Don't LOVE me (Die Don't Love Me-Reihe 1) (German Edition)

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Don't LOVE me (Die Don't Love Me-Reihe 1) (German Edition) Page 9

by Kiefer, Lena


  »Was ist los?«, fragte ich irritiert.

  »Na, ich rede hier über meine Mum, während deine …« Richtig, er hatte ja gestern gehört, was Moira gesagt hatte. »Es tut mir sehr leid, dass du sie verloren hast. Ist sicher nicht einfach, dass hier alle über sie reden.«

  »Nein.« Ich wich seinem Blick aus und schluckte. »Ich hätte nicht gedacht, dass es mir so viel ausmacht, die alten Geschichten von ihr zu hören.« Die meisten in Kilmore kannten irgendeine Anekdote über meine Mum – ob der Bäcker gestern Morgen oder die Frau, die den Buchladen betrieb. Und jedes Mal meldete sich tiefe Traurigkeit, die ich in dieser Intensität nicht mehr gewohnt war.

  »Dann musst du den Leuten vielleicht klarmachen, dass es dir wehtut.«

  »Ja, vielleicht.« Ich nickte nur, mehr wollte ich nicht sagen. Ich redete ja schon nicht mit meiner Familie darüber, wie ich mich mit Mums Tod seit meiner Ankunft in Kilmore fühlte, da wäre es völlig falsch, mit jemandem darüber zu sprechen, den ich kaum kannte. Und der dich echt blöd behandelt hat, Kenzie , fügte meine innere Stimme hinzu.

  »Sollte meine Tante je wieder über sie reden, gib mir einfach einen Wink.« Lyall sah mich ernst an.

  Was? Überrascht erwiderte ich den Blick. Also hatte er sich deswegen eingeschaltet? Nicht, weil Empathie für ihn ein Fremdwort war, sondern weil er mich aus dieser unangenehmen Situation befreien wollte? Damit hatte ich nicht gerechnet.

  »Das wäre aber gar nicht Mister Darcys Art«, scherzte ich, um meine Verlegenheit zu überspielen.

  »Mister Darcy ist mehr Gentleman, als du ihm zugestehst.« Lyall lächelte. »Außerdem … du hast hoffentlich nicht vergessen, wie das Ganze mit den beiden endet, oder?« Er hob eine Augenbraue, und es sah nicht so unschuldig aus, wie er wohl glaubte.

  Ich ging auf das Spielchen ein, legte nachdenklich den Kopf schief und schüttelte ihn dann bedauernd. »Ich fürchte, das habe ich tatsächlich vergessen. War das nicht so, dass sie ihn am Ende verschmäht, damit sie allein in den Sonnenuntergang reiten kann?«

  »Das ist wohl eher die moderne Fassung für emanzipierte Frauen.« Jetzt grinste er. »Willst du den Rest der Suite sehen?«

  »Auf jeden Fall.« Ich folgte ihm in das angrenzende Schlafzimmer, das farblich an das Wohnzimmer angeglichen war – hier waren es allerdings tannengrüne Tapeten mit goldenen Ornamenten, die alles etwas dunkler machten, aber auch gemütlicher. Das riesige Bett mit langen Pfosten war aus edlem Walnussholz, ebenso wie das Beistelltischchen neben dem grünen Sessel am Fenster. Die Vorhänge passten perfekt zu den Bezügen der Polstermöbel und dem Teppich. Es war alles wunderbar stimmig eingerichtet – wenn auch für meine Begriffe etwas zu altertümlich. Ich hatte auf verschiedenen Blogs tolle Interpretationen schottischer Klassiker gesehen, die traditionell und trotzdem modern waren. Das hier war nur traditionell, genau wie Lyall in dem Meeting gesagt hatte.

  »Und, gefällt es dir?«, fragte er hinter mir. Ich drehte mich zu ihm um.

  »Es passt sehr gut hier rein.« Ich nickte. »Aber ich weiß, was du meinst, wenn du sagst, für den Neubau wäre es zu altbacken.«

  »Vollkommen.« Lyall verschränkte die Arme. »So ist das eben in Kilmore – alles hier ist einfach völlig hinter der Zeit zurück.«

  Ich musste grinsen, als ich merkte, dass seine Arroganz etwas Amüsantes hatte, wenn ich nicht ihr Opfer war. »Dann ist es ja gut, dass wir jetzt hier sind, oder?«

  »Wir?« Er sah mich an. »Soll das etwa bedeuten, du und ich sind auf einmal so was wie Verbündete im Kampf gegen die Tradition?«

  Sein Tonfall war vertraulich und neckend – und sorgte dafür, dass das Kribbeln vom Dachboden sich mit voller Wucht zurückmeldete.

