Ever – Wann immer du mich berührst

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Ever – Wann immer du mich berührst Page 26

by Hotel, Nikola


  Ich muss nur die Hand nach ihm ausstrecken.

  Und ihn anfassen.

  «Lass uns lieber rausgehen», meint er, bevor ich irgendetwas tun kann. Er holt meine Krücken vom Tisch und reicht sie mir. Betont neutral sagt er: «Wir dürfen dein Training nicht vernachlässigen. So viel Zeit haben wir nicht mehr bis zu euren Filmaufnahmen. Außerdem habe ich etwas ziemlich Cooles entdeckt.»

  «Was denn?»

  «Ihr habt auf der anderen Seite hinterm Haus eine alte Scheune.»

  Eine Scheune, die ziemlich abgelegen ist und wo wir ungestört von Lorraine reden können. Will er mir das damit sagen? «Ja, ich weiß. Da habe ich aber schon ewig nicht mehr reingesehen. Steht sie nicht leer?»

  «Bis auf die Sachen, die ich eben reingetragen habe. Es ist perfekt zum Trainieren. Man ist im Schatten, und durch das Tor geht genug Wind, sodass es drinnen recht angenehm ist.»

  Das blöde Training interessiert mich gerade überhaupt nicht. Aber vielleicht braucht David die Routine, um sich zu sammeln, bevor er aussprechen kann, was ihn wirklich beschäftigt. Ich wünschte, er würde sich mir endlich anvertrauen.

  «Und keine Ahnung, wofür ihr sie früher benutzt habt, aber darin ist so was Ähnliches wie eine Reckstange. Ziemlich alt, aber nicht verrostet, und stabil genug, dass sie mein Gewicht locker aushält.»

  Weil er meinem Blick immer noch ausweicht, lasse ich mich darauf ein und verziehe gespielt das Gesicht. «Soll ich dir wirklich sagen, wofür das früher benutzt wurde?»

  «Zum Teppichausklopfen?»

  «In einer Scheune? Schön wär’s.» Langsam schüttle ich den Kopf. «Es ist ewig her», fange ich an. «Gramps hat früher … Ach, ich zeige es dir lieber. Hoffentlich hast du einen starken Magen.»

  «Was ist das denn bitte für eine Andeutung? Verdammt, ich habe eben Klimmzüge an dieser Stange gemacht.»

  «Na ja», sage ich mit Grabesstimme. «Du konntest es ja nicht wissen.» Aber dann muss ich lachen, umfasse die Griffe meine Armstützen und gehe nach draußen.

  «Ich war wirklich schon seit Jahren nicht mehr in dieser Scheune», sage ich zu David, als wir uns dem Holzschuppen nähern. «Hier ist der eher weniger repräsentative Teil des Grundstücks. Mein Grandpa war früher immer viel draußen. Er ist fischen gegangen, hat sich um das Stück Wald gekümmert, das an unser Grundstück grenzt, und Hühner und Schweine gehalten. Siehst du das umzäunte Stück dort hinten neben der Scheune? Darin stand eigentlich immer mindestens ein Schwein. In dem Vorbau war der eigentliche Stall, da konnten sie überwintern und sich im Sommer vor der Sonne schützen. Schweine haben empfindliche Haut, weißt du?»

  «Oh, okay. Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Rest wirklich hören will.» David schiebt das Tor für uns auf, und ich gehe hindurch. Die Scheune ist viel größer, als sie von außen wirkt. In der Mitte ist ein Oberlicht im Dach, durch das ein breiter Streifen Licht genau auf die Querstange fällt, die waagerecht zwischen zwei Eisenpfeiler geschweißt wurde. Die Höhe beträgt mehr als zweieinhalb Meter. «Die Schweine, die Gramps geschlachtet hat, haben weit über hundert Kilo gewogen. Die Konstruktion musste deshalb ganz schön was aushalten. Nachdem das Tier getötet wurde, haben sie es mit zwei Mann aufgehängt. Ein Bein rechts, eins links, und danach wird es in der Mitte durchgesägt. Das ist ein absoluter Gewaltakt, ich habe das ein einziges Mal gesehen und danach immer einen Riesenbogen um diese Scheune gemacht.»

  «Okay», sagt David und bläst langsam den Atem aus. «Und du bist danach nicht Vegetarierin geworden?»

