Don't LOVE me (Die Don't Love Me-Reihe 1) (German Edition)

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Don't LOVE me (Die Don't Love Me-Reihe 1) (German Edition) Page 5

by Kiefer, Lena


  Jetzt fuhr ich weiter, denn mein Ziel war ein hübsches Haus etwas außerhalb der Innenstadt. In einer ruhigen Seitenstraße hielt ich an und stieg aus, um zu dem hölzernen Tor zu gehen. Beeindruckt sah ich mich um. Unmengen an Rosen wuchsen im Vorgarten, die Sprossenfenster passten mit ihrem Creme-Ton perfekt zum Naturstein der Fassade, genau wie der Zaun. Es war stilvoll und schick, aber nicht allzu spießig. Vielleicht konnte ich von Paula McCoy doch etwas lernen.

  »Kenzie?« Die Tür war aufgegangen. Im Rahmen stand ein hünenhafter, dunkelblonder Typ in meinem Alter.

  »Drew?«, fragte ich erstaunt zurück. »Wow. Du bist groß geworden.«

  »Ganz im Gegensatz zu dir«, grinste er, dann ging er die Stufen hinunter und umarmte mich kurzerhand zur Begrüßung. Ich genoss den Moment von Wärme in der feuchten Kühle, die durch den Regenschauer in der Luft hing. Drew hatte ich von der ersten Begegnung an gemocht. Nicht auf eine Art, die unsere Mütter hoffen ließ, wir würden eines Tages heiraten. Aber ich war immer gerne mit ihm zusammen gewesen und hatte es ihm hoch angerechnet, dass er als Teenager zur Beerdigung meiner Mum mitgekommen war.

  »Das ist nicht wahr.« Meine Beschwerde kam mit Verzögerung. »Ich bin garantiert zehn Zentimeter gewachsen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.« Was im Gegensatz zu Drew immer noch winzig war. Mit meinen 1,73 wirkte ich neben ihm wie ein Zwerg. »Wie groß bist du, zur Hölle?«

  Er verneigte sich leicht. »1,94, Ma’am. Aber ich verspreche, ich wachse nicht mehr.«

  »Worüber seine Mutter sehr froh ist.« Paula erschien in der Tür. »Kenzie, es ist so schön, dich zu sehen.« Auch sie umarmte mich herzlich zur Begrüßung. Ich nahm den Duft von Jil Sanders Sun wahr, und ein Haufen Erinnerungen überfiel mich, ohne zu fragen. Schnell ließ ich Paula los und trat einen Schritt zurück.

  »Ja, geht mir genauso.«

  Sie hatte sich kaum verändert – immer noch die gleichen blonden Haare und die gleiche elegante Kleidung, wie eine schottische Martha Stewart. Ich hatte meine Mutter als Kind einmal im Flüsterton gefragt, ob Paula eine Lady war, weil sie so adelig auf mich gewirkt hatte. Vor allem im Gegensatz zu Mum, die eher wie eine Mischung aus exzentrischer Künstlerin und verrückter Outdoor-Fanatikerin dahergekommen war. Trotzdem waren die beiden seit Kindertagen gute Freundinnen gewesen. Nachdem Mum in Südengland gelandet war, hatten sie sich nicht mehr so oft gesehen, aber regelmäßig telefoniert.

  »Komm rein, die Fahrt war doch sicher lang.« Paula sah zu meinem Auto. »Und du bist sicher, dass du lieber im Wagen schlafen willst? Wir haben ein großes Gästezimmer.«

  »Oh, das ist echt lieb, aber ich bleibe bei dem Plan«, sagte ich. »Der Campingplatz ist ja direkt in der Nähe, und Loki hat alles, was ich brauche.«

  Drew nickte anerkennend in Richtung meines Wagens. »Fancy, das Teil. Wieso heißt es Loki?«

  »Das war Elenis Idee. Als ich ihn fertig umgebaut hatte und wir die erste Tour gemacht haben, hat sie gemeint, es würde nicht mit rechten Dingen zugehen, was alles in den Wagen hineinpasst. Und dass jemand getrickst haben muss, deswegen müsse er Loki heißen. Obwohl ich glaube, sie fand den Namen einfach cool, nachdem sie Thor gesehen hatte.« Ich ging nach den beiden ins Haus und streifte die Schuhe ab.