  Auf keinen Fall , dachte ich. »Vielleicht?«, war jedoch das, was ich sagte. Offenbar hatte der Teil von mir, der sich von diesem Kerl angezogen fühlte, plötzlich die Regie übernommen. Aber was sollte ich machen, wenn er mich so ansah – als würden ihm unzählige Dinge einfallen, die wir miteinander anstellen konnten?

  »Nur vielleicht?« Er schlenderte noch einen Schritt näher, die Hände in den Hosentaschen, und auf sein Gesicht stahl sich ein Lächeln, das man nicht als unwiderstehlich betiteln konnte, sondern musste.

  »Ja, vielleicht«, wiederholte ich. »Schließlich weiß ich bisher nicht genug über deine Pläne, um das beurteilen zu können.« Mein Blick glitt über seinen Körper nach oben zu seinem Gesicht, bevor ich lächelte. Ich hätte nicht darauf eingehen sollen, aber ich konnte nicht anders. Es war wie ein Sog, der jede Vernunft schachmatt setzte.

  »Ist das etwa eine Aufforderung, Miss Bennet?«, fragte er mich, und seine Stimme klang noch eine Nuance tiefer. Dann hob er die Hand und strich mir mit der Rückseite seiner Finger eine meiner Haarsträhnen zurück.

  »Keineswegs, Mister Darcy«, antwortete ich leise. »Nur eine Feststellung.« Hör sofort auf, mit ihm ein solches Gespräch zu führen, versuchte mein Verstand es ein letztes Mal, hast du vergessen, was Drew über ihn gesagt hat? Aber der Rest von mir hörte nicht darauf, wollte nicht darauf hören. Ich kam Lyall noch näher, so nah, dass mein Magen vibrierte. Als ich seinen Atem auf meinem Gesicht spürte, war mir jede Vorsicht egal.

  »Mister Lyall?«

  Nur eine Sekunde später zerriss ein Klopfen die aufgeladene Stille zwischen uns.

  Wir schreckten zurück, als hätte man uns bei etwas Verbotenem erwischt. Dann trat Lyall von mir weg, ging aus dem Zimmer und hinüber in den Wohnbereich. Ich strich mir währenddessen die Haare nach hinten und atmete durch. War ich ihm gerade viel zu nah gekommen, zum zweiten Mal innerhalb einer Viertelstunde? Ohne dass ich ihn überhaupt mögen wollte? Meine Güte, Schottland tat mir echt nicht gut.

  »Domhnall«, hörte ich Lyall sagen, nachdem er die Tür geöffnet hatte. »Wir haben uns ja noch gar nicht gesehen, seit ich zurück bin.«

  »Mister Lyall«, ertönte die basslastige Stimme des Hausmeisters. »Wie schön, dass Sie wieder hier sind.« Ich ging hinüber und sah, wie der alte Mann ihm ehrlich erfreut die Hand schüttelte. Lyall lächelte ihn warm an.

  »Und es ist schön, Sie zu sehen, Domhnall. Ich hatte schon gedacht, wir wären keine Freunde mehr.« Er sagte es, als hätte es ihm wirklich etwas ausgemacht, die Gunst dieses Angestellten zu verlieren. Das klang gar nicht nach dem arroganten Typen, den alle in Kilmore – mich eingeschlossen – in Lyall sahen. Meine Verwirrung erreichte langsam schwindelnde Höhen.

  »Wir werden immer Freunde sein. Sie wissen doch, was ich von dieser Sache halte.« Domhnall entdeckte mich und lächelte erneut. »Miss Kenzie, wie praktisch, dass Sie auch da sind. Hier sind die Aufnahmen, nach denen Sie gefragt haben.« Er reichte mir eine vergilbte Aktenmappe. »Aber passen Sie gut darauf auf, es sind die Originale.«

  Ich nahm die Mappe entgegen und legte sie auf meine Tasche. Ich würde sie mir später ansehen. »Vielen Dank, Mister Adair. Sie sind ein Schatz.«

  »Ich sagte Ihnen doch, Sie sollen mich Domhnall nennen, Miss Kenzie.«

  »Nur, wenn Sie nicht mehr Miss sagen.«

  Der alte Mann schien zu überlegen. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Nein, das geht nicht.«

  »Dann bleibe ich bei Mister Adair«, sagte ich lächelnd.

  »Widersprechen Sie ihr lieber nicht, Domhnall.« Lyall sah mich an. »Kenzie lässt sich nur schwer von etwas abbringen.« Seine Mundwinkel zuckten zu einem schnellen Grinsen und erinnerten mich an das, was vor nicht einmal fünf Minuten beinahe passiert wäre.

