by L.J. Shen
»Was hältst du von Spaghetti und Frozen Yogurt?« Ich feilschte, was ich sonst niemals tat.
Ihr schlaffer Griff um meine Hand wurde einen Tick fester. Wir kamen der Sache näher.
»Wir geben den Frozen Yogurt auf die Spaghetti und essen, während wir Stranger Things gucken. Zwei Folgen. Deine übliche Schlafenszeit ist somit von acht auf neun verschoben.« Scheiß der Hund drauf. Es war Wochenende, und meine üblichen willigen Betthäschen konnten warten. Heute Abend würde ich mit meiner Tochter Netflix gucken. Ein Seepferdchen sein.
Luna stimmte wortlos zu, indem sie kurz meine Hand drückte.
»Aber es gibt keine Schokolade oder Kekse nach dem Essen«, warnte ich sie. Ich führte ein strenges Regiment, was Ernährung und feste Abläufe betraf. Luna drückte abermals meine Hand.
»Ich lasse nicht mit mir handeln, Fräulein. Ich bin dein Vater, darum bin ich derjenige, der die Regeln festlegt. Keine Schokolade. Und keine Jungs – weder nach dem Abendessen noch sonst irgendwann.«
Der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht, bevor es wieder ernst wurde und sie ihren Rucksack mit dem Seepferdchen darin an ihre Brust drückte. Meine eigene Tochter hatte mich bisher niemals angelächelt, kein einziges Mal, noch nicht einmal versehentlich.
Sonya irrte sich. Ich war kein Seepferdchen.
Ich war der Ozean.
KAPITEL 2
EDIE
Schwerelosigkeit.
Dieses Gefühl verlor nie seinen Reiz.
Auf einer fetten Welle zu surfen, eins zu werden mit dem Ozean. Sie mit gebeugten Knien und angespannten Bauchmuskeln geschickt hinabzugleiten, das Augenmerk auf das Einzige gerichtet, was wirklich zählt im Leben: nicht hinzufallen.
Mein schwarzer Neoprenanzug klebte an meiner Haut und hielt meinen Körper selbst um sechs Uhr morgens in den salzigen Fluten warm. Am Rande meines Blickfelds sah ich, wie Bane eine andere Welle bezwang, sie auf dieselbe Weise ritt, wie er seine Harley fuhr: waghalsig, aggressiv, rücksichtslos. Die See war laut. Tosend schlug die Brandung an den weißen Strand, sie übertönte meine negativen Gedanken und schaltete die an mir nagenden Ängste und Komplexe stumm. Für eine kurze Stunde gab es keine Dramen in meinem Leben, keine finanziellen Sorgen, keine Pläne, die es zu fassen galt, keine Träume, die zu platzen drohten. Weder Jordan noch Lydia Van Der Zee, keine Erwartungen und Drohungen, die wie ein Damoklesschwert über meinem Kopf schwebten.
Da war nur ich.
Das Meer.
Der Sonnenaufgang.
Oh, und Bane.
»Das Wasser ist verflucht kalt«, knurrte er auf seinem Brett und ging in die Hocke, um seinen Ritt auf einer der herausforderndsten Naturgewalten bis zur letzten Sekunde auszukosten. Bane war um einiges größer und schwerer als ich, dabei aber immer noch gut genug für eine Profikarriere, wenn das wirklich sein Bestreben gewesen wäre. Er navigierte entlang der besonders krassen Wellen, indem er sich mit seinem Board regelrecht daran festklammerte. Surfen war wie Sex – jedes Mal anders, egal, wie viel Übung man hatte. Es gab immer wieder etwas Neues zu entdecken, jede Begegnung war einzigartig und von wildem Potenzial erfüllt.
»Kein guter Tag, um deinen Schwanz in den Wind zu hängen«, bemerkte ich grunzend, während ich mit eingezogenem Bauch parallel zu einem Wellenkamm glitt, um meine Dynamik beizubehalten. Bane liebte es, nackt zu surfen. Weil ich es hasste, wenn er das tat, und er es genoss, mir Unbehagen einzuflößen. Seinen langen Schniedel im Wind flattern zu sehen lenkte mich ab und irritierte mich.
