Exodus

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Exodus Page 55

by Leon Uris


  »Seit mehr als zwei Jahren — seit dem Tag, an dem ich wußte, daß der Krieg zu Ende ging — bin ich jeden Abend mit dem gleichen Traum eingeschlafen. Ich lag im Bett und stellte mir vor, wie es wäre, wenn ich meinen Vater wiederfände. Ich wußte genau, wie er aussehen würde und was wir miteinander reden würden. In dem Flüchtlingslager in Frankreich und in dem Lager in Zypern, all die Monate lang habe ich es mir Abend für Abend immer wieder ausgemalt — mein Vater und ich. Die ganze Zeit hindurch wußte ich ganz genau, daß er am Leben geblieben war — und daß er auch weiter am Leben bleiben würde.«

  »Karen, hör auf, bitte. Es wird leider nicht so sein, wie du es dir ausgemalt hast.«

  Das Mädchen zitterte am ganzen Leibe. Es hatte feuchte Hände. Heftig sprang sie vom Stuhl auf und rief mit flehender Stimme: »Bring mich zu ihm.«

  Kitty ergriff das Mädchen bei den Armen und hielt es fest. »Du mußt dich auf etwas Schreckliches gefaßt machen.«

  »Bring mich zu ihm — bitte, bitte!«

  »Vergiß bitte das eine nicht. Was immer auch geschehen mag, was immer du sehen magst — vergiß nicht, daß ich ganz in der Nähe bin.

  Ich werde bei dir sein, Karen. Versprichst du mir, daran zu denken?« »Ja — ich werde daran denken.«

  Der Arzt saß Karen und Kitty gegenüber. »Dein Vater ist von der Gestapo gefoltert worden, Karen«, sagte er. »Zu Anfang des Krieges wollten ihn die Nazis dazu bringen, für sie zu arbeiten, und sie haben ihm auf alle nur denkbare Weise zugesetzt. Doch schließlich mußten sie es aufgeben. Er konnte für die Nazis einfach nicht arbeiten, selbst auf die Gefahr hin, daß er durch seine Weigerung das Leben deiner Mutter und deiner Brüder gefährdete.«

  »Es fällt mir jetzt wieder ein«, sagte Karen. »Ich erinnere mich, wie ich in Dänemark war und plötzlich keine Briefe mehr aus Deutschland kamen, und wie ich nicht wagte, Aage Hansen danach zu fragen, was mit meiner Familie geschehen sei.«

  »Dein Vater kam nach Theresienstadt, und deine Mutter und deine Brüder —.«

  »Ja, ich weiß.«

  »Man brachte deinen Vater nach Theresienstadt, weil man hoffte, daß er seine Meinung ändern würde. Was mit deiner Mutter und mit deinen Brüdern geschehen war, erfuhr dein Vater erst, als der Krieg zu Ende war. Er fühlte sich schuldig, weil er zu lange gezögert hatte, aus Deutschland wegzugehen, und dadurch deine Mutter und deine Brüder ins Verderben gebracht hatte. Als er nach den langen Jahren der Qual erfuhr, welches Schicksal seine Angehörigen erlitten hatten, verlor er den Verstand.«

  »Aber er wird doch wieder gesund werden?« sagte Karen.

  Der Arzt sah Kitty an. »Er leidet an einer schweren chronischen Depression.«

  »Und was bedeutet das?« fragte Karen.

  »Karen, leider wird dein Vater nicht wieder gesund werden«, sagte der Arzt.

  »Ich glaube Ihnen nicht«, sagte Karen. »Ich möchte ihn sehen.« »Erinnerst du dich überhaupt noch an ihn?« fragte der Arzt.

  »Nur ganz wenig.«

  »Ich glaube, es wäre besser, wenn du dir die Erinnerung, die du an ihn noch hast, bewahrst, als wenn du ihn so siehst, wie er jetzt ist.« »Sie muß ihn sehen, Doktor«, sagte Kitty, »ganz gleich, wie schwer es für sie ist. Aber sie muß Gewißheit haben.«

  Der Arzt führte sie einen Korridor entlang und blieb vor einer Tür stehen. Eine Krankenschwester schloß auf. Der Arzt öffnete die Tür und blieb am Eingang stehen.

  Karen betrat den Raum, der einer Zelle ähnlich sah. Ein Stuhl, ein Regal, ein Bett. Sie sah sich einen Augenblick suchend um — und erstarrte. In einer Ecke auf dem Fußboden saß ein Mann. Er war barfuß und ungekämmt. Er lehnte mit dem Rücken gegen die Wand, hatte die Arme um die Knie geschlungen und starrte mit leerem Blick auf die gegenüberliegende Wand.