  »Ich habe dir übrigens eine erstklassige Parzelle auf dem Campingplatz reserviert.« Drew wuchs noch ein Stückchen. »Und ich habe sie sogar gegen die Morrisons verteidigt, obwohl die jedes Jahr kommen und immer auf diesem Platz stehen. Ich hoffe, sie lassen dir dafür nicht die Luft aus den Reifen.«

  Ich grinste. »Das heißt, du arbeitest im Sommer immer noch auf dem Platz?« Das tat er schon, seit er zehn Jahre alt war. Am Anfang nur für den morgendlichen Brötchen-und-Zeitungsdienst, später als eine Art Hausmeister-Gärtner-Hybrid. Ich wusste das von Mum und von Instagram, wo er manchmal Bilder teilte. Eigentlich studierte er Medizin in Glasgow, aber er war in den Ferien immer in Kilmore.

  »Japp. Aber früher war ich Mädchen für alles, dieses Jahr schmeiße ich den Laden. Hank Ferguson hat nämlich eine kranke Mutter in Florida und ist für mehrere Wochen weg.«

  »Er lässt dich damit allein?«, spottete ich. »Hat er sich das gut überlegt?«

  »Das hoffe ich doch. Und du solltest dich nicht darüber beklagen, denn wenn er da wäre, hättest du sicher nicht den Morrison-Platz bekommen.« Drew wackelte mit dem Finger. Ich gab mich geschlagen.

  »Dir ist meine ewige Dankbarkeit sicher, oh großer König der Campingländereien«, sagte ich und verneigte mich leicht.

  »Geht doch.« Er lachte.

  Paula wedelte aus der Küche mit der Hand. »Setzt euch, das Essen ist fertig.«

  Ich sah neugierig zum Herd. »Gibt es Haggis?«

  Sie schnaubte. »Gott bewahre, nein. Wenn du das willst, musst du ins Old Arms. Bei mir gibt es heute das Lieblingsessen deiner Mum: Lachs in Blätterteig. Ich musste das jedes Mal für sie kochen, wenn sie hier war. Sie meinte, der Lachs im Süden könne mit dem aus dem Loch Lair nicht mithalten. Ich glaube eher, sie war zu faul, um den Blätterteig selbst zu machen.« Paula lachte.

  Als sie von meiner Mutter sprach, als wäre sie immer noch lebendig, überkam mich erneut eine Welle aus Traurigkeit. Wurde das jetzt zur Gewohnheit? »Da könntest du recht haben. Sie hat nie besonders gerne gekocht.« Ich stülpte ein Lächeln über meine Rührung. »Kann ich noch kurz ins Bad? Ich muss mir die Hände waschen.«

  »Klar.« Drew zeigte in den Flur. »Gleich da vorne, zweite links.«

  Ich folgte dem Hinweis und schloss die Tür hinter mir, lehnte den Rücken an die Wand und atmete den Kloß in meinem Hals weg. Nie hätte ich gedacht, dass mich der Besuch in Kilmore so mitnehmen würde. Natürlich war mir jeden Tag bewusst, dass meine Mum nicht mehr da war. Und wir vermieden es in der Familie auch nicht, über sie zu sprechen. Aber dieser Ort war ihre Heimat gewesen, und ich hatte das Gefühl, dass meine Anwesenheit etwas in mir aufwühlen würde, das ich zu Hause unter meinen zahlreichen Projekten begraben konnte. Ich war froh, wenn bald die Arbeit begann. Ablenkung würde mir helfen, nicht ständig daran zu denken.

  Schnell wusch ich mir die Hände und holte noch einmal tief Luft, dann kehrte ich zum Tisch zurück. Drew und Paula saßen bereits dort. Ich warf einen kurzen Blick in das Esszimmer und stellte fest, dass Paula wirklich gut in ihrem Job war. Die Einrichtung wirkte klassisch, aber total stimmig.

  »Wie geht es deinen Schwestern?«, fragte sie mich, während sie uns etwas von dem Lachs auftat.

  »Gut, allen dreien. Eleni wächst jeden Tag einen halben Meter, Willa fährt mittlerweile Auto und Juliet steht heute auf Harry Styles und morgen auf Drake. Aber sie ist fünfzehn, also ist das wohl normal.«

  Paula lächelte. »Es ist schön, dass ihr alle so gut zurechtkommt. Dein Vater hat mir erzählt, dass du ihm sehr viel geholfen hast in den letzten Jahren.«

  »Wir haben alle mitgeholfen.« Ich nahm meine Gabel und besah sie, als wäre die Anzahl ihrer Zinken unglaublich interessant. »Und Dad hat auch einen guten Job gemacht. Es war mehr Teamwork, wenn man es genau nimmt.« Können wir jetzt bitte über etwas anderes sprechen?

