Ever – Wann immer du mich berührst

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Ever – Wann immer du mich berührst Page 13

by Hotel, Nikola


  «Du drückst gar nicht mehr so fest», sagt sie.

  «Ehrlich gesagt doch. Ich drücke die ganze Zeit gleich stark.»

  «Warum tut es dann nicht mehr weh?»

  «Na ja», sage ich, und meine Mundwinkel gehen nach oben. «Das ist ja gerade der Trick.»

  Sie atmet erleichtert aus, und ich spüre eine seltsame Befriedigung deswegen. Und dann spüre ich, dass sich etwas in Abbi löst. Nicht nur in ihren Muskeln. Nicht bloß körperlich. Ich höre auf, die Triggerpunkte zu drücken, und massiere sie wieder, damit diese Entspannung anhält. Ich knete den Muskel, der sie so gequält hat, bis er sich ganz weich anfühlt. Seit Wochen hat sie dort Schmerzen, und in den letzten Tagen ist es immer schlimmer geworden. Jetzt, wo der permanent stechende Schmerz ausgelöscht ist, öffnet sich etwas in ihr. Als hätte ihr Körper den Unfall und alles, was an Schmerzen damit zusammenhängt, gespeichert, und das fließt jetzt aus ihr raus. Ich kann es mit den Händen fühlen. Abbis Schultern fangen plötzlich an zu beben. Sie gibt ein unterdrücktes Schluchzen von sich, und ich halte mitten in der Bewegung inne.

  «Soll ich aufhören?», frage ich.

  Ihre Stimme ist erstickt, trotzdem schüttelt sie den Kopf. «Nein, bitte mach weiter.»

  Ich tue, worum sie mich gebeten hat, aber es macht mich trotzdem fertig, dass sie jetzt weint. Deshalb ziehe ich das Handtuch hoch und streiche ihr über den Rücken, folge dabei keiner therapeutischen Abfolge, wie ich das gelernt habe, sondern lasse meine Hände einfach übernehmen. Lasse sie machen, was sie wollen. Minutenlang.

  «Abbi?»

  «Ja?»

  «Was du mich eben gefragt hast …» Ich räuspere mich. «Es tut mir leid, ich habe gelogen. Zumindest teilweise. Ich habe von dir geredet, aber es geht wirklich nicht um dich. Sondern … um deinen Vater. Ich habe einfach ein Problem mit deinem Dad, okay? Nur deshalb wollte ich, dass Kadence dich wieder übernimmt. Es ist nicht so, dass ich nicht gerne mit dir arbeite.»

  Ich glaube, ich habe es nur schlimmer gemacht. Abbi weint immer mehr, und das macht mich hilflos. Ich habe keine Ahnung, wie ich sie trösten soll, weil ich ihr den Grund für meine Abneigung nicht erklären kann, ohne sie noch mehr zu verletzen. Aber es geht auch nicht nur um mich oder um das, was ich gesagt habe. Es scheint, als würde auf einmal alles aus ihr herausbrechen, was sie seit dem Unfall zurückgehalten hat.

  «David», sagt sie plötzlich mit halberstickter Stimme. Das, was jetzt kommt, muss sie wirklich Überwindung kosten, denn sie greift nach meiner Hand, nur um sie im nächsten Moment beschämt wieder loszulassen. «Bei meinem Unfall … Ich kann mich einfach an nichts erinnern. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte, und ich habe Angst, dass ich …»

  Weil sie nicht weiterredet, hake ich nach. «Wovor hast du Angst?»

  «Ich weiß nicht, was ich getan habe. Ob es wirklich nur ein schrecklicher Unfall war, oder ob ich …» Erneut bricht ihre Stimme ab.

  Scheiße, worum geht es hier? Ich versuche, sie zu beruhigen, und nun halte ich ihre Hand fest.

