002 - Someone Else

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002 - Someone Else Page 7

by Laura Kneidl


  Ich denke heute an dich. <3

  Beim Anblick von Auris Worten und dem unförmigen Herz, das er dahintergemalt hatte, obwohl er überhaupt nicht zeichnen konnte, verzogen sich meine Lippen unwillkürlich zu einem Lächeln. Eine Woge der Zuneigung erfasste mich. Plötzlich konnte ich meinen Herzschlag im ganzen Körper spüren, und in meinem Bauch breitete sich kribbelnde Hitze aus.

  Ich stellte meine Zahnbürste zurück in das Glas auf der Ablage über dem Waschbecken und tapste mit nassen Füßen in mein Zimmer, um mein Handy zu holen, das für gewöhnlich auf dem Nachttisch neben meinem Bett lag.

  Es war nicht da.

  Suchend blickte ich mich um, bis mir einfiel, dass es vermutlich noch immer in der Tasche steckte, die ich am Vortag achtlos im Eingang auf den Boden hatte fallen lassen.

  Zurück im Wohnzimmer, stellte ich fest, dass Auri sie aufgehoben und an die Garderobe gehängt hatte. Ich holte mein Handy heraus, das mich sofort darauf aufmerksam machte, dass ich nur noch fünf Prozent Akku hatte. Rasch drückte ich die Meldung weg und blieb für den Bruchteil einer Sekunde an dem Hintergrundbild von Hermine hängen, bevor ich den Messenger öffnete, um Auri zu schreiben.

  Danke! <3

  Ich wollte gerade das Handy beiseitelegen und zurück ins Bad gehen, um nicht die ganze Wohnung nass zu tropfen, als überraschend drei hüpfende Punkte am Rand des Displays erschienen. Auri antwortete. Merkwürdig, eigentlich hätte er in einer Vorlesung sitzen sollen.

  Auri: Du bist ja schon wach.

  Cassie: Es ist 10 Uhr.

  Auri: Das hat bei dir nichts zu bedeuten.

  Cassie: Du übertreibst, so eine Langschläferin bin ich auch nicht!

  Auri: Darf ich dich an letzten Mittwoch erinnern?

  Auri: Da lagst du noch im Bett, als ich heimkam.

  Auri: Es war 15 Uhr.

  Cassie: Da hab ich aber auch bis 5 Uhr Fullmetal Alchemist: Brotherhood angeschaut.

  Cassie: Das war also mehr oder weniger deine Schuld!

  Auri: Klar, rede dir das nur ein.

  Cassie: Du wolltest, dass ich mir das anschaue!!

  Auri: Und du liebst mich dafür.

  Nicht nur dafür.

  Cassie: Ja … <3

  Cassie: Wie war das Training?

  Auri tippte und tippte und tippte. Immer wieder tauchten die drei hüpfenden Punkte auf, nur um anschließend wieder zu verschwinden. Entweder löschte er das Geschriebene immer wieder, oder mich erwartete eine sehr lange Nachricht.

  Auri: Okay.

  Ich runzelte die Stirn.

  Cassie: Was ist passiert?

  Es war dieselbe Frage, die Auri mir am vergangenen Abend gestellt hatte.

  Auri: Ich hab mich verletzt.

  Cassie: Schlimm?

  Auri: Das weiß ich noch nicht …

  »Nein«, brüllte ich mein Handy an, als das Display plötzlich schwarz wurde und mir das Symbol zum Ausschalten angezeigt wurde.

  Ich packte den Knoten an meinem Handtuch, damit er sich nicht löste, und rannte in mein Schlafzimmer. Hastig schloss ich das Handy an das Ladegerät an und drückte ungeduldig die Home-Taste, um es wieder einzuschalten.

  »Komm schon!«, fauchte ich das nutzlose Ding an, das mir lediglich eine hämisch rot aufleuchtende Batterie anzeigte.

  Ungeduldig betätigte ich immer wieder die Taste, bis schließlich das Logo meines Anbieters und kurz darauf mein Home-Display auftauchte. Eilig öffnete ich den Messenger und entdeckte zehn Nachrichten von Auri. Mir war inzwischen schon ganz übel vor Sorge um ihn. Zwar plante er keine Zukunft als Profisportler, doch eine Verletzung konnte ihn sein Stipendium kosten.

  Auri: Mein linker Fuß ist angeschwollen.

  Auri: Das könnte alles oder nichts sein.

  Auri: Bin gerade im Krankenhaus.

  Auri: Der Coach wollte, dass das gründlich gecheckt wird.

