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Scandal Love

Page 28

by L.J. Shen


  »Ich könnte ihn dir ohne die Informationen, auf die er aus ist, geben«, erbot ich mich ohne Zögern. Was scherte ich mich darum, wenn Jordan Zugang zu Dutzenden Verträgen und Kontaktlisten hätte, auf die er auch so zugreifen konnte? Es machte null Unterschied für mich. Und viel mehr war nicht auf dem Stick. Ein Haufen Mist, den man problemlos in der Datenbank unserer Firma finden konnte. Es gab da nur diese eine Datei, die mit ein paar anderen Dateien verlinkt war, auf der die Informationen gespeichert waren, nach denen er suchte.

  »Er würde es merken, Trent. Mein Vater ist nicht dumm, er würde den Trick durchschauen. Er ist überzeugt davon, dass alles, was du gegen ihn in der Hand hast, sich auf diesem USB-Stick befindet.«

  Da war was dran. Nicht zuletzt, weil ich wusste, auf welchem Weg er überhaupt davon erfahren hatte. Ich erhob mich und ging vor ihr auf und ab.

  »Die Sache ist die … Ich darf Theo nur samstags besuchen. Darum sind diese Tage mir heilig. Sollte ich morgen dort vor der Tür stehen, würde man mich nicht einlassen. Ich vermute, dass mein Vater irgendjemanden dort geschmiert hat oder so was.«

  »Darum verabscheust du Reichtum so sehr.« Ich rieb mir den Hinterkopf und starrte auf den Boden, während ich weiterhin auf und ab tigerte. Es war nachvollziehbar, wenn man es genau bedachte. Ihr Vater hatte seine Karriere und sein Vermögen über die Familie gestellt. Er ruinierte Edies Leben mit seinem Geld, darum hasste sie Letzteres ebenso sehr wie ihn.

  »Ja.« Sie legte die Hände auf ihre Schenkel und senkte den Kopf. »Geld führt die Menschen auf Abwege. Es verdirbt den Charakter und macht uns blind gegenüber den Dingen, die wirklich wichtig sind.«

  »Nicht zwangsläufig«, widersprach ich. Ich fand nicht, dass ihre Beschreibung auf mich zutraf. Vielleicht, weil ich nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren war und daher wusste, dass man auch so seinen Weg gehen konnte und sollte. Andererseits liebte ich es, das Leben eines reichen Mannes zu führen. Wenn auch nicht in dem Maß, dass ich dafür die Menschen aufgegeben hätte, die mir am Herzen lagen. Meine Tochter, meine Eltern, meine Freunde. Ich würde – ohne lange zu fackeln – jeden Dollar, den ich besaß, dafür opfern, Luna ihre Stimme zurückzugeben.

  Sie blickte auf und lächelte matt. »Du bist ein anständiger Kerl, Trent.«

  Da war ich mir nicht ganz sicher, doch die Vorstellung, dass mir Anstand innewohnte – und sei er auch für sie reserviert –, ging mir unter die Haut.

  Wir verweilten noch eine halbe Stunde, danach besorgte ich in einem nahe gelegenen Imbiss ein paar Sandwiches. Wir setzten uns zum Essen auf eine der taubenetzten Bänke vor dem Krankenhaus, bevor wir in den Empfangsbereich auf der vierten Etage zurückkehrten. Edie sah aus dem Fenster, dabei nagte sie wie ein Kind am Ausschnitt ihres Oberteils. Sie hatte seit meinem Eintreffen zweimal versucht, ihren Vater zu erreichen. Vergeblich.

  »Du solltest besser gehen. Es ist schon ziemlich spät, und Luna wird beunruhigt sein. Außerdem sieht es nicht so aus, als würde ich so bald von hier wegkommen, darum …«

  »Ich bleibe.« Ich wischte ihre Besorgnis mit einer Handbewegung beiseite. Mein Entschluss hatte nichts mit Selbstlosigkeit zu tun – nicht im Geringsten –, sondern damit, dass sie ganz allein hier war und ich sie bei mir haben wollte. Egal unter welchen Umständen. Sogar unter diesen.

  »Das solltest du wirklich nicht.« Sie ließ von ihrem Shirt ab und biss sich stattdessen auf die Lippe.

  Unsere Blicke trafen sich. »Ich weiß.«

  Sie schmiegte den Kopf an meine Schulter und weinte. Ich ließ sie.

  Irgendwann schlief sie in meinen Armen ein, und ich rührte mich nicht, sondern wartete, bis ihr Atem ruhig und gleichmäßig ging.