  «Mein Freund hat … Wir haben uns ständig gestritten, und an diesem Abend war es besonders schlimm, das weiß ich noch. Er denkt, dass ich …» Sie holt tief Luft. «Du hast seine SMS gelesen. Was, wenn er recht hat? Was, wenn es meine Schuld war? Ich weiß nicht, was ich getan habe. Ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt … Habe ich gebremst, David?», fragt sie wieder. Und dabei starrt sie mich so angsterfüllt an, dass sich mein Brustkorb zusammenquetscht.

  «Natürlich hast du gebremst.» Scheiße, ich kann nicht glauben, dass Arschloch-Ryan sie mit seiner Bemerkung derart verunsichert hat. Hat sie nicht mal mit ihren Eltern darüber geredet? Oder mit Willow? Oder mit ihrem verdammten Arzt? Der Operateur hätte ihr wenigstens diese Sorge nehmen können. «Du hast gebremst, Abbi. Okay, ich bin kein Arzt, aber das kann ich an deinen Verletzungen ganz klar erkennen. Die sind absolut typisch. Wenn du ungebremst gegen diesen Scheißbaum gefahren wärst, dann sähe das komplett anders aus. Es ist ganz klar, dass du mit durchgestrecktem Bein aufgeprallt bist.»

  «Bist du sicher?»

  Ich drücke ihre Hand. «Einhundert Prozent.»

  Bebend atmet sie aus. «Danke.» Sie zieht sich das Handtuch über das Gesicht und schluchzt. Ich schätze, es ist gut, dass es rauskommt. Es muss raus, damit es besser werden kann. Aber ich weiß auch, dass ich nicht der Richtige bin, um sie zu trösten. Weil ich ihr nicht die Wahrheit sage, was ihren Vater betrifft, und ich ihr Vertrauen nicht verdiene. Ich sollte sie jetzt in Ruhe lassen.

  «Es war einfach nur ein Unfall, Abbi. Nur ein beschissener Unfall. So wie er jeden Tag tausendmal passiert.» Ich ziehe das zweite Handtuch wieder über ihren Rücken, damit sie vollständig bedeckt ist, und bleibe unschlüssig stehen. Dann sage ich: «Ich lasse dich mal allein.»

  Sie nickt, aber ihr ganzer Körper bebt unter dem Handtuch. Als ich draußen bin, schließe ich leise die Tür und lehne mich dann schwer dagegen.

  Scheiße.

  Einfach nur Scheiße.

  Wegen dem, was ich gesagt habe.

  Und wegen dem, was ich nicht gesagt habe.

  Ich lasse den Kopf gegen die Tür sinken und atme ruhig ein und aus. Mein Vorsatz, ihr aus dem Weg zu gehen, hat ja großartig funktioniert. Sie fühlt sich schuldig, und das scheint eine Sache zu sein, die sie seit Wochen quält. Und dann sage ich Vollidiot ihr auch noch, dass ich ein Problem mit ihrem Vater habe. Obwohl ich schon bei unserer ersten Begegnung gemerkt habe, dass sie ihren Dad vergöttert. Er ist wahrscheinlich so was wie ein beschissener Held für sie. Vielleicht habe ich ihr gerade damit den Rest gegeben.

  Aber ich habe verflucht noch mal keine Zeit für ein schlechtes Gewissen. Ich kann es mir nicht leisten, dass sie so viel Raum in meinem Kopf einnimmt. Ich habe genug eigene Probleme. Und zu viele Patienten, weil ich Kadence versprochen habe, Hamilton und die beiden Kerle aus der vierzehn zu übernehmen. Auch wenn ich nicht weiß, ob unser Deal jetzt überhaupt noch gilt. Doch vorher muss ich Abbi wieder in ihr Zimmer kriegen. Nur ganz sicher nicht mit diesem verdammten Gehwagen für Greise. Ich werde ihr ein paar Krücken besorgen.

