002 - Someone Else

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002 - Someone Else Page 23

by Laura Kneidl


  »Verstehe.« Bildete ich mir das ein, oder war Auris Stimme tatsächlich tiefer geworden? Er räusperte sich. »Dann sollte ich jetzt wohl mal besser …« Er deutete Richtung Badezimmer.

  Ich nickte, während sich die Hitze von den Wangen aus in meinem ganzen Körper ausbreitete. In meinem Magen setzte ein Ziehen ein, und ich fragte mich, was Auri wohl tun würde, wenn ich das Handtuch einfach fallen ließ. Die Versuchung, es auszuprobieren, war groß, meine Vernunft allerdings noch größer. Regungslos sah ich ihm dabei zu, wie er seine Sachen zusammensuchte und ins Badezimmer verschwand.

  Erst als ich hörte, wie das Wasser in der Dusche aufgedreht wurde, wagte ich es wieder, mich zu bewegen. Erleichtert atmete ich aus und holte mir ein Oberteil und Shorts aus meiner Tasche. Eilig streifte ich mir die Sachen über und hängte mein Handtuch über einen Stuhl, bevor ich auf meiner Seite des Bettes unter das Laken schlüpfte – und ein wohliges Stöhnen ausstieß.

  Oh. Mein. Gott. Dies war genau das, was ich gebraucht hatte. Eine bequeme Matratze und eine kuschelige Decke. Ich ließ mich tiefer in die Kissen sinken. Vielleicht war doch nicht die SciFaCon, sondern das hier das Paradies.

  Ich döste vor mich hin und lauschte dem Rauschen des Wassers aus dem Badezimmer, bis das Geräusch verstummte und Auri kurz darauf zurück ins Zimmer trat.

  Ich blinzelte ihn müde an. Er hatte die Farbe aus seinen Haaren gewaschen und die gelben Kontaktlinsen rausgenommen, sodass er nun wieder ganz er selbst war. Und sosehr ich den Anblick von ihm als Geralt auch genossen hatte, diese Version von ihm mochte ich noch um einiges lieber.

  »Soll ich das Licht ausschalten?«

  »Mhm«, brummte ich.

  Die Deckenlampen erloschen, nur noch die kleine Leuchte auf seiner Seite des Bettes brannte.

  Die Matratze gab nach, als Auri sich zu mir legte, und wie von selbst rutschte ich leicht in seine Richtung.

  Er stieß ein Seufzen aus. »Oh mein Gott, Liegen ist so geil.«

  Ich schmunzelte. »Dasselbe hab ich auch gerade gedacht.«

  Auri rollte sich zu mir herum, sodass wir Angesicht zu Angesicht lagen, unsere Nasen nur eine Handbreit voneinander entfernt. Der Geruch nach der kernigen Hotelseife stieg mir in die Nase. Sie duftete an ihm so viel besser als an mir.

  »War die SciFaCon so, wie du sie dir vorgestellt hast?«

  »Ja, das war einer der schönsten Tage in meinem Leben.« Ich fühlte mich an neuen Orten selten wohl, aber die Convention war mir vom ersten Augenblick an wie ein zweites Zuhause erschienen. Ich hatte ganz ich selbst sein können; und die Leute waren alle so gut gelaunt und freundlich gewesen. »Was hat dir am besten gefallen?«

  »Ich weiß nicht.« Nachdenklich zog Auri die Augenbrauen zusammen. »Dir?«

  »Alles.«

  In Auris Augen war ein zärtlicher Ausdruck getreten. »Es freut mich, dass du so viel Spaß hattest.«

  »Ja, und das lag vor allem an dir«, gab ich eine Spur leiser zurück. »Danke, dass du das alles über dich hast ergehen lassen.«

  »Red keinen Unsinn, für dich mach ich das gerne.«

  Ich hielt Auris Blick fest, der unentwegt auf mir ruhte und eigenartige Dinge mit mir und meiner Müdigkeit anstellte. Diese war auf einmal wie verflogen, und an ihre Stelle war ein nervöses Kribbeln getreten, das zwischen meinem Magen und meiner Brust hin- und herzuwandern schien.