  Ein Signalton erklang und Drew angelte mit seinem langen Arm nach dem Smartphone auf der Küchentheke.

  »Oh nein.« Er sah auf sein Display. »Das kann doch nicht wahr sein.«

  »Drew, keine Telefone beim Essen«, mahnte Paula.

  »Das hier willst du wissen, Mum, glaub mir.«

  »Wieso, was ist denn los?«

  »Lyall Henderson ist los.« Drew zog die Augenbrauen zusammen. »Amy hat mir gerade geschrieben, dass sie gesehen hat, wie er zum Grand gefahren ist.«

  Paula hob die Schultern. »Es war doch klar, dass er irgendwann wieder auftauchen würde. Es gibt in der Stadt sogar Wetten darauf, wie du weißt. Was sind das jetzt, drei Jahre? Damit gewinnt wahrscheinlich Tilly Langston.«

  »Er hätte nie wieder herkommen müssen«, murrte Drew. »Die haben schließlich Luxus-Hotels auf der ganzen Welt und sind reicher als die Queen. Er kann überallhin, wieso also kommt er her?«

  »Ich weiß es nicht. Aber ich habe morgen den Termin mit Moira, dann werde ich sie mal unauffällig darauf ansp
rechen. Sicher ist sie auch nicht begeistert davon.«

  Ich kam nicht ganz mit. »Wer ist Lyall Henderson? Einer von den Hotel-Hendersons?« Ich sah von Drew zu Paula. Sie nickte.

  »Er ist der Sohn von Dora, der zweitjüngsten der vier Geschwister, sie arbeitet für die Hotelgruppe im Ausland. Moira ist die Älteste und leitet das Grand .«

  »Und was ist so schlimm daran, dass dieser Lyall hier ist?« Neugierig sah ich sie über meine Gabel mit dem Lachs an. Er schmeckte fantastisch, aber dramatische Geschichten in Ungnade gefallener Hotelerben fand ich spannender. Allein schon wegen Juliet, die sich brennend für so etwas interessierte.

  »Er ist ein Idiot.« Drew presste wütend die Kiefer aufeinander. »Einer, der sich für was Besseres hält und deswegen Leute schlecht behandelt. Eigentlich dachte ich, wir wären ihn los, nachdem er vor drei Jahren richtig Mist gebaut hat. Aber offenbar haben wir diesen Sommer nun doch wieder das Vergnügen.«

  Moment mal. Bei seinen Worten klingelte etwas. Ich ließ das Besteck sinken. »Ist er groß, dunkelhaarig und arrogant?« Das verdammt gut aussehend sparte ich mir. Dieses Label hatte er eindeutig verspielt.

  »Ja, das ist er«, nickte Drew. »Wieso, kennst du ihn? Sag bitte Nein.«

  »Nein«, sagte ich schnell. Das konnte man nun wirklich nicht behaupten. »Ich bin ihm nur kurz vorhin bei Carson im Supermarkt begegnet.«

  Drews Augenbrauen zogen sich gefährlich stark zusammen. »Hat er dich angemacht oder so? Wenn ja, dann schwöre ich –«

  »Spar dir den Schwur«, unterbrach ich ihn. »Es war eher das Gegenteil.« Ich erzählte ihm in knappen Worten, was im Supermarkt passiert war, ohne diesen einen Moment zwischen uns zu erwähnen – oder die Details unseres Gesprächs davor.

  »Sei froh, dass er das gesagt hat«, stieß Drew aus. »Wenn du nicht sein Typ bist, ist das nur gut für dich.«

  »Scheint so.« Obwohl es mich immer noch ärgerte, wie er das gesagt hatte.

  »Nein, im Ernst, Kenzie.« Drew sah zu mir. »Lyall Henderson ist ein schlechter Mensch, einer von der Sorte, die anderen wehtun, ohne sich um ihre Gefühle zu scheren. Er ist der Teufel. Nimm dich vor ihm in Acht.«

  Ich lachte bei dieser dramatischen Beschreibung. »Keine Sorge, nach der Begegnung heute werde ich da kaum in Gefahr geraten.«

  »Eben, und alle anderen Hendersons sind wirklich in Ordnung«, lächelte Paula. »Wenn du mich morgen zu Moira begleitest, wirst du das merken.«

  Das Handy von Drew klingelte erneut. Er nahm es und las die Nachricht.