  Ich überlege, ob ich ihr Bescheid sage, dass ich kurz weg bin und sie einen Moment warten soll, sehe dann aber, wie ihre Zimmertür auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs aufgeht.

  Noch mal Scheiße.

  Ganz große Scheiße.

  Heraus kommen ihre Eltern, die gerade auf der Suche nach ihr sein dürften. Okay, wo ist der Notfall, wenn man ihn braucht? Selbst ein Meteoriteneinschlag wäre mir willkommen. Verdammt, Hayden hat mich schon gesehen und hebt grüßend eine Hand. Ich überlege, wie weit oben auf der Fuck-my-Life-Skala dieser Moment rangiert, und wähle eine satte Acht.

  «Ah, David!» Die beiden kommen auf mich zu. Designeranzug und Kostüm, wie in einer verdammten Werbung. Ich bleibe wie festgetackert an der Tür stehen und starre meinem miserablen Schicksal entgegen.

  «Maree, das ist der junge Mann, der Abbi behandelt.»

  Ich nicke ihnen zu. «Ma’am. Mr. Hayden.»

  Mrs. Hayden ist klein und sehr schlank. Alles an ihr scheint ein Gegensatz zu Abbi zu sein. Sie hat dunkles gelocktes Haar, aber ihre schrägstehenden Augen sind so hell, dass es fast schon unangenehm ist, sie anzusehen. Doch sie lächelt, wenn auch eher abwesend. «Abigail ist nicht in ihrem Zimmer.»

  Ich stoße mich von der Tür ab. «Sie hatte gerade eine Massagebehandlung. Vielleicht warten Sie einfach noch einen Moment in ihrem Zimmer, dann bringe ich sie gleich.»

  «Ist sie dort drin?» Sie deutet auf den Behandlungsraum, und als ich nicke, macht sie Anstalten, an mir vorbeizugehen.

  Das kann sie vergessen.

  «Verzeihung, Ma’am», höre ich mich sagen, bevor ich richtig darüber nachgedacht habe. Gut möglich, dass dieses Gespräch nicht gut für mich ausgehen wird. Aber Abbi hatte eben einen echt harten Moment, und ihre Mutter sieht nicht wie jemand aus, der sich still zu seinem Kind setzt und einfach seine Hand hält. Alles an ihr strahlt etwas Forderndes aus, und das kann Abbi grad gar nicht gebrauchen. Ich verschränke die Arme vor der Brust und lehne mich wieder an die Tür. «Sie können da jetzt nicht rein.»


  «Wieso nicht?»

  «Weil ihre Therapie eine Ruhephase erfordert.»

  «Ich verstehe.» Sie wirft einen Blick auf die Uhr. «Dabei sollte man eigentlich meinen, dass sie sich in den letzten Wochen genug ausgeruht hat. Nicht wahr, William?»

  Okay, es kommt selten vor, dass mich Menschen derart überraschen. Mir begegnen ständig so unterschiedliche Leute, dass ich manchmal denke, ich habe alles gesehen. Aber dieser Typ Arschloch ist neu. «Ich würde eine Reha nicht gerade als Urlaub bezeichnen», sage ich. «Ihre Tochter hatte heute einen ziemlich harten Tag.»

  «Es macht sicher nichts, wenn wir ein paar Minuten warten, Liebling.» Mr. Hayden dreht sich um und gibt jemandem auf dem Flur ein Zeichen. Einem großen Kerl mit Knopf im Ohr und einem Anzug, der über den Oberarmen spannt. Wohl eher nicht sein Chauffeur.

  «Haben Sie einen Moment Zeit?», fragt er mich. «Können wir uns kurz unterhalten?»

  Hölle, nein! Kann ich nicht lieber ein paar Elektroschocks kriegen? Aber anstatt ein Nein auszuspucken, unterdrücke ich ein Stöhnen und nicke.

  «Das muss sicher nicht hier auf dem Flur stattfinden», merkt seine Frau an.