  «Ich habe nie wieder Schwein gegessen. Aber so was verdrängt man auch wieder. Wahrscheinlich geht es den meisten Menschen so. Man sieht das Fleisch schön rechteckig verpackt im Walmart, da hat es nichts mehr mit einem intelligenten und sensiblen Tier zu tun. In der Soziologie wurde dieses Thema bisher auch vernachlässigt, weil Tiere zur Natur gehören und deshalb aus der menschlichen Kultur und Gesellschaft ausgegrenzt werden. Aber das ist nicht richtig.»

  «Wieso findest du das nicht richtig?»

  «Na ja, wir interagieren ständig mit Tieren, oder? Und damit meine ich nicht nur, dass wir sie essen. Man schläft auf einem Kopfkissen mit Federn, trägt Lederschuhe, wäscht sich mit Seife, die oft aus tierischen Fetten hergestellt wird. Wir gehen mit unseren Hunden spazieren und streicheln die Katze auf unserem Schoß. An jeder Ecke findet man Tiere als Symbol. Auf Autos, an Tankstellen oder irgendwelchen Fashion-Labels. Wie wir auf bestimmte Tiere reagieren, ist kulturell geprägt. Wir würden in den Staaten zum Beispiel keine Hunde essen, aber auch keine Insekten. Wobei ich damit nicht meine, dass man diese Tiere gleichstellen kann. Kann man definitiv nicht. Aber manches finden wir ekelhaft oder barbarisch, was in anderen Kulturen ganz normal ist. Man kann also für das örtliche Tierheim spenden und trotzdem Spareribs essen, ohne einen Widerspruch darin zu sehen. Aber eben immer abhängig von den gesellschaftlichen Normen, mit denen man aufgewachsen ist.»

  David hat mir aufmerksam zugehört, jetzt hakt er ein. «Du klingst nicht so, als würdest du das verurteilen.»

  «In der Soziologie wertet man nicht. Man beobachtet. Aber verrückt ist es schon, dass man Menschen, die auf tierische Produkte verzichten, extra ein Label wie vegetarisch oder vegan anhängt, und diejenigen, die Fleisch essen, sind einfach nur normal. Dabei ist es eine gesellschaftlich verankerte Weltsicht, also eine Ideologie, aber wir behaupten, es wäre normal oder natürlich und geben es so an unsere Kinder weiter.»

  «Also, ähm.» Er stockt kurz. «Ich esse, seit ich fünfzehn bin, nur pflanzliche Produkte und halte mich für ziemlich normal.»

  Ich bin überrascht, weil ich das nicht wusste. «Davon hast du gar nichts gesagt.»

  «Ich rede nicht gern drüber. Essen ist eine ziemlich persönliche Angelegenheit, würde ich meinen.»

  Da hat er recht. «Du hast deine Ernährung damals mit Hilfe deines Sports verändert und dadurch mit anderen Emotionen verknüpft, das finde ich wirklich bewundernswert.»

  «Na ja», sagt er. «So bewundernswert auch wieder nicht, weil ich dabei eigentlich nur an mich gedacht habe. Es hat eine Weile gedauert, bis ich kapiert habe, dass ich grundsätzlich so leben will. Irgendwie mitfühlender, was andere Lebewesen angeht.»

  Er spielt das runter, aber das ändert nichts daran, dass ich ihn dafür sehr wohl bewundere. «Es ist aber nicht so leicht, sein Verhalten zu ändern. Ich habe es schon ein paarmal versucht, aber …» Ich verziehe den Mund, als mir aufgeht, dass ich ihm gerade einen ganz schön langen Vortrag gehalten habe. «Entschuldige, jetzt habe ich dich damit total vollgequatscht.»

  «Hey, ich finde das interessant. Außerdem quatsche ich dich ständig mit Muskelfunktionen und so was voll. Das hast du hoffentlich auch nicht als Mansplaining gesehen.»

  «Natürlich nicht. Ich habe keine Ahnung von Physiotherapie.»

  «Und ich habe keine Ahnung von Soziologie. Ich beschäftige mich sonst immer nur mit einzelnen Menschen und damit, wie sie sich bewegen. Der gesellschaftliche Aspekt kommt da nicht so oft vor. Außer wenn ich mich darüber aufrege, dass Madame Mustache kaum noch Kontakt zu ihrer Familie hat und immer allein ist. Es gibt so viele alte Menschen, die einfach nur abgeschoben werden. Was sagt die Soziologie dazu?»

  «Dass das scheiße ist», platze ich heraus.