  Auri: Sitze allerdings seit zwei Stunden im Wartezimmer.

  Auri: Eine Schwester meinte, das könnte noch ein paar Stunden dauern.

  Auri: Sie haben wohl gerade viele Notfälle wegen der Hitze.

  Auri: Hitzschlag und so.

  Auri: Cas, bist du noch da?

  Auri: Cassie?

  Ich tippte blitzschnell eine Antwort.

  Cassie: Sorry, ich bin noch da!

  Cassie: Mein Akku war leer.

  Cassie: In welchem Krankenhaus bist du?

  Auri: In dem, wo du warst.

  Cassie: Okay, bin in 20 Minuten da.

  Auri: Du musst nicht kommen.

  Cassie: Red keinen Unsinn.

  Cassie: Bis gleich!

  Ich wartete nicht ab, ob Auri noch etwas schrieb, sondern zog mich hastig an. Mein nasses Haar flocht ich zu einem Zopf, bevor ich mein Handy und ein Kartenspiel, mit dem wir uns die Zeit vertreiben konnten, in meine Handtasche stopfte. Aus eigener leidiger Erfahrung wusste ich, wie lange es dauern konnte, bis man im Krankenhaus an die Reihe kam, wenn man nicht gerade verblutete.

  Obwohl erst Vormittag war, herrschte draußen bereits brütende Hitze. Zum Glück musste ich wenigstens nicht lange auf den klimatisierten Bus warten. Er hielt direkt vor dem Krankenhaus, in das mich Auri vor einigen Monaten gebracht hatte.

  Die Erinnerung an jenen Tag war bittersüß. Ich hatte mir den Knöchel gebrochen und war wochenlang auf Krücken angewiesen gewesen. Erst nach einer Physiotherapie hatte ich wieder richtig gehen können, und noch heute spürte ich hin und wieder einen leichten Schmerz in meinem rechten Fuß.

  Dennoch dachte ich in gewisser Weise gerne an den Vorfall zurück, auch wenn ich mir das nicht oft erlaubte. Denn an jenem Tag hatte ich mir nicht nur das erste Mal in meinem Leben etwas gebrochen. Ich hatte auch das erste Mal Auri geküsst. Oder, besser gesagt, Gorwìn, den Charakter, den er in unserer LARP-Gruppe verkörperte. Und diese Erinnerung wiederum war alles andere als schmerzlich.

  Gorwìn und meine Heilerin – Maylin – hegten tiefe, aber verbotene Gefühle füreinander, welchen sie an jenem Tag nachgegeben hatten. Und obwohl inzwischen Monate vergangen waren, hatte sich die Erinnerung an Auris Lippen auf meinen tief in mein Gedächtnis gebrannt. Er hatte mich an sich gepresst und heiß und gierig geküsst, und vermutlich wäre noch mehr passiert, wäre ich nicht über diese verdammte Wurzel gestolpert, die uns aus der Lüge riss, die wir uns damals selbst aufgetischt hatten. Die Lüge, dass es Gorwìn und Maylin waren, die übereinander herfielen. Aber das stimmte nicht. Dafür war die Anspannung zwischen Auri und mir, als wir nach meinem Unfall im Krankenhaus gemeinsam auf einen Arzt gewartet hatten, viel zu groß gewesen. Und auch in den Tagen danach hatte eine komische Stimmung zwischen uns geherrscht, die sich Gott sei Dank irgendwann von selbst wieder aufgelöst hatte. Inzwischen taten wir so, als hätte es den Kuss zwischen uns nie gegeben, und das war vielleicht auch besser so. Auri und ich waren fantastische beste Freunde, aber jedes Mal, wenn wir versuchten, unsere Freundschaft auf eine andere Ebene zu heben, ging etwas gewaltig schief.

  Die automatische Tür vor mir glitt beiseite, und ich trat durch einen Schleier kalter Luft ins Innere der Klinik. Fröstelnd zog ich den Cardigan über, den ich mir mitgebracht hatte.

  Seit meinem letzten Besuch hatte sich nichts an diesem Ort verändert. Alles war hell, das Licht schimmerte bläulich, und der scharfe Geruch von Desinfektionsmitteln erfüllte die Luft. Respektvolles Flüstern drang an mein Ohr, während in der Ferne eine blechern klingende Stimme einen Namen aufrief. Es war ein trostloser Ort, bei dessen Anblick ich sofort ein mulmiges Gefühl bekam. Am liebsten hätte ich auf dem Absatz kehrtgemacht, aber ich war hergekommen, um Auri beizustehen, und das würde ich jetzt auch tun.