  «Maree.» Er legt die Hand auf ihren Arm, bevor er mir freundlich zunickt. «Wie geht es meiner Tochter? Abbi hat gestern am Telefon erzählt, dass die Sonographie und das MRT nichts ergeben haben. Der Bruch am Schienbein scheint gut zu verheilen.»

  «Das ist richtig, Sir. Aber sie hat leider durch das viele Sitzen andere Probleme, die man nicht durch bildgebende Verfahren nachweisen kann. Ich schreibe alles in den Bericht. Der Arzt kann Ihnen das dann erklären.» Und jetzt würde ich das Gespräch gerne beenden.

  «Was für Probleme?»

  Frag den verdammten Arzt!

  Ich hole tief Luft. «Unter anderem ein Piriformis-Syndrom. Das ist gar nicht selten, aber trotzdem nicht so leicht zu diagnostizieren.» Weil William Hayden ernsthaft interessiert aussieht, erkläre ich mit wenigen Worten, wie der Muskel auf die Nervenbahn drückt und ihr so Schmerzen verursacht. Aber Abbis Mutter macht es mir nicht gerade leicht, ruhig zu bleiben. Sie sieht so angepisst aus, dass ich sie am liebsten fragen wurde, wo ihr verdammtes Problem liegt.

  «Und was kann man dagegen tun?»

  «Ich habe ihre Triggerpunkte behandelt, was die Schmerzen sofort verbessert hat, und den Muskel relaxiert. Der Arzt wird sicherlich anordnen, diese Behandlung fortzuführen. Und Abbi kann Dehnübungen machen. Das kann sie mit entsprechender Anleitung auch allein, sie muss nur wegen ihres Knies etwas aufpassen.»

  «Und wie lange wird es dauern, bis sie endlich wieder gehen kann?», fragt Abbis Mutter. «Ohne Hilfsmittel, die man sieht. Gibt es vielleicht eine Schiene, die sie tragen kann und die sich mit langen Hosen kaschieren lässt?»

  Was ist denn bitte so schlimm daran, wenn man was sieht?

  «Sie darf ihr rechtes Bein noch nicht so stark beanspruchen, dass sie ohne Gehhilfen laufen kann. Es wird also noch eine Weile dauern. Man geht bei einer Tibiakopffraktur je nach Art der Osteosynthese von vier bis sechs Monaten aus, bis das Knie wieder voll einsatzkräftig ist.»

  Sie holt ihr Handy heraus. Zählt sie jetzt ernsthaft die Tage in ihrem Kalender nach?

  «Dann müsste sie in vier Wochen so weit sein.»

  Ich verschränke die Arme. «Wenn es gut läuft.»

  «Und was können wir tun, um in drei Wochen dahinzukommen?» Jetzt lächelt sie.

  Will sie darüber verhandeln? Denkt sie, man kann einen Heilungsprozess mit Macht und Geld beschleunigen? Was soll das? «Das kann man nicht erzwingen. Und jeder Versuch wäre mehr als kontraproduktiv. Abbi muss auf ihren Körper hören, und wenn sie sich überfordert, erleidet sie nur einen Rückfall.»

  Jetzt habe ich die volle Aufmerksamkeit von beiden.

  «Und das können Sie beurteilen, obwohl Sie kein Arzt sind?» Abbis Mutter hat das Handy in ihrer Handtasche verschwinden lassen, jetzt sieht sie wieder auf ihre Uhr, als würde sie mir deutlich machen wollen, dass ich gerade ihre Zeit stehle.

  Ich erspare es mir, sie darüber aufzuklären, dass Ärzte nicht allwissend sind. Erst recht nicht, wenn sie ihre Patienten nicht mal ansehen und nur auf Scheißröntgenbilder gucken. Ich bin viel näher dran. Ich schaue meinen Patienten ins Gesicht, ich beobachte sie, ich fasse sie an, kenne sie in- und auswendig.