  David zieht einen Mundwinkel hoch. «Ich dachte, in der Soziologie wertet man nicht, man beobachtet nur?»

  «Ich studiere ja noch.»

  Jetzt grinst er richtig, und ich erwidere es. Vielleicht habe ich mir seine schlechte Stimmung eben doch nur eingebildet. «Du kommst gut mit Menschen aus, oder? Ich fand es so schön, als du mit Lorraine getanzt hast. Ich glaube, das hat ihr sehr gefallen.»

  «Aber das war nicht uneigennützig. Ich habe dafür eine Tasse Kaffee gekriegt.»

  «Du hättest es auch ohne Belohnung gemacht.»

  Er nickt. «Stimmt. Ich mag ältere Menschen einfach. Wie war das bei dir? Hattest du ein gutes Verhältnis zu deinem Grandpa?»

  «Er war nicht unbedingt ein herzlicher Typ. Aber ich mochte ihn sehr. Er hatte immer viele interessante Geschichten zu erzählen. Doch erst als er gestorben ist, habe ich wirklich gemerkt, dass
ich ihm auch viel bedeutet habe.» Ich lächle traurig. «Gramps hat mir seinen größten Schatz hinterlassen. Das alte Papiertheater, das in meinem Zimmer steht. Es besteht nur aus Papier und etwas Holz, aber ich habe es schon als Kind geliebt.» Für andere wäre das vermutlich unbedeutend im Vergleich mit den Anteilen an der Hayden Paper Group und dem Barvermögen, das er mir ebenfalls vermacht hat. Aber ich weiß, wie viel ihm dieses Papiertheater bedeutet hat.

  «Wann ist er denn gestorben?»

  «Ist schon über zehn Jahre her.»

  «Dann warst du noch ein Kind, als du das hier mitgekriegt hast.» Er deutet auf die Stange.

  «Für Gramps war das normal. Aber du findest es bestimmt furchtbar. Willst du jetzt immer noch hier trainieren?»

  «Klar. Wir schaffen damit neue Erinnerungen für diesen Ort.» Er macht zwei Schritt nach vorn, springt hoch und ergreift die Stange. Ich gehe zur Seite, weil er daran hin- und herschwingt, dann mit den Beinen zwischen seinen Armen durchtaucht und nach wenigen Sekunden oben auf der Stange sitzt. «Wenn sie mein Gewicht aushält, brauchst du dir keine Gedanken zu machen.»

  «Mach ich auch nicht», sage ich sofort. «Weil ich nämlich gar nicht vorhabe, das Ding zu benutzen.»

  «Wir werden sehen.» David lässt sich nach hinten fallen, pendelt einige Male an den Knien hin und her, bis er sich wieder mit den Händen festhält und dann langsam zu Boden sinkt. «Du hast in letzter Zeit so oft deine Arme trainiert, du kannst es doch einmal ausprobieren. Klimmzüge, meine ich.»

  Das stimmt, aber wieso habe ich das Gefühl, dass dieses Training heute nur ein Vorwand ist? Als würde er das alles nur vorschieben, um nicht mit mir reden zu müssen. David kommt auf mich zu. Im nächsten Moment geht er vor mir in die Hocke, packt mich um die Oberschenkel und hebt mich hoch. «Festhalten», sagt er, und ich bin so perplex, dass ich ganz automatisch nach der Stange über mir greife. Was ein Fehler ist.

  Langsam lässt David mich runter, bis ich an langen Armen daran hänge. Das Blöde ist, ich kann mich wegen meines Knies nicht fallen lassen und bin nun auf Davids Hilfe angewiesen. «Holst du mich auch wieder runter?»

  «Das muss ich mir noch überlegen.»

  «David», keuche ich auf. «Das ist nicht witzig.»

  «Sollte auch kein Witz sein.»

  «David!»

  «Halt dich gut fest.» Er springt an die Stange und hangelt sich zu mir, bis sein Brustkorb gegen meinen stößt. Seine Hände sind nur wenige Zentimeter von meinen entfernt und rahmen mich ein.

  «Ich will, dass du wenigstens einmal versuchst, dich hochzuziehen.»

  «Und ich möchte viel lieber wissen, worüber du mit mir reden wolltest.»

  «Nicht beim Training, Abbi. Also los, versuch es.»

  «Das kann ich nicht. Wirklich nicht.» Aber es fühlt sich irgendwie gut an, zusammen mit ihm an dieser Stange zu hängen.