  Ich folgte dem Gang in den Wartebereich, der mit den bunten Zeitschriften auf den Tischen, dem knalligen Süßigkeitenautomaten und den farbenfrohen Kinderzeichnungen an der Wand zumindest einen Hauch einladender wirkte.

  Es war ziemlich voll. Menschen jedes Alters saßen auf den billigen Kunststoffstühlen. Einigen waren ihre Leiden anzusehen, andere wiederum wirkten kerngesund. Ich entdeckte Auri in einer der hinteren Ecken, er blätterte in einer Sportzeitschrift. Sein Fuß, um den er ein Kühlpack gewickelt hatte,
lag auf einem Hocker.

  »Hey.« Ich setzte mich auf den freien Stuhl neben ihm.

  Auri sah von seiner Zeitschrift auf. Ein feines Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als sein Blick auf mich fiel. Ich hätte vielleicht nicht kommen müssen, aber es war ihm deutlich anzusehen, dass er sich über etwas Gesellschaft freute.

  »Hey. Wie geht es dir?«

  »Müsste ich nicht dich das fragen?«

  »Ich hab Schmerzmittel bekommen, also tut der Fuß nicht weh, aber etwas Sorgen mache ich mir schon«, antwortete Auri und hob das Kühlpack an.

  Die Schwellung war nicht zu übersehen. Die Haut um seinen Knöchel war so dick und gespannt, dass er nicht einmal einen Schuh tragen konnte. Außerdem hatten sich blaue Flecken gebildet, die zum Teil bereits eine ungesund violette Farbe angenommen hatten.

  »Wie ist das überhaupt passiert?«

  »Ich bin beim Konditionstraining auf dem feuchten Rasen ausgerutscht und umgeknickt.« Auri verdrehte die Augen, als hätte er sich am liebsten selbst für das Missgeschick geohrfeigt. »So dämlich.«

  »Das kann jedem mal passieren.«

  »Aber nicht jeder verliert deswegen vielleicht ein Stipendium«, sagte Auri mit einem Kopfschütteln. »Die Krankenschwester am MFC glaubt zwar nicht, dass es ein dauerhafter Schaden ist, aber wenn ich Pech habe, fällt das Training eine Weile flach. Und wenn ich deswegen schlechter spiele und aus der Mannschaft fliege …«

  »Das wird nicht passieren«, unterbrach ich Auri, bevor er sich noch tiefer in den Strudel eingebildeter Sorgen hinabziehen ließ. »Du bist ein fantastischer Spieler, und nur weil du an ein paar Trainingseinheiten und Probespielen nicht teilnehmen kannst, verlernst du nicht gleich, wie man Football spielt.«

  Auri schwieg einen Moment, bevor er tief Luft holte und widerwillig zugab: »Vermutlich hast du recht.«

  »Ich habe nicht nur vermutlich recht, sondern ganz sicher«, erklärte ich mit so viel Überzeugungskraft, wie ich aufbringen konnte, und griff nach Auris Hand, um ihn zu bestärken. Seine Haut war kalt und feucht.

  »Sorry, Angstschweiß«, entschuldigte er sich mit einem schiefen Lächeln, das ich erwiderte.

  »Alles wird gut. Versprochen.«

  Er nickte zögerlich. »Ich hoffe nur, dass sie mir kein Blut abnehmen müssen. Ich hasse Nadeln.«

  »Dann solltest du dir das mit dem Termin bei Crooked Ink vielleicht noch einmal überlegen«, bemerkte ich mit einem vielsagenden Blick auf sein bereits vorhandenes Tattoo, dessen Ansätze unter dem Ärmel seines Shirts hervorlugten und von dem ich wusste, dass es sich von seinem Brustmuskel bis auf seinen Rücken zog.

  »Eine Tattoonadel kratzt nur an der Oberfläche. Das hier ist etwas ganz anderes. Ich hasse die Vorstellung, dass jemand etwas ganz tief in mich reinschiebt …« Auri stockte, blinzelte und sah mich entsetzt an. »Das klang jetzt irgendwie ganz falsch.«

  »Mhm«, brummte ich zustimmend und versuchte an mich zu halten, aber es half nichts. Eine Sekunde später brach ich in schallendes Gelächter aus. Laut hallte es durch das Wartezimmer, in dem sich alle aus Respekt vor den Kranken und deren Angehörigen höchstens im Flüsterton unterhielten. Köpfe drehten sich in unsere Richtung, und eine ältere Frau, die uns gegenübersaß, verzog empört das Gesicht.