  Der Hausmeister lachte. »Das will ich Ihnen mal glauben. Ich muss dann auch weiter. Wenn Sie mögen, kommen Sie doch auf einen Tee bei mir vorbei, Mister Lyall. Und Sie, Miss Kenzie – behalten Sie die Aufnahmen, so lange Sie möchten.«

  Ich bedankte mich noch einmal, und Mister Adair verschwand, die Tür hinter sich zuziehend. Er ließ uns in unschlüssigem Schweigen zurück.

  »Willst du dir meinen Entwurf für die Lobby mal anschauen?«, fragte ich, bevor die Stille sich zu sehr ausdehnte. Besser, wir kamen nicht wieder auf dumme Gedanken. Wieso denn nicht?, fragte eine Stimme, die verdächtig nach Willa klang. Jetzt ist doch genau die richtige Zeit für dumme Gedanken.

  »Klar.« Lyall
ging vor zu der Sitzgruppe mit zwei Sofas im Wohnzimmer, und ich schnappte mir meine Tasche, um das Skizzenbuch herauszunehmen. Auf dem Weg zur Couch suchte ich die richtige Seite heraus, setzte mich neben Lyall und hielt ihm dann das Buch hin. Er nahm es entgegen und musterte eingehend meine Zeichnung.

  »Das ist echt gut. Vor allem die Kombination aus Möbeln und Fläche. Das ist genau das, was Paulas Konzept nicht berücksichtigt – dass man die Weite der Gegend hier aufgreifen müsste, nicht die engen Räume irgendwelcher Burgen von früher.« Er stand auf und holte einen seiner Pläne. »Hier, sieh dir das an. Die zwei Wände würde ich gerne weglassen. Stattdessen würde ich diesen Bereich um den Frühstücksraum weniger starr abgrenzen und den Fitnessraum in den ersten Stock verlegen.«

  »Uh, Fitnessräume.« Ich verzog das Gesicht. »Der Endgegner jedes Innendesigners. Diese Geräte sehen einfach immer hässlich aus.«

  Lyall nickte. »Das stimmt. Aber man könnte deine Raumteiler aus der Lobby auch dort verwenden, um die Geräte vor den Blicken zu verstecken. Zeig mal her.« Ich schlug eine andere Seite im Skizzenbuch auf und schob es zu ihm. Er beugte sich darüber und kam mir dabei wieder näher, diesmal unabsichtlich, denn er war völlig vertieft in den Entwurf. Ich konnte erkennen, dass diese Sache ihm wirklich etwas bedeutete, und es half nicht, meinen Herzschlag zu beruhigen. Genauso wenig wie der dezente Duft nach teurem Shampoo und seiner Haut, der mir in die Nase stieg.

  »Du solltest dir überlegen, diese Streben senkrecht zu setzen«, sagte er schließlich zu mir. »Das streckt die Optik und passt besser zu den Kanten der Tischchen, die für den Bereich vorgesehen sind. Wenn du dann noch die Fächer auf gleicher Höhe platzierst statt versetzt, gibt das etwas mehr Durchsicht und Ruhe.« Er nahm ein leeres Blatt und zeigte mir mit wenigen Strichen, was er meinte. Und es war exakt auf den Punkt. Für einen Moment war ich sprachlos.

  »Wieso verstehst du so viel davon? Ich dachte, du bist Architekt, was hast du mit Innendesign zu tun?« Überrascht sah ich ihn an.

  »Was ich mit Innendesign zu tun habe?« Er hob wieder eine Augenbraue, diesmal amüsiert. »Weißt du, wer meine Mutter ist?«

  Paula hatte ihren Vornamen beim Essen gesagt – Dora. Moment. Dora wie … »Theodora Henderson.« Mein Mund klappte auf. Die Verbindung hatte ich gar nicht gezogen. Ich hatte gewusst, dass sie die Hotels der Gruppe ausstattete, aber nicht, dass sie Lyalls Mutter war. »Kein Scheiß?«

  »Kein Scheiß«, wiederholte er grinsend meine Worte.

  »Sie ist die Größte!« Ich sah ihn begeistert an. »Sie hat Polstersessel wieder salonfähig gemacht, indirekte Lichtkonzepte auf eine neue Ebene gehoben und die Benutzung von Dekortapeten völlig revolutioniert. Und sie hat Hunderte Preise dafür gewonnen. Deine Mutter ist unglaublich!« Ich hatte zig Interviews mit Theodora Henderson gelesen, und in jedem sprach sie mit völliger Hingabe von ihren Ideen. Sie war eine echte Ikone.

