammensetzen, die kein mittel-oder unmittelbares Interesse an den Besonderheiten des verhandelten Falles hatten. Und doch könnte es für jeden Mann im Tribunal von Vorteil sein, wenn Hunter verurteilt und sein Schiff samt dem an Bord befindlichen Schatz anschließend beschlagnahmt wurde.

  Allerdings konnte er sich die genauen Einzelheiten der Anklage nicht erklären. Niemand außer ihm und seinen Männern wusste, was bei dem Überfall auf Matanceros geschehen war. Und doch war seine erfolgreiche Verteidigung gegen das spanische Kriegsschiff in der Anklageschrift enthalten. Wie hatte das Gericht davon erfahren? Er musste wohl davon ausgehen, dass einer aus seiner Besatzung in der Nacht zuvor geredet hatte, wahrscheinlich unter Folter.

  Das Gericht nahm seine Antwort teilnahmslos hin. Hacklett beugte sich vor. »Mr Hunter«, sagte er mit ruhiger Stimme, »dieses Tribunal weiß um das hohe Ansehen, das Ihr innerhalb der Kolonie Jamaika genießt. Es ist nicht unser Wunsch, in diesem Verfahren auf hohle Förmlichkeiten zu bestehen, die der Gerechtigkeit nicht dienen würden. Werdet Ihr nun zu Eurer Verteidigung sprechen?«

  Das war eine Überraschung. Hunter zögerte einen Augenblick, ehe er antwortete. Hacklett verstieß gegen die Regeln eines herkömmlichen Gerichtsverfahrens. Er musste sich irgendeinen Vorteil davon versprechen. Gleichwohl, die Gelegenheit war einfach zu gut, um sie nicht zu ergreifen.

  »Wenn es den vornehmen Mitgliedern dieses hohen Gerichts beliebt«, sagte Hunter ohne eine Spur von Ironie, »werde ich mich bemühen, dies zu tun.«

  Die Köpfe der Männer am Richtertisch nickten nachdenklich, bedächtig, angemessen.

  Hunter blickte von einem zum anderen, ehe er das Wort ergriff.

  »Gentlemen, niemand von Euch ist genauer als ich über den Vertrag im Bilde, der unlängst zwischen Seiner Majestät König Charles und dem spanischen Hofe geschlossen wurde. Unter keinen Umständen hätte ich die zwischen unseren Nationen frisch geschmiedeten Bande ohne Provokation zerrissen. Doch so eine Provokation ist erfolgt, und das im Übermaß. Mein Schiff, die Cassandra, wurde von einem spanischen Kriegsschiff gekapert, und meine Besatzung und ich wurden widerrechtlich gefangen genommen. Fürder wurden zwei meiner Männer vom Kapitän des Schiffes, einem gewissen Cazalla, ermordet. Schließlich griff selbiger Cazalla ein englisches Handelsschiff an, das abgesehen von einer mir unbekannten Ladung auch Lady Sarah Almont an Bord hatte, die Nichte des Gouverneurs dieser Kolonie.

  Dieser Spanier, Cazalla, ein Offizier seines Königs Philipp, zerstörte das englische Handelsschiff Entrepid und tötete alle an Bord mit blutrünstiger Grausamkeit. Unter den Getöteten befand sich ein Günstling Seiner Majestät, ein gewisser Captain Warner. Ich bin sicher, dass Seine Majestät den Verlust dieses Gentleman über die Maßen bedauern wird.«

  Hunter hielt inne. Das war dem Tribunal neu, und es war offensichtlich alles andere als erfreut, das zu hören.

  König Charles nahm vieles im Leben sehr persönlich; seine für gewöhnlich gute Laune konnte schlagartig dahin sein, wenn einer seiner Freunde verletzt oder gar beleidigt wurde – geschweige denn getötet.

  »Als Vergeltung für diese mannigfachen Provokationen«, sagte Hunter, »griffen wir die spanische Festung Matanceros an, um Ihre Ladyschaft zu retten und so viel Beute zu machen, wie wir als Entschädigung für vernünftig und angemessen erachteten. Dabei handelte es sich keineswegs um Piraterie, Gentlemen. Dabei handelte es sich um eine ehrenhafte Vergeltung für abscheuliche Untaten auf hoher See, und als nichts anderes kann meine Handlungsweise betrachtet werden.«

  Er hielt inne und blickte in die Gesichter vor ihm. Die Männer starrten ihn ungerührt an; sie alle kannten die Wahrheit, begriff er.

  »Lady Sarah Almont kann meine Aussage bezeugen, so wie jeder andere an Bord meines Schiffes, der dazu aufgerufen wird. Die Anklage entbehrt jeder Grundlage, denn von Piraterie kann nur die Rede sein, wenn keine gebührende Provokation vorliegt, und in diesem Fall war die Provokation gewaltig.«

  Er hatte alles gesagt und blickte in die Gesichter. Sie waren jetzt ausdruckslos, leer und unergründlich. Ihn fröstelte.