  Dann trug ich sie vorsichtig in das Zimmer ihrer Mutter und legte sie auf das Sofa unweit des Betts. Das Licht ließ ich brennen. Sie waren beide zu erschöpft, um sich daran zu stören. Meine Augen wanderten zwischen ihnen hin und her. Sie sahen einander so ähnlich und gleichzeitig auch wieder nicht.

  In dieser Nacht betrachtete ich Edie viel zu lange.

  Dabei ging eine Veränderung in mir vor.

  In dieser Nacht nahm ich nichts von Edie Van Der Zee. Stattdessen gab ich zum ersten Mal seit Jahren etwas von mir. Das Schlimmste daran? Ich würde es niemals wiederbekommen.

  Es gehörte ihr.

  Für immer.

  KAPITEL 25

  EDIE

  Es gibt da diesen Song von A Great Big World. »Say Something« ist eigentlich eine Liebesballade, aber für mich würde es immer das Lied bleiben, bei dem ich weinen musste, als ich, die Kopfhörer fest in meine Ohren gestöpselt, um die Welt auszublenden, in San Diego den Bus nach Todos Santos bestieg, nachdem Theo mir eine gescheuert hatte.

  Er hatte es nicht absichtlich getan, das wusste ich. Es musste grauenvoll sein, in seinem eigenen Kopf eingesperrt zu sein. Dinge, die für mich ganz alltäglich waren, empfand er als fremd und sonderbar. Doch ihn aufzugeben, nur weil er seine Gefühle nicht artikulieren konnte, kam nicht infrage.

  Selbst jetzt nicht.

  Der Sonntag lief nicht so, wie Trent und ich es geplant hatten.

  Nachdem er die Nacht im Warteraum verbracht hatte, während ich zwischen dort und dem Zimmer meiner Mutter pendelte, war er heimgefahren, um zu duschen, anschließend hatte er Luna bei Camila abgeholt und sie zu seinen Eltern gebracht, die inzwischen aus Vegas zurückgekehrt waren.

  Ich nutzte die Gelegenheit für einen kurzen Abstecher nach Hause, um ebenfalls zu duschen und eine Kleinigkeit zu essen. Meine Mutter hatte mitten in der Nacht das Bewusstsein wiedererlangt. Sie war jetzt wach, aber immer noch ziemlich angeschlagen. Wir unterhielten uns, während Trent draußen wartete. Sie erzählte mir, wie mein Vater am späten Samstagnachmittag aufgetaucht war und ihr die Nachricht überbracht hatte, als würde er einen entfernten Verwandten über einen Todesfall in Kenntnis setzen. Ihr zufolge hatte es ihn völlig kaltgelassen, dass die Scheidungspapiere, die er vor ihr auf dem Tisch ausgebreitet hatte, am Ende so nass von Tränen waren, dass man keinen Satz mehr entziffern konnte.

  Ich nahm eine ausgiebige heiße Dusche, schlüpfte in ein weites gelbes Sommerkleid und frühstückte einsam und allein am Küchentisch. Müsli, Joghurt, Kokoswasser.

  Mein Elternhaus gehörte zu einer bewachten Wohnanlage in einem exklusiven Viertel namens La Vista. Um hineinzugelangen, brauchte man einen Code, wahlweise musste man die lahmarschigen Wachmänner am Tor kennen. Darum schenkte ich dem Gehupe vor dem Haus anfangs keine Beachtung. Ich nahm an, dass es sich um einen Freund des Jugendlichen handelte, der auf der anderen Straßenseite wohnte, und verwünschte ihn im Stillen, weil er an einem Sonntagmorgen solchen Radau veranstaltete.

  Tut-tut. Tuuuuuuuuut.

  Ich hasste Teenager, auch wenn ich zugegebenermaßen selbst noch einer war. Ich stellte die Joghurtschale in die Spüle und wusch sie, obwohl ich eigentlich keine Lust dazu hatte. Ich hätte das den Haushälterinnen überlassen können, aber so ein Mensch war ich nie gewesen. Im Gegensatz zu meinen Eltern, die Personal als selbstverständlich betrachteten. Mit dem Gefühl, als lastete die ganze Welt auf meinen Schultern, ließ ich Wasser in die Schale laufen.

  Tut-tuuuuut. Tuuuuuuuuuuut.

  Wo zum Kuckuck steckte Adrian, der Junge von gegenüber? Normalerweise schwang er sich regelrecht aus seinem Fenster im Obergeschoss, wenn einer seiner Freunde aufkreuzte. Gereizt trocknete ich die Schale und das Glas ab, das ich benutzt hatte, bevor ich zur Haustür ging.

