by Laura Kneidl
»Ist alles in Ordnung?«
Auri ließ meine Hand los, da wir den Wagen erreicht hatten. »Klar, bei dir nicht?«
Okay, da war eindeutig etwas im Busch.
Möglichst unauffällig nahm ich das Handy aus meiner Handtasche und überprüfte meinen Kalender, ob ich irgendeinen bestimmten Anlass vergessen hatte, aber ich hatte mir nichts eingetragen. Vielleicht lief ein Footballspiel im Fernsehen, das Auri unbedingt sehen wollte.
Wenig später parkten wir vor unserem Wohnhaus. Während der Fahrt hatte ich beschlossen, meine Eltern noch heute anzurufen, um ihnen von dem Tattoo zu erzählen. Besser ich brachte es direkt hinter mich. Spätestens an Thanksgiving würden sie es ohnehin sehen, und so hatten sie genug Zeit, die Neuigkeit zu verdauen. Eigentlich hatte ich nie ein Tattoo gewollt, aber es sich gemeinsam mit Auri stechen zu lassen, hatte sich einfach richtig angefühlt.
»Haben wir eigentlich schon Pläne fürs Wochenende?«, fragte Auri, als er die Tür zu unserer Wohnung aufsperrte.
»Nein, noch nicht. Micah und ich …«
»Überraschung!«, grölte ein Chor aus Stimmen, kaum dass Auri die Tür aufgeschoben hatte.
Ich zuckte erschrocken zusammen, eine Hand gegen die Brust gedrückt. Sprachlos blickte ich mich um, ehe ich verständnislos zu Auri aufsah. All unsere Freunde hatten sich in unserer Wohnung versammelt – Micah und Julian, Keith und Adrian, Amicia, Lucien und Aliza.
»Was … was macht ihr hier?«
Micah blies in eine Partytröte. »Happy Birthday!«
»Was?« Ich lachte verunsichert. »Mein Geburtstag ist erst in ein paar Tagen.«
»Das wissen wir.« Auri legte mir einen Arm um die Taille und schob mich in die Wohnung. Nun entdeckte ich auch die Torte auf dem Küchentresen. »Aber da du dieses Jahr einundzwanzig wirst, wollten wir unbedingt mit dir zusammen feiern, und heute ist der einzige Tag in den nächsten Wochen, an dem wir alle können.«
Ich versteckte mein Gesicht, das schlagartig rot angelaufen war, hinter meinen Händen. »Oh mein Gott, Leute, das ist so lieb von euch! Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Danke!« Ich umarmte zuerst Auri und drehte anschließend eine Runde, bei der ich jeden einmal ganz fest drückte.
Micah setzte mir ein Krönchen auf, auf dem Birthday Girl stand. »Und jetzt zeig mal dein cooles neues Tattoo.«
Ich streckte ihr meinen Arm entgegen. Allerdings war nicht viel zu erkennen, da das Tattoo noch in Frischhaltefolie gewickelt war. »Ich mach sie später ab, dann kannst du es besser sehen.«
»Hat es wehgetan?«
»Ein bisschen, aber Auri fand es viel schlimmer als ich.« Suchend wandte ich mich nach ihm um.
Er kam gerade aus seinem Zimmer gelaufen, ein riesiges Paket auf dem Arm. Seine Augen funkelten, als wäre es sein und nicht mein Geschenk. Vorsichtig stellte er es auf dem Wohnzimmertisch ab.
»Soll ich das wirklich jetzt schon auspacken?«, fragte ich verunsichert. »Das bringt Unglück.«
»Glaub mir, es bringt mehr Unglück, es jetzt nicht auszupacken«, bemerkte Julian kryptisch.
Auri nahm meine Hand und führte mich zur Couch. Er setzte sich neben mich, sodass sich unsere Beine berührten.
Mein Herz pochte vor Aufregung. Ich hoffte inständig, dass mir das, was sich in der Schachtel befand, gefiel.
Aliza hatte ihre Kamera griffbreit, als ich den Deckel anhob und mir zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten der Atem stockte. »Was …« Meine Stimme brach. In dem Karton saßen zwei unfassbar süße, perfekte Kätzchen, die mich mit großen Kulleraugen ansahen und miauten.