  »Hast du meine Nachricht am Spiegel gesehen?«

  »Ja.«

  Unruhig rieb ich meine Füße unter der Bettdecke aneinander. »Und?«

  Auri schnaubte. »Natürlich will ich auch nächstes Jahr mit dir zur SciFaCon. Was für eine Frage.«

  »Ernsthaft?«

  Ungläubig sah Auri mich an. In seinen Augen lag ein warmes Funkeln, ein liebevolles Lächeln umspielte seinen Mund. »Klar. Hast du wirklich gedacht, ich würde Nein sagen?«

  Ich nickte zögerlich, denn ein Teil von mir hatte es tatsächlich befürchtet. Der Teil, der einfach nicht glauben konnte, dass so ein wunderbarer Mensch wie Auri seine Zeit mit mir verbringen wollte. Er hatte seine Fehler, keine Frage, aber seine guten Seiten überwogen um ein Vielfaches. Und die Sorge, dass er mich eines Tages verlassen könnte, war allgegenwärtig. Ich konnte sie einfach nicht abschütteln. Was vermutlich daran lag, das bisher all meine Freundschaften ein Ablaufdatum besessen hatten.

  Verwirrt runzelte Auri die Stirn. »Warum sollte ich das tun?«

  »Weil …« Ich stockte, unsicher, ob dieses Geheimnis zu jenen gehörte, die ich Auri anvertrauen konnte, aber natürlich konnte ich das. Lieblingsmensch. Schon vergessen? »Ich habe Angst davor, dass dir eines Tages bewusst wird, wie langweilig all das ist. Und … und wie langweilig ich bin. Und dass du dann keine Zeit mehr mit mir verbringen willst.«

  Auri sah mich an und blinzelte. Einmal, zweimal, dreimal. »Cassie.« Mein Name war kaum mehr als ein Seufzen auf seinen Lippen. »Das wird nicht passieren.«

  Ich schüttelte den Kopf. »Das kannst du nicht wissen.«

  »Doch«, widersprach Auri voller Überzeugung und stützte sich auf seinem Ellenbogen auf, sodass er über mir aufragte. Mit eindringlichem Blick musterte er mich.

  Mein Magen zog sich zusammen. Ich wusste, ich sollte etwas sagen, aber mir fehlten die Worte. Stattdessen erwiderte ich schweigend seinen Blick.

  Auf einmal wich alles Störrische aus seinem Gesicht. Der Zug um seinen Mund wurde weich, und der Ausdruck in seinen Augen zärtlich. »Du bist wie Herr der Ringe , Cassie.«

  »Was?« Das Wort war nur ein kaum hörbares Krächzen.

  Auris Mundwinkel zuckten, als fände er meine Verwirrung amüsant. »Ich kann dich hundertmal lesen und tausendmal anschauen und werde dich trotzdem niemals langweilig finden«, erklärte er und beugte sich zu mir. Sanft strich er mir eine Haarsträhne aus der Stirn. »Ich entdecke jeden Tag neue Details und Facetten an dir, die zu dem Gesamtwerk beitragen, das ich so sehr liebe.«

  Mir stockte der Atem – und das Herz. Und ein Teil von mir beschloss, dass dies der Moment war, mutig zu sein.

  Ohne noch länger nachzudenken, zu grübeln und zu hinterfragen, lehnte ich mich Auri entgegen und gab ihm einen flüchtigen Kuss. Nicht auf die Stirn oder die Wange, sondern auf den Mund. Es war eine Einladung. Eine Erlaubnis. Eine Ermutigung, den nächsten Schritt mit mir zu gehen, wenn er denn wollte. Dieser Augenblick war nicht wie die vorherigen, von hier aus gab es kein Zurück mehr. Und ich würde diese Grenze nur gemeinsam mit Auri überschreiten.

  Ich sah ihn an, unsere Lippen kaum voneinander getrennt, und suchte in seinen Augen nach einem Anzeichen dafür, dass er diese Art der Nähe zu mir nicht wollte. Doch da waren nur Erstaunen und Begehren in seinem Blick.

  Und ehe ich michs versah, überbrückte Auri die kurze Distanz zwischen unseren Mündern und küsste mich, wie ich bereits seit langer Zeit von ihm geküsst werden wollte.

  24. Kapitel

  Das Gefühl von Auris Lippen auf meinen war mir fremd und vertraut zugleich. Es war, als hätte mir der Kuss zwischen Gorwìn und Maylin vor knapp einem Jahr nur einen klitzekleinen Vorgeschmack auf diesen Moment gegeben, aber dieser Kuss bedeutete so viel mehr. Unsere Gefühle waren nicht länger kostümiert, sie waren nackt und roh und so ehrlich, wie sie nur sein konnten.