»Du wirst den Anblick noch vermissen, Gidget«, konterte er und spielte mit seiner gepiercten Zunge an dem Ring in seiner Unterlippe. Gidget war der Spitzname für zierliche weibliche Surfer, und Bane nannte mich nur dann so, wenn er mich ärgern wollte. Er hatte schon jetzt mit seiner Balance zu kämpfen und schaffte es nur mit Mühe, seiner Welle standzuhalten. Wenn jemandem sein Brett flöten ginge, dann ihm.
»Träum weiter!«, schrie ich, um das Tosen der See zu übertönen.
»Nein, im Ernst. Dein Vater ist hier.«
»Mein Vater ist … was?« Ich musste ihn falsch verstanden haben. Ganz bestimmt sogar. Jordan hatte mich nie zuvor aufgespürt, schon gar nicht in aller Herrgottsfrühe an einem Sandstrand, der seinem Faible für teure Anzüge entgegenstand. Ich verlor den Halt, und das nicht nur körperlich, als ich zum Ufer spähte, das von Palmen sowie pinken, grünen, gelben und blauen Bungalows gesäumt wurde. Kein Zweifel, inmitten des Potpourris aus Bars, Hotdog-Ständen und zusammengeklappten gelben Liegestühlen stand Jordan Van Der Zee am Strand, während hinter ihm die Sonne aufging, als stiege ein Inferno direkt aus der Hölle empor. Er war mit einem dreiteiligen Brooks-Brothers-Anzug bekleidet und trug eine missbilligende Miene zur Schau. Auch am Ende eines Arbeitstags legte er nichts von beidem ab.
Selbst aus der Ferne konnte ich sehen, dass sein linkes Augenlid verärgert zuckte.
Ich fühlte geradezu, wie sein heißer Atem über mein Gesicht strich, während er zweifellos wieder einmal einen Befehl blaffte.
Vor Verzweiflung schnürte sich meine Kehle zu, als sei er zu nah, zu fordernd, zu viel für mich.
Ich rutschte vom Brett und schlug rücklings auf dem Wasser auf. Schmerz schoss durch meine Wirbelsäule bis hoch in meinen Kopf. Bane kannte meinen Vater nicht, aber wie jeder in der Stadt wusste er von ihm. Jordan gehörte das halbe Stadtzentrum von Todos Santos – die andere Hälfte war im Besitz von Baron Spencer –, und er hatte kürzlich angekündigt, dass er mit dem Gedanken spiele, als Bürgermeister zu kandidieren. Er lächelte breit in jede Kamera, die auf ihn gerichtet wurde, umarmte ortsansässige Geschäftsinhaber, küsste Babys und war sogar bei einigen Veranstaltungen an meiner Highschool aufgetaucht, um seine Unterstützung des Gemeinwesens zu demonstrieren.
Er wurde entweder verehrt, gefürchtet oder gehasst. Ich zählte zu letzterer Fraktion, wusste ich doch aus eigener Erfahrung, dass sein Zorn ein scharfes Schwert war, das tiefe Wunden schlagen konnte.
Ich schmeckte Salz auf der Zunge und spuckte aus, bevor ich mein gelbes Surfbrett an der Verbindungsleine um meinen Fußknöchel zu mir heranzog. Ich kletterte darauf und legte mich flach auf den Bauch, dann paddelte ich mit flinken Bewegungen Richtung Ufer.
»Lass den Wichser warten«, rief Bane mir hinterher. Ich warf einen Blick zu ihm. Er saß rittlings auf seinem schwarzen Board und starrte mich mit brennender Intensität an. Sein langes blondes Haar haftete an seiner Stirn, seinen Wangen; seine waldgrünen Augen sprühten Feuer. Ich betrachtete ihn aus dem vermuteten Blickwinkel meines Vaters. Ein abgerissener Strandgammler mit Tätowierungen, die den größeren Teil seines Oberkörpers und seinen Hals bedeckten. Ein Wikinger, ein Höhlenmensch, ein Neandertaler, der gern am Rande der Gesellschaft lebte.
Ein verdorbener Apfel.
Wir Van Der Zees verkehren nur mit der Crème de la Crème, Edie.
Ich richtete den Blick zurück zum Strand und paddelte noch schneller.
»Verdammter Schisser!«, brüllte Bane laut genug, damit Jordan es hörte.
Ich gab keine Antwort, und das nicht, weil mir etwa die Worte gefehlt hätten. Bane kannte nicht die ganze Geschichte. Ich musste meinem Vater weiterhin höflich begegnen. Er hielt meine Zukunft in seinen schwieligen Händen. Ich wollte sie wiederhaben.