»Oh mein Gott«, quietschte ich, den Tränen nahe. Ich konnte mich gar nicht entscheiden, welches der beiden Fellknäuel ich zuerst auf den Arm nehmen sollte. Das eine Kätzchen hatte helles Fell, das andere dunkles. War das Zufall, oder sollten die beiden Auri und mich abbilden? »Sie sind zauberhaft.« Ich beugte mich über den Karton und säuselte: »Ich werde euch so lieb haben, dass es euch peinlich ist.«
Auri lachte und griff in die Schachtel, um das schwarze Tier herauszunehmen. Er reichte es mir, bevor er das weiße Kätzchen an sich nahm und vorsichtig an seine Brust drückte.
Ich schmolz dahin.
»Ich hoffe, dir gefällt dein Geschenk.«
»Gefallen? Ich liebe es!« Ich drückte dem Kätzchen, das neugierig die Nase reckte, einen Kuss auf die Stirn. Es schien überhaupt nicht schüchtern zu sein, anders als Laurence es damals mir gegenüber gewesen war. Andererseits hatte das Leben von Julians Kater in einer Mülltonne begonnen, da wäre ich vermutlich auch skeptisch gewesen, was neue Leute anging. »Haben die beiden schon Namen?«
»Noch nicht. Ich dachte, die suchen wir gemeinsam aus.«
»Sind es Weibchen oder Männchen?« Ich hob das schwarze Kätzchen an, war allerdings bei all dem Fell unsicher.
»Männchen«, antwortete Micah, die uns mit solch glänzenden Augen betrachtete, dass ich vermutete, dass es bei Julian und ihr bald auch flauschigen Familienzuwachs gab. »Wir wollten, dass Laurence Brüder bekommt.«
Ich gab dem schwarzen Kätzchen noch einen Kuss auf die Stirn, bevor ich Auri ansah. »Tauschen?«
Er nickte, woraufhin wir uns etwas ungeschickt abwechselten.
Der schwarze Kater war ein kleiner Racker und versuchte sich immer wieder aus unseren Armen zu winden, um die Wohnung zu erkunden. Der weiße war dagegen ruhiger und schmiegte sich an meine Schulter. Ich hörte gar nicht mehr auf, irgendwelche Aw-Geräusche von mir zu geben.
Ich sah zu Auri, der mich lächelnd beobachtete, bevor ich mich zu ihm beugte und ihm einen Kuss gab. »Danke«, murmelte ich an seinen Lippen – und im selben Moment hörte ich abermals das Klicken einer Kamera.
Ich hob den Kopf und erkannte, dass Aliza ein Foto von Auri, mir und unseren zwei neuen Mitbewohnern gemacht hatte. Unaufgefordert kam sie zu uns und zeigte uns das Bild auf dem Display.
Sie hatte den perfekten Moment eingefangen. Ich hatte die Augen geschlossen und küsste meinen besten Freund. Den Mann, den ich über alles liebte. Und auf unseren Armen saßen die wohl bezauberndsten Geschöpfe, die ich je gesehen hatte. Der weiße Kater starrte verwirrt vom Leben in die Kamera, während der schwarze versuchte, die Frischhaltefolie von Auris Handgelenk zu ziehen.
Ich lachte. Und mein Herz lachte mit.
Danksagung
Ursprünglich hatte ich nicht geplant, ein Buch über Auri und Cassie zu schreiben. Sie sollten Julians Mitbewohner sein, Statisten in seinem und Micahs Leben. Doch bereits während des Schreibens von Someone New habe ich mich so sehr in die beiden, ihre Freundschaft, ihre Unterschiede und ihre Liebe füreinander verliebt, dass für mich klar war, dass ich ihre eigene Geschichte aufschreiben muss. Und das habe ich mit Someone Else getan.
Doch wie immer war das keine Leistung im Alleingang, ich hatte Unterstützung von vielen großartigen Menschen. Allen voran meiner Lektorin Stephanie Bubley, die sehr viel Geduld bei diesem Projekt bewiesen hat und mir immer tatkräftig zur Seite stand.
Danken möchte ich auch dem Rest des LYX- und Lübbe-Teams: Ruza Kelava, Simone Belack, Momke Zamhöfer, Simon Decot, Barbara Fischer, Anna Fohs und allen anderen, die hinter den Kulissen mitwirken.
Ich danke auch meinen Agenten Markus Michalek und Roman Hocke von der AVA international GmbH und dem dortigen Team sowie der unglaublich talentierten Gabriella Bujdosó, welche die Someone Else -Sonderausgabe mit ihren wunderbaren Illustrationen bereichert. Und Melike Karamustafa, der ich meine Texte immer und immer wieder anvertrauen würde.