  Auri legte eine Hand an meinen Hals. Mir lief ein Schauder über den Rücken, als seine Finger sanft über meinen Nacken strichen. Das nervöse Kribbeln, das ich zuvor verspürt hatte, ballte sich zu einem heißen Glühen in meiner Brust. Ich zog meine Hände unter der Bettdecke hervor, um mich an Auri festzuhalten, denn nur so konnte ich sicher sein, dass das hier real war und keine Einbildung.

  Doch es war echt. Auri war hier. Und er küsste mich. Endlich.

  Mein Herz schlug mir bis in die Kehle. Ich seufzte in den Kuss hinein und krallte mich an Auris Shirt fest.

  Er zog mich dichter an sich und brachte unsere Gesichter einander näher. Es gab kein langsames Herantasten, kein vorsichtiges Ausprobieren, kein schüchternes Kennenlernen. Wir stürzten uns mit diesem Kuss kopfüber in die Flut und atmeten einander ein. Es war, als hätten wir in den letzten Jahren die Luft angehalten, um in diesem Moment gemeinsam erleichtert aus
zuatmen.

  Auri stieß ein zufriedenes Brummen aus, das tief aus seiner Brust kam.

  Ungeduldig fuhr ich mit meiner Zunge zwischen seine Lippen. Sein Geschmack umnebelte mich, und die Hitze in meiner Brust wanderte tiefer, immer tiefer bis in meinen Unterleib. Instinktiv drängte ich mich Auri entgegen und verfluchte mich selbst dafür, das hier all die Jahre verpasst zu haben. Wieso hatten wir so lange gewartet? Etwas, das sich so richtig anfühlte, konnte unmöglich falsch sein. Mit jedem Herzschlag, der verging, wurde mir mehr und mehr bewusst, dass ich mich geirrt hatte. Das Paradies war kein Ort, sondern eine Person. Es war weder die SciFaCon, noch dieses Bett. Es war Auri.

  Ich konnte unmöglich sagen, wie lange wir nebeneinanderlagen und uns einfach küssten und die Nähe und Wärme des jeweils anderen genossen. Jeder Gedanke, den ich zu greifen versuchte, driftete davon, zu flüchtig, um ihn festzuhalten. Doch mit der Zeit ebbte die Flut ab, die uns angetrieben hatte, und unsere Küsse wurden zu seichten Wellen. Wir ließen uns auf ihnen treiben und verloren uns in den sanften Bewegungen.

  Nach einer Weile bemerkte ich, dass nicht nur meine Gedanken drifteten, sondern auch ich, erschöpft von den Anstrengungen des Tages.

  Langsam lösten wir unseren Kuss, aber keiner von uns schien wirklich bereit, den anderen ganz loszulassen.

  Mit glasigen Augen sah Auri mich an. Er strich über meine Wange, und sein Atem streifte meine Haut, die überempfindlich auf jede seiner Berührungen reagierte.

  Sofort breitete sich ein Gefühl der Sehnsucht in meiner Brust aus.

  »Das«, hauchte Auri plötzlich dicht an meinen Lippen und küsste erst meinen linken, dann meinen rechten Mundwinkel. »Das hier hat mir an diesem Tag am besten gefallen.«

  »Mhm«, brummte ich, nicht in der Lage zu sprechen. Keine Worte dieser Welt hätten erfassen können, was ich in diesem Augenblick fühlte. Wäre ich gezwungen gewesen, jede Erinnerung an diesen Tag aus meinem Gedächtnis zu streichen bis auf eine, hätte ich an diesem Moment festgehalten. Ich hätte jede Sekunde auf der SciFaCon geopfert, um mich für den Rest meines Lebens an diesen Kuss zu erinnern.

  Die Andeutung eines Lächelns umspielte Auris Lippen, und im nächsten Moment zog er mich an sich. Nicht um mich erneut zu küssen, sondern um mich zu umarmen. Er vergrub sein Gesicht in meinen Haaren und rollte uns herum, sodass ich halb auf ihm lag. Dann begann er mit den feuchten Spitzen meiner Haare zu spielen.

  Seine zarten Berührungen lullten mich ein, und ich musste gähnen. Ich versuchte es zu unterdrücken, aber Auri bemerkte es dennoch.

  Ein leises Lachen ließ seine Brust vibrieren. Er streckte sich nach dem Lichtschalter, ohne mich loszulassen, und einen Augenblick später hüllte uns Dunkelheit ein, die sich warm und gemütlich anfühlte.

  »Schlaf gut, Cassie«, murmelte Auri an meinem Scheitel, kurz bevor seine Lippen meine Stirn streiften und er schützend eine Hand auf meine Taille legte.