  Tut-tuut. Tut-tuuuut. Tuuuuuuut. Tuuuuuuuuuuut.

  Mit meiner Geduld am Ende riss ich die Tür auf, kniff die Augen zusammen und brüllte: »Es ist sechs Uhr an einem Sonntagmorgen! Jetzt mach mal halblang, hörst du?«

  »Fällt mir ja überhaupt nicht ein. Ich habe einen Ruf zu verteidigen.«

  Meine Augen wurden groß, als sie Trent in seinem schwarzen Tesla erfassten. Er trug ein weißes T-Shirt und eine Mütze, die in Anbetracht der frühen Uhrzeit und der kalten Wüstenluft kein bisschen lächerlich wirkte. Gott, er war einfach umwerfend!

  »Wa
s machst du hier?« Ich blinzelte.

  Er schaltete in den Parkmodus, stieg aus, kam zu mir und nahm meine Hand. Eine gewagte, unerwartete Geste. Natürlich und doch so gefährlich. Mein Vater konnte jederzeit auftauchen, um etwas aus dem Haus zu holen. Ganz zu schweigen davon, dass meine Nachbarn Klatschmäuler waren und Trents Gehupe vermutlich jedermanns Aufmerksamkeit erregt hatte. Wenn Trent den Wunsch verspürte, die Regeln zu brechen, erwartete ich, dass er mich vorwarnte. Für mich stand noch immer viel auf dem Spiel.

  Ich ging auf Abstand. »Nicht. Was ist passiert?« Ich schaute ihn fragend an. »Du solltest nicht hier sein.«

  »Da stimme ich dir zu, aber ich bin trotzdem hier. Komm mit mir.«

  »Ich halte das für keine gute Idee. Meine Mutter braucht mich.«

  »Sie ist außer Gefahr und wird wahrscheinlich den halben Tag über schlafen. Ich habe eine Überraschung.«

  Eine Überraschung. Vor Schuldbewusstsein krampfte sich mein Herz zusammen. Er versuchte, nett zu mir zu sein, dabei machte ich kaum einen Hehl daraus, dass ich ihn aufs Kreuz legen würde, wenn sich die Chance ergeben sollte. Ich war seine Delilah. Das Dumme war nur, dass am Ende Samson den Sieg davongetragen hatte. Nicht sie. Weil intrigante, heimtückische Menschen unterm Strich immer den Kürzeren zogen, selbst wenn sie die kleinen Schlachten gewannen.

  »Trent …«

  »Ich habe dir eine Besuchserlaubnis bei Theo besorgt«, sagte er, und ein Ausdruck von Stolz stahl sich in sein markantes Gesicht. Ich blinzelte verdattert. Er sah aus wie ein verschmitzter Lausbub, was ich noch nie bei ihm erlebt hatte.

  »W-wie das?«

  »Dein Vater ist nicht der einzige Mensch auf der Welt mit Beziehungen.«

  »Erklär mir das genauer.«

  »Sonya.«

  Sonya. Ich guckte ihn sofort argwöhnisch an und wich einen Schritt zurück. Er verdrehte die Augen, fasste mich am Arm und bugsierte mich zu seinem Wagen. Zum Glück hatte ich schon meine Doc Martens an, sonst hätte er mich wahrscheinlich barfuß entführt.

  »Reg dich ab, Van Der Zee. Sie ist Lunas Therapeutin. Und sie kennt einflussreiche Leute. Außerdem hat sie ein sehr großes Herz.«

  »Und eine ebensolche Oberweite«, konnte ich mir nicht verkneifen zu kontern.

  »Das ist wahr.« Trent schmunzelte und erlaubte sich seinen üblichen Spaß mit mir, indem er mich auf den Beifahrersitz schubste. Er knallte die Tür zu, ging zur Fahrerseite und startete den Motor.

  Er steuerte durch Todos Santos in Richtung San Diego, woraus ich schloss, dass er mich zu Theo begleiten würde. Ich hatte noch nicht mal meine Handtasche dabei. Lediglich mein Handy und meine Schlüssel. Die Stadt flog an uns vorbei, und keiner von uns sprach ein Wort, bis ich es schließlich nicht mehr aushielt.

  »Triffst du dich immer noch mit ihr?«, fragte ich.