  «Ich kann das beurteilen, weil ich ihr Therapeut bin, würde ich meinen.»

  «Sie sind noch Student, wenn ich das richtig verstanden habe. Fällt das denn in Ihren Kompetenzbereich?»

  Noch bin ich Student, ja. Und wie es im Augenblick aussieht, einer, der demnächst sein Studium abbrechen muss. Abbis Mutter hat eine juristische Ausbildung genau wie ihr Mann. Sicher haben die beiden sich am College kennengelernt. Und ebenso sicher würde ich ihr jetzt gerne sagen, dass sie mich mal kann.

  Diese Situation ist einfach nur lächerlich. Sie wollte meine Meinung hören, oder? «Ich schätze, ich brauche keinen Doktortitel, um zu wissen, dass es ihr schlecht geht. Sie war seit dem Unfall nicht zu Hause und hat Heimweh. Eine ambulante Reha wäre auch eine Option.»

  Mr. Hayden nickt nachdenklich. «Wir sind beide beruflich sehr stark eingebunden, und Abbi wäre zu Hause auf sich allein gestellt.»

  «Verstehe ich. Mit den Rippenbrüchen konnte sie ja lange Zeit nicht mal mit Hilfsmitteln laufen. Aber inzwischen ist Abbi auf jeden Fall fit genug, die Reha ambulant weiterzumachen. Es würde sie motivieren, denke ich.»

  «Die Klinik ist besser für sie», sagt seine Frau. «Wir haben das mit dem Chirurgen besprochen, der Abbi operiert hat. Er ist ein guter Freund der Familie, und wir vertrauen seinem Urteil.»

  Na großartig. Der Schlächter, der versucht hat, ihr die Hüfte ohne Narkose einzurenken? Ich kann gerade noch verhindern, dass diese Bemerkung meinen Mund verlässt. «Auch ambulant macht das qualifiziertes Personal, Ma’am. Aber wenn das für Sie nicht in Frage kommt, gibt es auch Therapeuten, die Hausbesuche machen. Ist halt eine Frage des Geldes.» Ich verkneife mir eine Grimasse. Geld sollte in ihrer Familie wohl kein Problem darstellen.

  «Denken Sie denn, das würde die Sache beschleunigen?» Jetzt zeigt sie sich plötzlich wieder interessiert. Gott!

  Ich zucke mit den Schultern. «Eine gewohnte Umgebung wirkt sich oft positiv auf den Heilungsprozess aus. Fragen Sie Abbi doch einfach, was sie möchte. Oder fallen Abbis Gefühle Ihrer Meinung nach auch eher in den Zuständigkeitsbereich der Ärzte?»

  Okay, das war respektlos, gebe ich zu, aber das konnte ich mir definitiv nicht verkneifen.

  «Ich denke, Sie haben genug gesagt, Mr. …»

  «Rivers», helfe ich aus. Soll sie sich doch über mich beschweren, ich bereue nichts von dem, was ich gesagt habe. «David Rivers, Ma’am.»

  Mrs. Hayden verzieht das Gesicht, als hätte sie mich gerade dabei erwischt, wie ich mich an den Eiern kraule. Doch dann fange ich den Gesichtsausdruck ihres Mannes auf. Wenn ich nicht wüsste, dass es unmöglich ist, würde ich sagen, er grinst.

  Scheiße. William Hayden zwinkert mir zu, und das … das ist gerade nicht passiert. Ich stehe unter Schock. Ich muss Halluzinationen haben.

  Unbehaglich reibe ich mir über den Oberarm. «Wenn Sie dann vielleicht in Abbis Zimmer warten würden …?»

  Hayden nickt seiner Frau zu. «Maree, sei so gut und ruf für mich im State House an, dass wir uns verspäten. Ich habe eine Idee und möchte diese mit Mr. Rivers nur kurz besprechen.»