  Hacklett beugte sich über den Tisch vor. »Habt Ihr noch mehr zu Eurer Verteidigung vorzutragen, Mr Charles Hunter?«

  »Nein«, sagte Hunter. »Ich habe alles gesagt, was ich zu sagen habe.«

  »Und das höchst glaubhaft, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf«, sagte Hacklett. Die anderen sechs Männer nickten und murmelten zustimmend. »Doch die Wahrheit Eurer Rede ist eine andere Frage, mit der wir uns nun befassen müssen. Seid doch so gut und erklärt diesem Gericht, mit welchem Auftrag Euer Schiff in See stach.«

  »Blutholz fällen«, sagte Hunter.

  »Hattet Ihr einen Kaperbrief?«

  »Jawohl, von Sir James Almont persönlich.«

  »Und wo befindet sich das Dokument?«

  »Es ist mit der Cassandra verschollen«, sagte Hunter, »aber ich habe keinen Zweifel, dass Sir James bestätigen wird, es aufgesetzt zu haben.«

  »Sir James«, sagte Hacklett, »ist schwer erkrankt und außerstande, vor diesem Gericht irgendetwas zu bestätigen oder in Abrede zu stellen. Gleichwohl können wir Euch, wie ich glaube, beim Worte nehmen, dass das fragliche Dokument ausgestellt wurde.«

  Hunter macht eine knappe Verbeugung.

  »Also weiter«, sagte Hacklett. »Wo wurdet Ihr von dem spanischen Kriegsschiff gekapert? In welchen Gewässern?«

  Hunter sah augenblicklich, in welchem Dilemma er sich befand, und so zögerte er mit der Antwort, obwohl er wusste, dass das Zögern seiner Glaubwürdigkeit Abbruch tun würde. Er beschloss, die Wahrheit zu sagen – beinahe.

  »In der Windward-Passage nördlich von Puerto Rico.«

  »Nördlich von Puerto Rico?«, sagte Hacklett mit gespielt überraschter Miene. »Wachsen in der Region Blutholzbäume?«

  »Nein«, sagte Hunter, »aber ein heftiger S
turm hatte uns zwei Tage lang hin und her geworfen und wir waren weit vom Kurs abgekommen.«

  »Das kann man wohl sagen, denn Puerto Rico liegt nordöstlich von Jamaika, Blutholzbäume finden sich dagegen ausschließlich im Südwesten.«

  Hunter sagte: »Für Stürme bin ich wohl kaum verantwortlich zu machen.«

  »An welchen Tagen war der Sturm?«

  »Am zwölften und dreizehnten September.«

  »Sonderbar«, sagte Hacklett. »An den Tagen war in Jamaika schönes Wetter.«

  »Das Wetter auf See ist nicht immer so wie an Land«, sagte Hunter, »was allgemein bekannt ist.«

  »Das Gericht dankt Euch für Eure Lektion in Seemannskunst, Mr Hunter«, sagte Hacklett. »Obgleich Ihr, wie ich glaube, den anwesenden Gentlemen hier nur wenig beizubringen habt, hä?« Er lachte leise. »Nun denn, Mr Hunter – verzeiht, wenn ich Euch nicht als Captain Hunter anrede –, behauptet Ihr, dass Ihr zu keinem Zeitpunkt die Absicht hegtet, mit Eurem Schiff und Eurer Besatzung eine spanische Siedlung oder spanisches Hoheitsgebiet zu überfallen?«

  »Das behaupte ich, allerdings.«

  »Ihr habt einen solchen gesetzwidrigen Überfall nie in Erwägung gezogen?«

  »Niemals.« Hunter sprach mit aller Bestimmtheit, die er aufbringen konnte. Er wusste, dass seine Besatzung es nicht wagen würde, ihm in diesem Punkt zu widersprechen. Wenn sie die Abstimmung zugaben, die sie in der Bull Bay abgehalten hatten, würden sie mit Sicherheit wegen Piraterie verurteilt.

  »Schwört Ihr bei Eurer sterblichen Seele, dass eine solche Absicht niemals mit einem Angehörigen Eurer Besatzung erörtert wurde?«

  »Ich schwöre es.«

  Hacklett sammelte sich kurz. »Lasst mich Eure Aussage noch einmal zusammenfassen, um sicherzugehen, dass ich Euch richtig verstanden habe. Ziel Eurer Fahrt war eine simple Blutholzexpedition, und durch widrige Umstände seid Ihr von einem Sturm, der diese Küste nie erreichte, weit nach Norden verschlagen worden. Anschließend wurdet Ihr ohne Provokation irgendwelcher Art von einem spanischen Kriegsschiff gekapert. Ist das korrekt?«

 

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