Ever – Wann immer du mich berührst

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Ever – Wann immer du mich berührst Page 40

by Hotel, Nikola


  Weil es so warm ist, ziehe ich meine Sweatshirtjacke aus und stopfe sie in die Sporttasche. Ich puste mir den Pony aus der Stirn, schütze mit der linken Hand mein Gesicht vor der Sonne und tippe mit der rechten auf mein Handy in der Hoffnung, dass Aubree nicht mehr in der Uni sitzt und abnimmt. Sie hat im Gegensatz zu mir noch zwei Prüfungen ihrer Finals vor sich und kann erst Ende der Woche nach Hause fahren. In den letzten Jahren habe ich sie immer begleitet, und ich will nachkommen, sobald ich diese Angelegenheit mit meinem Stiefvater erledigt habe, denn ich vermisse sie und ihre Mom und May jetzt schon schmerzlich.

  Es klingelt viermal.

  «Oh Gott, ist es so schlimm?», fragt sie, noch bevor ich mich geräuspert habe. «Ich habe frühestens heute Abend mit deinem Anruf gerechnet. Haben die Blakelys dich jetzt schon kleingekriegt?»

  Ich schiele zu einem älteren Mann mit Turban, der mit mehreren Plastiktüten beladen auf ein freies Taxi wartet, und drehe mich zur Seite, als könnte ich damit verhindern, dass er unserem Gespräch lauscht. «Ich bin noch nicht mal angekommen», gestehe ich ihr. «Aber im Flieger habe ich Asher getroffen, und er …» Ich halte inne, weil ich Aubree nicht volljammern möchte. Sie hat sich von mir schon so viel über das Asher-Thema anhören müssen, dass es für die nächsten zweihundert Jahre reicht. «… und mir wurde mein Portemonnaie geklaut.»

  «Oh, verdammt.»

  «Ist nicht so dramatisch», sage ich schnell. «Ich konnte meine Kreditkarte noch am Flughafen sperren lassen. Aber diese blöde Lauferei, um einen neuen Führerschein und so zu bekommen, da könnte ich echt drauf verzichten.»

  «Hattest du viel Bargeld dabei?»

  Ich schnaube. «Hatte ich jemals viel Bargeld?»

  «Also nicht. Wenigstens etwas.»

  «Eigentlich will ich gar nicht darüber reden, aber ich habe das Gefühl, mir platzen gleich sämtliche Adern. Kannst du mich bitte irgendwie ablenken? Wie war denn dein Tag so?»

  Aubree holt tief Luft, aber sie fragt nicht nach. Sie weiß genau, was in mir vorgeht, schließlich haben wir uns schon im Internat jahrelang ein Zimmer geteilt und wohnen nun gemeinsam im Wohnheim auf dem Campus. Dass ich nicht von Asher reden will, sagt ihr bestimmt mehr, als mir lieb ist. Ich lausche auf ihren ruhigen Atem, der so tief klingt, als könne man darin eintauchen, und dann fängt sie an zu erzählen. Von Taylor, der ihr heute in der Mensa einen Oreo-Keks über die Makkaroni gebröselt hat. Von ihrem vergeigten Vortrag im Poetry Workshop und schließlich von Dekan Strout, der sie dabei erwischt hat, wie sie sich auf ihren Nebenjob als Synchronsprecherin vorbereitet hat, und dabei klettert ihre Stimme nervös in die Höhe.

  «Wieder für eine Telenovela?», frage ich. Aubree hat fast ein Jahr lang einer jungen Señorita aus einer mexikanische Seifenoper ihre Stimme geliehen. Bis zu deren Serientod.

  «Schön wär’s.» Aubree stöhnt auf. «Für einen von diesen japanischen Anime-Pornos. Ich weiß nicht, warum sie mir diese Rolle überhaupt angeboten haben. Warum muss so etwas überhaupt synchronisiert werden? Ist ja nicht so, als ob es da tiefgründige Dialoge gäbe. Ganz abgesehen davon, dass dieses Frauenbild widerlich ist, du kannst dir nicht vorstellen, wie schrecklich dieses Rumgestöhne ist!»

  Oh doch, das kann ich. Ich denke an Asher, Kadence und die Bordtoilette. «Na ja, wenigstens musst du dir dafür nicht so viel Text einprägen.»

  «Haha. Nicht witzig. Normalerweise bekommen wir doch niemals vorher das Dialogbuch zu sehen, die Texte werden erst kurz vor der Aufnahme bereitgestellt. Aber ich habe mir einfach ein altes Dialogbuch geben lassen, um das mal zu üben. Ich war hinter der Sporthalle, und es war kein Mensch zu sehen, nicht mal einer von den Football-Pennern. Und gerade als ich das erste Stöhnen und einen zugegebenermaßen ziemlich vulgären Satz von mir gegeben habe, steht plötzlich Dekan Strout hinter mir.»