Bane hatte seinen Spitznamen nicht ohne Grund. Ganz ohne Scheuklappen betrachtet, war er eigentlich nicht mehr als ein besserer Rüpel. Er wurde nur deswegen nie der Schule verwiesen, weil seine Mutter ganz dicke mit dem Stadtrat war. Aber er herrschte über uns alle, jeden einzelnen Schüler an der Highschool. Über die reichen Snobs. Die korrupten Footballer. Die Cheerleader, die den anderen Mädchen das Leben zur Hölle machten.
Bane war kein guter Kerl. Er war ein Lügner, ein Dieb und ein Drogendealer.
Und mein Exfreund.
Er hatte ins Schwarze getroffen, indem er meinen Vater als einen Wichser bezeichnete. Wohingegen dieser in einem anderen Punkt recht hatte: Die Lebensentscheidungen, die ich traf, waren zweifellos fragwürdig.
»Jordan?« Ich klemmte mir mein Brett unter den Arm und steuerte auf ihn zu. Der kalte Sand klebte an meinen Füßen und machte sie taub. Noch war mein Adrenalinspiegel hoch von meinem Ritt auf den Wellen, aber er würde bald sinken und ich zu frieren anfangen. Ich verzog keine Miene, weil ich wusste, dass mein Vater sich an meinem Missbehagen weiden und das Gespräch absichtlich in die Länge ziehen würde.
Die Augen zu Schlitzen verengt, wies er mit dem Kinn über meine Schulter. »Ist das der Protsenko-Junge?«
Ich zog die Nase kraus, ein nervöser Tick von mir. Obwohl Jordan selbst ein Immigrant der ersten Generation war, störte es ihn, dass ich mich mit einem russischen Jungen angefreundet hatte, der nach dem Zerfall der Sowjetunion mit seiner Mutter nach Kalifornien gekommen war.
»Ich hatte dir gesagt, dass du dich von ihm fernhalten sollst.«
»Er ist nicht der einzige Mensch, bei dem du das von mir verlangt hast«, schnaubte ich und schaute mit zusammengekniffenen Augen zum Horizont. »Ich schätze, wir können uns darauf einigen, dass wir uns nicht einig sind.«
Er hakte die Daumen in seinen Hemdkragen, um ihn ein Stück zu weiten. »Was das betrifft, bist du auf dem Holzweg, Edie. Dieser Meinung war ich nie. Nur stelle ich mich den Herausforderungen. Man nennt das Elternkompetenz, und ich versuche, der Vaterrolle so gerecht wie möglich zu werden.« Jordan war ein Chamäleon, im höchsten Maß anpassungs- und wandlungsfähig. Er kaschierte seine Rücksichtslosigkeit mit Sorge, seine diktatorische Persönlichkeit mit Enthusiasmus und Zielstrebigkeit. Es waren seine Taten, die ihn zu dem Ungeheuer machten, das er in meinen Augen geworden war. Doch für Außenstehende war er einfach nur ein ganz normaler gesetzestreuer Bürger. Ein armer holländischer Junge, der mit seinen Eltern in die Staaten ausgewandert war und den amerikanischen Traum wahr gemacht hatte, indem er dank harter Arbeit und messerscharfem Verstand zum Selfmade-Millionär geworden war.
Er klang besorgt, und vielleicht war er das sogar, wenn auch nicht um mein Wohlergehen.
Ich wischte mir mit dem Arm übers Gesicht. »Vater.« Ich hasste es, ihn so nennen zu müssen, nur um ihn milde zu stimmen. Er hatte sich diese Anrede nicht verdient. »Du bist nicht hier, um über den ›Protsenko-Jungen‹ zu sprechen. Wie kann ich dir heute Morgen behilflich sein?« Ich rammte das Surfboard in den Sand und lehnte mich dagegen. Er streckte die Hand aus, um mein Gesicht zu berühren, bevor er sich entsann, dass ich nass war, und sie wieder in seine Tasche steckte. In diesem Moment wirkte er wie ein Mensch, so als hätte er keine Hintergedanken.