  Ich presste die Lippen zusammen und versuchte mich zu beruhigen. Eigentlich war es gar nicht so witzig, ich wusste, wie Auri es gemeint hatte. Dennoch konnte ich nicht aufhören, über seine ungeschickte Wortwahl zu lachen. Meine Schultern bebten, und ich bekam kaum noch Luft. Schnell drückte ich mein Gesicht gegen Auris Schulter, um meinen Lachanfall zu ersticken.

  Es funktionierte, ich beruhigte mich. Langsam lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück und wischte mir die Lachtränen vom Gesicht. Noch immer konnte ich spüren, wie mich die anderen Wartenden ansahen, aber so wirklich nahm ich nur Auri wahr.

  Er musterte mich mit einem warmen Ausdruck und einem Funkeln in den Augen.

  »Was? Ist mein Mascara verschmiert?«

  Auri schüttelte den Kopf. »Es ist nur schön, dich lachen zu hören, nachdem du gestern so deprimiert warst.«

  Oh …

  Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Was vor allem an dem Blick lag, mit dem er mich bedachte. In seinen Augen lag eine solche Wärme, dass ich für einen Moment vergaß, an was für einem kühlen, trostlosen Ort wir uns befanden. Mit Auri geschah mir das öfter. Er machte einfach jede Situation erträglicher, und manchmal musste er dafür nicht einmal anwesend sein. Ich dachte an die Nachricht, die er mir am Morgen auf dem Badezimmerspiegel hinterlassen hatte, und eine Böe des Glücks fegte über mich hinweg, als versuchte sie das Fenster aufzudrücken, das meine Gefühle für ihn draußen halten sollte.

  Nein, das durfte nicht passieren! Wenn es erst einmal offen stand, konnte der nächste Sturm das wohlbehütete Innere unserer Freundschaft verwüsten.

  »Ich hab Lust auf Schokolade!«, erklärte ich so laut, dass es jeder im Zimmer hören musste, und sprang geschäftig auf, um den Moment zu brechen.

  Verwirrt sah Auri zu mir auf.

  »Willst du auch etwas?«

  »Gerne.«

  »Und was?«

  »Überrasch mich!«

  Ich lief zu dem Automaten, der an der gegenüberliegenden Seite des Wartezimmers an der Wand stand. Obwohl ich Auris Blick die ganze Zeit im Rücken spürte, drehte ich mich nicht um.

  Während ich in meiner Handtasche nach Kleingeld kramte, atmete ich ein paarmal tief ein und langsam wieder aus, um mein verräterisches Herz zu beruhigen, das noch immer heftig pochte und nicht zu begreifen schien, dass die prickelnden Gefühle, die es hervorrief, fehl am Platz waren. Auri und ich waren Freunde, nicht mehr und nicht weniger, und das reichte mir völlig. Zumindest redete ich mir das ein.

  7. Kapitel

  Auri hatte Glück. Die Ärztin schob weder etwas tief in ihn hinein, noch gab sie ihm eine Spritze. Sie hatte seinen Fuß lediglich geröntgt und festgestellt, dass die Verletzung keine bleibenden Schäden hinterlassen würde. Es war nichts gebrochen, und seine Bänder waren auch nicht gerissen. Er war schlichtweg ungünstig gestürzt, was wehtat, aber nicht weiter schlimm war. Vermutlich würde er noch eine Weile mit leichten Schmerzen zu kämpfen haben, aber diese sollten ohne Weiteres nach ein paar Tagen vergehen. Die Ärztin hatte ihm dennoch geraten, das Training vorerst ausfallen zu lassen, bis sein Knöchel wieder gesund und stabil war, da ein weiterer Sturz ein erhöhtes Risiko für Folgeverletzungen bedeuten würde.

  Auri gefiel der Gedanke an eine Trainingspause nicht, aber die Vernunft siegte über seinen Ehrgeiz, und er beschloss nach Absprache mit seinem Coach, frühestens in zwei Wochen wieder auf den Platz zu kommen. Was ihn jedoch nicht davon abhielt, weiterhin früh aufzustehen und an den Campus zu fahren, um das Training seiner Teamkameraden zu verfolgen.

  An diesem Morgen hatte ich mich sogar mit ihm zusammen um halb sechs aus dem Bett gequält. Nicht weil ich wollte oder musste, sondern weil mir meine innere Unruhe keine andere Wahl ließ. Julian hatte mich wissen lassen, dass Ricky mich kennenlernen wollte, also würde ich für ein Vorstellungsgespräch zu Crooked Ink fahren.