  Ich muss mir in die Hand beißen, um nicht laut loszuprusten. «Oh Gott. Bestimmt hat er gedacht, dass du Hilfe brauchst.»

  «Ivy, ich bin fast gestorben. Ich habe ihm das Script gegeben und erklärt, dass ich nebenbei synchronspreche, um mir etwas dazuzuverdienen. Aber garantiert hat er mir kein Wort geglaubt. Wahrscheinlich meint er nun, dass ich diese bescheuerten Texte selber schreibe und unter Pseudonym auf irgendwelchen Plattformen hochlade.»

  «Oder noch schlimmer, er denkt, dass du wie deine Mom schauspielern willst.»

  Aubrees Mom ist ziemlich erfolgreich, seit sie als Ermittlerin in einer Netflix-Serie zu sehen ist. Aber sie ist der Meinung, dass ihre Töchter trotzdem nichts geschenkt bekommen sollen. Deshalb bezahlt sie zwar alles, was die Uni betrifft, aber jeden kleinen Luxus muss Aubree sich selbst erarbeiten, und seien es auch nur ein paar neue Klamotten.

  «Oh Gott, daran habe ich gar nicht gedacht! Dann wird der alte Sack heute Nacht bestimmt auf irgendwelchen Pornoseiten nach meinem Namen suchen.»

  Ich gebe einen undefinierbaren Laut von mir. «Du hast gewonnen. Dein Tag ist definitiv entsetzlicher als meiner. Keine Begegnung mit Asher kann so schlimm sein wie die Vorstellung von Strout, der mit heruntergelassener Hose vor seinem Rechner sitzt, während er sich durch Fotos auf deiner Facebookseite klickt.» Ich blicke hoch und direkt in die Augen des Turban-Mannes, der die Brauen zusammengezogen hat und wütend auf etwas herumkaut, das aussieht wie eine Miswak-Wurzel. Entschuldigend hebe ich die Schultern und ziehe eine Grimasse.

  «Oh Gott, pflanz mir keine Bilder in den Kopf. Keine Bilder, lalalalala.» Aubree trällert los, dann fragt sie fast ängstlich: «Denkst du wirklich, er geht auf meine Facebookseite?»

  Ich nicke, was Aubree natürlich nicht sehen kann. «Und auf dein Instagram-Profil.»

  «Ich stelle die sofort auf privat», droht sie. Dann fängt sie unvermittelt an zu lachen. «Hat es dich denn abgelenkt? Wenn ja, dann hat sich der ganze Ärger wenigstens für etwas gelohnt.»

  «Danke. Ich fühle mich gleich viel besser, jetzt, wo ich weiß, dass dein Leben noch schlimmer ist als meins. Du bist eine wahre Freundin.»

  «Gern geschehen.»

  «Wirst du diese Aufnahmen denn jetzt machen? Das Anime, meine ich.»

  «Auf keinen Fall, das kann ich meiner Mom nicht antun. Nicht mal unter Pseudonym. Ich hab dem Studio gerade eine Mail mit der Absage geschickt. Eigentlich dachte ich, das wäre leicht verdientes Geld, aber das bringe ich nicht über mich. Ab jetzt nur noch Telenovelas für mich. Oder ich spreche wieder kleine Jungs in Zeichentrickserien.» Ich höre sie seufzen und dann, wie sie eine Schranktür zuwirft. «Ich muss Schluss machen. Meine Mom lädt mich heute zum Essen ein, und ich will mich noch stylen, obwohl ich echt keine Lust habe, den Abend mit ihrem neuen Typen zu verbringen.»

  «Ich dachte, er wäre beim letzten Mal so nett gewesen?»

  «Ja, schon, aber inzwischen bin ich misstrauisch geworden. Der ist so freundlich, als würden sie schon den nächsten Schritt planen, dabei kennen sie sich gerade mal einen Monat. Bestimmt ist er nur hinter ihr her, weil sie ein Promi ist. Du kannst froh sein, dass dein Stiefvater dich nicht ständig mit potenziellen neuen Müttern konfrontiert.»

  Ich weiß, dass sie das nicht ernst meint, trotzdem versetzt mir dieser Satz einen Stich. Ich würde jeden Ärger in Kauf nehmen, um wenigstens noch einen Elternteil zu haben. Ich meine einen richtigen, der sich für mich interessiert, und nicht bloß einen Stiefvater, der mich nicht um sich haben will.