  »Ein Notfall. Im Männer-Duschraum läuft mal wieder das Wasser nicht ab.« Drew sprang auf und küsste seine Mutter flüchtig auf die Wange. »Sorry, Mum, ich muss los. Kenzie, findest du allein den Weg zum Platz? Sonst hole ich dich nachher ab.«

  »Nein, Quatsch, ich habe ein Navi«, nickte ich. »Bis später.«

  »Bis dann.« Er stürmte aus der Tür und zog sie hinter sich zu.

  »Gut, dass es nicht der Frauen-Duschraum ist«, sagte ich leichthin und sah durchs Fenster, wie er zu seinem Jeep ging.

  Paula grinste. »Wenn ich mich richtig erinnere, sind die Abflüsse generell ein Problem. Wie gesagt, das Angebot mit dem Gästezimmer steht.« Sie nahm noch eine Portion Lachs. »Aber es ist gar nicht so schlecht, dass er schon gefahren ist, dann können wir beide über dein Praktikum reden. Soll ich dir etwas über die Aufträge der nächsten Wochen erzählen?«

  Ich nickte und nahm meine Gabel erneut zur Hand. »Unbedingt. Deswegen bin ich schließlich hier.«

  5

  Lyall

  »Du hast hoffentlich nicht vor, so etwas auch in den nächsten Wochen zu tragen.« Meine Tante Moira sah über den Tisch hinweg zu mir und zupfte an ihrer gestärkten Bluse, um zu zeigen, dass sie mein Shirt mit dem Logo des School of the Art Institute of Chicago meinte.

  »Ich habe nichts anderes dabei«, sagte ich. Tatsächlich besaß ich in Chicago nur T-Shirts und Jeans, weil ich in den letzten Jahren nichts anderes gebraucht hatte. Keine öffentlichen Veranstaltungen, keine Fototermine bis auf den im letzten Oktober für das jährliche Familienbild, bei dem man uns die Kleidung eh immer stellte … und für mein Architekturstudium waren normale Sachen völlig ausreichend. In der Zeit vor Chicago hatte ich Unmengen schicker Klamotten gehabt, aber sie waren mir zu klein geworden und ich hatte sie nicht ersetzt. Warum auch? Momentan gab es keinen Grund dafür.

  »Dann ist es ja gut, dass ich dir Kleidung von Evan habe kommen lassen. Sie liegt oben bereit, du kannst dir einige Stücke aussuchen und den Rest Isla geben, sie bestellt dann einen Kurier.«

  »Danke«, ich nickte brav, obwohl mir eher nach einer Grimasse zumute war. Ich konnte mir denken, was sie ausgesucht hatte – klassische Hemden und Anzughosen, also genau den konservativen Scheiß, den Henderson-Männer trugen, damit sie an der Seite ihrer erfolgreichen Frauen eine gute Figur abgaben. Ich hasste Hemden und Anzüge und ganz besonders Krawatten. Aber ich musste mitspielen, also wehrte ich mich nicht dagegen.

  »In deiner Suite liegt außerdem eine Mappe mit den Plänen für den Neubau und eine Terminliste. Wir erwarten morgen Nachmittag Paula McCoy für das erste Gespräch zum Thema Innengestaltung. Bis dahin solltest du dich eingearbeitet haben.«

  »Paula McCoy?« Ich sah Moira überrascht an. »Wieso macht Mum das nicht?« Sie war schließlich eine der besten Interior Designerinnen der Welt und stattete alle unsere Hotels aus.

  »Weil dieses Haus kein Corporate Design braucht, sondern jemanden, der etwas von Tradition versteht.«

  »Du meinst, jemanden mit einem verstaubten Stil. Sag das doch gleich.« Ich fragte mich, ob Mum davon wusste. Aber wahrscheinlich interessierte es sie nicht. Schließlich hatte sie es damals kaum erwarten können, diesen Ort endlich zu verlassen – und kam für maximal eine Woche am Stück zurück, weil sie sonst Moos ansetzte, wie sie behauptete. Dementsprechend war sie von der Ansage ihrer Mutter an mich wenig begeistert gewesen. Aber was Grandma sagte, war in dieser Familie Gesetz. Noch.

  Moira schenkte mir einen Blick voller Missfallen. »Paulas Stil ist nicht verstaubt, er ist klassisch. Genau das, was wir hier brauchen. Unser Haus ist keines der neuen Hotels, für die deine Mutter zuständig ist. Das Grand ist der Inbegriff von Klasse. Und dafür wollen wir jemanden wie Paula McCoy.«

  Nein, das Grand ist der Inbegriff für die Ansichten dieser Familie , dachte ich bitter und überlegte, ob ich die Spitze gegen Mum kommentieren sollte. Aber dann fiel mir etwas ein, das Moira davor gesagt hatte – in deiner Suite .