  Karen ging einen Schritt auf ihn zu. Sein Kinn war mit Stoppeln bedeckt und sein Gesicht voller Narben. Karens hämmernder Herzschlag wurde plötzlich ruhig. Das ist alles ein Irrtum, dachte sie — dieser Mann da ist ein Fremder — das ist doch nicht mein Vater. Es kann gar nicht mein Vater sein. Es ist ein Irrtum, ein Irrtum! Sie hätte sich am liebsten umgedreht und laut gerufen: Sehen Sie, Sie haben sich geirrt! Das ist gar nicht Johann Clement, es ist nicht mein Vater! Mein Vater ist irgendwo anders, er lebt und sucht nach mir. Karen stand vor dem Mann, der am Boden hockte, und sah ihn an, um sich Gewißheit zu verschaffen. Sie starrte in die leeren, ausdruckslosen Augen. Es war so lange her — lag so weit zurück, daß sie sich kaum noch daran erinnern konnte. Doch dieser Mann da, das war nicht der, dem sie in ihren Träumen begegnet war.

  Da war ein Kamin, und es roch nach Pfeifengeruch. Und da war auch ein Hund. Der hieß Maximilian. Im Zimmer nebenan schrie ein Baby. »Miriam, bring doch mal das Baby zur Ruhe. Ich lese hier meiner Tochter eine Geschichte vor und möchte dabei nicht gestört werden.«

  Karen Hansen-Clement ließ sich vor dem menschlichen Wrack, das am Boden hockte, langsam auf die Knie nieder.

  In Omas Haus in Bonn roch es immer nach frischgebackenen Plätzchen. Die ganze Woche über backte sie Plätzchen, damit sie genügend davon hatte, wenn die Familie am Sonntag zusammenkam. Der Mann, der auf dem Fußboden hockte, starrte weiter die gegenüberliegende Wand an, als sei er allein.

  Sieh doch nur, wie ulkig die Äffchen im Kölner Zoo sind! Köln hat den schönsten Zoo, den es auf der ganzen Welt gibt. Und wann ist wieder Karneval?

  Karen musterte den Mann, der da saß, von den nackten Füßen bis zu seiner narbenbedeckten Stirn. Sie entdeckte nichts — nicht das geringste, das sie an ihren Vater erinnerte —.

  »Jude! Jude! Jude!« schrie der Mob hinter ihr her, während sie mit blutüberströmtem Gesicht nach Hause rannte. »Aber, aber, Karen, nun wein doch nicht. Dein Pappi ist ja da, und er wird dafür sorgen, daß dir niemand etwas tut.«

  Karen streckte die Hand aus und berührte die Wange des Mannes. »Pappi?« sagte sie. Der Mann rührte sich nicht und reagierte auch sonst nicht.

  Da war ein Zug, und viele Kinder, und es hieß, sie würden nach Dänemark fahren, aber Karen war müde. »Auf Wiedersehen, Pappi«, hatte sie gesagt. »Hier, nimm du meine Puppe. Sie wird auf dich aufpassen.« Sie stand hinten auf der Plattform des letzten Wagens und sah zu ihrem Pappi hin, der auf dem Bahnsteig stand und kleiner und kleiner wurde.

  »Pappi! Pappi!« rief Karen. »Ich bin's, Pappi! Karen, dein kleines Mädchen! Ich bin inzwischen ein großes Mädchen geworden, Pappi. Kennst du mich denn gar nicht mehr?«

  Der Arzt hielt Kitty fest, die an der Tür stand und am ganzen Leib zitterte. »Bitte«, rief Kitty, »lassen Sie mich ihr helfen.«

  »Lassen Sie das Mädchen damit fertig werden«, sagte der Arzt. Und in Karen stieg die Erinnerung auf. »Ja!« rief sie. »Ja, das ist mein Vater! Es ist wirklich mein Vater!«

  »Vater!« rief sie und schlang ihre Arme um ihn. »Bitte, sprich mit mir. Sag doch etwas zu mir. Ich bitte dich — bitte dich!«

  Der Mann, der früher einmal Johann Clement gewesen war, zwinkerte mit den Augen. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck neugieriger Überraschung, als er wahrnahm, daß sich jemand an ihn klammerte. Einen Augenblick lang blieb dieser überraschte Ausdruck auf seinem Gesicht, als versuchte er, die Finsternis seiner geistigen Umnachtung zu durchdringen — doch dann sank er wieder in den Ausdruck der Leblosigkeit zurück.

  »Vater!« rief Karen. »Vater! Vater!«

  Und in dem leeren Raum und durch den langen Korridor ertönte das Echo ihrer Stimme: Vater!