»Wo hast du die schriftlichen Zusagen der Boston und der Columbia University versteckt?« Er stemmte die Hände in die Hüfte, während mir die Kinnlade runterfiel. Eigentlich sollte er davon nichts wissen. Ich war an fünf Hochschulen angenommen worden. Harvard, Stanford, Columbia, Brown und Boston. Meine Durchschnittsnote war eins Komma eins, und mein Nachname lautete Van Der Zee. Folglich wussten die Verantwortlichen, dass mein Vater der Elite-Uni, die ihn von meiner Gegenwart erlöste, einige Millionen Dollar und notfalls auch noch eine Niere spenden würde. Bedauerlicherweise hatte es mich nie wirklich interessiert, an einer Hochschule in einem anderen Bundesstaat zu studieren. Der offensichtliche Grund war meine Leidenschaft fürs Surfen, das ich so dringend brauchte wie die Luft zum Atmen. Die Sonne und der weite Himmel waren Balsam für meine Seele. Aber noch wichtiger war, dass der einzige Mensch auf der Welt, der mir etwas bedeutete, hier in Kalifornien war. Ich würde nicht fortgehen. Nicht einmal rauf nach Stanford.
Jordan wusste das ganz genau.
»Ich habe sie nicht versteckt. Sondern verbrannt.« Das Neopren klatschte schmerzhaft gegen meine Haut, als ich mich aus meinem Nassanzug schälte, unter dem mein knapper violetter Bikini zum Vorschein kam. »Ich bleibe in seiner Nähe.«
»Ich verstehe«, sagte er. Ihm war klar, dass ich nicht von Bane sprach. Er hatte dieses Gespräch nur deshalb hierher an den Strand verlegt, weil er nicht riskieren konnte, dass meine Mutter es mitbekam. Lydia Van Der Zee war psychisch labil, ihre geistige Gesundheit hing ständig an einem seidenen Faden. Geschrei brachte sie an ihre Grenzen, und dieses Thema war brisant genug, um in einen heftigen Streit auszuarten.
»Sag es doch einfach.« Ich schloss die Augen und stieß einen Seufzer aus.
»Ich habe als Vater versagt, Edie, und dafür möchte ich mich entschuldigen.«
Der Adrenalinrausch vom Windsurfen war längst verebbt, und ich fröstelte. Praktisch halb nackt und hilflos wartete ich darauf, dass die Sonne höher stieg und meine Haut wärmte.
»Entschuldigung angenommen.« Ich kaufte sie ihm keine Sekunde ab. »Also, was ist der Plan? Ich bin sicher, du hast einen. Denn du bist bestimmt nicht hergekommen, um nach mir zu sehen.«
»Da du dieses Jahr nicht aufs College gehen wirst – was nicht automatisch auch für das nächste gilt, nur damit wir uns richtig verstehen – und du deinen Highschool-Abschluss in der Tasche hast, bin ich der Meinung, dass du für mich arbeiten solltest.«
Für mich. Nicht bei mir. Was einen kleinen feinen Unterschied macht.
»In einem Büro? Nein danke«, sagte ich tonlos. Ich gab dreimal die Woche Surfunterricht für Kinder. Da die Sommerferien angebrochen waren, hoffte ich darauf, mehr zu tun zu bekommen. Und ja, seit mein Vater mir den Geldhahn zugedreht hatte, betätigte ich mich zusätzlich regelmäßig als Taschendiebin. Ich hatte kein schlechtes Gewissen deswegen, immerhin musste ich für meine Gasrechnung, meine Versicherungen, meine Kleidung aufkommen, mein Leben und ihn finanzieren. Wenn ich keine Leute ausraubte, versetzte ich irgendwelchen Kram aus dem Haus meines Vaters in Todos Santos, den er gekauft hatte, kaum dass er dem Drei-Komma-Club beigetreten war. Schmuck. Elektrogeräte. Musikinstrumente. Jawohl, ich würde sogar unseren Hund versetzen, wenn wir einen hätten. Wenn es darum ging, den Menschen, den ich liebte, glücklich und zufrieden zu machen, kannte ich praktisch keine Grenzen. Nein, es kostete mich nicht viel Überwindung zu stehlen. Schließlich beklaute ich nur Leute, die es finanziell verkraften konnten. Das stellte ich hundertprozentig sicher.
»Das war keine Bitte. Betrachte es als einen Befehl«, entgegnete mein Vater und zog an meinem Ellbogen. Ich grub die Fersen tiefer in den Sand.