  «Na ja», sage ich. «Wer weiß, was er jetzt von mir will. Aber es ist mir im Grunde eh egal.» Wenn ich mir das oft genug sage, glaube ich womöglich selbst daran. «Vermutlich will Richard nur mit mir reden, weil er gemerkt hat, dass ich mit neunzehn auf eigenen Beinen stehen sollte und er nun alte Verpflichtungen loswerden kann.» Dafür habe ich fast schon Verständnis, denn ich würde auch gerne ein paar alte Erinnerungen loswerden.

  «Das glaube ich nicht. Es sei denn, seine Firma ist pleite, und er kann dein Studium nicht länger finanzieren.»

  «Kann ich mir nicht vorstellen.» Aubrees Vermutung tue ich gleich mit einem Kopfschütteln ab. Richards Urgroßvater William Blakely hat die Blake
ly Corporation vor mehr als neunzig Jahren gegründet, sein Vater Anthony hat sie weitergeführt, aber erst Richard hat die Firma zu einem großen Konzern ausgebaut. Dass er finanzielle Probleme haben könnte, liegt jenseits meiner Vorstellungskraft. Richard Blakely ohne sein Unternehmen ist undenkbar, und außerdem sieht man das Logo wirklich überall. Sie beliefern sogar das Weiße Haus.

  «Hast du nicht mal erzählt, er wäre ziemlich religiös? Vielleicht ist er inzwischen irgendeiner Sekte beigetreten und will dich nun in die Gemeinschaft einführen.»

  «Du spinnst. Er ist bloß katholisch und kein Sektenanhänger. Aber danke, deine Spekulationen helfen wirklich sehr, mich zu beruhigen.»

  Sie seufzt. «Sorry, war keine Absicht. Ich bin vielleicht auch ein klitzekleines bisschen nervös. Wenn du mich heute Abend brauchst, ruf einfach an, ja? Das heißt, nein, schick mir eine Nachricht, dann schleiche ich mich im Restaurant auf die Toilette. Bestimmt schleppt Mom mich wieder in einen von diesen Luxustempeln, wo man sein Handy nicht benutzen darf.»

  «Mach ich. Und sei nicht so hart zum neuen Freund deiner Mom. Wahrscheinlich hat er nur Angst vor deiner Reaktion, wenn sie dir beichten, dass sie heiraten wollen.» Ich strecke Aubree die Zunge raus, auch wenn sie es nicht sehen kann.

  «Hast du mir jetzt gerade die Zunge rausgestreckt?»

  Ich lache. Sie kennt mich einfach zu gut.

  «Heiraten, tse! Wir reden später. Und lass dich nicht unterkriegen!» Dann legt sie auf.

  Immer noch grinsend, schiebe ich das Handy zurück in das Außenfach meines Rucksacks. Ich mache einen Schritt nach vorn, weil der Turban-Mann gerade seine Plastiktüten im Kofferraum eines Taxis verstaut und ich als Nächste an der Reihe bin. Da lässt mich ein plötzlich heranrauschendes Auto erschrocken zurückspringen. Ich habe nicht einmal ein Motorengeräusch gehört, und einen Fluch unterdrückend, werfe ich dem dunkel getönten Seitenfenster, das direkt vor mir auftaucht, einen bösen Blick zu. Die Scheibe surrt herab.

  «Steig ein», ruft mir eine Stimme zu. Ich kneife die Augen zusammen, um im Inneren etwas zu erkennen, aber die Gänsehaut, die mich beim Timbre dieser Stimme überläuft, macht das eigentlich unnötig.

  Asher.

  Aber Asher und ein Elektroauto? Das sind zwei Dinge, die ich nicht zusammenbringe. Ganz automatisch geht mein Blick zum Kofferraum, wo ich durch die Scheibe ein riesiges Gitter erkennen kann.

  «Der Kofferraum ist besetzt. Wirf die Tasche einfach auf den Rücksitz.»

  Im nächsten Moment bewegen sich die hinteren Seitentüren elektrisch nach oben und lassen das Auto aussehen wie ein Insekt mit abgespreizten Flügeln, das gleich abheben will. Jetzt erkenne ich auch, wofür das seltsame Gittergestell im Kofferraum gedacht ist – es ist eine Transportbox für Hunde.

  «Ich dachte, du wärst schon weg», sage ich etwas hilflos, weil ich mich nicht entschließen kann, ob ich erleichtert sein soll, dass Asher doch auf mich gewartet hat, oder ob ich nicht lieber weiterhin meine Wut auf ihn pflegen will.