  Die starken Arme des Arztes lösten Karen aus der Umklammerung, und mit sanfter Gewalt wurde sie hinausgeführt. Die Tür wurde zugemacht und abgeschlossen, und Johann Clement war aus Karens Leben verschwunden, für immer.

  Karen schluchzte verzweifelt und barg sich in Kittys Armen. »Er hat mich nicht einmal erkannt! O mein Gott — Gott — warum hat er mich nicht erkannt? Sag es mir, Gott — sag es mir!«

  »Sei ruhig, Kleines, es wird alles wieder gut. Kitty ist ja da.«

  »Bleib bei mir, Kitty, laß mich nie mehr allein!«

  »Nein, mein Kleines — ich bleibe bei dir — Kitty wird immer bei dir bleiben.«

  IX.

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bsp; Die Kunde von Karens Vater war nach Gan Dafna gedrungen, noch ehe sie und Kitty dorthin zurückgekehrt waren. Auf Dov Landau hatte die Nachricht eine erschütternde Wirkung. Zum erstenmal seit jenem Tage, da ihn sein Bruder Mundek in dem Bunker unter dem Warschauer Ghetto in seinen Armen gehalten hatte, war es Dov Landau möglich, für einen anderen als sich selbst Mitleid zu empfinden. Seine Sorge um Karen Clement war der Lichtstrahl, der endlich seine finstere Welt erhellte.

  Sie war der einzige Mensch, zu dem er Vertrauen besaß, für den er Zuneigung empfand. Warum mußte ausgerechnet ihr dies geschehen? Wie oft hatte ihm Karen in dem Lager auf Zypern gesagt, daß sie fest davon überzeugt war, ihren Vater wiederzufinden. Der schwere Schlag, der Karen jetzt getroffen hatte, bereitete auch ihm tiefen Schmerz.

  Wen hatte sie nun noch auf dieser Welt? Ihn und Mrs. Fremont. Und was bedeutete er für sie? Er war eine Last — ein Nichts. Zuweilen wünschte er, Mrs. Fremont hassen zu können; doch das konnte er nicht, weil er wußte, daß es für Karen gut war, Mrs. Fremont zu haben. Da Karens Vater jetzt nicht mehr im Wege stand, würde Mrs. Fremont sie vielleicht nach Amerika mitnehmen. Doch er stand noch im Wege. Er wußte genau, daß Karen ihn nicht allein lassen würde. Deshalb gab es für ihn nur einen Weg.

  In Gan Dafna war ein Junge namens Mordechai als heimlicher Werber für die Makkabäer tätig. Von ihm erfuhr Dov, wo und wie er sich mit dieser Organisation in Verbindung setzen konnte.

  Die Türen der Bungalows, in denen die Angehörigen des Lehrpersonals in Gan Dafna wohnten, waren nie abgeschlossen. Dov wartete eines Abends, bis alle zum Essen gegangen waren, und machte dann einen Raubzug durch mehrere Wohnungen. Er stahl einige Ringe und Schmuckstücke und floh nach Jerusalem.

  Bruce Sutherland begab sich unverzüglich zu Dr. Liebermann und bat ihn, Kitty dringend nahezulegen, daß sie mit Karen für ein oder zwei Wochen zu ihm in seine Villa käme, bis sich das Mädchen einigermaßen von seinem Schock erholt hatte.

  Zusammen mit dem Verschwinden von Dov Landau wirkte sich das Schicksal von Karens Vater als trauriger Sieg für Kitty aus. Sie fühlte, daß sie Karen in kurzer Zeit dazu bewegen konnte, mit ihr nach Amerika zu gehen. Kitty mußte, während sie mit Karen bei Sutherland war, dauernd daran denken. Sie fand sich selbst abscheulich, weil sie in Karens tragischem Unglück ihren Vorteil suchte; doch sie konnte ihren Gedanken nicht verbieten, sich damit zu beschäftigen. Seit sie Karen damals in dem Zelt in Caraolos zum erstenmal gesehen hatte, war dieses Mädchen der Mittelpunkt geworden, um den ihr ganzes Leben kreiste.

  Eines Tages nach dem Mittagessen kam Ari ben Kanaan zu Sutherland. Er wartete im Arbeitszimmer, während der Dienstbote Sutherland aus dem Garten holte. Bruce bat Kitty und Karen, die in der Sonne lagen, ihn einen Augenblick zu entschuldigen. Die beiden Männer sprachen fast eine Stunde lang miteinander über einen Auftrag, den Ari für Sutherland hatte.