  »Du auch«, erwiderte ich in dem Wissen, dass kein Traum schöner sein könnte als die Realität, die Auri und ich gerade für uns erschaffen hatten. Diese Nacht war der Anfang von uns, nicht das Ende.

  Am nächsten Morgen erwachte ich mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal so gefühlt hatte, als würde ich schweben. Der gestrige Tag auf der SciFaCon war einfach perfekt gewesen, aber die Nacht hatte es geschafft, den Tag noch zu toppen. Erinnerungen an Auris Küsse stiegen in mir auf. Ich konnte den Druck seiner Lippen auf meinen und die Geborgenheit seiner Umarmung noch immer spüren.

  Mit einem zufriedenen Gähnen streckte ich eine Hand nach Auri aus. Sehnsüchtig tastete ich nach ihm, aber alles, was ich zu greifen bekam, war sein Kissen. Blinzelnd öffnete ich die Augen und sah mich im Raum um, der nur schummrig von dem Licht beleuchtet wurde, das durch die Ritzen zwischen den Vorhängen drang.

  Auri saß vornübergebeugt auf dem Bett. Seine dunkle Silhouette hob sich nur schwach von den Schatten ab. Er hatte einen Fuß auf die Bettkante gezogen und band sich den Schuh zu.

  »Ist alles in Ordnung?«, fragte ich in das Halbdunkel hinein.

  Auri erstarrte in der Bewegung. Langsam drehte er sich zu mir um. »Oh, ich wollte dich nicht wecken.«

  »Hast du nicht«, erwiderte ich, obwohl ich nicht wusste, was genau mich geweckt hatte.

  Ich richtete mich auf. Augenblicklich protestierten meine Muskeln, und ich spürte einen drückenden Schmerz im Nacken vom Tragen meiner Tasche, obwohl Auri sie mir eine ganze Weile abgenommen hatte. Ich griff nach meinem Handy. 5:56 Uhr. Wir waren erst in über zwei Stunden mit Micah und Julian zum Frühstück verabredet.

  »Wieso bist du schon wach?«

  Auri wandte sich wieder seinen Schuhen zu. »Konnte nicht schlafen.«

  Ich schaltete die Lampe neben mir ein und kniff die Augen zusammen, als das grelle Licht aufflackerte. Ich blinzelte die glühenden Schatten davon und betrachtete Auri. Er hatte das zerknitterte Shirt von letzter Nacht gegen seine Sportkleidung getauscht. Ein Anblick, der eigentlich ein wohliges Prickeln in mir hätte auslösen sollen, stattdessen stieg nur stumpfe Unsicherheit in mir auf.

  »Wo willst du hin?«

  »Ich hab gesehen, dass das Hotel ein Fitnessstudio hat.«

  »Du willst zum Sport? Jetzt?«

  »Klar, wieso nicht?«

  Weil ich jetzt auch wach bin und du mich ebenso gut weiter küssen könntest, ging es mir durch den Kopf, aber ich sprach die Worte nicht aus. Unweigerlich fragte ich mich, ob Auri anders über den Kuss dachte als ich. In diesem Augenblick fühlte es sich an, als würde er davonlaufen, als wäre der Weg ins Fitnessstudio eine Flucht. Hatte er seine Meinung geändert? Bereute er den Kuss?

  Ich tat es nicht, auch wenn mir nun Zweifel kamen. Auri zu küssen, hatte sich absolut richtig angefühlt, wie vorherbestimmt, als hätten wir all die Tage, Wochen und Monate, die wir miteinander verbracht hatten, nur auf diesen einen Moment hingearbeitet. Aber was, wenn nur ich so fühlte und er nicht? Womöglich war er gestern im Hoch des Tages gefangen gewesen, und nun bemerkte er, was für einen schrecklichen Fehler er begangen hatte.

  Auri stand vom Bett auf. »Ich weiß noch nicht, wie lange ich brauche. Falls ich nicht rechtzeitig zurück bin, geh schon mal zum Frühstück. Ich komm dann nach. Bis später.«

  »Bis später«, echote ich beinahe tonlos, ohne meinen Blick von Auri zu lösen in der Hoffnung, er würde mich zum Abschied küssen, und sei es nur auf die Wange. Ein kleines Zeichen, um mir zu zeigen, dass ich mich irrte. Dass unser Kuss etwas zu bedeuten gehabt hatte. Dass er ihn nicht bereute. Aber als er sich vorbeugte, griff er nur nach seinem Handy und der Zimmerkarte, bevor er mir den Rücken zuwandte und ging.