  «Der Parkplatz ist ganz am Ende des Flughafengeländes, ich musste erst mit dem Shuttle hinfahren. Also, was ist nun?» Er spricht nach vorne zur Windschutzscheibe und sieht kein einziges Mal zu mir, was in meinem Bauch ein Brodeln erzeugt. Denkt er, ich würde sofort freudig in sein Auto springen, nur weil er mir das sagt? Ohne mich auch nur anzusehen?

  «Tja, nett von dir, aber du musst dich nicht mit meiner Gesellschaft belasten, da vorne kommt schon mein Taxi. Bis später!» Ich gehe einfach los und lasse ihn stehen. Ich weiß, dass es irrational ist, weil ich kein Geld habe, aber ich kann einfach nicht anders. Das Einzige, was ich bereue, ist, dass ich gerade sein dämliches Gesicht nicht sehen kann, denn ich wette, damit hat er nicht gerechnet. Innerlich gebe ich mir ein High five, während ich meine Tasche auf die Schulter hochwuchte. Ich schaffe das! Ich werde die Zeit hier überstehen, und vielleicht macht es mir sogar Spaß, wenn ich Asher weiter so abblitzen lassen kann. Schließlich bin ich keine fünfzehn mehr.

  Das Taxi kommt heran und bremst in der Haltebucht. Ich winke dem Fahrer und lege einen Zahn zu, aber noch bevor ich auch nur in der Nähe des Türgriffs bin, stürmt ein älteres Ehepaar an mir vorbei. Die Frau schubst mich mit ihrer Handtasche regelrecht beiseite, und ihr Mann reißt die Tür auf. Sekunden später sehe ich nur noch die Rücklichter aufleuchten.

  Völlig entgeistert starre ich dem Taxi hinterher und atme tief ein und aus. Das ist jetzt gerade nicht wirklich passiert, oder? Während ich immer noch in die Richtung schaue, in die das Taxi verschwunden ist, höre ich nur am Knirschen der Reifen, dass Ashers Wagen wieder angefahren ist und zu mir aufschließt, denn der Motor ist absolut geräuschlos. Aus dem Inneren des Wagens ertönt Love Is Madness von Thirty Seconds To Mars, und ich presse kurz die Lippen zusammen, bevor ich mich Ashers Auto zuwende. «Okay, du hast gewonnen. Aber kannst du wenigstens einen anderen Song spielen?»

  Asher guckt zwar immer noch nach vorn, doch sein rechter Mundwinkel bewegt sich amüsiert nach oben. «Mein Auto, meine Musik.»

  So viel zu seinem Entgegenkommen. Und so viel zu meinem Plan, ihn einfach abblitzen zu lassen.

  Mit einem unterdrückten Stöhnen werfe ich meine Sporttasche hinten rein und sehe zu, wie sich die Flügel des Autos wieder schließen. Dann versuche ich, die Beifahrertür zu öffnen, aber der Griff ist bündig in der Tür versenkt und lässt sich nicht greifen. «Muss man bei deinem Auto irgendeinen Zauberspruch aufsagen, um es aufzubekommen?»

  «Jep.»

  «Sesam, öffne dich?»

  Auch ohne die andere Seite seines Gesichts sehen zu können, weiß ich, dass sich jetzt diese kleine Kerbe in seinen Mundwinkel gräbt. «Versuch’s mal mit: Bitte, o großartiger Asher, könntest du mir die Tür aufmachen? Ich würde alles tun, um in deinem Wagen mitzufahren.»

  «Ich weiß nicht», erwidere ich trocken. «Kann ich stattdessen nicht einfach meine Seele verkaufen?»

  Asher lacht. «Deinen Körper vielleicht, aber wer will schon deine Seele?»

  So ein Blödmann! Ich überlege, ihm meinen Rucksack an den Kopf zu pfeffern, lasse es aber, weil mir mein Bullet Journal und die Zeichenstifte zu kostbar sind.

  Asher beugt sich grinsend über den Beifahrersitz und blinzelt zu mir hoch. Für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl, jemand hätte ein Licht in seinen Augen angeknipst, denn die bernsteinfarbenen Flecken darin blitzen in der Sonne auf wie Gold. «Eigentlich reicht es, wenn du außen gegen den Griff drückst, dann springt die Tür von allein auf. Aber nett, wie ich bin …» Er richtet sich wieder auf und tippt auf ein riesiges Tablet in der Mitte des Armaturenbretts, und die Beifahrertür springt automatisch auf.

  Ich lasse mich auf den Sitz gleiten und werde sofort von seinem Geruch umfangen. Er riecht immer noch nach Blakely-Seife, aber auch ein klein wenig verschwitzt, was ich überraschenderweise kein bisschen unangenehm finde. Im Gegenteil. Trotzdem hätte ich gerne mehr Raum zwischen uns als nur eine Mittelkonsole. Ein Ozean wäre optimal.