  »Ich habe übrigens eine gute Bekannte von Ihnen bei mir«, sagte Sutherland, nachdem sie ihr Gespräch beendet hatten. »Kitty Fremont ist mit der kleinen Clement für vierzehn Tage bei mir zu Gast.«

  »Ich habe schon gehört, daß Sie und Mrs. Fremont dicke Freunde geworden sind«, sagte Ari.

  »Ja«, sagte Sutherland, »ich halte Katherine Fremont für eine der großartigsten Frauen, die ich jemals kennengelernt habe. Sie sollten nach Gan Dafna fahren und sich ansehen, was sie dort mit einigen der Kinder fertiggebracht hat. Da war ein Junge, der vor sechs Monaten überhaupt kein Wort sprach, und jetzt hat er nicht nur seine Stummheit verloren, sondern er hat sogar angefangen, als Hornist im Schulorchester mitzuspielen.«

  »Auch davon habe ich schon gehört«, sagte Ari.

  »Ich habe darauf bestanden, daß sie mit Karen Clement hierher zu mir kam. Die Kleine hat ihren Vater wiedergefunden. Der arme Kerl ist völlig und unheilbar geistesgestört. Ein entsetzlicher Schock für die Tochter. Kommen Sie mit in den Garten.«

  »Tut mir leid — ich habe noch Verschiedenes zu erledigen.« »Unsinn, davon will ich nichts hören.« Er hakte Ari unter und führte ihn hinaus.

  Kitty hatte Ari seit Wochen nicht mehr gesehen. Sie erschrak bei seinem Anblick. Ari sah schlecht aus.

  Kitty war erstaunt, wie sanft und gütig Ari seinem Mitgefühl für Karen Ausdruck gab. Er war dem Mädchen gegenüber von einer

  Zartheit und Besorgtheit, deren sie ihn nie für fähig gehalten hatte. War es, weil Karen eine Jüdin war und sie nicht? Sie hatte er nie so zärtlich behandelt! Doch schon im nächsten Augenblick ärgerte sich Kitty über solche Gedanken. Begann sie wirklich schon, jedes Wort und jede Geste in einer Bedeutung zu sehen, die ihnen gar nicht zukam? Unsinn!

  Kitty und Ari gingen zusammen durch Sutherlands Rosengarten. »Wie nimmt sie es?« fragte Ari.

  »Sie ist sehr tapfer und von einer sehr großen inneren Kraft«, sagte Kitty. »Es war ein schreckliches Erlebnis für sie, aber sie trägt es mit einer bemerkenswerten Haltung.«

  Ari wandte den Kopf und sah zu Karen zurück, die mit Sutherland Dame spielte. »Sie ist wirklich ein wunderschönes Mädchen.«

  Seine Worte überraschten Kitty. Diesen Ton echter Ergriffenheit hatte sie noch nie bei ihm gehört, und oft hatte sie sich gefragt, ob er überhaupt Sinn für Schönheit besaß. Sie blieb am Ende des Weges an einer niedrigen Mauer stehen, die den Abschluß des Gartens bildete. Kitty setzte sich auf die steinerne Mauer und sah hinaus auf das Land Galiläa, und Ari zündete sich und ihr eine Zigarette an.

  »Ari, ich habe Sie noch nie um einen persönlichen Gefallen gebeten, doch jetzt würde ich es gern tun.«

  »Aber bitte.«

  »Über die Sache mit ihrem Vater wird Karen im Laufe der Zeit hinwegkommen, aber da ist noch etwas anderes. Dov Landau ist aus Gan Dafna weggelaufen. Wir nehmen an, daß er nach Jerusalem gefahren ist, um sich den Makkabäern anzuschließen. Der Junge bedeutet für sie sozusagen eine Lebensaufgabe. Durch das Schicksal ihres Vaters ist der Verlust von Dov für sie noch schwerer geworden. Sie verzehrt sich in Sorge um ihn. Ich möchte Sie bitten, ihn ausfindig zu machen und nach Gan Dafna zurückzubringen. Ich weiß, daß Sie über die entsprechenden Verbindungen verfügen, um festzustellen, wo er ist. Und er wird zurückkommen, wenn es Ihnen gelingt, ihm klarzumachen, daß Karen ihn braucht.«

  Ari sah Kitty neugierig und verwundert an. »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr«, sagte er. »Das Mädchen gehört doch jetzt Ihnen. Dov Landau war der einzige Mensch, der Ihnen möglicherweise noch hätte hinderlich sein können, und er war so freundlich, dieses Hindernis selbst aus dem Wege zu räumen.«