  «Probier es einfach mal, okay? Mir zuliebe», sagt er mit einer Stimme, die mich regelrecht schwach macht.

  Okay. Ihm zuliebe würde ich eine ganze Menge versuchen. Ich spanne die Arme an, aber ich schaffe es gerade mal so hoch, dass ich mit der Stirn bis an die Stange reiche, danach verlässt mich die Kraft.

  «Wir machen es gemeinsam, einverstanden? Und ich kann dich dabei auch etwas unterstützen.» Was er damit meint, merke ich, als er mir im nächsten Moment einen Turnschuh unter den Fuß schiebt.

  «Auf drei.»

  Er zählt, und dann spanne ich alles an, spüre, wie er dabei von unten meinen Fuß hochdrückt, und ich ziehe, ziehe, ziehe. Es brennt in meinen Schulterblättern, meinen Schultern, den Oberarmen. Bauch an Bauch kommen wir nach oben. Ich muss es schaffen. Die letzten Zentimeter sind die schlimmsten, und dann auf einmal funktioniert es. Ich recke den Kopf über die Stange, und zusammen lassen wir uns wieder absinken.

  «Noch mal?», fragt er.

  «Ja.»

  Ich schaffe es noch zweimal, komme hoch bis über die Stange, dann zittern meine Arme so sehr, dass ich nicht mehr kann. Sofort lässt David eine Hand los und hält mich fest. Sein Arm legt sich um meinen Rücken, und aus einem Impuls heraus schlinge ich beide Beine um ihn und hake sie hinter ihm ein.

  «Abbi», keucht er auf.

  «Entschuldige, bin ich zu schwer?»

  «Nein. Aber dein Knie.»

  Zwischen meinen Beinen kann ich spüren, wie er sich anspannt. Wie viel Kraft es ihn kostet, uns beide an der Stange zu halten. Dann berührt mein Mund seinen Kiefer, seinen Mundwinkel, trifft auf seine Lippen. Er will sich zurückziehen, ich merke es an der Art, wie er zögert, innehält. Aber dann gibt er doch nach. Ich stoße seine Lippen mit der Zungenspitze an, und als er sie öffnet, berühren sich unsere Zungen drängend, fordernd. Es ist kein sanfter, flüchtiger Kuss, denn Davids Nähe und die Berührung lässt sofort Hitze durch meinen Bauch schießen. Vorsichtig lässt er uns nach unten gleiten. Als wir auf dem Boden aufkommen, presst er für einen Moment seine Stirn an meine, bevor er mich etwas atemlos von sich schiebt.

  Ich möchte ihm stundenlang in die Augen sehen. Sie ziehen mich immer an. Wie Magnete. Aber gerade jetzt in diesem Augenblick sehen sie aus wie kurz vor einem Orkan. David runzelt die Stirn, er öffnet den Mund, stößt hart den Atem aus.

  «Ich muss dir etwas sagen, Abbi.» Diese wüste Dunkelheit in seinen Augen und dass er auf einmal so ernst klingt, macht mir Angst. David rauft sich mit beiden Händen durch das Haar, was mir klarmacht, dass er sich sammeln muss. Und das heißt, dass – worum auch immer es geht – es wirklich wichtig ist.

  «Du hast ein gutes Verhältnis zu deinem Vater. Du hängst sehr an ihm, oder?»

  Ich nicke, flüstere dann aber noch ein «Ja», weil er mich nicht mehr ansieht, sondern zur Decke starrt, an der die Spinnweben um das Oberlicht hängen und der Staub tanzt. «David, was immer du von meinem Vater denkst, … du musst nicht mit ihm einer Meinung sein. Es ist völlig okay, wenn du Dinge anders siehst als er.»

  «Klar.»

  Nach dieser knappen Antwort ist er erst einmal still. Und als ich nach seiner Hand greife, merke ich, dass er sie zu einer Faust geballt hat und nur unter Anstrengung wieder lösen kann. Da ist mehr. Ich bin mir plötzlich sicher, dass zwischen meinem Vater und ihm etwas vorgefallen sein muss, das nichts mit seinem Beruf als Politiker zu tun hat. Und auch nichts damit, dass Dad bei ihrer ersten Begegnung so eine verdammt blöde Bemerkung gemacht hat. Es muss um mehr gehen, sonst würde David doch mit mir darüber reden. Und weil ich es nicht ertrage, zu sehen, wie er sich damit quält, setze ich zu einer Frage an. «Hat mein Vater etwas …»

  «Es ist so, dass …» David hat im selben Augenblick begonnen zu reden, und ich halte inne, schlucke meine Frage hinunter, um ihn nicht zu unterbrechen. «Es geht um meine Schwester. Jane bedeutet mir alles. Ich habe nur noch sie. Und ich …» Er holt tief Luft und erwidert endlich den Druck meiner Finger. «Ich möchte, dass du sie kennenlernst», schließt er.