»Und wenn ich mich weigere?«
»Wird Theodore aus deinem Leben verschwinden«, drohte er seelenruhig. Die Ungerührtheit, mit der er seinen Namen aussprach, brach mir das Herz. »Er lenkt dich sowieso zu stark ab. Manchmal frage ich mich, wie viel mehr du aus dir gemacht hättest, wenn ich mich schon vor Jahren dazu durchgerungen hätte.«
In mir braute sich ein Sturm zusammen. Ich wollte ihn wegschubsen, ihm ins Gesicht spucken, ihn anschreien, aber ich konnte es nicht, weil er recht hatte. Jordan besaß diese Macht über mich. Von seinen weitreichenden Beziehungen ganz zu schweigen. Wenn er wollte, dass Theo von der Bildfläche verschwand, würde er dafür sorgen. Mit links.
»Was müsste ich tun?« Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange, bis sich der metallische Geschmack von Blut in meinem Mund ausbreitete.
»Was immer im Büro gerade anfällt. Hauptsächlich Zuarbeit. Keine Aktenablage, kein Telefondienst. Du brauchst eine ordentliche Dosis Realität, Edie. An mehreren Elitehochschulen angenommen zu werden und ihnen allen eine Absage zu erteilen, damit du deine Tage damit vertrödeln kannst, mit einem Kiffer zu surfen? Diese Zeiten sind vorüber. Ab jetzt wirst du dich nützlich machen. Du wirst mich jeden Morgen um sieben in die Firma begleiten und das Büro aufschließen – und erst gehen, wenn ich es dir erlaube, und sei es auch um sieben oder acht Uhr abends. Haben wir uns verstanden?«
Mein Vater war noch nie so weit gegangen, mich zu bestrafen, und ich war immerhin schon eine ganze Weile achtzehn – nur bedeutete das rein gar nichts. Ich lebte immer noch unter seinem Dach, stellte immer noch meine Füße unter seinen Tisch und – noch viel wichtiger – war immer noch seiner Gnade ausgeliefert.
»Warum tust du mir das an? Wieso gerade hier? Wieso jetzt?«
Sein linkes Augenlid zuckte wieder, sein Kiefer spannte sich an. »Oh bitte. Du hast dir das mit deinem leichtfertigen Lebensstil
selbst eingebrockt. Es ist an der Zeit, dass du deinem Namen gerecht wirst. Spar dir diese Theatralik.«
Er wandte sich ab und marschierte zu dem Range Rover, der am Straßenrand der verwaisten Uferpromenade parkte. Der Motor lief, und sein Fahrer schaute abwechselnd zu uns und auf die Uhr. Ein schmales Lächeln strich über seine Lippen. Mein Vater hatte keine zehn Minuten gebraucht, um mich auf Linie zu bringen.
Ich stand da, festgefroren wie eine Eisskulptur. Ich hasste Jordan mit einer Leidenschaft, die normalerweise der Liebe vorbehalten ist. Mein Hass auf ihn war abgrundtief, er vergiftete meine Seele und verdarb meine Stimmung.
»Mein Gefühl sagt mir, dass du es inzwischen bereust, nicht auf mich gehört und ihn einfach ignoriert zu haben«, kommentierte Bane, als er neben mich trat und die Kante seines Boards in den Sand stieß, bevor er seine wilde blonde Mähne zu einem Männerdutt zwirbelte. Ich antwortete nicht.
»Scheint, als wäre er dir aufs Dach gestiegen.« Er stupste mich mit dem Ellbogen an und fischte ein Budweiser aus seinem Rucksack, der im Sand lag. Wen kümmerte es, dass es erst sieben Uhr morgens war?
Ich umklammerte die Muschelkette um meinen Hals. »Du hast ja keine Ahnung«, presste ich zähneknirschend hervor.
KAPITEL 3
EDIE
Einfach absurd.
Dieser Ort war das reinste Tollhaus.
Ich war nie zuvor in Jordans Firma gewesen, aber ich erkannte Anarchie, wenn sie mir entgegenschlug. Und was mich im fünfzehnten Stockwerk des Oracle-Gebäudes in Beverly Hills erwartete, wo Vision Heights Holdings seinen Sitz hatte, war Chaos in Reinkultur.
Und in Gestalt des einzigen Menschen, dessen Irrsinn es mit Banes aufnehmen konnte.