  Er schaute auf die Straße, dabei grinste er in sich hinein, als freute es ihn diebisch zu sehen, wie ich mich wand. Nach einer bedeutungsschwangeren Pause entgegnete er: »Wieso interessiert dich das?«

  »Du verbietest mir, mit Bane zu schlafen. Ich will nur wissen, wie viel von einem Heuchler in dir steckt«, antwortete ich freimütig.

  »Ich bin der Inbegriff eines Heuchlers, Edie. Würde ich nebenher eine andere vögeln wollen, würde ich es tun.« Es war, als würde er mir ein Messer ins Herz rammen, daran änderten auch seine nächsten Worte nichts. »Aber dem ist nicht so. Im Augenblick bist du die einzige Frau, auf die ich scharf bin, darum zerbrich dir darüber nicht deinen hübschen Kopf.«

  »Das war das zweifelhafteste Kompliment, das ich je bekommen habe.« Ich stieß einen Seufzer aus.

  »Wir wissen beide, dass du mehr nicht verdient hast.«

  Das konnte ich nicht bestreiten. Immerhin hatte ich vor, ihn aufs Kreuz zu legen.

  Den Rest der Fahrt machte er seinem Spitznamen alle Ehre und schwieg beharrlich.

  »Wirklich, du musst nicht mitkommen«, brummelte ich, als Trent und ich das Empfangsgebäude des Big Heart Village betraten. Es wirkte heimelig wie eine Blockhüttensiedlung, nur war es hundertmal größer. Die Rezeptionistin, Samantha, war eine mollige Frau Anfang fünfzig mit knallroten Locken. Sie trug eine getigerte Katzenaugenbrille und quietschbunte zeltähnliche Klamotten. Ich liebte ihren abgefahrenen Stil.

  »Edie!« Sie erhob sich und umarmte mich über den Tresen hinweg. Ich erwiderte die Geste und spürte, wie die Anspannung aus meinen Schultern wich. Trent stand hinter mir. Er hatte bisher nicht auf mein Angebot reagiert, während meines Besuchs bei Theo hier zu warten, dabei hoffte ich insgeheim, dass er mich begleiten würde. Ich schämte mich meines Bruders nicht. Im Gegenteil, er war der einzige nahe Familienangehörige, auf den ich stolz war.

  »Was war gestern los?« Samantha rückte ihre Brille zurecht, öffnete eine Tüte Chips und hielt sie mir hin. Ich lehnte mit einem Kopfschütteln ab, dann holte ich tief Luft.

  »Mein Freund hier …« Ich zeigte auf Trent, der seine Mütze abnahm und sich ungezwungen umschaute. »… war zu einem Grillfest eingeladen und brauchte einen Babysitter für seine Tochter, darum …« Ich geriet ins Stolpern, was die Situation umso peinlicher machte. Samantha musterte Trent abschätzend. Sie sah dasselbe wie ich, das, was jede Frau auf der Welt sehen würde.

  »Ihr Freund riecht geradezu nach Ärger.« Ihre Mundwinkel zuckten nach oben.

  »Das können Sie laut sagen.« Er trat vor und legte grinsend seine Designer-Mütze auf den Tresen. »Meine Bekannte Sonya meinte, dass wir Theodore einen kurzen Besuch abstatten dürfen? Weil Edie gestern ja nicht kommen konnte.« Er beugte sich vor, dabei streifte mich sein muskulöser Arm. Wärme strömte in meinen Unterleib, und ich konnte nicht umhin zu lächeln.

  »Das ist richtig. Mr Van Der Zee hat schriftlich angeordnet, dass Theodore ausschließlich samstags Besuch empfangen darf, doch in Anbetracht der Tatsache, dass seine Akte in den letzten zwei Jahren weder aktualisiert wurde, noch Mr Van Der Zee ihn in diesem Zeitraum besucht hat, wurde vom Jugendamt entschieden, in diesem Fall auf Sonyas Fürsprache hin eine Ausnahme zu machen. Offen gestanden, bin ich froh darüber, Mr …?«

  »Rexroth«, half er ihr aus und bedachte sie mit einem lässigen, eines Pornostars würdigen Grinsen.