Bedanken möchte ich mich auch beim (bitte jetzt nicht lachen) »Prestige Jesus Squad«. Danke Marie, Alex, Anabelle, Ava, Bianca, Klaudia, Laura, Nicole, Nina und Tami für die vielen schönen Abende, euer offenes Ohr und die Ablenkung, wenn es mit dem Schreiben mal nicht so gut lief.
Ein großer Dank gilt auch Carolin Wahl, Tanja Voosen, Fabian, Yvonne, Verena, Mewa, Elif, Johanna und meiner Familie! Jeder von euch hat auf seine eigene Art und Weise etwas zu Someone Else beigetragen. Danke!
Und zuletzt möchte ich wie immer euch danken, meinen Leserinnen und Lesern. Ohne euch wäre das alles nicht möglich. Durch euch erwachen meine Geschicht
en erst zum Leben. Ich hoffe, wir lesen uns in Someone to Stay wieder – Aliza und Lucien warten auf euch.
Leseprobe
Someone to Stay
Mein Leben fiel auseinander. Wie das Regal, das ich soeben versucht hatte aufzubauen. Ich war kurz davor gewesen, den letzten Nagel einzuschlagen, als es vor meinen Augen in sich zusammenbrach. Es hatte geknarzt und geknackt, und dann war es krachend eingestürzt.
Eine Stunde Arbeit – für nichts.
Resigniert starrte ich auf den Trümmerhaufen zu meinen Füßen. Das konnte nicht wahr sein. Warum passierte so etwas immer mir?
Ein Gefühl der Enge breitete sich in meiner Brust aus, und am liebsten wäre ich einfach zurück ins Bett gekrochen. Aber ich weigerte mich, mich von einem Regal in die Knie zwingen zu lassen.
Ich bückte mich nach den Brettern, doch meine Entschlossenheit löste sich schlagartig in Luft auf, als ich die Kratzer entdeckte, welche der Einsturz in der Beschichtung hinterlassen hatte.
»Scheiße«, fluchte ich und ließ das Brett zurück auf den Boden knallen. Ich wohnte hier noch keine Woche, und schon waren meine neuen Regale im Arsch.
Zitternd würgte ich die Tränen der Frustration hinunter, die mir die Kehle hochstiegen. Meine Finger krampften sich um den Hammer in meiner Hand. Es kostete mich all meine Selbstbeherrschung, dieses Drecksteil nicht einfach kurz und klein zu schlagen. Aber das würde ich bereuen, spätestens dann, wenn ich losziehen musste, um mir ein neues zu besorgen. Dennoch verpasste ich dem Haufen aus Brettern und Stangen einen Tritt. Sie verrutschten und polterten über den Boden. Vermutlich hatte auch mein neues Laminat Kratzer abbekommen, aber daran wollte ich überhaupt nicht denken.
Ein dumpfes Klopfen unter meinen Füßen erinnerte mich daran, dass ich hier nicht alleine wohnte. Entschuldigend verzog ich die Lippen, auch wenn meine Nachbarn es nicht sehen konnten. Vermutlich hassten sie mich schon jetzt für meine frühmorgendlichen Aufbauaktionen, aber es war die einzige Zeit des Tages, die mir blieb. Mein Kalender war voll mit Vorlesungen, Aufgaben, Terminen und Telefonmeetings mit meiner Agentur, meinem Managementteam oder anderen Leuten, die irgendwo in schicken Büros saßen und meine Karriere durchplanten. Ich würde meinen neuen Nachbarn später einfach eine kleine Aufmerksamkeit vorbeibringen. Liebe ging ja bekanntlich durch den Magen, und vielleicht würde etwas Gebäck sie zumindest so weit besänftigen, dass sie noch ein paar Morgen durchhielten, ohne die Polizei zu rufen oder den Vermieter zu informieren. Um sie vorerst nicht weiter zu verärgern, beschloss ich jedoch, das Projekt »Möbelaufbau« für heute einzustellen.
Ich warf einen Blick auf mein Handy. 5:14 Uhr. Damit blieben mir zwei Möglichkeiten. Entweder legte ich mich noch mal schlafen, oder ich machte mich auf den Weg zum College, um für meine Kurse zu lernen. Das Semester hatte gerade erst angefangen, und ich hatte bereits das Gefühl hinterherzuhinken – was mir die Entscheidung leicht machte.