  »Ja, und das weiß sie auch, glaub mir«, seufzte Lyall.

  »Ich bin gerade so was von neidisch auf dich.« Was hätte ich dafür gegeben, nur fünf Minuten mit ihr reden zu können? Und er konnte sie einfach jederzeit anrufen und mit ihr quatschen.

  Lyall lächelte. »Sie kommt bestimmt im Sommer irgendwann her – spätestens zu den Highland Games –, dann kann ich dich vorstellen, wenn du willst.«

  »Im Ernst? Das würdest du machen?«

  »Da muss ich nicht viel machen, meine Mum riecht Gleichgesinnte auf zehn Meilen gegen den Wind. Erzähl ihr dann auf jeden Fall, dass du zur UAL willst. Sie unterrichtet dort immer wieder als Gastdozentin, bestimmt gibt sie dir gerne ein paar Tipps für die Aufnahme.«

  Ich strahlte, und mein Herz klopfte fast genauso stark wie vorhin, nur auf ganz andere Art. Ich würde Theodora Henderson treffen! Allein dafür hatte sich der Trip in den Norden schon gelohnt.

  Lyall sah mich an, und in seinem Gesicht sah ich einen Ausdruck, den ich nicht deuten konnte. Schnell dämpfte ich mein Lächeln.

  »Ja, ich weiß, meine Begeisterung ist albern.« Ich hob die Schultern.

  »Nein, ist sie nicht«, widersprach er. »Es gibt nichts Interessanteres als einen Menschen, der für etwas brennt. Und der auch noch Talent dafür hat.« Er zeigte auf meine Entwürfe und ich zog verlegen die Schultern hoch.

  »Und bei dir ist das die Architektur?«, lenkte ich ab. Er nickte und ich runzelte die Stirn. »Verzeih mir die Frage, aber warum nicht Innendesign wie deine Mutter? Du scheinst ein gutes Gespür für Ästhetik zu haben.«

  Er hob die Schultern. »Ich weiß nicht, wann es war, aber zu irgendeinem Zeitpunkt habe ich gemerkt, dass mich Gebäude als Ganzes faszinieren. Wie die richtige Raumaufteilung den Eindruck von Weite oder Enge erzeugen kann, von Behaglichkeit oder Kühle. Innendesign unterstützt das alles und ich beschäftige mich gerne damit. Aber mein Ding sind größere Strukturen.« Er lächelte mich an, mit einem Funkeln in den Augen – und ich hatte das Gefühl, gerade den echten Lyall zu sehen. Wärme sammelte sich in meinem Magen, als ich es bemerkte. Er hatte recht: Es gab nichts Interessanteres als einen Menschen, der für etwas brannte.

  »Du –«, begann ich, kam jedoch nicht weit.

  Es klopfte erneut an der Tür, aber diesmal trat jemand in der gleichen Sekunde ein, ohne darauf zu warten, hereingebeten zu werden. Wir sahen auf.

  »Lyall, hast du schon wegen der Genehmigung mit … oh.« Eine hochgewachsene Rothaarige Mitte zwanzig – eindeutig mit Henderson-Genen gesegnet – schaute uns überrascht an. »Sieh an, du hast Besuch.«

  »Ja, habe ich«, knurrte Lyall.

  »Wie schön. Willst du mich nicht vorstellen?«

  »Nein, will ich nicht.« Er sah sie feindselig an.

  Die Rothaarige blieb von seinem finsteren Blick unbeeindruckt, obwohl er jeden normalen Menschen wohl in die Flucht getrieben hätte. Dann kam sie auf mich zu und streckte die Hand aus. »Ich bin Fiona Henderson, Moiras Tochter und Teil der Geschäftsführung des Grand .«

  Lyall schnaubte, als wäre diese Bezeichnung vollkommen lächerlich. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu und besann mich dann auf meine Manieren.

  »Kenzie Stayton, freut mich.« Ich schüttelte ihre Hand. »Ich mache ein Praktikum bei Paula McCoy.«

  »Ah, natürlich, der Neubau.« Fionas Blick wanderte von mir zu ihrem Cousin. »Als Bestandteil des Führungsteams bin ich selbstverständlich darüber unterrichtet, wie es vorangeht.«

  Ich lächelte höflich. »Es ist sicher toll, schon so jung mitentscheiden zu dürfen.«

  »Sehr.« Fiona sah erneut zu Lyall. »Es ist natürlich harte Arbeit, auf die nicht jeder Lust hat. Manche von uns haben eben Ambitionen und andere wollen lieber ihren Spaß.«

  Lyall warf ihr einen tödlichen Blick zu. »Manche von uns«, ahmte er ihre Worte nach, »setzen sich auch einfach ins gemachte Nest, während andere tatsächlich hart arbeiten müssen, um sich ihren Platz zu verdienen.«

  Okay, wow. Die konnten sich echt nicht leiden. Ich kam mir vor wie bei einem Tennismatch, das schon mehrere Jahre andauerte.