  Er hat es kaum ausgesprochen, da presst er die Lippen zusammen, und sein Kiefer spannt sich an. Deshalb sage ich schnell: «Ich möchte sie auch kennenlernen. Sehr gerne sogar. Denkst du, sie würde hierherkommen, wenn ich sie einlade?»

  Jetzt schießt sein Blick zu mir, und ich bin schockiert über den hoffnungslosen Ausdruck in seinem Gesicht. «Keine gute Idee.» David scheint sich regelrecht zu zwingen, weiterzureden. «Aber Jane arbeitet in einem Diner, wir könnten uns dort mit ihr treffen.» Und als müsse er mit jedem Wort sich selbst von dieser Idee überzeugen, redet er weiter: «Ihr könnt euch kennenlernen, und vielleicht … Ich meine, Kadence und Noah werden heute Abend auch dort sein. Du mochtest ihn, oder? Du wirst also nicht unter lauter Fremden sein. Du könntest auch Willow fragen, ob sie mitkommt, wenn dir das lieber ist.»

  Er möchte, dass ich seine Schwester kennenlerne, aber gleichzeitig sorgt er dafür, dass wir nur ja nicht allein sind? Ich nicke schnell, weil David so angespannt wirkt. Nur dass ich das Haus eigentlich nicht verlassen soll. Nicht solange ich noch mit den Krücken unterwegs bin, weil das zu viele Fragen aufwerfen würde, wenn mich jemand als William Haydens Tochter erkennt. Den Unfall konnte das Team meines Vaters bisher aus der Presse heraushalten, wofür
ich mehr als dankbar bin.

  Ich war schon ewig nicht mehr aus und hoffe nur, dass ich das mit den Krücken hinbekomme. Aber David ist es wichtig, also kriege ich das schon irgendwie hin. Ich werde Willow bitten, mich hier rauszuschmuggeln. Und vorher werde ich meinen Dad anrufen. Ich muss endlich wissen, was zwischen David und ihm vorgefallen ist.

  25. Kapitel

  David

  Halb acht und Abbi ist immer noch nicht da. Hätte ich geahnt, wie voll es heute im Diner sein würde, ich hätte einen anderen Tag vorgeschlagen. Chase hat Geburtstag, und anscheinend hat er Gott und die Welt eingeladen. Abbi wollte eigentlich schon um sieben kommen, deshalb behalte ich den Eingang im Auge, während ich mit Noahs Bruder Asher Smalltalk mache. Was ich normalerweise gern mache, weil ich dabei wenigstens sicher sein kann, keine unangenehmen Fragen gestellt zu bekommen. Keine Politik, keine Religion, kein Geld, alles Themen, über die ich echt nicht reden will. Nur dass ich mich heute nicht darauf konzentrieren kann, weil diese Anspannung mich umbringt. Weil ich sowohl Jane als auch Abbi die Wahrheit sagen muss. Die beiden zusammenzubringen … ich weiß nicht genau, was ich mir davon erhoffe. Vielleicht dass es das irgendwie einfacher macht für sie. Denn diese Scheißlügen – Lügen, die ich Hayden und meiner Mutter verdanke, die sie mir verdammt noch mal vererbt haben, obwohl ich sie nicht haben wollte – müssen aufhören. Heute. Ich werde es heute tun. Ich werde Abbi nachher die Wahrheit sagen. Fuck.

  Asher ist ziemlich gut in Smalltalk, was daran liegen muss, dass er einen verdammten Konzern leitet, und er checkt sofort, dass ich nicht bei der Sache bin.

  «Du starrst die ganze Zeit auf diese verdammte Tür, als würdest du damit rechnen, dass ein Axtmörder reinkommt.»

  Ich verschränke die Arme. «Ich warte auf jemanden.»

  «Ach», sagt er trocken. Er trägt noch sein Business-Hemd, hat es aber an den Ärmeln hochgekrempelt. Sieht verdammt teuer aus. Ich schätze, er ist direkt vom Büro hierhergefahren. Und dass er und Hayden denselben Schneider haben.

 

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