  »Wieso bekomme ich eigentlich eine Suite?«, fragte ich. Das Haus von Moira stand nur hundert Meter vom Hotel entfernt und war riesig. Wer immer aus der Familie in Kilmore zu Besuch war, übernachtete dort. Es war schlechter Stil, ohne Grund im eigenen Hotel abzusteigen und damit Zimmer zu belegen, die man auch an zahlende Gäste vergeben konnte. Das war ein Henderson-Grundsatz. Warum also bekam ich für acht lange Wochen mitten in der Hauptsaison eine der Suiten, die pro Nacht an die 1000 Pfund kosteten, während Moiras Gästezimmer leer blieben?

  »Wir halten es für besser, wenn du im Hotel wohnst«, sagte meine Tante nur und fixierte irgendeinen Punkt hinter mir.

  Ich schnaubte, als ich verstand. »Ernsthaft? Du willst, dass mich die Angestellten im Auge behalten?« Allen voran sicherlich Isla, die junge und ambitionierte Concierge des Grand . Wenn es in der Stadt einen Anti-Lyall-Club gab, dann war sie die erste Vorsitzende.

  »Es wird dir helfen, die Regeln einzuhalten.« Moira reckte das Kinn.

  »Die Regeln, natürlich«, echote ich. »Wie sehen die aus?« Ich konnte es mir denken.

  Sie zählte auf. »Du wirst an dem Neubau-Projekt mitarbeiten und keinen einzigen der Termine verpassen. Du wirst dich in jeder Sekunde, die du in dieser Stadt bist, angemessen verhalten, freundlich zu jedermann sein, keine Partys feiern und dich auf keinen Fall mit irgendeinem Mädchen einlassen. Verstanden?«

  Ich spürte den Stich, als ich an meinen letzten Sommer in Kilmore vor drei Jahren dachte, aber ich ließ es mir nicht anmerken. Es war besser, ich tat vor Moira und allen anderen aus der Familie so, als wäre das Vergangenheit. Schließlich hatte ich die Erinnerungen gut
verdrängt, seit ich gegangen war. Wäre ich nicht zurückgekommen, hätte ich das sicher auch weiter durchziehen können. Aber so?

  »Keine Partys, keine Mädchen, kein Spaß«, wiederholte ich. Acht Wochen. Zwei Monate und ich war meinem Ziel ein ganzes Stück näher. Das würde ich schon aushalten.

  »Oh je, er darf niemanden flachlegen?«, stänkerte da meine Cousine Fiona auf der anderen Seite des Tisches. Sie hatte das ganze Abendessen kaum etwas gesagt. »Wie soll er das denn überleben?«

  »Witzig, Fi«, lächelte ich. »Aber mach dir keine Sorgen. Irgendwann beschafft Grandma dir sicher einen bedauernswerten Ehemann, der mit dir ins Bett geht. Damit du endlich weißt, was wir normalen Leute an Sex finden.«

  Sie funkelte mich wütend an. »Nicht alle von uns wollen sich durch die Weltgeschichte schlafen, um zu vergessen, dass sie völlig beziehungsunfähig sind.«

  »Als könntest du das vergessen. Oder hattest du irgendwann mal eine Beziehung, von der ich nichts weiß?«

  Fionas Gesicht wurde rot vor Zorn. »Du blöder Ar-«, hob sie an.

  »Schluss damit«, beendete Moira unseren Schlagabtausch. »Lyall, es ist mein Ernst: Du weißt, wie empfindlich die Leute hier auf dich reagieren – und erst recht auf dich in irgendeiner weiblichen Begleitung. Also wirst du wie ein verdammter Mönch leben oder ich betrachte diese Sache als gescheitert. Und ich muss dir sicher nicht sagen, was das bedeutet.«

  Es bedeutete, ich würde in der Henderson Group keine Rolle spielen, niemals. Nie eines der Projekte umsetzen, von denen ich träumte, seit ich zum ersten Mal daran gedacht hatte, Architektur zu studieren. Und noch viel wichtiger als das: Ich würde nie etwas an den Strukturen ändern können, die nicht nur mich an unsichtbare Ketten legten – an Ketten aus Vorschriften, Regeln und Entscheidungen gegen die Vernunft und jedes Gefühl. Jemand musste sie sprengen. Ich musste sie sprengen.

 

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