Ich schnappte mir mein Handy, öffnete die Kontakte und rief Micah an, die ich vor einem Jahr im ersten Semester kennengelernt hatte. Vielleicht hatte sie Lust, sich mit mir im Café am Campus zu treffen. Es war zwar noch verdammt früh, aber sie hatte mit ihrem Kunststudium und dem Vorhaben, gemeinsam mit Cassie eine Graphic Novel zu veröffentlichen, auch ziemlich viel um die Ohren. Ein frühmorgendliches Arbeitsdate kam ihr deswegen womöglich sogar ganz gelegen.
Es klingelte und klingelte und klingelte, ehe ein Klicken zu hören war und ich aufgefordert wurde, eine Sprachnachricht zu hinterlassen.
»Hey, Micah, ich bin’s, Aliza«, sagte ich, bereits auf dem Weg ins Badezimmer. »Ich wollte dir nur sagen, dass ich gleich ins Café am Campus gehe, um ein bisschen zu arbeiten. Vielleicht magst du ja auch kommen. Ich würde mich freuen. Bis dann!«
Ich legte das Handy auf die Ablage und betrachtete mich im Spiegel über dem Waschbecken. Mein Bad hatte kein Fenster, und das künstliche Licht betonte unvorteilhaft die dunklen Ringe unter meinen Augen. Ich spritzte mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht in der Hoffnung, dadurch wacher auszusehen, aber es half nichts. Was wohl nicht besonders verwunderlich war – ich hatte keine Ahnung, wann ich zuletzt länger als fünf Stunden geschlafen hatte –, aber im Moment war einfach zu viel zu tun.
Du musst nur noch ein paar Wochen durchhalten … Nach der Veröffentlichung des Kochbuches würde es gewiss besser werden. Daran musste ich einfach glauben.
Ich sprang unter die Dusche, allerdings ohne meine Haare zu waschen. Sie waren ziemlich dick, weshalb es immer eine Ewigkeit dauerte, sie zu trocknen. Und da für heute keine Fotos mehr geplant waren, erlaubte ich es mir, sie ungewaschen zu lassen. Anschließend schminkte ich mich, um zumindest den Anschein von Selbstkontrolle zu erwecken, und schlüpfte in eine dunkle Jeans mit Löchern an den Knien und einen Stranger Things -Pullover, den mir Micah von der SciFaCon aus Seattle mitgebracht hatte. Er war vielleicht noch etwas zu warm für Ende August, aber die Klimaanlagen in den Vorlesungssälen brachten mich meistens zum Frösteln, und ich wollte keine Erkältung riskieren.
In meinem Arbeitszimmer, in dem noch das Equipment meiner letzten Fotosession herumstand, stopfte ich meinen Laptop und sämtliche Unterlagen für den Tag in meine Tasche, bevor ich in die Küche ging. Es war der einzige Raum in meiner kürzlich bezogenen Wohnung, der bereits fertig war. Allerdings hatte ich für den Aufbau auch Handwerker bezahlt – und es hatte sich gelohnt. Meine Küche erschien mir wie ein wahr gewordener Traum. Sie war hell mit Akzenten aus dunklem Holz und Glas. Es gab eine breite Arbeitsfläche, eine Kochinsel mit großem Induktionsherd, einen zweitürigen Kühlschrank und eine tiefe Spüle mit hoher Armatur, sodass ich bequem abwaschen konnte, was nicht in einen meiner zwei Geschirrspüler passte. Die Ausstattung hatte ein kleines Vermögen gekostet. Kein anderes Zimmer in meinem Apartment war so teuer eingerichtet, aber ich bereute nichts, denn vermutlich würde ich in dieser Küche mehr Zeit verbringen als in jedem anderen Raum.
Ich schnappte mir eine Frischhaltedose aus dem Schrank und packte ein paar der Laddus-Kugeln ein, die ich am vorhergehenden Abend gemacht hatte, um das Rezept in ein paar Tagen auf meinem Blog teilen zu können. Ich hatte die Bällchen abwechselnd mit Pistazien, Macadamias, Kokosraspeln und allerlei anderen Toppings verfeinert.
Ich schloss die Dose, die bis zum Rand gefüllt war, und schob mir eine der Kugeln direkt in den Mund. Sofort fühlte ich mich ein bisschen besser. Der süßlich-nussige Geschmack des Gebäcks erinnerte mich an meine Großmutter, auch wenn ihr Laddus um einiges besser schmeckte.