  Mit einem Klicken lasse ich den Gurt einrasten und starre auf das Tablet, das die 3D-Version einer Landkarte zeigt.

  «Irgendwie kommt mir das komisch vor», sage ich, während ich den Rucksack auf meinem Schoß zurechtrücke. «Elektroauto fahren und dann Kurzstrecken mit dem Flugzeug fliegen und jede Menge CO2 in die Atmosphäre blasen? Ist das nicht ziemlich unlogisch?»

  Asher zuckt mit den Schultern. «Dad hat das Ticket gebucht und meinen Wagen herbringen lassen, ich wollte eigentlich noch ein paar Tage für Meetings in New York bleiben und dann mit dem Zug zurückfahren. Und außerdem …» Er zieht sein Handy aus der Mittelkonsole und öffnet eine App, in die er schnell etwas eingibt. «… habe ich für den Flug …» Tipp, tipp. «… gerade hundert Dollar an myclimate gespendet.»

  «Wow», sage ich. «Das ist echt großzügig von dir. Muss toll sein, wenn man alles mit Geld regeln kann.» Ich kann mich einfach nicht zurückhalten und ärgere mich über mich selbst, weil ich weiß, dass ich ihn nicht provozieren sollte. Und weil das gerade schon irgendwie anständig war.


  «Sprichst du aus eigener Erfahrung?» Er wirft mir einen Blick mit gehobenen Augenbrauen zu. «Ach nein, du verdienst ja gar kein eigenes Geld, sorry. Wie fühlt es sich denn an, das Geld meines Dads auszugeben? Gewöhnt man sich an das schlechte Gewissen, oder macht es mehr Spaß, wenn man es gleich ganz ignoriert?»

  Ich wusste, ich würde es bereuen. Eine Minute mit Asher, und ich will ihm am liebsten ins Gesicht schlagen. Mit einem Backstein. Den Gurt meines Rucksacks schlinge ich so fest um meine Hand, dass sich das Blut darin staut, aber das verschafft mir nur wenig Befriedigung.

  «Man gewöhnt sich dran, und es macht Spaß», presse ich durch zusammengebissene Zähne und höre Asher daraufhin schnauben. Ich löse den Gurt erst, als meine Hand taub wird. Das Prickeln, das danach durch meine Finger pulsiert, sorgt dafür, dass ich mich ganz auf den Schmerz konzentrieren kann und es tatsächlich schaffe, nichts weiter zu erwidern.

  Asher fährt los, und obwohl er nicht einmal richtig Gas gibt, beginnt es in meinem Magen vor Sorge zu ziehen. Unwillkürlich suche ich an der Tür nach einer Möglichkeit zum Festhalten, weil ich Angst habe, dass er mir etwas beweisen will. Ich kann mich noch daran erinnern, wie er früher mit seinem Motorrad durch die Gegend gerast ist, und bin nicht scharf darauf, das hautnah zu erleben, selbst wenn beruhigend viel Blech um mich herumgebaut ist. Aber Asher fädelt sich nur gemächlich in den fließenden Verkehr ein, und das Ziehen in meinem Magen lässt nach. Erleichtert atme ich aus, weil Ashers Fahrweise nicht mal ansatzweise so ist, wie ich es eigentlich von ihm erwartet habe. Er fährt sogar eher vorsichtig, hält mehr als genug Abstand zu seinem Vordermann und bremst mehrmals ab, um Fußgänger über die Straße zu lassen. Das Navi hat er nicht eingestellt, aber ich schätze, dass wir mindestens eine Stunde bis zur Insel unterwegs sein werden.

  Eine Stunde mit Asher – schaffe ich.

  Doch als Asher kurz am Straßenrand anhält, um sein Jeanshemd auszuziehen, bin ich mir da nicht mehr so sicher. Das Shirt darunter ist so eng, dass ich das Muskelspiel seiner Oberarme sehen kann, und als er wieder losfährt und die rechte Hand locker auf sein Knie legt, fange ich vor Nervosität an, die Fransen zu zählen, die an der abgewetzten Stelle seiner Jeans gleich daneben abstehen. Asher hat leider unverschämt schöne Hände. Sie sind kräftig und gebräunt, die Fingernägel kurz und gepflegt, und er hat an seiner rechten Hand ein kleines Muttermal genau an der Bucht zwischen Daumen und Zeigefinger. Wenn er eine Faust ballt, so wie jetzt gerade, treten einzelne Adern auf seinem Handrücken hervor.

 

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