  Bevor er zum Training aufgebrochen war, hatte Auri versucht, mich aufzumuntern und mir gut zuzureden, aber geholfen hatte es nichts. Ich hasste es, mit Fremden zu sprechen, vor allem wenn ich das Reden übernehmen und Dinge über mich erzählen sollte. Ich war darin einfach nicht gut. Was, wenn ich etwas so Unangemessenes oder Peinliches sagte, dass es auf Julian zurückfiel und er nach dem Sommer seinen Job nicht zurückbekam? Diese Vorstellung, so absurd sie vermutlich auch war, bereitete mir mehr Sorgen als der Gedanke, eventuell den Job nicht zu bekommen. Außer der Tatsache, dass ich im schlimmsten Fall mein Cosplay anders finanzieren musste, hatte ich nichts zu verlieren. Ich würde mir keine besonders hochwertigen Stoffe leisten können, aber das wär’s auch schon.

  Nachdem die Ärztin Auri aus dem Krankenhaus entlassen hatte, waren wir noch zu Laureen gefahren, um eine erste Auswahl an Materialien für unsere Witcher -Kostüme zu treffen. Ich hatte alles da, um mit den ersten Arbeitsschritten zu beginnen – schließlich blieb uns ohnehin nicht mehr viel Zei
t –, aber der Gedanke an das bevorstehende Vorstellungsgespräch machte mich so nervös, dass ich stattdessen auf der Couch lümmelte, auf meinem Handy herumspielte und alle zwei Minuten auf die Uhr sah. Dabei waren es noch beinahe drei Stunden, bis Ricky mich im Crooked Ink erwartete. Kurz hatte ich mit dem Gedanken gespielt, meine Eltern anzurufen, aber sie waren arbeiten, und ich wollte sie nicht stören. Außerdem war ich noch nicht bereit, mit ihnen über Hermine zu reden, was bei unserem nächsten Gespräch vermutlich unvermeidbar wäre.

  Daher lag ich nichtsnutzig auf der Couch herum, einen Ventilator auf mich gerichtet, da die Klimaanlage wegen des Dauerbetriebs streikte. Im Hintergrund lief eine Folge Star Trek: Discovery , während ich mich durch die Social-Media-Apps auf meinem Handy klickte. Ich suchte ein paar Inspirationen für Geralt und Ciri in Pinterest raus und verfolgte auf Twitter eine Diskussion über die neue Batwoman -Serie, ehe ich mich Instagram widmete. Ich folgte vor allem Accounts von Cosplayern, Schauspielern und meinen Freunden. Nachdem ich ein wenig Micah und ihren vermeintlichen Erzfeind Luca gestalkt hatte, klickte ich mich durch Alizas neuste Beiträge, ehe ich zwangsläufig auf Auris Profil landete. Oder vielmehr auf dem Profil des Footballspielers Maurice Remington, seines Sportler-Alter-Ego.

  Er hatte eine beeindruckende Followerschaft, die fast ausschließlich aus Footballfans bestand, die auf seinem Account genau das bekamen, was sie wollten. Jedes einzelne Foto hatte mit dem Sport, dem Spiel oder Auris Training zu tun. Die Bilder zeigten ihn auf dem Spielfeld, auf der Pressbank oder in Pose mit seinen Teamkameraden. Auf den Fotos wirkte er wie ein anderer Mensch. Seine Miene war entschlossen, und seine Gesichtszüge wirkten härter, brutaler, aber vielleicht lag das auch nur an der Ausrüstung, die er auf den meisten Bildern trug.

  Ich klickte mich durch die Kommentare unter seinem letzten Beitrag. Er musste ihn am Morgen vom Rand des Übungsplatzes aus verfasst haben. Darin berichtete er von seinem Sturz und davon, dass er für ein paar Tage das Training würde ausfallen lassen müssen. Über zweihundert Menschen hatten ihm bereits gute Besserung gewünscht. Unter den Kommentaren waren auch einige Herz- und Kuss-Emojis von Frauen, die in mir ein komisches Gefühl weckten, das Eifersucht ziemlich nah kam. Ich wollte so nicht empfinden – ganz abgesehen davon, dass ich kein Recht dazu hatte –, aber ich tat es dennoch. Und zu meinem Leidwesen hatte sich diese Empfindung seit meinem gescheiterten Date mit Auri und dem Vorfall im Club noch einmal deutlich verstärkt. Diese Frauen – und auch manche Männer – konnten von Auri schwärmen und mit ihm flirten, ohne sich Sorgen darum machen zu müssen, eine Freundschaft kaputt zu machen.

 

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