Ich schnappte mir noch zwei der Bällchen für den Weg, bevor ich meine Tasche schulterte und eilig das Haus verließ, um den nächsten Bus zu erwischen.
Ich wohnte in einem der äußeren Bezirke der Stadt. Einerseits weil ich nicht allzu weit von meinem Elternhaus hatte wegziehen wollen. Andererseits weil ich mir in der Innenstadt oder nahe dem Campus niemals eine Dreizimmerwohnung mit einer solch großen Küche hätte leisten können.
Ich trat hinaus ins Freie. Die Sonne ging gerade auf, der Himmel über mir war eine Schattierung zwischen Orange und Dunkelblau. In den meisten Häusern war es noch dunkel und auf den Straßen ruhig. Es schien, als würde ein aus Stille gewobener Mantel über der gesamten Stadt liegen.
Ich atmete tief ein in der Hoffnung, etwas von dieser Stille in mich aufzunehmen, um das andauernde Tosen in meinem Kopf zum Verstummen zu bringen. Es war, als würde ein nicht endender Sturm in mir toben, der mich seit Wochen wach hielt. Er fegte durch meinen Verstand, brachte meine Glieder zum Beben und ließ mich einfach nicht zur Ruhe kommen. Da war die ständige Angst vor dem Stillstand und die Furcht, dass alles, was ich mir aufgebaut hatte, einstürzen könnte wie mein Regal, wenn ich nur eine Sekunde innehielt.
»Guten Morgen, Tyler«, begrüßte ich den Barista im Coffeeshop am Campus. Die Schicht vor acht Uhr übernahmen abwechselnd er, Cora und Natalia. Sie waren alle drei Studenten am MFC, und ich hatte sie in den letzten neun Monaten ziemlich gut kennengelernt. Tyler studierte Tiermedizin, Cora war im Bereich Gender Studies tätig, und Natalia wollte Ernährungsberaterin werden, weswegen ich mit ihr immer etwas zu bereden hatte.
»Morgen, Aliza«, erwiderte T
yler und versteckte ein Gähnen hinter vorgehaltener Hand. Sein blondes Haar stand ihm wirr vom Kopf ab, als wäre er direkt aus dem Bett hinter den Tresen gefallen. Verständlich, denn wer war schon freiwillig um 6:30 Uhr auf dem Campus unterwegs? Abgesehen von mir und den Sportlern vielleicht, die ich jeden Morgen auf dem Platz ihre Runden drehen sah. »Das Übliche?«
Ich nickte. »Wie war dein Date am Wochenende?«
Tyler stellte eine Tasse unter die Kaffeemaschine, die gurgelnd zum Leben erwachte. »Gut.«
»Gut …« wiederholte ich und hob erwartungsvoll die Augenbrauen. »Ist das alles, was ich von dir bekomme?«
Tyler lachte müde. »Es lief wirklich gut. Maddy ist nett. Wir waren in dem Restaurant, das du uns empfohlen hast.« Er öffnete die Auslage mit den belegten Broten und Bagels, nahm einen Sesam-Humus-Tomaten-Bagel für mich raus und legte ihn in den Toaster.
»Was habt ihr gegessen?«
»Sie hat das Kürbisrisotto mit Schafskäse genommen und ich die hausgemachte Lasagne.«
Uh, es war ein gutes Zeichen, dass er sich daran erinnern konnte, was sie bestellt hatte. Ich kannte Maddy nicht, aber nach dem, was mir Tyler über sie erzählt hatte, schienen sie gut zusammenzupassen.
»Werdet ihr noch mal ausgehen?«
»Ja.« Tyler stellte meinen Kaffee auf den Tresen. »Morgen.«
»Oh! Wo wollt ihr hin?«, fragte ich und legte einen Zehndollarschein auf die Theke.
»Ich hatte gehofft, das kannst du mir sagen.«
»Hmmm …« Ich tippte mir nachdenklich mit dem Zeigefinger ans Kinn. »Das indische Restaurant in der Hickman Street ist sehr gut. Falls Maddy kein scharfes Essen mag, könnte ich aber auch das Sushi-Restaurant auf der Beverly Road empfehlen oder das Cordiali Saluti. Aber wenn du sie wirklich beeindrucken willst, solltest du selbst kochen.«
Tyler gab mir mein Wechselgeld zurück. Um sein rechtes Handgelenk baumelte ein goldenes Kettchen, das er jeden Tag trug. »Ich kann nicht kochen.«
»Kannst du Anleitungen befolgen?«