  »Wir wissen doch, was das Einzige ist, woran du wirklich hart arbeitest.« Fiona sah nicht gerade unauffällig zu mir. »Und offenbar gibst du dabei wieder einmal dein Bestes. Ich dachte, man hätte dir klar gesagt, dass du nicht mit den falschen Leuten gesehen werden solltest.«

  Ich starrte sie fassungslos an und fragte mich, ob man noch herablassender schauen konnte als Moiras Tochter. Aber dann veränderte sich Lyalls Gesichtsausdruck und ich wusste: ja, konnte man.

  »Ich habe Kenzie nur einen Gefallen getan«, sagte er mit einem unbeteiligten Schulterzucken. »Sie war bei der Gestaltung der Raumteiler unsicher, also habe ich ihr einen Rat gegeben. Außerdem wollte sie unbedingt eine der Suiten von innen sehen. Da konnte ich ja wohl schlecht Nein sagen, oder?«

  Wow. Es waren nur ein paar Sätze, und trotzdem erzählten der Tonfall, die Haltung und sein Blick eine viel ausführlichere Geschichte: die von jenem Lyall Henderson, der sich für Mädchen wie mich schon lange nicht mehr interessierte und nur höflich sein wollte. Er stellte es hin, als hätte ich um seine Hilfe gebettelt. Und plötzlich verstand ich, was hier los war. Wahrscheinlich war ich gut genug fü
r eine Nummer in seiner Suite, wenn keine Alternativen zur Verfügung standen. Da die ganze Stadt ihm misstraute, blieb ja niemand außer der Fremden aus England, die auf ein bisschen Süßholz reinfiel. Das raspelte man aber nur, solange keiner da war, der das missbilligen konnte. Offiziell durfte man mit jemandem wie mir natürlich nicht gesehen werden. Er verarscht dich. Und du machst auch noch mit.

  »Lyall hat recht«, fügte ich in Fionas Richtung hinzu und packte ruppig mein Skizzenbuch und die Mappe von Mister Adair. Dann nahm ich die Schere vom Tisch, öffnete die Folie um den Ballen und schnitt mir einen halben Meter Stoff ab. »Ich war nur hier, weil ich einen Rat von ihm wollte. Er würde sich nämlich bestimmt eher den Arm abhacken, als mit den falschen Leuten gesehen zu werden.«

  Fionas Telefon klingelte, und mit einem letzten Blick auf mich verließ sie die Suite, um den Anruf anzunehmen. Ich hörte, wie sie sich sprechend entfernte, und wandte mich zu Lyall um – erwartete wohl irgendwie eine Erklärung für sein Verhalten. Aber Fehlanzeige. Seine Miene blieb undurchdringlich.

  »Es ist besser, wenn du jetzt gehst, Kenzie«, sagte er.

  Ich nickte. »Gut, dass du das sagst. Sonst wäre ich echt nie auf die Idee gekommen, dass ich unerwünscht bin.« Wie hatte ich denken können, nur wegen diesem einen … okay, zwei Momenten und einer halben Stunde entspannter Unterhaltung hätte sich etwas an seiner Haltung geändert?

  »Du verstehst nicht –«, hob er an.

  »Doch, ich verstehe sehr gut«, unterbrach ich ihn. »Ich verstehe, dass du nur nett und charmant bist, wenn du ein bisschen Spaß willst. Aber wehe, es kriegt jemand mit, dann bist du ganz schnell wieder du selbst.« Gott, ich war echt sauer, aber vor allem auf mich. Ich hätte es besser wissen müssen. Seit wann war ich so dämlich?

  »Du weißt nicht das Geringste darüber, wie ich bin«, sagte Lyall in kühlem Ton und seine Augen wurden schmal. »Und du hast null Ahnung, was in meinem Leben abgeht.«

  »Oh ja, du bist bestimmt echt arm dran.« Meine Stimme triefte vor Spott. »Eine geniale Mutter, eine Familie mit Luxushotels an jedem schönen Ort dieser Welt und sicher ein fetter Treuhandfonds obendrauf. Das muss unfassbar hart sein.«

 

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