  Mit einem Klicken fiel die Tür hinter ihm ins Schloss, und zurück blieben nur Stille und Selbstzweifel. Ich wusste, dass Auri mir nichts schuldig war, aber ich hatte geglaubt, dass wir auf einer Wellenlänge waren und der Kuss von Bedeutung gewesen war. Wie hatte ich die Situation nur so falsch einschätzen können?

  Verwirrt rollte ich mich im Bett herum und starrte benommen auf die zugezogenen Vorhänge. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Meine Gedanken und Gefühle waren vollkommen durcheinandergewürfelt. Nach all der Zeit, all den Verboten und all den Bedenken hatte ich mir endlich erlaubt, Auri zu küssen, und nichts hatte sich je richtiger angefühlt. Und dennoch musste ich mich nun fragen, ob es ein Fehler gewesen war. Womöglich war Auri gestern schon zu dieser Erkenntnis gekommen und hatte deswegen nicht schlafen können.

  Wie ferngesteuert griff ich nach meinem Handy und öffnete Instagram. Durch die Bilder zu scrollen half, bis ich auf das erste Foto von Auri stieß, das ihn wie immer auf dem Footballfeld zeigte. Schnell schloss ich die App wieder und wechselte zu Netflix, um mich von einer meiner Lieblingsserien ablenken zu lassen. Doch nach ein paar Minuten war mir klar, dass auch das nicht funktionieren würde. Ich konnte mich nicht auf die Handlung konzentrieren. Immer wieder lauschte ich, ob ich Schritte draußen auf dem Flur hörte, voll Hoffnung, dass Auri zurückkam, sich zu mir ins Bett legte und mich in die Arme schloss. Dass sein Drang, zum Sport zu gehen, nur der Gewohnheit geschuldet gewesen war. Eine R
outine, die ihm das jahrelange Footballtraining eingetrichtert hatte.

  Meine Hoffnung blieb jedoch unerfüllt, und mit den Minuten, die nur so dahinzuschleichen schienen, schlug meine Enttäuschung langsam in Wut um, die sich gegen mich selbst richtete. Warum regte ich mich überhaupt so auf? Es war nur ein Kuss gewesen. Ein Kuss, wie ich ihn mit Lucien nach unserem Kennenlernen geteilt hatte. Damals hatte ich auch nicht jeden Gedanken tausendfach gewälzt …

  Aber Lucien hast du niemals geliebt.

  Fuck! Das war wirklich das Letzte, woran ich jetzt denken wollte.

  Energisch schlug ich die Decke zurück und stand auf. Mit wackeligen Beinen ging ich ins Badezimmer, um mich fertig zu machen. Fester als nötig schrubbte ich mir die Zähne, und nachdem ich mir den Mund ausgespült hatte, flocht ich meine Haare zu einem Zopf, zog mich um und kontrollierte meine Zuckerwerte.

  Anschließend packte ich meinen Koffer, damit ich nach dem Frühstück direkt bereit war für die Heimfahrt. Gestern noch hatte ich diesen Ort nicht verlassen wollen. Nun konnte ich es kaum erwarten, nach zu Hause kommen.

  Leider musste ich mich bis dahin noch etwas gedulden, es war noch Zeit bis zum Frühstück mit Micah und Julian. Allerdings wollte ich auch nicht so lange alleine rumsitzen. Kurz entschlossen schnappte ich mir meine Handtasche und verließ das Zimmer.

  Im Flur war es noch vollkommen still, und auch im Foyer herrschte eine beinahe andächtige Ruhe. Frische Morgenluft schlug mir entgegen, als ich das Hotel verließ. Ich erschauderte und zog meine Strickjacke enger um mich. Auf den Straßen war es ebenfalls noch ruhig. Nur wenige Leute und ein paar Taxis waren unterwegs, welche vermutlich die letzten Partygäste der vergangenen Nacht heimfuhren.

  In der Ferne ragte die Space Needle, das Wahrzeichen von Seattle, in den Himmel auf. Ich folgte ihr wie einem Wegweiser, bis ich einen kleinen Park erreichte. Obwohl in meinem Unterbewusstsein wie jedes Mal, wenn ich eine neue Person traf oder einen neuen Ort besuchte, die Angst gärte, war ich froh, nicht im Hotel geblieben zu sein. Die Eindrücke hielten meinen Kopf beschäftigt, sodass meine Gedanken nur hin und wieder zu Auri wanderten.

 

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