  »Mr Rexroth. Tatsächlich scheint seine Schwester der einzige Mensch zu sein, dem dieser Junge am Herzen liegt. Und Big Heart Village ist der festen Überzeugung, dass die geistige und körperliche Gesundheit der Bewohner an erster Stelle steht. Ich kenne Sonya und war erleichtert zu erfahren, dass es ihr gelungen ist, die nötigen Strippen zu ziehen. Zwar dürfen Sie nur in Begleitung eines Betreuers zu ihm, aber Gott sei Dank, dass es überhaupt möglich ist. Nehmen Sie doch bitte Platz. Gustav wird jede Minute hier sein und Sie zu Theo bringen.«

  Wir setzten uns auf eines der zerschlissenen gelben Sofas. Trent hantierte mit seinem Telefon, während ich mit den Tränen kämpfte aus Dankbarkeit, weil er das hier ermöglicht hatte. Wie konnte ein Mensch im selben Atemzug so kalt und so mitfühlend sein?

  »Ich danke dir.«

  Er löste den Blick nicht von seinem Handy. »Du warst für Luna da. Da ist es nur fair, dass ich dir bei Theo denselben Gefallen erweise.«

  »Trotzdem müsstest du nicht persönlich dabei sein. Es ist schließlich nicht dein Problem.«

  »Da irrst du dich.«

  »Inwiefern?« Ich räusperte mich.

  Jetzt sah er auf, und in seinen Augen stand ein Ausdruck, der nicht Kälte oder Zorn entsprang. »Ich wünschte, du wärst nicht mein Problem, sondern nur eine schmutzige kleine Affäre.«

  »Edie?«, erklang eine Stimme hinter unseren Köpfen. Es war Gustav, der nette schwedische Betreuer, der Theo zugeteilt war. Er stand am anderen Ende des Raums – nicht am Eingang, sondern vor der offenen Tür, die zum Picknickbereich führte – und winkte mich zu sich. »Er wartet schon. Kommen Sie.«

  Das Einzige, worüber ich mir Sorgen machte, war, dass Trent Theo vielleicht nicht verstehen würde. Mein Bruder sprach langsam und undeutlich, darum musste man ganz genau hinhören, aber wie sich herausstellte
, sprang zwischen ihm und Trent sofort der Funke über.

  Trent benahm sich, als wäre Theo einfach nur ein normaler zwölfjähriger Junge. Wir saßen an einem sonnenbeschienenen Picknicktisch, während Gustav tat, als wäre er nicht anwesend, und mit konzentrierter Miene ein Harry-Potter-Malbuch kolorierte. Theo trug ein Chicago-Bears-Cap, ein Ren-und-Stimpy-Shirt und ein Lächeln im Gesicht.

  »Nein, Kumpel, das geht nicht. Als Kalifornier kannst du kein Fan der Chicago Bears sein. Das ist schlichtweg nicht zulässig.« Trent schüttelte den Kopf und lehnte sich über den Tisch, während er sich lebhaft mit meinem Bruder unterhielt.

  »K-kann ich wohl. M-M-Mike G-G-Glennon ist ein Gott!« Theo schlug etwas zu energisch mit der Handfläche auf den Tisch. Gustav und ich waren daran gewöhnt und zeigten keine Reaktion, aber das Beachtliche war, dass auch Trent nicht zusammenzuckte. Er fuchtelte ungeduldig mit der Hand und verdrehte die Augen, was ganz und gar nicht dem höflichen, nachsichtigen Verhalten entsprach, das die Leute normalerweise bei Theo an den Tag legten.

  »Soll das ein Scherz sein? Als Nächstes erzählst du mir noch, dass du auf Tom Brady stehst.«

  Theo lachte. Sosehr wir uns auch zugetan waren, hatte ich es einfach nicht drauf, mich mit ihm über Jungs-Themen auszulassen. Er dagegen machte sich nichts aus Wellenreiten, weil er schon so lange in diesem Gruppenwohnheim lebte und das Meer so gut wie nie gesehen hatte. Allein die Tatsache, dass Trent sich auf ihn einließ, brachte sein Gesicht zum Leuchten.

  »I-ich liebe T-T-Tom B-Brady!«, verkündete er verzückt.

  »Oha, mir ist schlecht. Wo ist die nächste Toilette?« Trent zog eine Show ab, indem er sich hektisch umsah, wobei er die Augen mit der Hand gegen die Sonne abschirmte. Er hatte es bewusst unterlassen, seine Ray-Ban aufzusetzen. Um Augenkontakt zu Theo zu haben. Das rechnete ich ihm hoch an.

  Gustav zeigte über seine Schulter zu einer der kleinen Hütten, die den Picknickplatz säumten. Überall an den Tischen saßen lachende, plaudernde Familien mit Essen und Getränken. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte es sich an, als wären wir wie sie, weil Theo und ich nicht allein waren. Es war jemand bei uns. Das wühlte mich auf und machte mich gleichzeitig glücklich.

 

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