  Kitty sah ihn ruhig an. »Eigentlich sollte ich durch das, was Sie sagen, beleidigt sein. Ich bin aber nicht beleidigt, weil es wirklich so ist, wie Sie sagen. Es handelt sich nur darum, daß ich mein eigenes Glück nicht auf ihrem Unglück aufbauen kann. Ich kann mit ihr nicht nach Amerika gehen, solange diese Sache mit Dov nicht geklärt ist.« »Das ist sehr edel von Ihnen.«

  »Nein, Ari, meine Motive sind gar nicht so edel. Karen ist in allem sehr vernünftig, nur nicht in bezug auf diesen Jungen. Aber wir haben ja alle irgendwo unsere Schwächen. Sie wird viel rascher über ihn hinwegkommen, wenn er in Gan Dafna ist. Dadurch, daß er bei den Makkabäern ist, verklärt sich sein Bild in ihrer Vorstellung.«

  »Sie müssen entschuldigen, Kitty, wenn ich so simpel und gradlinig denke. Sie denken um mehrere Ecken.«

  »Ich liebe dieses Mädchen, und ich finde, daran ist nichts, was finster oder hinterhältig wäre.«

  »Sie wollen Karen klarmachen, daß es für sie gar keine andere Möglichkeit gibt, als mit Ihnen zu gehen.«

  »Ich will ihr klarmachen, daß es für sie etwas Besseres gibt. Sie werden mir das vielleicht nicht glauben, aber wenn ich wüßte, daß es für sie besser wäre, in Palästina zu bleiben, dann wäre ich dafür, daß sie hierbleibt.«

  »Doch, vielleicht glaube ich Ihnen das sogar.«

  »Können Sie, Hand aufs Herz, behaupten, daß ich irgend etwas Unrechtes tue, wenn ich sie nach Amerika mitzunehmen wünsche?« »Nein — daran ist nichts Unrechtes«, sagte Ari.

  »Dann helfen Sie mir, Dov wieder nach Gan Dafna zu bekommen.« Lange Zeit sagten beide kein Wort. Dan
n drückte Ari seine Zigarette auf der Mauer aus. Er entfernte das Zigarettenpapier, ohne sich dieser Handlung bewußt zu sein, verstreute den losen Tabak und knüllte das Zigarettenpapier zu einer kleinen Kugel zusammen, die er in seine Tasche steckte. Er hatte von P. P. Malcolm gelernt, niemals irgendwo Zigarettenreste liegen zu lassen. Zigarettenstummel waren für die Araber gute Wegweiser bei der Suche nach feindlichen Truppen.

  »Das kann ich nicht«, sagte Ari.

  »Doch, Sie können es. Vor Ihnen hat Dov Respekt.«

  »Sicher, ich kann ihn ausfindig machen. Ich kann ihn sogar zwingen, nach Gan Dafna zurückzukehren, und ich kann zu ihm sagen: ,Bleib hübsch dort, mein Kleiner, die Damen wünschen nicht, daß dir irgend etwas zustößt.' Sehen Sie — Dov Landau hat eine persönliche Entscheidung getroffen, die jeder Jude in Palästina mit seinem eigenen Gewissen abzumachen hat. Das Gefühl dafür ist bei uns sehr stark ausgeprägt. Mein Vater hat aus diesem Grunde seit fünfzehn Jahren nicht mehr mit seinem Bruder gesprochen. Jede Faser an Dov Landau verlangt nach Rache. Dieses Verlangen treibt ihn mit solcher Intensität, daß nur Gott oder eine Kugel ihn aufhalten können.«

  »Das klingt fast so, als hießen Sie das grausame Vorgehen der Terroristen gut.«

  »Zuweilen stimme ich völlig mit ihnen überein. Und manchmal lehne ich sie völlig ab. Jedenfalls möchte ich mich nicht zu ihrem Richter aufwerfen. Wer bin ich, und wer sind Sie, daß wir sagen könnten, Dov Landaus Entschluß sei nicht gerechtfertigt? Sie wissen, was man ihm angetan hat. Und Sie irren sich auch in einem anderen Punkt: wenn er nach Gan Dafna zurückgebracht wird, kann er nur noch mehr Leid über das Mädchen bringen. Dov muß tun, was er tun muß.«

  Kitty stand auf, strich ihren Rock glatt, und beide gingen gemeinsam auf das Gartentor zu. »Ja, Ari«, sagte Kitty schließlich, »Sie haben recht.«

  Als sie zu seinem Wagen gingen, der vor dem Haus stand, kam Sutherland zu ihnen heran. »Sind Sie länger hier in der Gegend, Ben Kanaan?« fragte er.

  »Ich habe in Safed noch einiges zu erledigen, und das möchte ich gern hinter mich bringen.«

 

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