  Na großartig. Mein persönlicher Albtraum ist also noch nicht vorbei. Mit gemischten Gefühlen starre ich der Frau hinterher, die sich mit schmalen Lippen abgewendet hat und nun über den Gang stöckelt. Dass Hayden mit mir allein reden will, kann nichts Gutes bedeuten.

  Er schenkt mir sein Politikerlächeln. «Ich möchte Ihnen sagen, dass wir Ihre Hilfe äußerst schätzen, Mr. Rivers.»

  Okay, vielen Dank. Kann ich jetzt gehen?

  «Abbi hat mir erzählt, dass sie große Fortschritte gemacht hat, und das hat sie nur Ihnen zu verdanken. Sie hat wirklich viel durchgemacht. Man macht sich gar nicht bewusst, was für ein Geschenk es ist, keine Schmerzen zu haben. Ich würde mich deshalb gerne auch in finanzieller Hinsicht erkenntlic
h zeigen.»

  An der Stelle muss ich in der Tasche mal wieder eine Faust machen. Wahrscheinlich starre ich ihn an wie ein Vollidiot, denn das Einzige, woran ich denken kann, ist, dass Abbi fast dieselbe Augenfarbe hat wie er. Nur ihr Haar ist etwas heller, ihre Brauen dunkler.

  «Das ist nicht nötig», sage ich mit brennender Kehle, weil mir diese Worte fast den Mund verätzen. Scheiße, ich kann wirklich jeden Cent gebrauchen. Aber von Hayden ein Trinkgeld annehmen, nur damit er sich ein gutes Gewissen kaufen kann? Vergiss es! «Ich habe nur meinen Job gemacht, Sir. Außerdem darf ich das von der Klinikleitung aus auch gar nicht.»

  «Ich verstehe.» Er nickt langsam. «Aber wie Sie gerade recht eindrucksvoll dargestellt haben, ist Abbi hier unglücklich. Und ich möchte meine Tochter glücklich sehen. Dafür würde ich eine Menge investieren.»

  Er will seine Tochter glücklich sehen. Und seiner anderen Tochter hätte er beim Sterben zugesehen, ja? Nur mit Mühe schaffe ich es, den Blick auf einen Punkt hinter ihm zu fixieren und einfach weiterzuatmen, auch wenn das Adrenalin in meinem Blut gerade dafür sorgt, dass der Druck auf meinem Brustkorb kaum auszuhalten ist.

  «Wenn meine Tochter ambulant betreut werden soll, brauchen wir einen Therapeuten, dem sie vertraut, und Abbi vertraut Ihnen.»

  Ganz falsche Richtung, Mr. Arschloch. Ich ahne, worauf er hinauswill, und verschränke abwehrend die Arme vor der Brust.

  «Ich habe mich über Sie erkundigt, David Rivers. Sie haben noch ein Jahr an der Franklin-Pierce-Universität vor sich. Ich halte Sie für einen sehr vielversprechenden Studenten und würde Sie in diesem letzten Jahr gerne fördern und die Studiengebühren übernehmen. Sie könnten es einfach als eine Art privates Stipendium ansehen.»

  «Sie wollen meine Studiengebühren übernehmen», wiederhole ich tonlos. Das Blut rauscht mir durch die Ohren. Ich hätte mein Hörgerät einsetzen sollen, verdammt, das kann Hayden gerade unmöglich gesagt haben. Wenn er so großzügig ist, wieso hat er dann damals nicht einfach Janes Behandlungskosten übernommen, anstatt meine Mutter einen Kredit aufnehmen zu lassen, den sie bis an ihr Lebensende abzahlen musste? Ich habe bereits ein Stipendium, will ich ihm an den Kopf knallen, aber das ist nicht wahr. Nicht mehr. Ich habe gar nichts mehr außer einem Haufen Schulden beim Emergency Service. Und so gerne ich ihn anbrüllen will, dass er sich sein Angebot sonst wohin stecken kann – verdammt, ich denke echt darüber nach.

 

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